Forum Kunst und Literatur Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Literatur Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe

Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Wilm Hosenfeld, ein Wehrmachtoffizier im 2. Weltkrieg, rettete vielen Juden in Warschau u.a. auch des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman das Leben. Die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte ernannte Hosenfeld postum zum „Gerechten untern den Völkern“. - Der Film „Der Pianist“ schildert das Leben Szpilmans und seine Rettung

Im Febr. 1941 schrieb Hosenfeld aus Warschau an seine Frau:

Meine Annemi,
Du schreibst, Du findest im Dorf Ablehnung und Teilnahmslosigkeit. Ich glaube, dass Du Dich nicht täuschst. Ich spüre dasselbe inmitten der Kameraden. Was verbindet einen mit ihnen? Sie verzeihen dem, der sich auf sich selbst zurückzieht, nicht die Zurückhaltung. Nur wenn sich die Menschen gegenseitig brauchen, sind sie bereit entgegenzukommen. Du bist immer schon gerne ohne die Masse ausgekommen und ziehst Dich jetzt erst recht von ihr zurück. Es ist kein Hochmut. Es ist eine Schutzwehr, wie sie vor allem Wertvollen nötig ist.
Du bist keine gewöhnliche Frau. Du bist von einer solchen Köstlichkeit, die ich erst jetzt in der langen Trennungszeit ganz begreife, nein, fühle. Denke ich an so viele gemeinsame Erlebnisse, an sich ganz unbedeutend, dann erst wird mir klar, was ich an Dir liebe. Die Wanderung an den Kreuzberg, die Fahrt nach Meiningen oder nach Weiperz. Ein stiller, tiefer Friede senkt sich mir ins Gemüt und eine unstillbare Sehnsucht, bei Dir zu sein.


(Aus: Wilm Hosenfeld „Ich versuche jeden zu retten“ – Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern)
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 13.10.2015, 12:35:18
Was für ein wunderbarer Brief, liebe Sirona!
Ich danke Dir von Herzen, auch Briefe und Tagebücher
sind für mich eine Hilfe, diese furchtbare, unnennbare
Zeit aufzuarbeiten.

Das Büchle von
Etty Hillesum "Das denkende Herz"
ist mir auch immer wieder Trost
- und Hoffnung.

Die Menschen sagen manchmal: "Du machst auch überall das Beste daraus." Ich halte das für eine kleinmütige Redensart. Es ist überall sehr gut. Und gleichzeitig sehr schlecht. Beides hält sich im Gleichgewicht, überall und immer. Ich habe nie das Gefühl, dass ich aus irgend etwas das Beste machen muss, alles ist immer gut, so wie es ist. Jede Situation, so elend sie auch sei, ist etwas Absolutes und hat das Gute und Schlechte in sich eingeschlossen.

Aus einem Brief vom 11. August 1943 aus dem Arbeitslager in Westerbork, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde.

Clematis
Sirona
Sirona
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.10.2015, 08:39:32
Was für ein wunderbarer Brief, liebe Sirona!
Ich danke Dir von Herzen, auch Briefe und Tagebücher
sind für mich eine Hilfe, diese furchtbare, unnennbare
Zeit aufzuarbeiten.

Das Büchle von
Etty Hillesum "Das denkende Herz"
ist mir auch immer wieder Trost
- und Hoffnung.

Die Menschen sagen manchmal: "Du machst auch überall das Beste daraus." Ich halte das für eine kleinmütige Redensart. Es ist überall sehr gut. Und gleichzeitig sehr schlecht. Beides hält sich im Gleichgewicht, überall und immer. Ich habe nie das Gefühl, dass ich aus irgend etwas das Beste machen muss, alles ist immer gut, so wie es ist. Jede Situation, so elend sie auch sei, ist etwas Absolutes und hat das Gute und Schlechte in sich eingeschlossen.

Aus einem Brief vom 11. August 1943 aus dem Arbeitslager in Westerbork, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde.

