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Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.08.2018, 12:44:32

Rainer Maria Rilke "Briefe über Cézanne (Insel-TB

Im Jahr 1907 sah Rainer Maria Rilke im Pariser Salon d'Automne die Gedächtnisausstel­lung für Cézanne, der 1906 in Aix gestorben war. Unter dem Eindruck dieser Ausstellung schrieb er eine tägliche Folge von Briefen an seine Frau (6.-24. Oktober 1907), aus denen hervorgeht, dass die Begegnung mit der Kunst des Malers eine Erschütterung bewirkte, die für Rilke wohl noch wichtiger war als die Begegnung mit Rodin.
Noch in seinen spätesten Jahren bekannte er, dass ihm das Werk Cézannes wichtigstes Vorbild gewesen sein.

Die Publikation geht in ihrer Bedeutung - trotz zahlreicher erstaunlicher künstlerischer Ein­sichten - weit über das nur Künstlerische hinaus; Einsichten, die der späteren Wissen­schaft über den Maler Cézanne so weit vorgreifen, dass Katharina Kippenberg sagen konnte, die Kunsthistoriker müssten sich beschämt davor zurückziehen.
Doch die Lehre, die der Dichter aus der Erkenntnis zog, nahm er nicht als künstlerisches Dogma
"Was sich ereignete und jeden einzelnen wieder ergreifen konnte, war dasselbe Betroffen­sein, wie es von dem archaischen Torso Apollons ausging: du musst dein Leben ändern.

Rainer Maria Rilke
an
Clara Rilke-Westhoff

...
Du musst nur, einen Sonntag etwa, die Leute durch die beiden Säle gehen sehen: belus­tigt, ironisch, gereizt, geärgert, empört. Und wenn es zu abschließenden Worten kommt, dann stehen sie da, diese Monsieurs, mitten in dieser Welt, mit einer pathetischen Ver­zweiflung, und man hört sie feststellen: il n'y a absolument rien, rien, rien.

Und wie schön die Damen sich dünken im Vorübergehen; es fällt ihnen ein, dass sie sich eben noch beim Eintreten in den Glastüren gesehen haben, mit völliger Befriedigung, und im Bewusstsein ihres Spiegelbildes stellen sie sich, ohne hinzusehen, einen Moment ne­ben eines von den rührend versuchten Bildnissen der Madame Cézanne, um die Abscheu­lichkeit dieser Malerei zu einem für sie selber so äußerst günstigen (wie sie meinen) Ver­gleich auszunutzen.

Paris, 29, rue Cassette
am 16. Oktober 1907 (Mittwoch)

aus:
Rainer Maria Rilke: Briefe über Cézanne
herausgegeben von Clara Rilke
Insel-tb 672

Hier lest Ihr Briefe eines Künstlers über einen Künstler an eine Künstlerin.
Sattsam zufrieden bin ich immer nach dieser erfrischenden Lektüre.

Clematis

 
RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied

12. Mai 1869

Aus den Tiefen meines glücklichen Herzens breitet sich eine große Welle der Liebe und des Gebets für diesen kostbaren Schatz aus, der nun meiner lebenslangen Aufbewahrung anvertraut ist.

Du kannst seine nicht greifbaren Wellen nicht sehen, wie sie auf dich zuzufließen scheinen, Liebling, aber in diesen Zeilen wirst du sozusagen das entfernte Schlagen der Brandung hören.


Mark Twain (Samuel Langhorne Clemens), amerikanischer Schriftsteller, zu seiner zukünftigen Frau Olivia Langdon, mit der er bis zu seinem Lebensende verheiratet und sehr glücklich war, wenngleich er viel allein in der welt herumreiste

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona

Hölderlin an Schiller - Kassel, d. 24. Jul. 1796
 

Ich bin so frei, verehrungswürdiger Herr Hofrat, Ihnen einen kleinen Brief zur künftigen Blumenlese zu schicken. Lieber hätt ich ihn gebracht, und mich wieder Ihrer Nähe gefreut. Sie sind gesünder, wie man mir sagt, und das ist ein Trieb mehr für mich, zu Ihnen zu wallfahrten und Sie zu sehn. Aber bis dahin muss ich wenigstens noch einige Monate geduldig sein. Ich bin jetzt auf der Flucht mit der Familie, bei der ich seit vorigem Winter in Frankfurt sehr glücklich lebe. Es sind wirklich selt’ne Menschen, unter denen ich bin, und umso schätzbarer für mich, weil ich sie so zu rechter Zeit fand, weil einige bittere Erfahrungen mich wirklich gegen Verhältnisse aller Art hatten misstrauisch gemacht.

