Forum Kunst und Literatur Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 13.01.2016, 09:57:00
Liebe Sirona,
wie sich die Kreise immer weiter ziehen!

Ich beschäftige mich mal wieder mit Sophie von La Roche, Mutter von Maximiliane Brentano.
Antonie Brentano heiratete den Franz, dieser ist ein Halbbruder zu Clemens und Bettina Brentano, diese wiederum sind die Enkel der Sophie von La Roche.

Ihre älteste Tochter Maximiliane hat einen Brentano, Wittwer mit 5 Kindern, geheiratet.

Bingo!
Und nun gehts zu Beethoven...
Clematis
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.01.2016, 15:44:26
Paula Modersohn-Becker schreibt in ihr Tagebuch:

Mama will mir nun aber so gern zu Modellen verhelfen. Da frug sie neulich Herrn Bischof, als wir gerade beim Täßchen Kaffee gemütlich zusammensaßen, ob ich ihn nicht abzeichnen sollte. Mein Schreck! Aber es half kein beiderseitiges Weigern. Nun habe ich es an mir, die Leute nicht gerade zu idealisieren, vielmehr das Gegenteil. So hab' ich Herrn Bischof so ein wütendes Beamtengesicht gemacht, dass dieser mit rachesüchtigen Gedanken von uns schied. Seitdem zeichne ich mein teures Spiegelbild, und das ist wenigstens tolernat.

16. April 1893


Clematis
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.01.2016, 15:44:26
Liebe Sirona,
wie sich die Kreise immer weiter ziehen!

Ich beschäftige mich mal wieder mit Sophie von La Roche, Mutter von Maximiliane Brentano.
Antonie Brentano heiratete den Franz, dieser ist ein Halbbruder zu Clemens und Bettina Brentano, diese wiederum sind die Enkel der Sophie von La Roche.

Ihre älteste Tochter Maximiliane hat einen Brentano, Wittwer mit 5 Kindern, geheiratet.

Bingo!
Und nun gehts zu Beethoven...
Clematis


Über Sophie von La Roche schrieb Goethe im 13. Buch von Dichtung und Wahrheit:
„Sie war die wunderbarste Frau, und ich wüsste ihr keine andre zu vergleichen. Schlank und zart gebaut, eher groß als klein, hatte sie bis in ihre höheren Jahre eine gewisse Eleganz [...] zu erhalten gewusst, die zwischen dem Benehmen einer Edeldame und einer würdigen bürgerlichen Frau gar anmutig schwebte.“


War sie nicht auch mit Goethes Mutter befreundet?

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Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Stefan Zweig an Thomas Mann

The Wyndham Hotel, New York 17. Juli 1940

Verehrter Herr Professor, dies nur ein Gruß, der keine Antwort benötigt. Ich wollte Ihnen bloß sagen, wie sehr ich es bedaure, Sie versäumen zu müssen, aber meine Tage sind hier amtlich gezählt, und es war schon harte Arbeit, von England das Exit, von America das Transit für Vorträge in Südamerica zu bekommen. Aber ich habe in England doch zu sehr unter dem Gefühl der Macht- und Nutzlosigkeit gelitten. Nahe Freunde wie Robert Neumann wurden interniert, Verwandte mußten unser Haus verlassen, die Fifth-Column-Hysterie, erst gefördert von oben nur, dann in den breiten Massen zu einem wilden Mythos anschwellend, macht jemandem, der einen deutschen Namen hat, das Leben unbehaglich. Hoffentlich kann ich nach England rebus bene gestis zurückkehren und muß nicht die Schar der Umgeschüttelten und Heimatlosen und somit die Last für die anderen vermehren.

Ich tue dies alles, was in meinen kleinen Kräften steht, um Freunde (und auch meine frühere Frau) aus Frankreich zu retten, aber auch in gods country mahlen Gottes Mühlen grauenhaft langsam, und ich weiß, wie drüben die Menschen von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute warten, oft an unserem Eifer, unserer Hingabe im geheimen zweifelnd – wichtig wäre, daß jenes erlösende Telegramm von Washington mit den Visas für die wirklich Gefährdeten endlich abgeht. Ich weiß, Sie haben einen Sohn, einen Bruder dort und verstehen so vom eigenen Blut her unsere Sorge.

