Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
Liebe Clematis, darüber musste ich mich auch wundern. Heute würde sich niemand mehr über Pantoffeln freuen oder über die Leckereien, die Marianne aufgezählt hat (Schinken, Pfeffernüsse, Würste). Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern, in der man Weihnachtsgeschenke selbst herstellte bzw. bastelte. Über eine Stoffpuppe, die eine Schneiderin fertig gestellt hatte, (das erfuhr ich erst viel später, für mich hat das liebe Christkind diese Puppe gebracht) habe ich mich unbändig gefreut, war es doch 1949 die erste Puppe die ich bekommen habe. Aber ich denke dass die Leute zwar nur bescheiden schenken konnten, aber dennoch zufriedener waren als dies heute bei vielen Menschen der Fall ist, die oft ein Geschenk bereits am nächsten Wochentag wieder umtauschen.
Ich habe einmal nachgeforscht in welchem Verhältnis Marianne von Willemer zu Goethe gestanden hat und somit wieder Neues gelernt.
LG Sirona
Ich habe einmal nachgeforscht in welchem Verhältnis Marianne von Willemer zu Goethe gestanden hat und somit wieder Neues gelernt.
LG Sirona
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Liebe Sirona,
der gute alte Goethe hat sich doch noch in die
junge Marianne verliebt, und nun die Pantoffeln.
Aber - sie sind wärmend und angenehm.
Dank für Deine lehrreiche Räckmeldung!
Hans Christian Andersen
aus seinen Erinnerungen „Eines Dichters Bazar“
Der dänische Dichter hatte Felix Mendelssohn Bartholdy schon 1830 kennengelernt. Im Sommer 1841 befand er sich auf der Rückreise aus dem Orient
Und fort brauset die Dampfmaschine über Feld und Wiese nach Leipzig, nach Magdeburg, und wieder mit Dampf nach Deutschlands äußerster Ecke, dem mächtigen Hamburg; es ist eine kurze Fahrt , man kann die Stunden zählen; aber wir halten unterwegs einige Tage an.
Die Melodien haben eine wunderbare Kraft; Freundschaft und Bewunderung sind eben so mächtig – Mendelssohn Bartholdy wohnt in Leipzig.
Wie behaglich und schön war es nicht in seiner Heimath; eine liebenswürdige und freundliche Gattin, und alles so festlich für den Fremden! Ein kleines Vormittagsconcert, in welchem ich David hörte, wurde in Mendelssohns Zimmer gegeben; die geistreiche Frau von Goethe aus Weimar und ich waren die glücklichen Gäste!
In der Kirche, auf derselben Orgel, die Sebastian Bach spielte, gab Mendelssohn mir eine von dessen Fugen und ein paar seiner Dichtungen zum Besten! Berg und Thal, Himmel und Abgrund brauseten ihren Hymnus aus den Orgelpfeifen; das war ein Kirchenconcert!
Aus:
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ein Almanach
Henschel
Clematis
der gute alte Goethe hat sich doch noch in die
junge Marianne verliebt, und nun die Pantoffeln.
Aber - sie sind wärmend und angenehm.
Dank für Deine lehrreiche Räckmeldung!
Hans Christian Andersen
aus seinen Erinnerungen „Eines Dichters Bazar“
Der dänische Dichter hatte Felix Mendelssohn Bartholdy schon 1830 kennengelernt. Im Sommer 1841 befand er sich auf der Rückreise aus dem Orient
Und fort brauset die Dampfmaschine über Feld und Wiese nach Leipzig, nach Magdeburg, und wieder mit Dampf nach Deutschlands äußerster Ecke, dem mächtigen Hamburg; es ist eine kurze Fahrt , man kann die Stunden zählen; aber wir halten unterwegs einige Tage an.
Die Melodien haben eine wunderbare Kraft; Freundschaft und Bewunderung sind eben so mächtig – Mendelssohn Bartholdy wohnt in Leipzig.
Wie behaglich und schön war es nicht in seiner Heimath; eine liebenswürdige und freundliche Gattin, und alles so festlich für den Fremden! Ein kleines Vormittagsconcert, in welchem ich David hörte, wurde in Mendelssohns Zimmer gegeben; die geistreiche Frau von Goethe aus Weimar und ich waren die glücklichen Gäste!
In der Kirche, auf derselben Orgel, die Sebastian Bach spielte, gab Mendelssohn mir eine von dessen Fugen und ein paar seiner Dichtungen zum Besten! Berg und Thal, Himmel und Abgrund brauseten ihren Hymnus aus den Orgelpfeifen; das war ein Kirchenconcert!
Aus:
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ein Almanach
Henschel
Clematis
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Robert Schuhmanns Weihnachtsbrief an Clara
Wien, den 18 ten Dezember - Mittwoch 1838
[i]"Gott grüß Dich, mein herziges Mädchen. Du hast Frühling um mich gemacht und goldene Blumen gucken mit den Spitzen hervor, mit anderen Worten ich componire seit deinen Briefen, ich kann mich gar nicht lassen vor Musik. Hier hast du mein kleines Angebinde zum heiligen Christ. Du wirst meinen Wunsch verstehen. Weißt Du noch, als Du mir vor drei Jahren am Weihnachtsabend um den Hals fielst? Manchmal war es, als erschreckest Du vor Dir selbst, wenn Du Dich mir so hingabst. Aber jetzt ist es anders und Du ruhest still und sicher an meinem Herzen und weißt, was Du besitzest. Du meine Liebe, meine traute Gefährtin, mein holdes zukünftiges Weib - wenn ich nun in zwei Jahren die Thüre aufmache und Dir Alles zeigen werde, was ich Dir geschenkt, eine Haube, vieles Spielzeug, neue Compositionen, dann wirst Du mir noch ganz anders um den Hals fallen und einmal über das andere ausrufen "wie hübsch, wer einen Mann und vorzüglich wie Dich einen hat". Und ich werde dann Deiner Freude gar keinen Einhalt thun können und Du wirst mich dann in Dein Zimmer führen, wo Du aufgeputzt und bescheert, Dein Bild in Miniatur, eine Schreibtafel zum Componiren, einen zuckernen Pantoffel, den ich gleich esse und Vielerlei; denn Du beschenkst mich viel mehr als ich Dich und ich kenne Dich darauf. Das Glück! Dann werden wir immer stiller, der Christbaum brennt immer schwächer und Küsse sind unser Gebet, daß es immer so bleiben möchte, daß uns der gute Gott zusammen erhalte bis an das Ende.