Ich wollte Ihnen einmal wieder in meiner ganzen Bedürftigkeit erscheinen, wollte Sie um Ihre Meinung fragen über manches, was mich jetzt beschäftigt, und wollte durch allerhand Umwege ein paar freundliche Worte mir von Ihnen erbeuten, aber ich bin genötigt, abzubrechen.

Wollen Sie die Güte haben, mich der Frau Hofrätin zu empfehlen?
Ganz der Ihrige
Hölderlin

 

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Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
der-briefschreiber.jpg
Caspar Netscher - Entstanden 1665
 
Friedrich Hebbel an Elise Lensing
München, den 12ten Decbr. 1838
 
Ich hatte Deinen Brief, den ich gestern mittag empfing und, weil ich mir etwas Liebes gern bis zum Schluß des Tags aufspare, gestern abend nach dem Teetrinken las, nicht so früh erwartet, um so angenehmer überraschte er mich in meiner so wenig durch Briefe als durch Menschen unterbrochenen Einöde. Meine gegenwärtige Antwort werde ich am 18ten d.M. auf die Post geben, dann trifft sie, wenn ich nach der Zeit, die Deinige gebraucht hat, rechnen darf, gerade am heiligen Abend bei Dir sein, was dir gewiß lieb sein wird. Wie gern, wie außerordentlich gern ich, statt meines Briefs, die Reise machte, kann ich Dir gar nicht sagen. Das Wiedersehen ist doppelt so süß, wenn man sich am Weihnachtsabend wiedersieht; es gibt kaum etwas so Herrliches.
Für mich besonders: Du bist doch bei den Deinigen, bist nicht allein; mir gähnt dieser Abend jetzt wie ein Grab entgegen. Meine Jugendzeit war nur ein langer Winter, ich wußte von Freude nichts, aber von Sorge und Kummer viel; nur die schöne Weihnachtszeit machte eine Ausnahme, dann ging’s auch bei uns hoch her, es gab etwas Besseres zu essen, Hader und Zank der Eltern ruhten und mein kindliches Herz taute auf. 
An den Weihnachten machte daher auch ich Ansprüche und so schmerzt mich, wenn sie unerfüllt bleiben, wie köstlich war derjenige, den ich mit Dir verlebte! Nun es kann diesmal noch nicht sein, und wir wollen uns aufs nächste Mal vertrösten. Vertrösten! Welch ein totgebornes, banquerottes Wort. Nein, wir wollen uns diesen Weihnachten dadurch versüßen, daß wir mit aller Innigkeit und Glut des Herzens an den künftigen denken, uns ihn ausmalen, uns in den Glanz versenken, mit dem er es uns (Du weißt, es braucht dazu nur einer Kleinigkeit) übergießen wird. Stelle Dir, wenn Du magst, mein Gesicht so hell und freudig vor, wie Du willst; ich verspreche Dir Deine kühnste Phantasie noch zu übertreffen. Die Fähigkeit zur Freude habe ich noch nicht verloren, dies werde ich dann zeigen.
 
