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Literatur Gedichte verschiedene

enigma
enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf enigma vom 23.06.2008, 07:55:23
Da lief ja lange nichts.

Dann will ich mal wieder ein Gedicht einstellen, das zeigt, wie zeitaufwändig so ein Blusenkauf manchmal sein kann: )

Der Blusenkauf

Wenn Frau'n was kaufen, geht das flink,
ich weiß, wie's meinem Freund erging,
der, jung vermählt, wollt in der Früh
mal ins Büro, da sagte sie:
"Lass mich ein Stückchen mit dir gehen" -
dann blieb sie vor ´nem Laden stehn.
"Komm, gib mir's Geld - bin gleich zurück,
es dauert nur ´nen Augenblick.
Bleib draußen", sprach Frau Suse,
"ich kauf mir bloß ´ne Bluse."

Nun geht sie rein - "´nen Augenblick".
Ihr Mann, sehr heiter, bleibt zurück. -
Er freut sich - ´s Wetter ist sehr schön,,
sieht Kinder, die zur Schule gehen. -
Und sie sagt drinnen zur Mamsell:
"´ne blaue Bluse, aber schnell!"
Nun schleppt man alle blauen rein,
und nach ´ner Stunde sagt sie: "Nein,
ich finde keine nette,
ich möchte ´ne violette."

Nun packt man violette aus.
Ihr Mann, geduldig, steht vorm Haus.,
denkt: "Ziemlich lange währt so'n Kauf",
geht auf und ab - und ab und auf -
und sie sagt drinnen: "Das ist nett!
Wie kam ich nur auf violett?
Da fällt mir ein, Frau Doktor Schmidt
geht immer mit der Mode mit -
und die trägt jetzt ´ne gelbe.
Ach, geb'n Sie mir dieselbe."

Nun packt man alle gelben aus.
Ihr Mann wird hungrig vor dem Haus.
Der Mittag naht - die Sonne sticht,
die Kinder komm'n vom Unterricht. -
Und sie sucht drin und sagt alsdann:
Was geht Frau Doktor Schmidt mich an!
Wie kam ich auf ´ne gelbe nur?
Es wird ja Frühling, die Natur
zeigt frohe Hoffnungsmiene,
ach, geb'n Sie mir ´ne grüne."

Nun packt man alle grünen aus.
Ihr Mann wird matt und seufzt vorm Haus:
"Gern kauft' ich ´ne Zigarre mir,
jedoch das Geld, das ist bei ihr-" -
Und sie sagt drin: "Beim Sonnenschein,
da wird das Grün zu dunkel sein." -
Da schaut er rein. "Mein Portemonnaie."
Sie sagt: "´nen Augenblick noch. Geh!
Ich bin ja gleich zur Stelle. -
Ach, geb'n Sie mir ´ne helle."

Nun packt man alle hellen aus.
Da gibt's ein Ungewitter drauß:
Es regnet bis zum Abendbrot -
und sie sagt drinnen zur Mamsell:
"So'n Wetter heut - und dazu hell?
Und überhaupt, wir haben bald
April, da wird's oft nass und kalt,
dann bin ich die Blamierte.
Ach, geb'n Se ´ne karierte."

Nun packt man die karierten aus -
und er stöhnt, frei nach Goethe, drauß:
"Was ewig weiblich, zieht uns an.
Das Weib, das zieht sich ewig an." -
Und sie probt drin und sagt entsetzt:
"Was - Nummer vierundvierzig jetzt?
Nicht zweiundvierzig, schlank und schick?
Dann nichts Kariertes - das macht dick",
ihr Blick zur Taille schweifte.
"Dann geb'n Sie ´ne gestreifte."

Nun packt man die gestreiften aus.
Ihr Mann, der wankt und röchelt drauß:
"Ein Augenblick!" Das war ihr Wort! -
Dann fällt er um - man trägt ihn fort. -
Da kommt sie mit ´ner roten raus.
"Hier bin ich schon", ruft froh sie aus -
und schreit: "Mein Mann!! Mein einz'ges Glück!
Gott, ist er tot? - Ein Augenblick!"
Und in den Laden starrt se:
"Dann geb'n Sie mir ´ne schwarze."

Otto Reutter (1870-1931)
--
enigma
cecile
cecile
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von cecile
als Antwort auf enigma vom 08.11.2008, 08:19:53
Hallo Enigma

Ich habe mich jetzt mal schnell durch diesen wunderbaren Thread gelesen ( ich werde bestimmt noch oft zurückkommen, da gibt es so viel Neuland für mich)


.....


In meinem persönlichen "Gedichte-Ranking" steht ER ganz oben:

Heinrich Heine

Stunden, Tage, Ewigkeiten
Sind es, die wie Schnecken gleiten;
Diese grauen Riesenschnecken
Ihre Hörner weit ausrecken.

