Literatur Gedichte 01
Re: Gereimtes vom Dichter
Hach, wie man sich doch irren kann .....
daher: Verzeihe liebreich! Irren ist des Menschen Los
findet schon Euripides
Medea.
daher: Verzeihe liebreich! Irren ist des Menschen Los
findet schon Euripides
Medea.
Arno Holz
Ninon
handelt nachts mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
das auf ihrem krausen Köpfchen
weiß und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
der dem Spiegel visavis
grad vor einem Makartstrauß hockt,
läßt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
deutlich hören, was er sagt:
„Tu mir den Gefallen, Kind, und
kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnädige Frau dich?
Geh, du heißt ja gar nicht so!
Martha heißt du. Dein Papa
war der gnädige Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in Neuyork
starb er als Konditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
hinkt und schnupft. Im übrigen
handelt sie mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.“
Aus: Bethge Hans (Hg.): Deutsche Lyrik seit Liliencron. Leipzig: Hesse & Becker Verlag 1921
--
enigma
Ninon
handelt nachts mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
das auf ihrem krausen Köpfchen
weiß und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
der dem Spiegel visavis
grad vor einem Makartstrauß hockt,
läßt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
deutlich hören, was er sagt:
„Tu mir den Gefallen, Kind, und
kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnädige Frau dich?
Geh, du heißt ja gar nicht so!
Martha heißt du. Dein Papa
war der gnädige Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in Neuyork
starb er als Konditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
hinkt und schnupft. Im übrigen
handelt sie mit Apfelsinen
an der Weidendammer Brücke.“
Aus: Bethge Hans (Hg.): Deutsche Lyrik seit Liliencron. Leipzig: Hesse & Becker Verlag 1921
--
enigma
Es geht eine helle Flöte...
(Melodie & Text - Hans Baumann. 1938)
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Birken horchen auf die Weise,
Birken, und die tanzen leise.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Warten da drei rote Buchen,
Wollen auch den Tanz versuchen.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Und der Bach, der hört das Singen,
Wild und polternd muß er springen.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
*
--
elfenbein
(Melodie & Text - Hans Baumann. 1938)
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Birken horchen auf die Weise,
Birken, und die tanzen leise.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Warten da drei rote Buchen,
Wollen auch den Tanz versuchen.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
Und der Bach, der hört das Singen,
Wild und polternd muß er springen.
Es geht eine helle Flöte,
Der Frühling ist über dem Land.
*
--
elfenbein
Re: Gereimtes vom Dichter
nicht googeln aber eine erinnerung an einen text und ein prüfender blick in das reichgefüllte archiv literarischer begegnungen des ST hatten mich vorsichtig Holz vermuten lassen aufgrund eines von dir seinerzeit veröffentlichten textes:
ich zitiere dich:
"Frühling lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte..."
(Ja, Mörike, schon mit 24 Jahren hat er's geschrieben...) Ich habe jahrelang Texte, Parodien, Kontrafakturen, Schülerbilder zu diesem allbekannten Frühlingsgedicht gesammelt.... - Und was dieses "blaue Band" war, abseits von dem Gefühl, das ich mir gewonnen hatte, hab' ich einmal in Schwaben - auf der Autobahn fahrend - am prägnantesten - am Himmel - gesehen: In einem milchwolkigen Himmelssegment segelte ein großer Riß, ein Schlangenband, das den dahinter sichtbaren blauen Himmel plötzlich aufblitzen ließ. - Innerhalb einer halben Stunde war dann überall das sonnenklare Himmelsblau zu sehen. Es hatte sich durchgesetzt. Und ich konnte "hoch, von fern ein leiser Lerchenton" dazu zitierte...
Da erlebte ich etwas, nicht nur im lyrischen Text, was ich geahnt hatte, aber noch nicht gewußt: das Aufblitzen, das "Zünden" der Welt im lyrischen Subjekt - so heißt es eine begriffliche Beschreibung für die plötzlich einleuchtende, ästhetische, mit vielen oder gar allen Sinnen geschmückte Erfahrung von Blumen, Bäumen, Menschen, Details in der Natur...