In diesem Jahr wird es noch freilich traurig um mich sein; ich werde mir manche Melodie summen, ich werde manchmal an das Fenster gehen und hinauf zu den Sternen sehen, wie sie funkeln, ich werde den ganzen Abend bei Dir sein . . .
Schumann erwähnt dass es für ihn ein trauriges Weihnachtsfest wird, wahrscheinlich weil er es noch ohne Clara feiern muss. Ähnlich ergeht es auch heute vielen Menschen, die an dem Fest einsam sind und mit Wehmut an Familien denken, denen ein gemeinsames Feiern noch möglich ist. Man sollte diese Menschen bei aller Freude nicht vergessen.
LG Sirona
Robert Schuhmanns Weihnachtsbrief an Clara
Wien, den 18 ten Dezember - Mittwoch 1838
[i]"Gott grüß Dich, mein herziges Mädchen. Du hast Frühling um mich gemacht und goldene Blumen gucken mit den Spitzen hervor, mit anderen Worten ich componire seit deinen Briefen, ich kann mich gar nicht lassen vor Musik. Hier hast du mein kleines Angebinde zum heiligen Christ. Du wirst meinen Wunsch verstehen. Weißt Du noch, als Du mir vor drei Jahren am Weihnachtsabend um den Hals fielst? Manchmal war es, als erschreckest Du vor Dir selbst, wenn Du Dich mir so hingabst. Aber jetzt ist es anders und Du ruhest still und sicher an meinem Herzen und weißt, was Du besitzest. Du meine Liebe, meine traute Gefährtin, mein holdes zukünftiges Weib - wenn ich nun in zwei Jahren die Thüre aufmache und Dir Alles zeigen werde, was ich Dir geschenkt, eine Haube, vieles Spielzeug, neue Compositionen, dann wirst Du mir noch ganz anders um den Hals fallen und einmal über das andere ausrufen "wie hübsch, wer einen Mann und vorzüglich wie Dich einen hat". Und ich werde dann Deiner Freude gar keinen Einhalt thun können und Du wirst mich dann in Dein Zimmer führen, wo Du aufgeputzt und bescheert, Dein Bild in Miniatur, eine Schreibtafel zum Componiren, einen zuckernen Pantoffel, den ich gleich esse und Vielerlei; denn Du beschenkst mich viel mehr als ich Dich und ich kenne Dich darauf. Das Glück! Dann werden wir immer stiller, der Christbaum brennt immer schwächer und Küsse sind unser Gebet, daß es immer so bleiben möchte, daß uns der gute Gott zusammen erhalte bis an das Ende.
In diesem Jahr wird es noch freilich traurig um mich sein; ich werde mir manche Melodie summen, ich werde manchmal an das Fenster gehen und hinauf zu den Sternen sehen, wie sie funkeln, ich werde den ganzen Abend bei Dir sein . . .
Schumann erwähnt dass es für ihn ein trauriges Weihnachtsfest wird, wahrscheinlich weil er es noch ohne Clara feiern muss. Ähnlich ergeht es auch heute vielen Menschen, die an dem Fest einsam sind und mit Wehmut an Familien denken, denen ein gemeinsames Feiern noch möglich ist. Man sollte diese Menschen bei aller Freude nicht vergessen.
LG Sirona
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[i]Brief an Gottfried Keller von Theodor Storm (1817-1888)
Hademarschen, 22. Dezember 1882
Da bin ich, lieber Freund, um Ihnen, so Gutes durch so viel Ferne geschehen kann, zu dem mir ewig jungen Kindheitsfest die Hand zu schütteln. Unten spielt meine Jüngste allerlei süße Melodien, und im ganzen Hause weihnachtet es sehr. Zwei Tage lang nichts als Kisten gepackt und Pakete gemacht und Weihnachtsbriefe an alt und jung in alle Welt gesendet; ich habe diesmal nur meine zwei Jüngsten, die Gertrud und Dodo, zu Hause, und morgen kommt aus Varel noch mein Musikus, das heißt Musiklehrer.
Aber die breitästige zwölf Fuß hohe Tanne steht schon im großen Zimmer, an den letzten Abenden ist fleißige Hausarbeit gehalten: der goldene Märchenzweig, dito die Traubenbüschel des Erlensamens und große Fichtenzapfen, an denen diesmal lebensgroße Kreuzschnäbel von Papiermaché sich anklammern werden, während zwei desgleichen Rotkehlchen neben ihrem Nest mit Eiern im Tannengrün sitzen, feine weiße Netze, deren Inhalt sorgsam in Gold und andere nach Lichtfarben gewählte Papiere gewickelt ist, alles liegt parat, und morgen helfe ich den Baum schmücken.
Wenn dann aber am Weihnachtsbaum die Lichter brennen und die Kinder ihr Weihnachtslied anstimmen, dann überfällt’s mich doch: Wo sind sie alle, die sich einst mit dir gefreut? – Antwort: Wo auch ich bald sein werde. – Und das Geschick deiner Lieben? - Ein ewiges Dunkel für dich.