Der arme Otto Pick gründete knapp vor seinem Tod noch eine deutsche Zeitschrift in London. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Aufsatz über Ihre herrliche »Lotte« noch erhielten, der dort erschien – ich konnte Ihnen selbst kein Exemplar schicken, weil ich deutschen Text nicht mehr versendete. So blieb auch das ganze fast vollendete Manuscript meiner großen Balzacbiographie, einer seit Jahren begonnenen Arbeit zurück, aber ist es nicht wichtiger sich die Arbeit zu retten, die man noch tun kann, statt die halb oder ganz getane?

In herzlicher Verehrung
Ihr Stefan Zweig
Alles Gute den Ihren!
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Claude Monet
an
Jean-Frédéric Bazille

Paris, Mai 1867

Ich habe Ihren Brief richtig erhalten; er hat mir größte Freude gemacht. Ich bin sehr empfänglich für die Komplimente, die Sie an mich richten, und umso glücklicher, als ich das Gegenteil fürchtete.
Es ist eine peinliche Sache, wenn man als einziger von dem, was man gemacht hat, befriedigt ist. Suchen Sie, es Herrn Bruyas zu zeigen und wenn es ihm gefallen sollte, vergessen Sie mich nicht.
...
Manet eröffnet in zwei Tagen, er schwebt in schauderhaften Ängsten. Courbet eröffnet heute in acht Tagen. Bei dem ist es anders. Stellen Sie sich vor, er lädt alle Künstler von Paris auf den ersten Tag ein. Er verschickt dreitausend Einladungen und legt gleichzeitig für jeden Künstler seinen Katalog bei. Seine Absicht ist, seine Baute, an der er schon ein Atelier für sich im ersten Stock hat machen lassen, zu erhalten; und im nächsten Jahr würde er, wenn man wollte, denen, welche Lust hätten eine Ausstellung zu machen, den Saal vermieten.
Wir wollen also tüchtig arbeiten und uns dann mit tadellosen Arbeiten einstellen. Für den Augenblick nichts Weiteres. Renoir und ich arbeiten immer noch an unseren Ansichten von Paris. Camille habe ich gestern gesehen. Ich weiß nicht, was tun. Sie ist krank, im Bett, und hat kein oder nur sehr wenig Geld, und da mir viel daran liegt, spätestens am zweiten oder dritten abzureisen, möchte ich Sie an Ihr Versprechen erinnern, mir wenigstens fünfzig Franken auf den ersten zu schicken. Ich habe gestern Ihren Auftrag bei Maitre ausgerichtet. Er lässt Sie vielmal grüßen, ebenso wie die Maler der Zukunft. Der junge Renoir ist in Chantilly.

...

(Die Komplimente galten dem Bild "Frauen im Garten", das Monet für Bazille gemalt hatte.)

aus:
Künstlerkalender 2016
der Fa. Boesner
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.03.2016, 15:05:32
Die beiden Alten

"Ein Brief, Vater Azan?"
"Ja, mein Herr....Er kommt aus Paris."
Er war ganz stolz, dass der Brief aus Paris kam....Ich nicht.

Ein Vorgefühl sagte mir, dass dieser Pariser Brief aus der Straße Jean-Jacques, der so unerwartet und so früh am Morgen auf meinen Tisch gelegt worden war, mich den ganzen Tag kosten würde. Ich täuschte mich nicht. Er lautete: "Du musst mir einen Dienst leisten, alter Freund. Schließ Deine Mühle auf einen Tag zu und begib dich sofort nach Eyguieres, der große Marktflecken ist drei oder vier Stunden von Deiner Mühle entfernt - ein Spazierweg für Dich. Wenn Du hinkommst, so frage nach dem Kloster für Waisenmädchen. Das erste Haus nach dem Kloster ist ein niedriges Haus mit grauen Läden, dahinter ein kleiner Garten. Geh ohne Anklopfen hinein - die Tür ist nie verschlossen -, und beim Eintreten rufe mit starker Stimme: "Guten Tag, ihr braven Leute! Ich bin der Freund von Maurice..."

Dann wirst du zwei kleine Alte sehen, ach, so alt, so alt, die Dir aus ihren großen Lehnstühlen heraus die Arme entgegenstrecken, und Du wirst sie in meinem Namen umarmen, ober so herzlich, als wenn es Deine eigenen Angehörigen wären. Dann werdet ihr miteinander plaudern; sie werden Dir von mir sprechen, immer nur von mir; sie werden Dir tausend Possen erzählen, und Du wirst sie anhören, ohne zu lachen...Nicht wahr, Du wirst nicht lachen, wie? ...Es sind meine Großeltern, zwei Wesen, die mich über alles lieben und die mich seit zehn Jahren nicht gesehen haben.