"Veilchen träumen schon" - ja, dass Mörike wußte, dass Veilchen träumen, bevor sie die Knospen und ihr eingezeichnetes Gesicht aufstrecken, der Sonne entgegen, weiß er natürlich von seinen menschlichen Träumen her, eben kurz vor dem Erwachen am einprägsamsten; dass er so die luftigen, meist blauen Blümchen (übrigens wie in Arno Holz' Versen)vermenschlicht - als Blick und Gruß und Traummitteilung der Natur - immer wieder ein Geschenk wie eine Liebeserfahrung....!
...
zu der für morgen offiziell geplanten "Wiederauferstehung" der neugewandeten foren des Seniorentreff mag uns Arno Holz (1863-1929) jubilierend begleiten:
...
"JUBELNDE WIEDERAUFERSTEHUNG"
Unter
Blumen, nach meiner
Flöte,
arkadisch, oreadisch,
sinnberauschend, sinnbetörend, sinnbestrickend
zärtlich,
einschmeichelnd, feuerig, hinreißend,
verführerisch,
südsonne-umblinkert, südsonne-umflinkert, südsonne-
umglanzt
tanzt
eine ... nackte
Zirkassierin!
Ihre
Brüste ... zittern!
Strahlend runde, liebessieche,
schwarzwimperige, wollustbrennende, violenholde
Sternaugen,
die
berücken;
zarte, willfährige,
schwellend süße, zutrauliche, lechzend rote
Granatlippen,
die
lächeln;
sanfte, samtene,
sehnend
anmutige, weitgebreitete,
schneeige, volle, weichgeschwungene
Narzissenarme,
die
locken!
Ihre in schmucken, ihre in zieren, ihre in
schmalen, hochverschnürten,
feinst
verriemselten,
silbersohligen, silberschnalligen
Purpursandalen,
in
rhythmischem Gleichmaß, in kühnfreiem Frohtakt,
lieblich, leichtflink
sich
hebenden, federnden, schwebenden
Füße
reigendrehen sich,
ringschreiten ... und ... springgleiten;
ihre
ranken, stolzüppigen, schlanken
Hüften,
sich
schwingend, sich schwenkend,
sich
schaukelnd,
wiegen sich, schmiegen
sich, biegen sich;
der
große,
schmachtende, prunkende, prachtende,
bacchanale,
eiovale, funkelprahle
Blutrubin
in
ihrem
selig gleißenden, alles
verheißenden,
nichts verbergenden, nichts
verhehlenden, nichts verhüllenden
Gürtelgehände
sprühlichtert, glühflimmert
und
flackerflammt!
Meine entzückten Blicke,
trunken,
baden in ihrer blendend weißen, wühlen in ihrer sengend heißen,
schwelgen in ihrer
schimmernd herrlichen, unvergleichlichen,
hehren, erhabenen,
makellosen, blühenden, vollendeten,
göttlich,
halkyonisch, hesperidisch
leuchtenden,
lachladenden, ladlachenden
Gliederpracht!
Das
goldene Haar ... das ... edele Haupt,
der
grünblaue, stirnschattende, grünglaue
Kranz!
...
--
pilli
ich zitiere dich:
"Frühling lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte..."
(Ja, Mörike, schon mit 24 Jahren hat er's geschrieben...) Ich habe jahrelang Texte, Parodien, Kontrafakturen, Schülerbilder zu diesem allbekannten Frühlingsgedicht gesammelt.... - Und was dieses "blaue Band" war, abseits von dem Gefühl, das ich mir gewonnen hatte, hab' ich einmal in Schwaben - auf der Autobahn fahrend - am prägnantesten - am Himmel - gesehen: In einem milchwolkigen Himmelssegment segelte ein großer Riß, ein Schlangenband, das den dahinter sichtbaren blauen Himmel plötzlich aufblitzen ließ. - Innerhalb einer halben Stunde war dann überall das sonnenklare Himmelsblau zu sehen. Es hatte sich durchgesetzt. Und ich konnte "hoch, von fern ein leiser Lerchenton" dazu zitierte...
Da erlebte ich etwas, nicht nur im lyrischen Text, was ich geahnt hatte, aber noch nicht gewußt: das Aufblitzen, das "Zünden" der Welt im lyrischen Subjekt - so heißt es eine begriffliche Beschreibung für die plötzlich einleuchtende, ästhetische, mit vielen oder gar allen Sinnen geschmückte Erfahrung von Blumen, Bäumen, Menschen, Details in der Natur...