Lieber Freund, ich werde sentimental, und das schickt sich nicht für alte Leute.
Also will ich Ihnen lieber erzählen, daß ich mir C. F. Meyers Gedichte und, um ihn nach Gebühr zu ehren, auch seinen Jürg Jenatsch zu Weihnachten geschenkt habe. Letzteren habe ich noch nicht, in ersterem aber schon manches und mit rechter Freude gelesen, auch wiederholt schon vorgelesen, wozu sich die Sachen, wie Sie schon schreiben, teilweise besonders eignen. Mich freut der Besitz dieses Buches, man hat doch wieder etwas in der Hand, was bei einer Gedichtsammlung lange nicht mehr der Fall gewesen ist.
Doch genug für heute. Die Meinen grüßen Sie mit mir. Möge auch über Sie die Märchenstille dieses Festes kommen!
Ich grüße Sie herzlich, Ihr Th. Storm
[i]Brief an Gottfried Keller von Theodor Storm (1817-1888)
Hademarschen, 22. Dezember 1882
Da bin ich, lieber Freund, um Ihnen, so Gutes durch so viel Ferne geschehen kann, zu dem mir ewig jungen Kindheitsfest die Hand zu schütteln. Unten spielt meine Jüngste allerlei süße Melodien, und im ganzen Hause weihnachtet es sehr. Zwei Tage lang nichts als Kisten gepackt und Pakete gemacht und Weihnachtsbriefe an alt und jung in alle Welt gesendet; ich habe diesmal nur meine zwei Jüngsten, die Gertrud und Dodo, zu Hause, und morgen kommt aus Varel noch mein Musikus, das heißt Musiklehrer.
Aber die breitästige zwölf Fuß hohe Tanne steht schon im großen Zimmer, an den letzten Abenden ist fleißige Hausarbeit gehalten: der goldene Märchenzweig, dito die Traubenbüschel des Erlensamens und große Fichtenzapfen, an denen diesmal lebensgroße Kreuzschnäbel von Papiermaché sich anklammern werden, während zwei desgleichen Rotkehlchen neben ihrem Nest mit Eiern im Tannengrün sitzen, feine weiße Netze, deren Inhalt sorgsam in Gold und andere nach Lichtfarben gewählte Papiere gewickelt ist, alles liegt parat, und morgen helfe ich den Baum schmücken.
Wenn dann aber am Weihnachtsbaum die Lichter brennen und die Kinder ihr Weihnachtslied anstimmen, dann überfällt’s mich doch: Wo sind sie alle, die sich einst mit dir gefreut? – Antwort: Wo auch ich bald sein werde. – Und das Geschick deiner Lieben? - Ein ewiges Dunkel für dich.
Lieber Freund, ich werde sentimental, und das schickt sich nicht für alte Leute.
Also will ich Ihnen lieber erzählen, daß ich mir C. F. Meyers Gedichte und, um ihn nach Gebühr zu ehren, auch seinen Jürg Jenatsch zu Weihnachten geschenkt habe. Letzteren habe ich noch nicht, in ersterem aber schon manches und mit rechter Freude gelesen, auch wiederholt schon vorgelesen, wozu sich die Sachen, wie Sie schon schreiben, teilweise besonders eignen. Mich freut der Besitz dieses Buches, man hat doch wieder etwas in der Hand, was bei einer Gedichtsammlung lange nicht mehr der Fall gewesen ist.
Doch genug für heute. Die Meinen grüßen Sie mit mir. Möge auch über Sie die Märchenstille dieses Festes kommen!
Ich grüße Sie herzlich, Ihr Th. Storm
Ein Weihnachtsbrief
von Johann Wolfgang von Goethe an Johann Christian Kestner
Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Lichte morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen, den Festtag zu ehren, und will euch schreiben, bis es Tag ist.
Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte darüber auf. Gelobet seist du, Jesus Christ! Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder, die man singt, und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen, und da ist mir’s fürs Enden nicht angst. Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt; der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster.
Gestern, lieber Kestner, war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande; unsre Lustbarkeit war sehr laut und Geschrei und Gelächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde. Doch was können die heiligen Götter nicht wenden, wenn's ihnen beliebt; sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getrunken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen; es ward Nacht. Nun muss ich Dir sagen, das ist immer eine Sympathie für meine Seele, wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen heraus nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis von Abend herausleuchtet.
Seht, Kestner, wo das Land flach ist, ist's das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer stundenlang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wanderungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beiden Seiten, der still leuchtende Horizont, der Widerschein im Fluss machte einen köstlichen Eindruck in meine Seele, den ich mit beiden Armen umfasste. Ich lief zu den Gerocks, ließ mir Bleistift geben und Papier und zeichnete zu meiner großen Freude das ganze Bild so dämmernd warm, als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber, empfanden alles, was ich gemacht hatte, und da war ich's erst gewiss, ich bot ihnen an, drum zu würfeln, sie schlugen es aus und wollen, ich soll's Mercken schicken. Nun hängt es hier an meiner Wand und freut mich heute wie gestern.
Wir hatten einen schönen Abend zusammen, wie Leute, denen das Glück ein großes Geschenk gemacht hat, und ich schlief ein, den Heiligen im Himmel dankend, dass sie uns Kinderfreude zum Christ bescheren wollen. Als ich über den Markt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah, dacht ich an euch und meine Buben, wie ihr ihnen kommen würdet, diesen Augenblick ein himmlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätte ich bei euch sein können, ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminieren, dass es in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte.
Die Torschließer kommen vom Bürgermeister und rasseln mit den Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über des Nachbarn Haus, und die Glocken läuten eine christliche Gemeinde zusammen. Wohl, ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte als jetzt.