Wie immer, liebe Elise, ganz Dein F. Hebbel
 


 
RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 03.12.2018, 14:59:14

Als begleitende Lektüre zu den schwungvollen Briefen des immer bekannter werdenden Dichters empfehle ich das Buch von Sybille Knauss: "Ach Elise oder Lieben ist ein einsames Geschäft". Auch ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag über Friedrich Hebbel lässt deutlich werden, wie übel er den Frauen zeitlebens mitgespielt hat: sie ausgenutzt, betrogen, mit falschen Versprechungen hingehalten. Besonders schlimm erging es Elise Hensing, mit der er zwei Kinder hatte, was ihn nicht hinderte, eine andere Frau zu heiraten, von der er sich mehr Vorteile versprach. Elise starb, glaube ich, mit 50 Jahren vereinsamt. Diese biografischen Hintergründe sind manchmal ganz interessant, auch wenn die literarischen Produkte ihren eigenen Zauber haben mögen. Prominente Briefeschreiber schielten ja oft schon bei der Korrespondenz auf die spätere Veröffentlichung, das würde ich dem eitlen Hebbel durchaus auch zutrauen. 

Das alles war dir sicher schon bewusst, Sirona, ich wollte es nur nochmal dazustellen, um den Brief nicht unkommentiert zu lassen ... 

Lächeln

Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.12.2018, 10:03:06
Hallo Silberweide, danke für Deine gute Ergänzung zu meinem Beitrag. Natürlich wußte ich dass Hebbel sich Elise gegenüber nicht fair verhalten hat und bin auch irgendwie erstaunt über seine Zeilen, die eine andere Sprache sprechen. Künstler sind halt auch "nur" Menschen, oft besteht zwischen deren Charakter und den Werken bzw. Schriften eine erhebliche Diskrepanz. Es scheint wohl so zu sein, dass Künstler bei ihrem Schaffen in anderen Dimensionen weilen. LachenUnschuldig


 

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RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied


Die Webseite mit den letzten Briefen aus dem Holocaust enthält berührende und herzzerreissende Briefe von zumeist letzten Briefen von Menschen, die kurz danach ermordet wurden ..  sie sind Teil der Briefesammlung im Archiv von Yad Vashem. Kein Lesestoff, der leichtfüssig daher kommt ..
Lebt wohl, meine Lieben! Meine geliebte Mutter, mein guter Vater, Ihr wart der erste Sonnenstrahl, der mein Leben erwärmte...Ich bedaure aus tiefster Seele, das ich beim Abschied die Bedeutung des Augenblicks nicht erfasste, dass ich Euch nicht lange, lange betrachtet habe, damit sich Euer Bild tief in meine Seele einprägt, dass ich Dich nicht fest umarmt habe, ohne loszulassen."

Dies schrieb Ida Goldiş in ihrem letzten Brief im Oktober 1941, am Vorabend ihrer Deportation aus dem Ghetto Kischinew nach Transnistrien. Ida war 24 Jahre alt, als sie starb.

Hier der Link zu dieser so wichtigen Briefesammlung, von der nur ein Teil ins Netz gestellt wurde und für die wohl der von Lev Kopelev geprägte Buchtitel zutrifft: "Aufbewahren für alle Zeit!"
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.12.2018, 11:33:34
Hallo WoSchi, vielen Dank für den Hinweis auf die letzten Briefe von Menschen, die den Holocaust nicht überlebt haben. Erschütternd! Nie darf diese Epoche unserer Geschichte in Vergessenheit geraten und dies insbesondere deshalb, da neuerdings immer mehr antisemitische Äußerungen laut werden. Das macht mir schon angst und denke, dass die Politik viel vehementer gegen dieses braune Gedankengut vorgehen müßte. 




 
RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 15.12.2018, 12:07:00

Da sprichst Du mir aus dem Herzen, und wenn man sich die Ergebnisse der letzten befragung in europa anschaut, dann sollten eigentlich alle Alarmglocken läuten, auch bei denen, die sich nicht eingestehen wollen, dass es eben nicht nur neue und alte Nazis sind ... und das nicht nur in Deutschland. Es ist wie mit den schafen und den Wölfen. Gerne sollen sie hier leben, die Wölfe - ja - aber man hat versäumt, die Schafe zu schützen und nun fangen die Dämme an zu bröckeln.

Steigender Antisemitismus - Befragungsergebnisse ...

 

RE: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 15.12.2018, 12:31:25
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Clematis
 

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