...
Mein ganzes Leben lang werde ich den langen, frischen und stillen Korridor vor mir sehen. Die Wände rosa angestrichen, in den Füllungen verblasste Blumen und Geigen, im Hintergrund der kleine Garten, der durch Vorhänge von heller Farbe hereinlachte.
...
"Guten Tag, ihr braven Leute! Ich bin der Freund von Maurice."
Oh, da hättet ihr den armen Alten sehen sollen; da hättet ihr sehen sollen, wie er mit ausgestreckten Armen auf mich zukam, mich umarmte, mir die Hände drückte und im Zimmer umherlief, immer rufend: "Mein Gott! Mein Gott!"
Alle Falten seines Gesichts lachten. Er war rot. Er stammelte: "Ach mein Herr...Ach, mein Herr!"
Dann ging er nach hinten und rief: "Mamette!"
Eine Tür öffnete sich. Es trippelt wie ein Mäuschen auf dem Gang...Das war Mamette. Nichts Anmutigeres als diese kleine Alte in ihrem Häubchen, ihrem nonnenartigen Kleid, mit ihrem gestickten Taschentuch, das sie mir zu Ehren in der Hand trug, nach der alten Mode.

...
Plötzlich fuhr der Alte in seinem Lehnstuhl empor: "Aber, woran ich denke, Mamette...Vielleicht hat er nicht gefrühstückt!"
Und Mamette, entsetzt, streckt die Arme gen Himmel: "Nicht gefrühstückt! ... Großer Gott!"
"Ein gutes kleines Frühstück", sagte Mamette, indem sie mich an den Tisch führte, "nur müssen Sie ganz allein speisen...Wir andern, wir haben bereits diesen Morgen gegessen."
Die armen Alten! Zu welcher Stunde man sie auch überrascht, stets haben sie schon am Morgen gegessen.
Das kleine Frühstück Mamettes bestand aus zwei Fingerhütchen Milch, Datteln und einer Barquette, das ist etwas Ähnliches wie Spritzkuchen, genug, um sie und ihre Kanarienvötel wenigstens acht Tage lang zu ernähren...Und dennoch wurde ich ganz allein mit allen diesen Lebensmitteln fertig.

...
Während dieser Zeit spielte sich am anderen Ende des Zimmers vor dem Schrank ein schreckliches Drama ab. Es handelte sich darum, da oben in der letzten Abteilung ein gewissens Glas mit eingemachten Kirschen zu erreichen, das zehn Jahre lang auf Maurice gewartet hatte und das man mir zu Ehren öffnen wollte.

aus:
Alphonse Daudet
"Briefe aus meiner Mühle"
Erzählungen aus der Provence

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Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Hölderlin an Suzette Gontard (Ende Juni 1799)

Gestern Nachmittag kam Muhrbeck zu mir aufs Zimmer. »Die Franzosen sind schon wieder in Italien geschlagen«, sagt' er. »Wenns nur gut mit uns steht, sagt ich ihm, so steht es schon gut in der Welt«, und er fiel mir um den Hals, und wir küßten uns die tiefbewegte freudige Seele auf die Lippen, und unsre weinenden Augen begegneten sich. Dann ging er.

Solche Augenblicke hab ich doch noch. Aber kann das eine Welt ersetzen? Und das ists, was meine Treue ewig macht. In dem und jenem sind viele vortrefflich. Aber eine Natur, wie Deine, wo so alles in innigem unzerstörbarem lebendigem Bunde vereint ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer sie erkannt hat, und wie ihr himmlisch angeboren eigen Glück dann auch ihr tiefes Unglück ist, der ist auch ewig glücklich und ewig unglücklich.

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Susette Gontard ist Hölderlins "Diotima"
Nach der Trennung schrieben sich die beiden Liebenden noch einige Briefe, in denen ihr Schmerz, ihre Sehnsucht und Ausweglosigkeit ihrer Lage herzergreifend zum Ausdruck kommt.