Clematis


Liebe Clematis, etwas Ähnliches schrieb Dietrich Bonhoeffer seiner Braut Maria im Nov. 1943 aus dem Gefängnis:

Ausschnitt aus seinem Brief
Ich freue mich so, dass Du in den letzten Wochen auch ein paar frohe Tage hattest. Wie unendlich gern käme ich zur Taufe. Sage bitte Ruth-Alice und ihrem Mann vielen Dank für ihren Gruß und für das Buch. Ich habe den Volkmann-Leander (Träumerei an französischen Kaminen) besonders gern. Und nun werde ich heute noch den „Fischer und syne Frau“ lesen. Ja, wenn es nur wenigstens eine Fischerhütte wäre, in der wir zusammen sein könnten! Aber es wird alles kommen wie es gut ist und wir werden finden, dass es auch für uns gut ist. –

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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 21.10.2015, 09:35:19
"Zum Besten der gesamten Menschheit kann niemand beitragen, der nicht aus sich selbst macht, was aus ihm werden kann und soll, jeder also muss den Garten der Humanität zuerst auf dem Beet, wo er als Baum grünet oder als Blume blühet, pflegen und warten.

Wir tragen alle ein Ideal in und mit uns, was wir sein sollten und nicht sind - die Schlacken, die wir ablegen, die Form, die wir erlangen sollen, kennen wir alle. Und da, was wir werden sollen, wir nicht anders, als durch uns und andere, von ihnen verlangend, auf sie wirkend, werden können, so wird notwendig unsere Humanität mit der Humanität anderer eins und unser ganzes Leben eine Schule, ein Übungsplatz derselben."

Johann Gottfried Herder
25. 8. 1744-18. 12. 1803

"Briefe zur Beförderung der Humanität"

Clematis
Sirona
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Maria von Wedemeyer, Verlobte von D. Bonhoeffer, schrieb am 23. Aug. 1943 an Dietrich – aus Pätzig

Mein geliebtes Du!
Ob Du heute an mich schreibst? – Als säße ich neben Dir, so genau meine ich Dich zu sehen. Die ganze Umgebung, Deine Bewegungen, Deine Hände und Deine Augen. Du wirst mir einen sehr lieben Brief schreiben, er wird mir – wie er auch sein mag – einen Sonnentag schenken. Nein, nicht nur einen Tag. Er wird mir ein Stücken*) vom von dem Sonnengold mitbringen, das man tief in sich hineinfallen lassen kann, das so allen Regen und Sturm überdauert und doch bis ins kleinste Glied hinein wärmt, strahlt und leuchtet. – Ich möchte Dir jetzt schon danken und eigentlich immer nur dafür dass Du mir schreiben willst.

Du wusstest ja, dass gestern Vaters Todestag war. Um 3h früh wurde er verwundet und um 6 starb er. Ich machte einen Gang in der Zeit durch den Wald und das war schön. – Glaubst Du auch, dass es Unrecht ist, nach einem „Warum“ zu fragen? Unrecht ist es doch nur dann, wenn man es mit einem Vorwurf fragt, ohne die wirkliche Bitte um Antwort. Jedes „Warum“ hat eine Antwort, ich glaube, auch schon hier auf Erden. Wir fühlen sie nur nicht und können sie darum nicht begreifen. Aber ist die Antwort nicht eigentlich schon dann in uns, wenn wir nicht ständig mehr fragen müssen? – Sag’ bitte nicht, wie die andern, dass ich eine romantische Ader hab – aber, weißt Du, ich weiß doch sehr genau, dass Vater noch da ist – nicht in irgendeiner schwächer werdenden Erinnerung, sondern noch ganz spürbar bleibend. Sonst wäre diese Zeit des Traurigseins sehr anders gewesen, für uns alle. Ich glaube, dass Vater Dich sehr lieb hat – er hat mich immer besser verstanden, als alle anderen.

Sieh, und nun bist Du zu mir gekommen und ich hab Dich sehr lieb und hab nur immer den Wunsch, Dir eine rechte Gehilfin sein zu können und Dich glücklich zu machen. Ich weiß nicht, wie ich das können soll und ich wage es auch nur zu wünschen, weil Du es von mir glaubst. Aber bitte hilf mir dabei.

Ich danke Dir für das, was Du mir bist.
Deine Maria

*) Stücken ist die heimische Mundart von Pätzig
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Theodor Storm ....
.......schreibt nach dem Tode seiner Frau Constanze in einem Bekenntnisbrief an ein befreundetes Ehepaar (Hartmuth und Laura Brinkmann) unter an¬derem folgendes:

In mein Leben wie in meine Poesie teilen sich zwei Frauen:
die Mutter meiner Kinder, Constanze, die so lange der Stern meines Lebens war, ist nicht mehr;
die andre lebt, nachdem sie fern von mir allein und oft in drückender Abhängigkeit verblüht ist.

Beide habe ich geliebt, ja beide liebe ich noch jetzt; welche am meisten, weiß ich nicht; die erschütterndste Leidenschaft hat mir einst die noch Lebende eingeflößt, die leidenschaftlichen Lieder, die ihr ja oft gelesen, sind der Kranz, den sie noch jetzt in ihrem Haar trägt.

