Forum Kunst und Literatur Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Annette an ihre Großmutter

„Liebe Großmama!
Ich hoffe, dich bei dem Schreiben und der Ankunft dieses Briefes in eben der Gesundheit zu treffen, die wir jetzt genießen. Wir haben dieses Jahr recht was Schönes auf Nikolaus bekommen, Jenny hat einen Ring, einen seidenen Geldbeutel, ein paar Handschuh und viel Esswerk bekommen. Ich habe dasselbe erhalten. Werner und Fente haben Jacke und Hose, auch viel Esswerk bekommen. Lebe wohl. Wir alle küssen dir in Gedanken die Hände. Ich verbleibe deine dich liebende Enkelin Nette.
Bald hätte ich den guten Großpapa vergessen, küsse ihn für mich.“
(aus Annette von Droste-Hülshoff - Ein Leben in Briefen)
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
An Anton M. Sprickmann
Hülshoff, Ende Februar 1816

Unruhe - „Es malt den Zustand meiner Seele“
Unruhe

„Ich muss eine Weile aufhören zu schreiben, weil ich mich in Hinsicht des anhaltenden Bückens noch ein wenig in acht nehmen muss. Ich höre soeben, dass die Lerchen sich draußen schon recht lustig machen; also in den Garten! Ich bin doch den ganzen Winter noch nicht vor die Tür gekommen.
Ich komme soeben aus dem Garten. Gott! was für ein herrliches Wetter! vor einigen Tagen noch im härtesten Winter und jetzt von der wärmsten Mailuft umweht! Die Luft ist fast schwül, und die ersten Frühlingsboten, Lerchen, Buchfinken, Spreen et. cet. machen ein Konzert, dass man fast sein eignes Wort nicht hören kann. Wenn die Wärme verhältnismäßig so zunehmen will, wie seit einigen Tagen, so werden wir noch vor Ende Februar in den Hundstagen sein.
Ich hatte, da ich noch ein kleines Mädchen war, immer die Idee, unsre Erde könne sich wohl einmal in eine ganz andere Lage drehen, und wir dadurch unter einen wärmeren Himmelsstrich versetzt werden; diese Hoffnung erneuerte sich jedesmal, wenn das Wetter einige Tage besser war, wie es der Jahreszeit von Rechts wegen zukam. Man sollte aber jetzt von neuem in diesen Wahn fallen, da schon seit mehreren Jahren das Wetter ganz auffallende Geniestreiche macht. (…)
Ich schicke Ihnen hierbei ein kleines Gedicht, was ich vor einigen Wochen verfertigt habe; nehmen Sie es gütig auf, es malt den damaligen und eigentlich auch den jetzigen Zustand meiner Seele vollkommen, obschon diese fast fieberhafte Unruhe mit Verschwinden meines Übelbefindens einigermaßen sich gelegt hat.“

(aus „Annette von Droste-Hülshoff: Ein Leben in Briefen“)
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Gustav Mahler an Bruno Walter (Sommer 1908)

....Ich habe mich hier zunächst einzurichten versucht. Diesmal habe ich nicht nur den Ort, sondern auch meine ganze Lebensweise zu verändern. Sie können sich vorstellen, wie schwer mir letzteres wird. Ich hatte mich seit vielen Jahren an stete und kräftige Bewegung gewöhnt. Auf Bergen und in Wäldern herumzustreifen und in einer Art keckem Raub meine Entwürfe davonzutragen. An den Schreibtisch trat ich nur wie ein Bauer in die Scheune, um meine Skizzen in Form zu bringen. Sogar geistige Indispositionen sind nach einem tüchtigen Marsch (hauptsächlich bergan) gewichen. – Nun soll ich jede Anstrengung meiden, mich beständig kontrollieren, nicht viel gehen...

...Ich war sehr fleißig (woraus Sie ersehen, dass ich mich so ziemlich „akklimatisiert“ habe). Ich weiß es selbst nicht zu sagen, wie das Ganze benamst werden könnte. Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, dass es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe („Das Lied von der Erde“). Davon vielleicht mündlich...