Frankfurt, 25. Dezember 1772
Ich wünsche allen hier Schreibenden und Lesenden ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest!
von Johann Wolfgang von Goethe an Johann Christian Kestner
Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Lichte morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen, den Festtag zu ehren, und will euch schreiben, bis es Tag ist.
Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte darüber auf. Gelobet seist du, Jesus Christ! Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder, die man singt, und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen, und da ist mir’s fürs Enden nicht angst. Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt; der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster.
Gestern, lieber Kestner, war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande; unsre Lustbarkeit war sehr laut und Geschrei und Gelächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde. Doch was können die heiligen Götter nicht wenden, wenn's ihnen beliebt; sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getrunken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen; es ward Nacht. Nun muss ich Dir sagen, das ist immer eine Sympathie für meine Seele, wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen heraus nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis von Abend herausleuchtet.
Seht, Kestner, wo das Land flach ist, ist's das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer stundenlang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wanderungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beiden Seiten, der still leuchtende Horizont, der Widerschein im Fluss machte einen köstlichen Eindruck in meine Seele, den ich mit beiden Armen umfasste. Ich lief zu den Gerocks, ließ mir Bleistift geben und Papier und zeichnete zu meiner großen Freude das ganze Bild so dämmernd warm, als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber, empfanden alles, was ich gemacht hatte, und da war ich's erst gewiss, ich bot ihnen an, drum zu würfeln, sie schlugen es aus und wollen, ich soll's Mercken schicken. Nun hängt es hier an meiner Wand und freut mich heute wie gestern.
Wir hatten einen schönen Abend zusammen, wie Leute, denen das Glück ein großes Geschenk gemacht hat, und ich schlief ein, den Heiligen im Himmel dankend, dass sie uns Kinderfreude zum Christ bescheren wollen. Als ich über den Markt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah, dacht ich an euch und meine Buben, wie ihr ihnen kommen würdet, diesen Augenblick ein himmlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätte ich bei euch sein können, ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminieren, dass es in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte.
Die Torschließer kommen vom Bürgermeister und rasseln mit den Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über des Nachbarn Haus, und die Glocken läuten eine christliche Gemeinde zusammen. Wohl, ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte als jetzt.
Frankfurt, 25. Dezember 1772
Ich wünsche allen hier Schreibenden und Lesenden ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest!
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Danke Dir, liebe Sirona, für Deinen Heilig-Abend-Brief
und Gruß
14. 12. 1911 Duino
aus einem Brief an Elsa Bruckmann
Ich stell es mir schön vor, bei Ihnen, mit Ihnen in ein neues Jahr hinüber zu kommen; man kommt mit Ihnen so oft ins Neue, auch mitten im Jahr, so dass die Bewegungen sich summieren würden und wir, wie durch Stromschnellen, durch die besondere Mitternacht glitten, die die Sache entscheidet. Und wirklich, ich brauchte so eine Garantie, in ein tatsächlich neues Jahr zu treiben, mit den letzten bin ich betrogen worden, sie waren nur remis á neuf, da ich sie begann, schon am zweiten Tag kamen schlechte Stellen heraus, es waren von Gott weiß was für Herrschaften abgelegte Jahre, die unser Herrgott, der jetzt furchtbar an mir spart, noch für tragbar hielt. Ja, aber Staat war keiner damit zu machen.
Also an Neigung, sehen Sie, fehlt es nicht, und doch, aller Wahrscheinlichkeit nach, werd ich es schon hier versuchen müssen, über den Jahresgrat im Dunkeln und ganz allein hinüberzuklettern, gewissermaßen aus erziehlichen Gründen. Ich verdien es nicht anders, nämlich, ich wünschte mir seit lange, hier allein zu sein, streng allein, mich einzupuppen, zusammenzunehmen, kurz und gut, von meinem Herzen zu leben und von nichts anderem. Nun bin ich wirklich seit vorgestern ganz allein in dem alten Gemäuer, draußen das Meer, draußen der Karst, draußen der Regen, vielleicht morgen Sturm -: nun soll sich's zeigen, was innen ist als Gegengewicht so großer und gründlicher Dinge. Also, wenn nicht ganz Unerwartetes kommt, bleiben, aushalten, stillhalten, mit einer Art Neugier nach sich selbst: ob das nicht das Richtige ist, wie? So steht es, und wenn ich jetzt mich rühre, verschiebt sich wieder alles; schließlich steht auf den Herzen, wie auf gewissen Medizinen: vor dem Einnehmen schütteln, ich bin die letzten Jahre immerzu geschüttelt worden, aber nie eingenommen, darum ists besser, ich bring es in der Stille zu Klarheit und Niederschlag.
Rainer Maria Rilke
und Gruß
14. 12. 1911 Duino
aus einem Brief an Elsa Bruckmann
Ich stell es mir schön vor, bei Ihnen, mit Ihnen in ein neues Jahr hinüber zu kommen; man kommt mit Ihnen so oft ins Neue, auch mitten im Jahr, so dass die Bewegungen sich summieren würden und wir, wie durch Stromschnellen, durch die besondere Mitternacht glitten, die die Sache entscheidet. Und wirklich, ich brauchte so eine Garantie, in ein tatsächlich neues Jahr zu treiben, mit den letzten bin ich betrogen worden, sie waren nur remis á neuf, da ich sie begann, schon am zweiten Tag kamen schlechte Stellen heraus, es waren von Gott weiß was für Herrschaften abgelegte Jahre, die unser Herrgott, der jetzt furchtbar an mir spart, noch für tragbar hielt. Ja, aber Staat war keiner damit zu machen.
