Forum Kunst und Literatur Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Hölderlin an Suzette Gontard – vermutlich Ende Juni 1799

Täglich muß ich die verschwundene Gottheit wieder rufen. Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, wie sie, ein heilig Feuer, um sich griffen, und alles Tote, Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mit ihnen aufflog zum Himmel, und dann an mich, wie ich oft, ein glimmend Lämpchen, umhergehe, und betteln möchte um einen Tropfen Öl, um eine Weile noch die Nacht hindurch zu scheinen - siehe! da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle Glieder, und leise ruf ich mir das Schreckenswort zu: lebendig Toter!



Weißt Du, woran es liegt, die Menschen fürchten sich voreinander, daß der Genius des einen den andern verzehre, und darum gönnen sie sich wohl Speise und Trank, aber nichts, was die Seele nährt, und können es nicht leiden, wenn etwas, was sie sagen und tun, im andern einmal geistig aufgefaßt, in Flamme verwandelt wird. Die Törigen! Wie wenn irgend etwas, was die Menschen einander sagen könnten, mehr wäre als Brennholz, das erst, wenn es vom geistigen Feuer ergriffen wird, wie der zu Feuer wird, so wie es aus Leben und Feuer hervorging. Und gönnen sie die Nahrung nur gegenseitig einander, so leben und leuchten ja beide, und keiner verzehrt den andern.


Erinnerst Du Dich unserer ungestörten Stunden, wo wir und wir nur umeinander waren? Das war Triumph! beede so frei und stolz und wach und blühend und glänzend an Seel und Herz und Auge und Angesicht, und beede so in himmlischem Frieden nebeneinander! Ich hab es damals schon geahndet und gesagt: man könnte wohl die Welt durchwandern und fände es schwerlich wieder so. Und täglich fühl ich das ernster.



Gestern nachmittag kam Muhrbeck zu mir aufs Zimmer. Die Franzosen sind schon wieder in Italien geschlagen, sagt' er. Wenns nur gut mit uns steht, sagt ich ihm, so steht es schon gut in der Welt, und er fiel mir um den Hals, und wir küßten uns die tiefbewegte freudige Seele auf die Lippen, und unsre weinenden Augen begegneten sich. Dann ging er. Solche Augenblicke hab ich doch noch. Aber kann das eine Welt ersetzen? Und das ists, was meine Treue ewig macht. In dem und jenem sind viele vortrefflich.

Aber eine Natur, wie Deine, wo so alles in innigem unzerstörbarem lebendigem Bunde vereint ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer sie erkannt hat, und wie ihr himmlisch angeboren eigen Glück dann auch ihr tiefes Unglück ist, der ist auch ewig glücklich und ewig unglücklich.


(gelesen in dem Buch „Behalten Sie mich immer in freundlichem Angedenken“ – Briefe von und an Friedrich Hölderlin)
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 09.12.2016, 09:36:06
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Weißt Du, woran es liegt, die Menschen fürchten sich voreinander, daß der Genius des einen den andern verzehre, und darum gönnen sie sich wohl Speise und Trank, aber nichts, was die Seele nährt, und können es nicht leiden, wenn etwas, was sie sagen und tun, im andern einmal geistig aufgefaßt, in Flamme verwandelt wird. Die Törigen! Wie wenn irgend etwas, was die Menschen einander sagen könnten, mehr wäre als Brennholz, das erst, wenn es vom geistigen Feuer ergriffen wird, wie der zu Feuer wird, so wie es aus Leben und Feuer hervorging. Und gönnen sie die Nahrung nur gegenseitig einander, so leben und leuchten ja beide, und keiner verzehrt den andern.
...
Hölderlin an Suzette Gontard
(eingestellt von Sirona am 9. 12. 2016) DANKE!

Das ist wahr, so unendlich wahr!

Wieviel Hass ist mir schon entgegengeschlagen, weil ich etwas von der großen Kunst mitteilen wollte!

Lasst uns doch gemeinsam an den Brunnen gehen und uns erfreuen
am Wachstum, auch den anderen.