Bruno Walter kam 1876 als Sohn einer jüdischen Berliner Familie zur Welt. Schon 1894, als 18-jähriger, wurde er Assistent von Gustav Mahler am Hamburger Stadttheater. Die Begegnung mit Mahler gab den entscheidenden Impuls für seine spätere künstlerische Entwicklung.

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Bruno Walter

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Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Im 19. Jahrhundert war es Frauen kaum möglich ihre Kunst der Öffentlichkeit vorzustellen. So erging es auch der Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Wie sehr sie in diesen gesellschaftlichen Gepflogenheiten noch verhangen war zeigt dieser Brief an ihren Bruder Felix, dem sie mitteilt dass sie angefangen hat ihre Werke zu veröffentlichen.

Fanny an Felix, 9. Juli 1846
»Eigentlich sollte ich Dir jetzt gar nicht zumuthen, diesen Quark zu lesen, beschäftigt wie Du bist, wenn ich Dir nicht hätte schreiben müssen, um Dir etwas mitzutheilen. Da ich aber von Anfang an weiß, daß es Dir nicht recht ist, so werde ich mich etwas ungeschickt dazu anstellen, denn lache mich aus, oder nicht, ich habe zu 40 Jahren eine Furcht vor meinen Brüdern, wie ich sie zu 14 vor meinem Vater gehabt habe, oder vielmehr Furcht ist nicht das rechte Wort, sondern der Wunsch, Euch u. Allen die ich liebe, es in meinem ganzen Leben recht zu machen, u. wenn ich nun vorher weiß, daß es nicht der Fall seyn wird, so fühle ich mich rather unbehaglich dabei. Mit einem Wort, ich fange an herauszugeben, ich habe Herrn Bocks treuer Liebesbewerbung um meine Lieder, u. seinen vortheilhaften Bedingungen endlich ein geneigtes Ohr geliehen, u. wenn ich mich aus freier Bewegung dazu entschlossen habe, u. Niemanden von den Meinigen verklagen kann, wenn mir Verdruß daraus entsteht, (Freunde u. Bekannte haben mir allerdings lange zugeredet) so kann ich mich anderseits mit dem Bewußtseyn trösten, die Art von musikal. Ruf, die mir zu solchen Anerbietungen verholfen haben mag, auf keinerlei Weise gesucht oder herbeigeführt zu haben.
Schande hoffe ich Euch nicht damit zu machen, da ich keine femme libre u. leider gar kein junges Deutschland bin. Verdruß wirst Du hoffentlich auch auf keine Weise dabei haben, da ich, um Dir jeden etwa unangenehmen Moment zu ersparen, wie Du siehst, durchaus selbständig verfahren bin, u. so hoffe ich, wirst Du es mir nicht übel nehmen.


Antwort von Felix an Fanny, 12. August 1846
»Mein liebster Fenchel, erst heut [...] komme ich Rabenbruder dazu, Dir für Deinen lieben Brief zu danken und Dir meinen Handwerkssegen zu geben zu Deinem Entschluß, Dich auch unter unsere Zunft zu begeben. Hiermit erteile ich ihn Dir, Fenchel, und mögst Du Vergnügen und Freude daran haben, daß Du den andern soviel Freude und Genuß bereitest, und mögest Du nur Autorpläsiers und gar keine Autormisere kennenlernen, und möge das Publikum Dich nur mit Rosen und niemals mit Sand bewerfen, und möge die Druckerschwärze Dir niemals drückend und schwarz erscheinen – eigentlich glaube ich, an alledem ist gar kein Zweifel denkbar. Warum wünsche ich Dir’s also erst? Es ist nur so von Zunft wegen, und damit ich auch meinen Segen dazugegeben haben möge, wie hierdurch geschieht. Der Tafelschneidergeselle Felix Mendelssohn Bartholdy«

Daraufhin schrieb Fanny folgenden Tagebucheintrag:
14. August 1846
»Endlich hat mir Felix geschrieben und mir auf sehr liebenswürdige Weise seinen Handwerkssegen ertheilt; weiss ich auch, dass es ihm eigentlich im Herzen nicht recht ist, so freut mich doch, dass er endlich ein freundliches Wort mir darüber gegönnt!«