Frankfurt, etwa Ende September/Anfang Oktober 1798 Susette an Hölderlin:

Ich muß Dir schreiben Lieber! Mein Herz hält das Schweigen gegen Dich länger nicht aus, nur noch einmal laß meine Empfindungen sprechen vor Dir, dann will ich, wenn Du es besser findest, gerne, gerne, still sein.
Wie ist nun, seit Du fort bist, um und in mir alles so öde und leer, es ist als hätte mein Leben alle Bedeutung verloren, nur im Schmerz fühl ich es noch …
Wie lieb ich nun diesen Schmerz, wenn er mich verlassen und es wieder dumpf in mir wird, wie such ich ihn mit Sehnsucht wieder, nur meine Tränen über unser Schicksal können mich noch freun … Sie fließen auch reichlich, wenn ich Abends, schon um neun Uhr, den Tag zu verkürzen, mit den Kindern zur Ruhe mich lege, wenn alles still ist und niemand mich sehen kann. Wie! dachte ich dann oft, soll künftig diese geliebte, reine Liebe wie Rauch verfliegen und sich auflösen, nirgends eine bleibende Spur zurücklassen? – Da kam der Wunsch in mich, noch durch geschriebene Worte, für Dich, ihr ein Monument zu errichten das unauslöschlich die Zeit doch unverändert schonet. Wie möchte ich, mit glühenden Farben, bis auf ihre kleinsten Schattierungen, sie malen, und sie ergründen, die edle Liebe des Herzens, könnte ich nur Einsamkeit und Ruhe finden! So, beständig gestört zerrissen, kann ich nur stückweise sie fühlen, suche sie beständig, und doch ist sie ganz in mir! –
Im offnen, freien Feld ist es mir noch am besten, und ich sehne mich beständig hinaus, wo ich den lieben Feldberg sehe, der Dich Böser wie eine Wand sanft aufhält, daß Du mir nicht weiter entfliehest! – Komm ich aber wieder nach Hause, ist es nicht mehr wie sonst, sonst wurde es mir so wohl, wieder in Deine Nähe zu kommen, jetzt ists als ginge ich in einen großen Kasten mich da einsperren zu lassen; kamen sonst meine Kinder, von Dir, zu mir herunter, wie stärkte es mein oft traurend Wesen, wenn eine sanfte Röte, ein tieferer Ernst, eine Träne im Aug mir noch den Einfluß von Dir verriet, jetzt haben sie nicht mehr diese Bedeutung für mich und ich muß oft meine Gefühle für sie zurechte weisen …
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Sirona vom 05.07.2016, 13:12:21
Hölderlin an Susette Gontard Anfang Nov. 1799

Hier unsern "Hyperion", Liebe! Ein wenig Freude wird diese Frucht unserer seelenvollen Tage Dir doch geben. Verzeih mirs, daß Diotima stirbt. Du erinnerst Dich, wir haben uns ehmals nicht ganz darüber vereinigen können. Ich glaubte, es wäre, der ganzen Anlage nach, notwendig. Liebste! alles, was von ihr und uns, vom Leben unseres Lebens hie und da gesagt ist, nimm es wie einen Dank, der öfters um so wahrer ist, je ungeschickter er sich ausdrückt. Hätte ich mich zu Deinen Füßen nach und nach zum Künstler bilden können, in Ruhe und Freiheit, ja ich glaube, ich wär es schnell geworden, wonach in allem Leide mein Herz sich in Träumen und am hellen Tage, und oft mit schweigender Verzweiflung sehnt.

Es ist wohl der Tränen alle wert, die wir seit Jahren geweint, daß wir die Freude nicht haben sollten, die wir uns geben können, aber es ist himmelschreiend, wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vielleicht vergehen müssen, weil wir uns fehlen. Und sieh! das macht mich eben so stille manchmal, weil ich mich hüten muß vor solchen Gedanken. Deine Krankheit, Dein Brief - es trat mir wieder, so sehr ich sonst verblinden möchte, so klar vor die Augen, daß Du immer, immer leidest, - und ich Knabe kann nur weinen darüber! - Was ist besser, sage mirs, daß wirs verschweigen, was in unserm Herzen ist, oder daß wir uns es sagen! - Immer hab ich die Memme gespielt, um Dich zu schonen, - habe immer getan, als könnt ich mich in alles schicken, als wär ich so recht zum Spielball der Menschen und der Umstände gemacht und hätte kein festes Herz in mir, das treu und frei in seinem Rechte für sein Bestes schlüge, teuerstes Leben! habe oft meine liebste Liebe, selbst die Gedanken an Dich mir manchmal versagt und verleugnet, nur um so sanft wie möglich um Deinetwillen dies Schicksal durchzuleben, - Du auch, Du hast immer gerungen, Friedliche! um Ruhe zu haben, hast mit Heldenkraft geduldet, und verschwiegen, was nicht zu ändern ist, hast Deines Herzens ewige Wahl in Dir verborgen und begraben, und darum dämmerts oft vor uns, und wir wissen nicht mehr, was wir sind und haben, kennen uns kaum noch selbst; dieser ewige Kampf und Widerspruch im Innern, der muß Dich freilich langsam töten, und wenn kein Gott ihn da besänftigen kann, so hab ich keine Wahl, als zu verkümmern über Dir und mir, oder nichts mehr zu achten als Dich und einen Weg mit Dir zu suchen, der den Kampf uns endet.