"Veilchen träumen schon" - ja, dass Mörike wußte, dass Veilchen träumen, bevor sie die Knospen und ihr eingezeichnetes Gesicht aufstrecken, der Sonne entgegen, weiß er natürlich von seinen menschlichen Träumen her, eben kurz vor dem Erwachen am einprägsamsten; dass er so die luftigen, meist blauen Blümchen (übrigens wie in Arno Holz' Versen)vermenschlicht - als Blick und Gruß und Traummitteilung der Natur - immer wieder ein Geschenk wie eine Liebeserfahrung....!
...
zu der für morgen offiziell geplanten "Wiederauferstehung" der neugewandeten foren des Seniorentreff mag uns Arno Holz (1863-1929) jubilierend begleiten:
...
"JUBELNDE WIEDERAUFERSTEHUNG"
Unter
Blumen, nach meiner
Flöte,
arkadisch, oreadisch,
sinnberauschend, sinnbetörend, sinnbestrickend
zärtlich,
einschmeichelnd, feuerig, hinreißend,
verführerisch,
südsonne-umblinkert, südsonne-umflinkert, südsonne-
umglanzt
tanzt
eine ... nackte
Zirkassierin!
Ihre
Brüste ... zittern!
Strahlend runde, liebessieche,
schwarzwimperige, wollustbrennende, violenholde
Sternaugen,
die
berücken;
zarte, willfährige,
schwellend süße, zutrauliche, lechzend rote
Granatlippen,
die
lächeln;
sanfte, samtene,
sehnend
anmutige, weitgebreitete,
schneeige, volle, weichgeschwungene
Narzissenarme,
die
locken!
Ihre in schmucken, ihre in zieren, ihre in
schmalen, hochverschnürten,
feinst
verriemselten,
silbersohligen, silberschnalligen
Purpursandalen,
in
rhythmischem Gleichmaß, in kühnfreiem Frohtakt,
lieblich, leichtflink
sich
hebenden, federnden, schwebenden
Füße
reigendrehen sich,
ringschreiten ... und ... springgleiten;
ihre
ranken, stolzüppigen, schlanken
Hüften,
sich
schwingend, sich schwenkend,
sich
schaukelnd,
wiegen sich, schmiegen
sich, biegen sich;
der
große,
schmachtende, prunkende, prachtende,
bacchanale,
eiovale, funkelprahle
Blutrubin
in
ihrem
selig gleißenden, alles
verheißenden,
nichts verbergenden, nichts
verhehlenden, nichts verhüllenden
Gürtelgehände
sprühlichtert, glühflimmert
und
flackerflammt!
Meine entzückten Blicke,
trunken,
baden in ihrer blendend weißen, wühlen in ihrer sengend heißen,
schwelgen in ihrer
schimmernd herrlichen, unvergleichlichen,
hehren, erhabenen,
makellosen, blühenden, vollendeten,
göttlich,
halkyonisch, hesperidisch
leuchtenden,
lachladenden, ladlachenden
Gliederpracht!
Das
goldene Haar ... das ... edele Haupt,
der
grünblaue, stirnschattende, grünglaue
Kranz!
...
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pilli
Re: Gedichte 01
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Was für eine interessante Information und Desillusionierung ! Das erfahre ich jetzt zum erstenmal, dass der Dichter dieses Liedes ein Nazi war. Das gibt es nämlich als Kanon, den ich als Kind in der Schule gelernt und ganz besonders gern gesungen habe, weil mir beides, Text und Melodie so gut gefielen, und das tun sie sogar heute noch. So wie es überhaupt einiges gab in meiner Kindheit, das, wie ich heute weiß, nicht "politisch korrekt" war und ich trotzdem sehr gern mochte. Eine frühere, ältere Kollegin, die die Zeit noch miterlebt hatte, sagte mir mal, dass die Kinder und Jugendlichen auch deshalb so leicht für die Ideologie zu begeistern waren, weil es so schöne Lieder gab. Restbestände merkte man ja noch in den 50er Jahren, als man in der Jungschar war und die Mundorgel-Lieder mit Begeisterung gesungen hat, in denen, wie ich auch erst später erfuhr, noch so einige braungefärbte enthalten waren, die später rausgenommen wurden. Beispiel: "Schwarzbraun ist die Haselnuss". Das hatte ich immer in aller Begeisterung gesungen und die Metaphorik überhaupt nicht kapiert. Und singt das nicht sogar der gute Heino auch heute noch? Ich möchte sowieso nicht wissen, wie viel braune Suppe auf den Volksmusik-Abenden im Hintergrund mitschwingt, ohne dass die begeistert Schunkelnden das bewusst realisieren.