Felix Mendelssohn-Bartholdy war ganz im Sinne seiner Zeit erzogen worden und konnte sich nicht vorstellen dass eine Frau in die Öffentlichkeit geht. Dass er dennoch über seinen Schatten gesprungen ist und Fanny beigepflichtet hat zeigt wie sehr er diese Schwester liebte. Fanny und Felix waren unzertrennlich. Dies zeigt sich auch darin, dass Felix den Tod seiner Fanny nicht überwinden konnte und ihr bereits ein halbes Jahr später in die Ewigkeit folgte.
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Auszug aus „Reisebilder - Die Nordsee“ – Heinrich Heine

Geschrieben auf der Insel Norderney

Die Eingeborenen sind meistens blutarm und leben vom Fischfang, der erst im nächsten Monat, im Oktober, bei stürmischem Wetter, seinen Anfang nimmt. Viele dieser Insulaner dienen auch als Matrosen auf fremden Kauffahrteischiffen und bleiben jahrelang vom Hause entfernt, ohne ihren Angehörigen irgendeine Nachricht von sich zukommen zu lassen. Nicht selten finden sie den Tod auf dem Wasser. Ich habe einige arme Weiber auf der Insel gefunden, deren ganze männliche Familie solcherweise umgekommen, was sich leicht ereignet, da der Vater mit seinen Söhnen gewöhnlich auf demselben Schiffe zur See fährt.

Das Seefahren hat für diese Menschen einen großen Reiz; und dennoch, glaube ich, daheim ist ihnen allen am wohlsten zumute. Sind sie auch auf ihren Schiffen sogar nach jenen südlichen Ländern gekommen, wo die Sonne blühender und der Mond romantischer leuchtet, so können doch alle Blumen dort nicht den Leck ihres Herzens stopfen, und mitten in der duftigen Heimat des Frühlings sehnen sie sich wieder zurück nach ihrer Sandinsel, nach ihren kleinen Hütten, nach dem flackernden Herde, wo die Ihrigen, wohlverwahrt in wollenen Jacken, herumkauern und einen Tee trinken, der sich von gekochtem Seewasser nur durch den Namen unterscheidet, und eine Sprache schwatzen, wovon kaum begreiflich scheint, wie es ihnen selber möglich ist, sie zu verstehen.

Was diese Menschen so fest und genügsam zusammenhält, ist nicht so sehr das innig mystische Gefühl der Liebe als vielmehr die Gewohnheit, das naturgemäßen Ineinander-Hinüberleben, die gemeinschaftliche Unmittelbarkeit. Gleiche Geisteshöhe oder, besser gesagt, Geistesniedrigkeit, daher gleiche Bedürfnisse und gleiches Streben; gleiche Erfahrungen und Gesinnungen, daher leichtes Verständnis untereinander; und sie sitzen verträglich am Feuer in den kleinen Hütten, rücken zusammen, wenn es kalt wird, an den Augen sehen sie sich ab, was sie denken, die Worte lesen sie sich von den Lippen, ehe sie gesprochen worden, alle gemeinsamen Lebensbeziehungen sind ihnen im Gedächtnisse, und durch einen einzigen Laut, eine einzige Miene, eine einzige stumme Bewegung erregen sie untereinander soviel Lachen oder Weinen oder Andacht, wie wir bei unseresgleichen erst durch lange Expositionen, Expektorationen und Deklamationen hervorbringen können. Denn wir leben im Grunde geistig einsam; durch eine besondere Erziehungsmethode oder zufällig gewählte besondere Lektüre hat jeder von uns eine verschiedene Charakterrichtung empfangen; jeder von uns, geistig verlarvt, denkt, fühlt und strebt anders als die andern, und des Missverständnisses wird so viel, und selbst in weiten Häusern wird das Zusammenleben so schwer, und wir sind überall beengt, überall fremd und überall in der Fremde.