Kostbarer Funke des Enthusiasmus,
wenn du überspringst
von Mensch zu Mensch,
da küssen sich -
Götter...
Das ist die Weise
wie Götter sich lieben:
im unsäglichen Blitz
des heilig schimmernden
Auges!
Dies ist die Art,
wie die in den Himmeln
jubeln!

Christian Morgenstern
6. 5. 1871 - 31. 3. 1914

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 09.12.2016, 10:11:49
Wieviel Hass ist mir schon entgegengeschlagen, weil ich etwas von der großen Kunst mitteilen wollte!

Warum dieser Hass? Woraus resultiert er? Könnten es Neid und Eifersucht sein oder könnten sich einige Leser als unterlegen fühlen? Oder fehlt es an Einfühlungsvermögen? Wie sagte Hölderlin einmal?

Ach! Der Menge gefällt, was auf dem Marktplatz taugt,
und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen;
an das Göttliche glauben
die allein, die es selber sind.


Menschenbeifall Hölderlin

LG Sirona

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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 09.12.2016, 11:55:54

Advent/Weihnachten(Clematis)


Roxanna
Roxanna
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 10.12.2016, 13:35:21
Liebe Clematis,

dieser Brief Rilkes an seine Mutter hat mich sehr, sehr berührt. Ich habe noch nichts gelesen über Rilkes Beziehung zu seiner Mutter, aber sie muss sehr nahe, ja zärtlich gewesen sein. Wie muss man sich als Mutter eines solchen Sohnes fühlen und wenn man solch liebevolle Briefe bekommt? Das muss doch herzerwärmend für sie gewesen sein.

Herzlichen Gruß
Roxanna
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Roxanna vom 10.12.2016, 13:47:38
In der Tat, es muss schon ein sehr inniges Verhältnis zwischen Rilke und seiner Mutter bestanden haben. Als Rilke 47 Jahre alt wurde entsann sich Phia Rilke dass es ein Festtag gewesen sei. Damals schrieb sie folgende Zeilen:

Eingeleitet am 3. Dez., der Schnee lag riesig hoch, doch wir wagten uns um fünf Uhr aus, besuchten Großmama (die gute, hilfsbereite), denn am vierten war ihr Namensfest, und dann ging der gute Papa auf meinen Vorschlag freudig ein, wir besorgten bei Rummel ein kl. Goldenes Kreuz für unser Kind, das wir doch erst im Feber erwartet, aber es war uns Freude, das Kleinod als erste Gabe daheim zu haben. Gegen acht Uhr wurde mir plötzlich so unwohl, daß wir die unentbehrliche Madame um ihren Abendbesuch baten – sie kam – und ließ sich häuslich nieder – prophezeite sofort, ein Siebenmonatskind hat es eilig in die Welt zu kommen ..... um Mitternacht ..... die gleiche Stunde, wo unser Heiland geboren wurde, und da es zum Samstag ging, wurdest Du sofort ein Marienkind!“ – der gnadenreichen Madonna geweiht. Papa und ich segneten, küßten Dich, unser helles Glück flüchtete im Dankgebet zu Jesus und Maria. Klein und zart war unser süßer Bubi, aber prächtig entwickelt, und als er vormittags im Bettchen lag, bekam er das kl. Kreuzchen, so wurde Jesus sein erstes Geschenk. Dann kamen leider viele große und kleine Sorgen, aber wenn ich an Deiner Wiege kniete, jubelte mein Herz, der reizende Bubi war unser höchstes Glück!“

(aus: Rilke - Leben und Werk - Wolfgang Leppmann)

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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 10.12.2016, 16:35:49
Liebe Sirona, ich bin Dir unendlich dankbar für den Brief von Rilkes Mutter. Ich wusste nicht, dass Rilke ein 7-Monatkind ist! Jetzt wird mir vieles klar!


Die Tochter Ruth wurde am 12. 12. geboren.