Manchmal in der öden Leere,
Manchmal in dem Nebelmeere
Strahlt ein Licht, das süß und golden,
Wie die Augen meiner Holden.

Doch im selben Nu zerstäubet
Diese Wonne und mir bleibet
Das Bewußtsein nur, das Schwere
Meiner eigenen Misere.

aus: Lamentationen



cecile
enigma
enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf cecile vom 08.11.2008, 22:16:27
Hallo Cécile,
ja, da waren wir noch ziemlich fleißig.

Heine ist natürlich allererste Sahne.

Heute kommt von mir ein „Räthsel“:


Das Räthsel

Früh saß der Kellner zu Frankfurt
Im Weidenbusch, und las
Aus dicken Räthselbuche:
»Herr Fähnrich, was ist das?

Mein Vater war der Erzeuger,
Die Mutter gebar's an's Licht;
Doch ist es nicht mein Bruder,
Und meine Schwester nicht.« – –

Und wenn ich ein Jahr lang sänne,
Doch blieb' es zu dunkel für mich.
Ich bitte mir's zu lösen.
»Kein Räthsel! Das bin – ich.«

Die Lösung ist ohne Tadel.
Dictire mir's an, mein Sohn!
Die harte Nuß zu knacken,
Ziemt meinem Bataillon.

Kaum saß er im gold'nen Eber
Und aß an der Table d'hôte,
So sprach er mit Stentor-Tönen;
»Ihr Herren, Sakerlot!

Zu meiner Nuß seyd geladen;
Doch knackt sie wohl keiner auf,
Und trieb' er's sieben Jahre.« –
Er wiederholte drauf:

»Mein Vater war der Erzeuger,
Die Mutter gebar's an's Licht;
Doch ist es nicht mein Bruder,
Und meine Schwester nicht.«

»O nein! Verzeihen's, Ihr Gnaden!
Sie machten da fausse Couche.
Das ist, wie er selbst mir sagte,
Der Kellner im Weidenbusch.«


Friedrich Haug
(1761-1829)

Grüße


--
enigma

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angelottchen
angelottchen
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf enigma vom 09.11.2008, 18:59:36
hier mal etwas aus Rumänien - von Mihai Eminescu:



Sonette I

Es herbstet schon. Die welken Blaetter wehen,
Und schwere Tropfen prallen an die Scheiben;
Du liest in alten, laengst vergilbten Schreiben
Und suchst den Sinn des Lebens zu verstehen.

Mit teuerem Kleinkram sich die Zeit vertreiben
Und klopft es an die Tuer, nicht oeffnen gehen;
Liegt dann auch schon Morast auf den Allen,
Ist's schoener noch, am Offen traeumen bleiben.

So sitz auch ich, und die Gedanken schweifen
Zur schoenen Fee ins alte Land Legende,
Und Nebel wachsen um mich, Reif um Reifen;

Auf einmal ist's als teilten sich die Waende,
Ich hoere einen Saum den Boden streifen...
Und meine Augen schliessen kuehle Haende.

(Tradus de Dieter Roth)
--
angelottchen
cecile
cecile
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von cecile
als Antwort auf angelottchen vom 09.11.2008, 20:14:08
Ein wunderbares Gedicht aus Rumänien .... es hat mich ein bißchen an Rilkes "Herbstlied" erinnert......


Aber jetzt wird's heiter


Das Perlhuhn

Das Perlhuhn zählt: Eins, zwei, drei, vier...
Was zählt es wohl, das gute Tier,
dort unter den dunklen Erlen?

Es zählt, vom Wissensdrang gejückt,
(die es sowohl wie uns entzückt:)
die Anzahl seiner Perlen.


Christian Morgenstern (1871-1914)


--
cecile
enigma
enigma
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf cecile vom 10.11.2008, 01:34:20
Ja, das rumänische Gedicht gefällt mir auch gut und der Morgenstern sowieso.

Und heute etwas über die Katzennat und und das (eventuelle?) Verhalten von Mäuschen: )

Katzennatur

's war mal 'ne Katzenkönigin,
Ja, ja!
Die hegte edlen Katzensinn,
Ja, ja!
Verstand gar wohl zu mausen,
Liebt' königlich zu schmausen,
Ja, ja! - Katzennatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!

Die hatt 'nen schneeweißen Leib,
Ja, ja!
So schlank, so zart, die Hände so weich.
Ja, ja!
Die Augen wie Karfunkeln,
Sie leuchteten im Dunkeln,
Ja, ja! - Katzennatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!

Ein Edelmausjüngling lebte zur Zeit,
Ja, ja!
Der sah die Königin wohl von weit,
Ja, ja!
'ne ehrliche Haut von Mäuschen,
Der kroch aus seinem Häuschen,
Ja, ja! - Mäusenatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!

Der sprach: in meinem Leben nicht,
Ja, ja!
Hab ich gesehen so süßes Gesicht,
Ja, ja!
Die muß mich Mäuschen meinen,
Sie tut so fromm erscheinen,
Ja, ja! - Mäusenatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!