Also an Neigung, sehen Sie, fehlt es nicht, und doch, aller Wahrscheinlichkeit nach, werd ich es schon hier versuchen müssen, über den Jahresgrat im Dunkeln und ganz allein hinüberzuklettern, gewissermaßen aus erziehlichen Gründen. Ich verdien es nicht anders, nämlich, ich wünschte mir seit lange, hier allein zu sein, streng allein, mich einzupuppen, zusammenzunehmen, kurz und gut, von meinem Herzen zu leben und von nichts anderem. Nun bin ich wirklich seit vorgestern ganz allein in dem alten Gemäuer, draußen das Meer, draußen der Karst, draußen der Regen, vielleicht morgen Sturm -: nun soll sich's zeigen, was innen ist als Gegengewicht so großer und gründlicher Dinge. Also, wenn nicht ganz Unerwartetes kommt, bleiben, aushalten, stillhalten, mit einer Art Neugier nach sich selbst: ob das nicht das Richtige ist, wie? So steht es, und wenn ich jetzt mich rühre, verschiebt sich wieder alles; schließlich steht auf den Herzen, wie auf gewissen Medizinen: vor dem Einnehmen schütteln, ich bin die letzten Jahre immerzu geschüttelt worden, aber nie eingenommen, darum ists besser, ich bring es in der Stille zu Klarheit und Niederschlag.
Rainer Maria Rilke
Stefan Zweig an Hermann Hesse
Wien, 2. März 1903
Werter Herr Hesse,
glauben Sie mir, wenn auch zwischen Ihrem Briefe und dem meinigen ein ganzer Monat liegt, so habe ich doch oft Ihrer gedacht. Ihren »Hermann Lauscher« hab' ich mit viel Liebe gelesen – ich danke Ihnen herzlich für dieses Buch. Wie ich so am Anfang war, dacht' ich mir: wie freudig wärst Du nun, hättest du nicht einen schmalen Band in der Hand, sondern ein dickes Buch, wäre das doch nicht ein Fragment, sondern das erste Capitel eines Romanes. Dann dürften wir uns wirklich gratulieren! Aber, wer weiß?! Was nicht ist, kann werden.
Und ich meine, Sie dürfen auch Ihrem Leben nicht gram sein, wenn es Ihnen gegeben hat, dies zu schreiben. Wollte ich meine Kindheitserlebnisse zusammenraffen, so wäre ja auch Sonne und Wolken in ihnen, aber sie hätten nicht jenes reine stille Licht, das die rauschende Natur Ihnen gespendet hat. Großstadtschicksal kann gleiche Tragik haben und doch nie gleiche Größe.
Auch ich gehe hier der Literatur ziemlich aus dem Weg. Ich glaube – so sah ich's wenigstens in Berlin –, man denkt sich die Wiener Literatur im Ausland als einen großen Caféhaustisch, um den wir alle herumsitzen Tag für Tag. Nun – ich, zum Beispiel - kenne weder Schnitzler noch Bahr, Hofmannsthal, Altenberg intim, die ersten drei überhaupt nicht. Ich gehe meine Wege mit ein paar Stillen im Lande: Camill Hoffmann, Hans Müller, Franz Carl Ginzkey, einem französisch-türkischen Dichter Dr. Abdullah Bey und ein paar Malern und Musikern. Ich glaube – im Grunde leben wir – ich meine » wir«, die wir uns verwandt fühlen – alle ziemlich gleich. Auch ich habe mich viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch. Ein bißchen bleibe ich immer nüchtern – ein Ding, das mir Georg Busse Palma, das größte Sumpfhuhn unserer Tage, nie verzeihen konnte. Ich glaube, ich werde es auch kaum mehr lernen, denn die Fähigkeit zur Gründlichkeit in allen Dingen wird mir von Tag zu Tag fremder: Würden mir die neuen Gedichte nicht wertvoller, als die ein bißchen wäßrigen und allzu glatten »Silbernen Saiten«, so glaubte ich, daß ich mich verflache.
Und dabei muß ich Wissenschaft treiben! Und ich arbeite jetzt wie ein Rasender, um nächstes Jahr den Doctor philosophiae hinter mich zu werfen, wie einen lästigen Kleiderfetzen. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eignen Ich zu Trotz.
Ich fühle mich ganz zermalmt von dem vielen Büffeln, das nur von wilden Nächten ab und zu durchkreuzt wird, nie von Erholung und Befreiung – hoffentlich setze ich's zu Hause durch, daß man mich zu Ostern auf 10 Tage nach Italien läßt. Ich habe Italienisch gelernt, und mich hungert mit einem Male nach Leonardos Bildern, von denen ich weiß, daß ich sie lieben werde, wiewohl ich sie nur aus Nachbildungen bisher kenne.
Ein Brief von Ihnen, werter Herr Hesse, wird mich sehr erfreuen; je früher, je lieber. Und daß mich graue Stimmung nicht früher Dank sagen ließ für Ihre Zeilen, verübeln Sie doch nicht Ihrem herzlich grüßenden
Stefan Zweig
Wien, 2. März 1903
Werter Herr Hesse,
glauben Sie mir, wenn auch zwischen Ihrem Briefe und dem meinigen ein ganzer Monat liegt, so habe ich doch oft Ihrer gedacht. Ihren »Hermann Lauscher« hab' ich mit viel Liebe gelesen – ich danke Ihnen herzlich für dieses Buch. Wie ich so am Anfang war, dacht' ich mir: wie freudig wärst Du nun, hättest du nicht einen schmalen Band in der Hand, sondern ein dickes Buch, wäre das doch nicht ein Fragment, sondern das erste Capitel eines Romanes. Dann dürften wir uns wirklich gratulieren! Aber, wer weiß?! Was nicht ist, kann werden.