Das Verhältnis zur Mutter war wohl schwierig. Sie war eine gutsituierte Frau mit großen Erwartungen am Leben. Vater Rilke war fast ein Versager und der Bub sollte eine Offizierslaufbahn einschlagen und endlich Mutters Traum vom erfolgreichen Leben wahrmachen.
Rilke bekam auch eine militärische Schulung, was ihm sein Leben lang zu schaffen machte.

Clematis
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 11.12.2016, 08:42:45

das Bild ist aus dem Internet. Ich weiss nicht mehr woher, wenn es der Urheber sieht, soll er sich mit freuen; es hat kein anderes so gut gepasst.

und, was lassen wir alles noch hinein, in Erwartung des Lichtes?

Clematis
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona


Der folgende Brief ist zwar sehr ausführlich, doch lohnenswert einmal in das Haus der Storms zur Weihnachtszeit zu schauen. Mir hat diese Erinnerung der Storm-Tochter Gertrud*) ausnehmend gut gefallen und war mittendrin in der damals vorherrschenden Weihnachtsstimmung. Bestimmt wird dieser Brief in einer stillen weihnachtlichen Stunde jedem Leser viel Freude bereiten.

Storm Tochter Gertrud schreibt

*) Constanze Storm starb einige Tage nach der Geburt ihres 7. Kindes (Gertrud) am Kindbettfieber
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 12.12.2016, 11:29:08

Marianne von Willemer
an
August von Goethe

Lieber August!
Ich danke Dir für die vortreffliche Besorgung meiner Kommissionen und wünsche Dir von Herzen zu Deinem und meinem Geburtstage alles Gute und Erfreuliche, welches ein himmlischer Vater in vollem Maße Dir zuteilen möge.
Das Kistchen, was hoffentlich den Montagabend oder Dienstagmorgen in Weimar anlangen wird, bitte ich Dich zu öffnen und die bewussten Pantoffeln nebst einem kleinen Bildchen, welches noch beigepackt, Deinem Vater am Christabend bei einigen Lichtern (denn das Licht ist mein Element) in meinem Namen zu bescheren, und zugleich sind die Pfeffernüsse und Brenten für ihn bestimmt, denn ich weiß, dass er sie gerne isst. Den Schinken und die Würste habe ich für Dich beipacken lassen, auch wünsche ich, dass Du Dir aus den glasierten Figuren wählst, was sich für Deinen Zustand passt, das den Pantoffeln beigepackte Christkindchen aber ist Dir dediziert und eine allegorische (Anspielung) auf unsere Kindheit.
Du bist nun freilich erwachsen, aber ich bin und bleibe klein, und wenn ich schon die übrige Zeit des Jahres groß bin, so werde ich jedes Christfest wieder zum Kinde. Zudem kannst Du Dir auch mein Porträt unter dem Kindchen denken, es ist noch immer keins der schlimmsten von den tausenden, die auf der Erde von mir gemacht wurden, ich bin es schon gewohnt, dass man sich die wunderbarsten Vorstellungen von mir macht. Dir mein wirkliches und wahrhaft ähnliches Bild zu schicken, ist mir nicht vergönnt, und wäre es auch, so hat mich noch niemand getroffen, ja selbst der heilige Lukas hat es ein paarmal vergebens versucht. Es ist schwer, dem Geiste eine irdische Form zu geben, und so umgekehrt, und das war auch von jeher mein Schicksal: dem die Gestalt gelang, der fasste den Geist nicht, und wer jene ahnete, wusste ihn nicht zu gestalten. Doch hoffe ich, Dir einen Beweis meiner Zuneigung dadurch zu geben, dass ich, da Du doch wahrscheinlich bald eine gute Frau bekommst, meinen Vater bitte, Deinen ersten Sohn mir so ähnlich als möglich zu schaffen.
Ich grüße Dich und Deinen Vater.
Das Christkindchen.
Den 20. Dezember 1816

Ist das nicht witzig, dass Marianne von Willemer dem
alten Goethe ein Paar Pantoffeln schenkt?

Clematis


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