Der Maus: willst du mein Schätzchen sein?
Ja,ja!
Die Katz: ich will dich sprechen allein.
Ja, ja!
Heut will ich bei dir schlafen -
Heut sollst du bei mir schlafen -
Ja, ja! - Katzennatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!

Der Maus, der fehlte nicht die Stund,
Ja, ja!
Die Katz, die lachte den Bauch sich rund,
Ja, ja!
Dem Schatz, den ich erkoren,
Dem zieh ich's Fell über die Ohren,
Ja, ja! - Katzennatur!
Schlafe, mein Mäuschen, schlafe du nur!


Adelbert von Chamisso
(1781-1838)





--
enigma

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yankee
yankee
Mitglied

Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf enigma vom 10.11.2008, 12:27:15
Wilhelm Busch
Der Traum

Ich schlief. Da hatt`ich einen Traum.
Mein Ich verließ den Seelenraum.
Frei vom gemeinen Tagesleben,
vermocht ich leicht dahinzuschweben.
So, angenehm mich fortbewegend,
erreicht ich eine schöne Gegend.
Wohin ich schwebte, wuchs empor
alsbald ein bunter Blumenflor,
und lustig schwärmten um die Dolden
viel tausend Falter, rot und golden.
Ganz nah auf einem Lilienstengel,
einsam und sinnend, saß ein Engel.
Und weil das Land mir unbekannt,
fragt ich: Wie nennt sich dieses Land?
Hier, sprach er, ändern sich die Dinge.
Du bist im Reich der Schmetterlinge.
Ich aber, wohlgemut und heiter,
zog achtlos meines Weges weiter.
Da kam, wie ich so weiter glitt,
ein Frauenbild und schwebte mit
als ein willkommenes Geleite,
anmutig lächelnd mir zur Seite,
und um sie nie mehr loszulassen,
dacht ich die Holde zu umfassen;
doch eh ich Zeit dazu gefunden,
schlüpft sie hinweg und ist verschwunden.
Mir war so schwül. Ich mußte trinken.
Nicht fern sah ich ein Bächlein blinken.
Ich bückte mich hinab zum Wasser,
gleich faßt ein Arm, ein kalter, blasser,
vom Grund herauf mich beim Genick.
Zwar zog ich eilig mich zurück,
allein der Hals war steif und krumm,
nur mühsam dreht ich ihn herum,
und ach, wie war es ringsumher
auf einmal traurig, öd und leer.
Von Schmetterlingen nichts zu sehn,
die Blumen, eben noch so schön,
sämtlich verdorrt, zerknickt, verkrumpelt.
So bin ich seufzend fortgehumpelt,
denn mit dem Fliegen, leicht und frei,
war es nun leider auch vorbei.

--
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 10.11.2008, 17:39:05
Friedrich Julius Hammer
Stör`nicht den Traum der Kinder

Stör`nicht den Traum der Kinder,
wenn eine Lust sie herzt;
ihr Weh schmerzt sie nicht minder,
als dich das deine schmerzt!

Es trägt wohl mancher Alte,
deß Herz längst nicht mehr flammt,
im Antlitz eine Falte,
die aus der Kindheit stammt.

Leicht welkt die Blum`, eh`s Abend,
weil achtlos du verwischt
den Tropfen Tau, der labend
am Morgen sie erfrischt.

--
yankee
yankee
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von yankee
als Antwort auf yankee vom 10.11.2008, 17:40:41
Ferdinand von Saar
Alter

Das aber ist des Alters Schöne,
daß es die Saiten reiner stimmt,
daß es der Lust die grellen Töne,
dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.

Ermessen läßt sich und verstehen
die eigne mit der fremden Schuld,
und wie auch rings die Dinge gehen,
du lernst dich fassen in Geduld.

Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
es schwindet des Verfehlten Pein -
und also wird der Rest des Lebens
ein sanftes Rückerinnern sein.

--
yankee
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Re: Gedichte verschiedene
geschrieben von enigma
als Antwort auf yankee vom 10.11.2008, 17:45:56
Hallo Yankee,

haben wir Dich gelockt mit der Fortführung "Deines" Gedicht-Threads?
Na, dann wäre doch noch ein weiterer Sinn erfüllt.
Schön, Dich wieder hier zu lesen.


Wird die Welt ein altes Wrack

Wird die Welt ein altes Wrack
Jetzt kommt der Herbst mit langem Bein
Und zieht die Wolken an der Lein,
Er stampft die grünen Lauben ein,

Mein Schatz, der schließt die Fensterlein.
Schatz, wird die Welt ein altes Wrack,
Lieb' schützt uns vor dem Wolkenpack.
Hast du mein Herz in Tasch und Sack,
So macht der Herbst nur naß den Frack.

Max Dauthendey
(1867-1918)


--
enigma

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