Und ich meine, Sie dürfen auch Ihrem Leben nicht gram sein, wenn es Ihnen gegeben hat, dies zu schreiben. Wollte ich meine Kindheitserlebnisse zusammenraffen, so wäre ja auch Sonne und Wolken in ihnen, aber sie hätten nicht jenes reine stille Licht, das die rauschende Natur Ihnen gespendet hat. Großstadtschicksal kann gleiche Tragik haben und doch nie gleiche Größe.
Auch ich gehe hier der Literatur ziemlich aus dem Weg. Ich glaube – so sah ich's wenigstens in Berlin –, man denkt sich die Wiener Literatur im Ausland als einen großen Caféhaustisch, um den wir alle herumsitzen Tag für Tag. Nun – ich, zum Beispiel - kenne weder Schnitzler noch Bahr, Hofmannsthal, Altenberg intim, die ersten drei überhaupt nicht. Ich gehe meine Wege mit ein paar Stillen im Lande: Camill Hoffmann, Hans Müller, Franz Carl Ginzkey, einem französisch-türkischen Dichter Dr. Abdullah Bey und ein paar Malern und Musikern. Ich glaube – im Grunde leben wir – ich meine » wir«, die wir uns verwandt fühlen – alle ziemlich gleich. Auch ich habe mich viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch. Ein bißchen bleibe ich immer nüchtern – ein Ding, das mir Georg Busse Palma, das größte Sumpfhuhn unserer Tage, nie verzeihen konnte. Ich glaube, ich werde es auch kaum mehr lernen, denn die Fähigkeit zur Gründlichkeit in allen Dingen wird mir von Tag zu Tag fremder: Würden mir die neuen Gedichte nicht wertvoller, als die ein bißchen wäßrigen und allzu glatten »Silbernen Saiten«, so glaubte ich, daß ich mich verflache.
Und dabei muß ich Wissenschaft treiben! Und ich arbeite jetzt wie ein Rasender, um nächstes Jahr den Doctor philosophiae hinter mich zu werfen, wie einen lästigen Kleiderfetzen. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eignen Ich zu Trotz.
Ich fühle mich ganz zermalmt von dem vielen Büffeln, das nur von wilden Nächten ab und zu durchkreuzt wird, nie von Erholung und Befreiung – hoffentlich setze ich's zu Hause durch, daß man mich zu Ostern auf 10 Tage nach Italien läßt. Ich habe Italienisch gelernt, und mich hungert mit einem Male nach Leonardos Bildern, von denen ich weiß, daß ich sie lieben werde, wiewohl ich sie nur aus Nachbildungen bisher kenne.
Ein Brief von Ihnen, werter Herr Hesse, wird mich sehr erfreuen; je früher, je lieber. Und daß mich graue Stimmung nicht früher Dank sagen ließ für Ihre Zeilen, verübeln Sie doch nicht Ihrem herzlich grüßenden
Stefan Zweig
Schiller an Sophie Friederike Mereau, Schriftstellerin der deutschen Romantik. Schiller förderte sie und druckte ihre Gedichte in seiner Zeitschrift „Die Horen“.
Jena den 18 Jun. [Donnerstag] 1795.
Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen für die überschickten Beyträge zu meinem Almanach nicht früher als heute danke. Kopf- und Zahnschmerzen, die mich schon seit mehreren Tagen quälen, raubten mir alle Stimmung zu einem Urtheil über poetische Werke.
Mit vielem Vergnügen las ich Ihre Gedichte. Ich entdeckte darinn denselben Geist der Contemplation, der allem aufgedrückt ist, was Sie dichten. Ihre Phantasie liebt zu symbolisieren, und alles was sich ihr darstellt, als einen Ausdruck von Ideen zu behandeln. Es ist dieß überhaupt der herrschende Charakterzug des deutschen poetischen Geistes, wovon uns Klopstok das erste und auffallendste Muster gegeben, und dem wir alle, der eine weniger der andere mehr, nicht sowohl nachahmen als durch unsere nordisch-philosophierende Natur gedrungen folgen. Weil leider unser Himmel und unsre Erde der eine so trüb die andre so mager ist, so müssen wir sie mit unsern Ideen bevölkern und ausschmücken, und uns an den Geist halten, weil uns der Körper so wenig fesselt. Deßwegen philosphieren alle deutschen Dichter, wenige ausgenommen, welche Sie so gut kennen als ich.
Ich habe mir die Freyheit eines Redacteur genommen und in Ihren Gedichten einiges angestrichen, wogegen ein strenger Aristarch etwas einwenden möchte. Sie finden vielleicht Zeit und Lust, diese Kleinigkeiten zu ändern. Schwarzburg hat vorzüglich meinen Beyfall. Nur finde ich dieses Gedicht um ein merkliches zu lang: es übersteigt beynah um 1 Drittheil die Grenze, welche der Ton der Empfindung und die Natur der Sache dergleichen Schilderungen setzt. Auch dieß ist ein Fehler, den wir alle mit Ihnen theilen, und den ich um so weniger Bedenken trage zu rügen, da ich mir ihn selbst vorzuwerfen habe. Allen den jetzt überschickten Gedichten haben Sie einen Geist der Melancholie aufgedrückt. Nun wünschte ich auch einige zu lesen, die eine fröliche Stimmung und einen Geist der Lustigkeit athmen.
Leben Sie recht wohl und nehmen meine Bemerkungen so freundschaftlich auf, als ich sie niedergeschrieben habe.
Schiller.
(aus: „Briefe an junge Dichter“ - Wallstein-Verlag)
Jena den 18 Jun. [Donnerstag] 1795.
Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen für die überschickten Beyträge zu meinem Almanach nicht früher als heute danke. Kopf- und Zahnschmerzen, die mich schon seit mehreren Tagen quälen, raubten mir alle Stimmung zu einem Urtheil über poetische Werke.