Beide sind sie, obwohl sonst mannigfach verschieden, die süßesten mildesten Frauenseelen, die ich im Leben gefunden, und von grenzenloser Hingebung an den geliebten Mann. Das wäre noch alles schön und gut; aber die Leidenschaft für die Lebende brach über mich herein, als die Verstorbene schon mein Weib war.

So kam es ....... ich heiratete, und jenes Mädchen, damals eben aufgeblüht, kam oft in unser Haus. In meiner jungen Ehe fehlte eins, die Leidenschaft; meine und Constanzes Hände waren mehr aus stillem Gefühl der Sympathie ineinander liegen geblieben. Die leidenschaftliche Anbetung des Weibes, die ich zuletzt für sie gehabt, gehört ihrer Entstehung nach einer späteren Zeit an.

Aber bei jenem Kinde, die, wie ich glaube, mit der Leidenschaft für mich geboren ist, da war jene berauschende Atmosphäre, der ich nicht widerstehen konnte. Vielleicht mag ich auf sie eine gleiche Wirkung gehabt haben. Gewiß ist, daß ein Verhältnis der erschütterndsten Leidenschaft zwischen uns entstand, das mit seiner Hingebung, seinem Kampf und seinen Rückfällen jahrelang dauerte und viel Leid um sich verbreitete - um Constanze und uns.


Nach dem Tod seiner Frau Constanze heiratete Storm 1866 seine langjährige Geliebte Doris Jensen, die seinen Kindern eine gute Mutter war und selbst Mutter einer Tochter wurde.

Sirona

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yoli
yoli
Mitglied

Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von yoli
als Antwort auf Sirona vom 31.10.2015, 10:03:50
So schön Sirona..Danke und einen lieben Gruss von mir > aus der Ferne. Leider habe ich selten gutes Internet und kann deswegen kaum mal etwas lesen, geschweige dann rein tun.
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf yoli vom 01.11.2015, 13:25:14
Danke Sirona, Du treue Seele!

Yoli, sei willkommen und les einfach mit,
musst nicht auch schreiben -

...
Ich bin bereits so weit, dass ich am liebsten
meine zwei Daumen drehe oder zusehe, wie meine
Frau Strümpfe stopft.
Alles Strampeln abgetan. Wenn Sie 70 werden, werden
Sie sich dieser salomonischen Weisheit vielleicht
lächelnd erinnern.

In vorzüglicher Ergebenheit


Theodor Fontane
an Paul Schlenther
Berlin, 4. Dezember 1889
Künstler-Gedenken(Clematis)


Clematis
Sirona
Sirona
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Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von Sirona
Im Jahr 1924 schrieb Rilke an seine Tochter:

Die gräflich Sporksche Herrschaft Kukus suchte einen Güterdirektor, mein Vater mußte Gründe haben zu glauben, daß er einer solchen Aufgabe gewachsen wäre. Aber es war nicht leicht, Beweise für diese Fähigkeit, die er sich zutraute, aufzubringen. Allerdings hatte er als junger Mensch auf dem Gute seiner Tante, der Baronin Weissenburg, volontiert, diese Tatsache wurde nun in das vollste Licht gestellt und so behandelt, als wäre sie der Angelpunkt seines Lebens gewesen. Die Erwartung und Hoffnung in unserm Hause war groß, nicht allein versprach man sich von diesem Wechsel finanzielle und gesundheitliche Vorteile, das große Sporksche Barockschloß in Kukus war unbewohnt und wäre dem neuen Güterdirektor zugewiesen worden. Ich, soweit ich etwas von der schwebenden Angelegenheit begriff, ließ mich schon gehen in meiner Leidenschaft für Wagen- und Schlittenfahrten, für hohe Zimmer und lange weiße Gänge. Natürlich und gerechtermaßen wurde damals ein anderer Bewerber vorgezogen, der nicht nur landwirtschaftliche Jugenderinnerungen aufzuweisen hatte, und unser Provinzdasein versank, enttäuscht, in seiner trübseligen Alltäglichkeit. Hätte mein guter Papa eher diesen Entschluß gefaßt, so wäre wahrscheinlich alles anders verlaufen.

(aus Rilke – Leben und Werk von Wolfgang Leppmann)
Re: Ich hab mein Herz hineingeschrieben - Briefe
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 23.11.2015, 09:47:12
Advent/Weihnachten(Clematis)


Clematie

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