Ich habe schon gedacht, als könnten wir auch von Verleugnung leben, als machte vielleicht auch dies uns stark, daß wir entschieden der Hoffnung das Lebewohl sagten.......
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Stefan Zweig (mit 22 J.) an Hermann Hesse
Wien, 2. März 1903

Werter Herr Hesse,

glauben Sie mir, wenn auch zwischen Ihrem Briefe und dem meinigen ein ganzer Monat liegt, so habe ich doch oft Ihrer gedacht. Ihren »Hermann Lauscher« hab' ich mit viel Liebe gelesen – ich danke Ihnen herzlich für dieses Buch. Wie ich so am Anfang war, dacht' ich mir: wie freudig wärst Du nun, hättest du nicht einen schmalen Band in der Hand, sondern ein dickes Buch, wäre das doch nicht ein Fragment, sondern das erste Capitel eines Romanes. Dann dürften wir uns wirklich gratulieren! Aber, wer weiß?! Was nicht ist, kann werden.
Und ich meine, Sie dürfen auch Ihrem Leben nicht gram sein, wenn es Ihnen gegeben hat, dies zu schreiben. Wollte ich meine Kindheitserlebnisse zusammenraffen, so wäre ja auch Sonne und Wolken in ihnen, aber sie hätten nicht jenes reine stille Licht, das die rauschende Natur Ihnen gespendet hat. Großstadtschicksal kann gleiche Tragik haben und doch nie gleiche Größe. Auch ich gehe hier der Literatur ziemlich aus dem Weg. Ich glaube – so sah ich's wenigstens in Berlin –, man denkt sich die Wiener Literatur im Ausland als einen großen Caféhaustisch, um den wir alle herumsitzen Tag für Tag. Nun – ich, zum Beispiel - kenne weder Schnitzler noch Bahr, Hofmannsthal, Altenberg intim, die ersten drei überhaupt nicht. Ich gehe meine Wege mit ein paar Stillen im Lande: Camill Hoffmann, Hans Müller, Franz Carl Ginzkey, einem französisch-türkischen Dichter Dr. Abdullah Bey und ein paar Malern und Musikern. Ich glaube – im Grunde leben wir – ich meine » wir«, die wir uns verwandt fühlen – alle ziemlich gleich. Auch ich habe mich viel verschwendet ans Leben – nur jenes letzte Überfließen fehlt mir: der Rausch. Ein bißchen bleibe ich immer nüchtern – ein Ding, das mir Georg Busse Palma, das größte Sumpfhuhn unserer Tage, nie verzeihen konnte. Ich glaube, ich werde es auch kaum mehr lernen, denn die Fähigkeit zur Gründlichkeit in allen Dingen wird mir von Tag zu Tag fremder: Würden mir die neuen Gedichte nicht wertvoller, als die ein bißchen wäßrigen und allzu glatten »Silbernen Saiten«, so glaubte ich, daß ich mich verflache.
Und dabei muß ich Wissenschaft treiben! Und ich arbeite jetzt wie ein Rasender, um nächstes Jahr den Doctor philosophiae hinter mich zu werfen, wie einen lästigen Kleiderfetzen. Es ist dies wohl die einzige Sache, die ich meinen Eltern zuliebe tue und dem eignen Ich zu Trotz. Ich fühle mich ganz zermalmt von dem vielen Büffeln, das nur von wilden Nächten ab und zu durchkreuzt wird, nie von Erholung und Befreiung – hoffentlich setze ich's zu Hause durch, daß man mich zu Ostern auf 10 Tage nach Italien läßt. Ich habe Italienisch gelernt, und mich hungert mit einem Male nach Leonardos Bildern, von denen ich weiß, daß ich sie lieben werde, wiewohl ich sie nur aus Nachbildungen bisher kenne.
Ein Brief von Ihnen, werter Herr Hesse, wird mich sehr erfreuen; je früher, je lieber. Und daß mich graue Stimmung nicht früher Dank sagen ließ für Ihre Zeilen, verübeln Sie doch nicht Ihrem herzlich grüßenden
Stefan Zweig

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