Mit vielem Vergnügen las ich Ihre Gedichte. Ich entdeckte darinn denselben Geist der Contemplation, der allem aufgedrückt ist, was Sie dichten. Ihre Phantasie liebt zu symbolisieren, und alles was sich ihr darstellt, als einen Ausdruck von Ideen zu behandeln. Es ist dieß überhaupt der herrschende Charakterzug des deutschen poetischen Geistes, wovon uns Klopstok das erste und auffallendste Muster gegeben, und dem wir alle, der eine weniger der andere mehr, nicht sowohl nachahmen als durch unsere nordisch-philosophierende Natur gedrungen folgen. Weil leider unser Himmel und unsre Erde der eine so trüb die andre so mager ist, so müssen wir sie mit unsern Ideen bevölkern und ausschmücken, und uns an den Geist halten, weil uns der Körper so wenig fesselt. Deßwegen philosphieren alle deutschen Dichter, wenige ausgenommen, welche Sie so gut kennen als ich.
Ich habe mir die Freyheit eines Redacteur genommen und in Ihren Gedichten einiges angestrichen, wogegen ein strenger Aristarch etwas einwenden möchte. Sie finden vielleicht Zeit und Lust, diese Kleinigkeiten zu ändern. Schwarzburg hat vorzüglich meinen Beyfall. Nur finde ich dieses Gedicht um ein merkliches zu lang: es übersteigt beynah um 1 Drittheil die Grenze, welche der Ton der Empfindung und die Natur der Sache dergleichen Schilderungen setzt. Auch dieß ist ein Fehler, den wir alle mit Ihnen theilen, und den ich um so weniger Bedenken trage zu rügen, da ich mir ihn selbst vorzuwerfen habe. Allen den jetzt überschickten Gedichten haben Sie einen Geist der Melancholie aufgedrückt. Nun wünschte ich auch einige zu lesen, die eine fröliche Stimmung und einen Geist der Lustigkeit athmen.
Leben Sie recht wohl und nehmen meine Bemerkungen so freundschaftlich auf, als ich sie niedergeschrieben habe.
Schiller.
(aus: „Briefe an junge Dichter“ - Wallstein-Verlag)
Als im Krieg mit Frankreich 1796 die Revolutionstruppen vor Frankfurt stehen, schickt Gontard seine Familie nach Norden in Sicherheit. Die Gouvernante und der Hofmeister (Hölderlin) sollen sie begleiten. Es waren die glücklichsten Wochen für Hölderlin und Susette. Nach der Rückkehr schrieb Hölderlin an seinen Freud Neuffer:
„Ich habe eine Welt von Freude umschifft, seit wir uns nicht mehr schrieben. Ich hätte Dir gerne indes von mir erzählt, wenn ich jemals stille gestanden wäre und zurückgesehen hätte. Die Woge trug mich fort; mein ganzes Wesen war immer zu sehr im Leben, um über sich nachzudenken. – Und noch ist es so! noch bin ich immer glücklich, wie im ersten Moment. Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat! Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientiert sich ewig an diesem Madonnenkopfe.“
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Im Dezember 1795 begegneten sich Susette Gontard und Hölderlin am 31. Dezember zum Jahresausklang zum ersten Mal, dennoch hatten beide das Empfinden dass dieses Zusammentreffen eine Art Wiederbegegnung zu sein schien. Die Frau, die so wohlbekannt und unvermutet vor ihm erschien, hatte er in seinem Hyperion schon längst in allen Einzelheiten beschrieben. Und nun stand die Priesterin der Liebe plötzlich vor ihm!
[i]Hölderlin schreibt im Hyperion:
Eh’ ich dir die Hand gegeben,
hab’ ich ferne dich gekannt.
(Diotima)
(aus „Hölderlin – Eine Winterreise von Thomas Knubben“)
„Ich habe eine Welt von Freude umschifft, seit wir uns nicht mehr schrieben. Ich hätte Dir gerne indes von mir erzählt, wenn ich jemals stille gestanden wäre und zurückgesehen hätte. Die Woge trug mich fort; mein ganzes Wesen war immer zu sehr im Leben, um über sich nachzudenken. – Und noch ist es so! noch bin ich immer glücklich, wie im ersten Moment. Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in dies arme geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat! Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientiert sich ewig an diesem Madonnenkopfe.“
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Im Dezember 1795 begegneten sich Susette Gontard und Hölderlin am 31. Dezember zum Jahresausklang zum ersten Mal, dennoch hatten beide das Empfinden dass dieses Zusammentreffen eine Art Wiederbegegnung zu sein schien. Die Frau, die so wohlbekannt und unvermutet vor ihm erschien, hatte er in seinem Hyperion schon längst in allen Einzelheiten beschrieben. Und nun stand die Priesterin der Liebe plötzlich vor ihm!
[i]Hölderlin schreibt im Hyperion:
Eh’ ich dir die Hand gegeben,
hab’ ich ferne dich gekannt.
(Diotima)
(aus „Hölderlin – Eine Winterreise von Thomas Knubben“)
An Levin Schücking
(Schücking nannte Annette Droste Hülshoff „Mütterchen“)
Abbenburg, 24. Juni 1843
„Heirate nicht so leichtsinnig“
Sie sind also Bräutigam, und zwar einer höchst wahrscheinlich sehr guten und ganz gewiss höchst liebenswürdigen Braut, die nach Ihrer Beschreibung wirklich grade das zu besitzen scheint, was zu Ihrem innern Glück und äußeren Wohle nottut, und wonach mein Auge lange ängstlich für Sie umher gesucht hat. Nun, Gott segne Sie und gebe Ihnen alles Glück, was Ihr Herz so reichlich verdient!