Heine muss die Bewohner von Norderney sehr aufmerksam beobachtet haben. Heute wird man dort wohl nur noch wenige Menschen dieses Schlages antreffen, die Heine auf so liebenswerte Weise beschrieben hat. Er spart aber auch nicht mit Kritik, indem er Intellektuelle als "geistig verlarvt" beschreibt.
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Heinrich von Kleist, der im November 1811 zusammen mit Henriette Vogel den gemeinsamen Freitod am kleinen Wannsee inszenierte, schrieb seiner Schwester Ulrike folgenden Abschiedsbrief, der mich persönlichsehr berührt - denn vor fast 20 Jahren wählte mein schwermütiger Bruder auch den Freitod und zitierte daraus an mich gerichtet den hervorgehobenen Satz. Wir waren uns stets so nahe und doch konnte auch ich nicht zu ihm vordringen:

Kleists Abschiedsbrief an seine Schwester

An Fräulein Ulrike von Kleist Hochwohlgeb. zu Frankfurt a. Oder

Ich kann nicht sterben, ohne mich, zufrieden und heiter wie ich bin, mit der ganzen Welt, und somit auch, vor allen anderen, meine teuerste Ulrike, mit Dir versöhnt zu haben. Laß sie mich, die strenge Äußerung, die in dem Briefe an die Kleisten enthalten ist, laß sie mich zurücknehmen; wirklich, Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten: die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war. Und nun lebe wohl; möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinigen gleich: das ist der herzlichste und innigste Wunsch, den ich für Dich aufzubringen weiß.

Dein Heinrich

Stimmings bei Potsdam,
d. - am Morgen meines Tode

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Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Liebe Wolkenschieber,

ich glaube dass es jedem Menschen so ergeht und gute oder weniger erfreuliche Erinnerungen wachgerufen werden, wenn man etwas liest, das man selbst erlebt hat. Dieser Abschiedsbrief ist wirklich sehr berührend.

Es muss eine Verzweiflungstat gewesen sein, denn Kleists Literatur blieb ohne Erfolg, er zweifelte an menschlichen Beziehungen und fand die politische Lage unerträglich. Außerdem war seine gute Freundin Henriette Vogel unheilbar an Krebs erkrankt.

Henriette Vogel und Heinrich Kleist wurden gemeinsam beerdigt.

Roxanna
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf Sirona vom 15.06.2017, 16:29:44
Zum heutigen Geburtstag Hermann Hesses vorgelesen ein Brief, den er als 15-Jähriger ziemlich verzweifelt an seine Eltern schrieb



LG
Roxanna
Maxi41
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Maxi41
als Antwort auf Roxanna vom 02.07.2017, 10:30:10
Wow, das ging unter die Haut.

Diesen Frust bzw. Widerstreit zwischen Ehrfurcht und Auflehnung hat Hesse auch in seinem Buch "Kinderseele", was sehr empfehlenswert ist, niedergeschrieben.
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Und nochmal ein wenig Hermann Hesse:

Wieder einmal ist es mir geglückt, einen Vormittag für mich zu retten und zu entwischen.

Die Pflichten mögen ein wenig warten. Der ganze Kram meiner täglichen Existenz mag ein wenig liegen bleiben; bin ich denn wirklich verpflichtet, diesen langweiligen und rostigen Apparat immer wieder in Gang zu halten. Warten mögen die Korrekturen vom Verleger, warten mag der Herr in Bochum oder Dortmund, der mich für den Winter zu einem Vortrag einlädt, warten mögen die Briefe der Studenten und der Backfische, warten die Besuche aus Berlin und Zürich, die Literaturknaben und geistigen Edeltanten - mögen sie vor meinem Hause auf und ab wandeln und sich einmal auch die schöne Gegend betrachten, statt immer nur über Literatur zu schwatzen!...
Dem allem bin ich davongelaufen, es gibt jetzt für ein paar Stunden keine Bücher, kein Studierzimmer mehr. Es gibt nur die Sonne und mich, und diesen hellzarten, apfelgrün durchschimmerten Septembermorgenhimmel, und das strahlende Gelb im herbstlichen Laub der Maulbeerbäume und der Reben. Ich habe mein Malstühlchen in der Hand, das ist mein Zauberaparat und Faustmantel, mit dessen Hilfe ich schon tausendmal Magie getrieben und den Kampf mit der blöden Wirklichkeit gewonnen habe.

Und auf dem Rücken habe ich den Rucksack, darin ist mein kleines Malbrett, und meine Palette mit Aquarellfarben, und ein Fläschchen mit Wasser fürs Malen, und einige Blatt schönes italienisches Papier, und auch eine Zigarre und ein Pfirsich.

Hermann Hesse

Clematis

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