Wenn meine Wünsche für Sie nur erfüllt werden, dann will ich auch nicht zanken, dass Sie meinen warmen, angstvollen Rat, wie gewöhnlich, mit aller Hochachtung beiseite geschoben und dem Schicksal den Handschuh gradezu ins Gesicht geworfen haben.
Jetzt bittet Dein Mütterchen Dich aber noch einmal, und es ist die letzte Bitte, von deren Erfüllung noch vieles abhängen kann (nachher ist alles abgeschlossen und was Dich Schweres treffen mag, muss hoffnungslos getragen werden): heirate nicht so leichtsinnig, wie Du Dich verlobt hast! Hat der Himmel es gnädig mit Dir gemacht, statt Deiner geprüft und gewählt und Dir in Luisen ein Kleinod gegeben, was Du wohl ahnden, aber durchaus noch nicht als echt erkennen konntest (bei Deiner Verlobung), so fordre ihn nicht zum zweiten Male heraus durch den Bau einer Häuslichkeit auf den armseligen lockern Triebsand bloß literarischer Erfolge. Sieh Freiligrath an! (…)
Ach Levin, mir sinkt unter dem Schreiben aller Mut, wenn ich selbst fühle, wie schwach meine Stimme unter dem Jubel des Glücks und der Leidenschaft an Dein Herz rühren wird. Wär ich eine Millionärin, wie ich Deinetwegen, einzig Deinetwegen sehnlichst wünschte, so ließ ich Dich gewähren und wartete ruhig den Augenblick ab, wo der Sohn sich mit einem „mea culpa” in die immer offnen Arme seiner Mutter flüchtete; aber meine eigne Hilflosigkeit für den schlimmsten Fall macht mir das Herz zentnerschwer. Ich bitte Dich mit gefalteten Händen: suche festen Grund, ehe Du Dein Haus baust; vergegenwärtige Dir nur einmal recht lebhaft Deine frühere Lage, und doch hattest Du da für keine Familie zu sorgen. Ich mag nicht mehr darüber sagen, mein letzter Brief enthält alles, was sich darüber sagen lässt, und diesen hast Du wahrscheinlich schon verworfen oder mindestens gewiss vergessen, und so wird es diesem auch gehn .........
(aus „Annette Droste-Hülshoff - Ein Leben in Briefen“)
Bei diesem Brief, den ich wegen der Länge nicht vollständig eingegeben habe, fiel mir ein Schiller-Zitat aus der Glocke ein:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Annette – „das Mütterchen“ – scheint sich über diese Eheschließung große Sorgen gemacht zu haben, die entgegen ihren Befürchtungen sehr glücklich war.
(Schücking nannte Annette Droste Hülshoff „Mütterchen“)
Abbenburg, 24. Juni 1843
„Heirate nicht so leichtsinnig“
Sie sind also Bräutigam, und zwar einer höchst wahrscheinlich sehr guten und ganz gewiss höchst liebenswürdigen Braut, die nach Ihrer Beschreibung wirklich grade das zu besitzen scheint, was zu Ihrem innern Glück und äußeren Wohle nottut, und wonach mein Auge lange ängstlich für Sie umher gesucht hat. Nun, Gott segne Sie und gebe Ihnen alles Glück, was Ihr Herz so reichlich verdient!
Wenn meine Wünsche für Sie nur erfüllt werden, dann will ich auch nicht zanken, dass Sie meinen warmen, angstvollen Rat, wie gewöhnlich, mit aller Hochachtung beiseite geschoben und dem Schicksal den Handschuh gradezu ins Gesicht geworfen haben.
Jetzt bittet Dein Mütterchen Dich aber noch einmal, und es ist die letzte Bitte, von deren Erfüllung noch vieles abhängen kann (nachher ist alles abgeschlossen und was Dich Schweres treffen mag, muss hoffnungslos getragen werden): heirate nicht so leichtsinnig, wie Du Dich verlobt hast! Hat der Himmel es gnädig mit Dir gemacht, statt Deiner geprüft und gewählt und Dir in Luisen ein Kleinod gegeben, was Du wohl ahnden, aber durchaus noch nicht als echt erkennen konntest (bei Deiner Verlobung), so fordre ihn nicht zum zweiten Male heraus durch den Bau einer Häuslichkeit auf den armseligen lockern Triebsand bloß literarischer Erfolge. Sieh Freiligrath an! (…)
Ach Levin, mir sinkt unter dem Schreiben aller Mut, wenn ich selbst fühle, wie schwach meine Stimme unter dem Jubel des Glücks und der Leidenschaft an Dein Herz rühren wird. Wär ich eine Millionärin, wie ich Deinetwegen, einzig Deinetwegen sehnlichst wünschte, so ließ ich Dich gewähren und wartete ruhig den Augenblick ab, wo der Sohn sich mit einem „mea culpa” in die immer offnen Arme seiner Mutter flüchtete; aber meine eigne Hilflosigkeit für den schlimmsten Fall macht mir das Herz zentnerschwer. Ich bitte Dich mit gefalteten Händen: suche festen Grund, ehe Du Dein Haus baust; vergegenwärtige Dir nur einmal recht lebhaft Deine frühere Lage, und doch hattest Du da für keine Familie zu sorgen. Ich mag nicht mehr darüber sagen, mein letzter Brief enthält alles, was sich darüber sagen lässt, und diesen hast Du wahrscheinlich schon verworfen oder mindestens gewiss vergessen, und so wird es diesem auch gehn .........
(aus „Annette Droste-Hülshoff - Ein Leben in Briefen“)
Bei diesem Brief, den ich wegen der Länge nicht vollständig eingegeben habe, fiel mir ein Schiller-Zitat aus der Glocke ein:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Annette – „das Mütterchen“ – scheint sich über diese Eheschließung große Sorgen gemacht zu haben, die entgegen ihren Befürchtungen sehr glücklich war.