--
marina
--
marina
Re: Gedichte 01
frühlingsgestimmt habe ich gleich lauthals beim lesen mitgesungen und erst dein link elfenbein
hat mir den mund verschlossen!
himmel...welche bedeutung erhalten jetzt die worte:
"Warten da drei rote Buchen,
Wollen auch den Tanz versuchen." ?
da ist seinerzeit keine flöte sondern eine schrillklingende pfeife übers land geschritten!
--
pilli
hat mir den mund verschlossen!
himmel...welche bedeutung erhalten jetzt die worte:
"Warten da drei rote Buchen,
Wollen auch den Tanz versuchen." ?
da ist seinerzeit keine flöte sondern eine schrillklingende pfeife übers land geschritten!
--
pilli
Re: Gedichte 01
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Natürlich: auch noch Jung-Frühlingsmäßiges vom besten Impressionisten:
Detlev von Liliencron:
Märztag
Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen hoch in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig, flattern, Mädchen, deine Bänder,
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen;
Wollt' es halten, mußt' es schwimmen lassen. ]
--
elfenbein
Detlev von Liliencron:
Märztag
Wolkenschatten fliehen über Felder,
Blau umdunstet stehen ferne Wälder.
Kraniche, die hoch die Luft durchflügen,
Kommen schreiend an in Wanderzügen.
Lerchen steigen hoch in lauten Schwärmen,
Überall ein erstes Frühlingslärmen.
Lustig, flattern, Mädchen, deine Bänder,
Kurzes Glück träumt durch die weiten Länder.
Kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen;
Wollt' es halten, mußt' es schwimmen lassen. ]
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elfenbein
Re: Lenzliches vom Dichter Kurt Tucholsky
geschrieben von ehemaliges Mitglied
"Lenzliche Leitartikel" - von Kurt Tucholsky -
"Für die Berliner Kreuz-Zeitung. Am 26. März 1928."
Der Lenz ist da.
Auf den Feldern des deutschen Landmannes sprießt und wächst es, ernste Kirchenglocken mahnen zur Andacht, aber das Herz wird nicht so leicht den Frühling in sich einziehen lassen. Vergleicht man diesen republikanischen Lenz mit dem guten kaiserlichen Frühling, so wird jeder gute Deutsche feststellen, dass es da keine Vergleichsmöglichkeit gibt. Dort hoffnungsfrohes Lenzgefühl in schimmernder Wehr, wie sie schon die alten Germanen kannten - hier eitel Dolchstoß, Barmat, Lüge und knechtseliges Hofieren vor zur Macht gelangten Landesverrätern! Ein Blick in die Natur zeigt, woher allein das Heil kommen kann: aristokratisch wie die Natur, die nur die Herrschaft des Einen anerkennt, die Pöbelmassen rücksichtslos zu Boden stoßend, sei auch unser Land! Ein Volk, das fremde Fürsten importieren muß, ist zum Untergang verdammt. Wer, wie wir, dem angestammten Fürstenhaus in den schweren Tagen des Umsturzes die Treue gewahrt hat
*
[Der Name "Barmat" bezieht sich auf Kaufhäuser der Kaufleute und Gebrüder Barmat, die in wirtschftlichen Schwierigkeiten steckten.]
--
elfenbein
"Für die Berliner Kreuz-Zeitung. Am 26. März 1928."
Der Lenz ist da.
Auf den Feldern des deutschen Landmannes sprießt und wächst es, ernste Kirchenglocken mahnen zur Andacht, aber das Herz wird nicht so leicht den Frühling in sich einziehen lassen. Vergleicht man diesen republikanischen Lenz mit dem guten kaiserlichen Frühling, so wird jeder gute Deutsche feststellen, dass es da keine Vergleichsmöglichkeit gibt. Dort hoffnungsfrohes Lenzgefühl in schimmernder Wehr, wie sie schon die alten Germanen kannten - hier eitel Dolchstoß, Barmat, Lüge und knechtseliges Hofieren vor zur Macht gelangten Landesverrätern! Ein Blick in die Natur zeigt, woher allein das Heil kommen kann: aristokratisch wie die Natur, die nur die Herrschaft des Einen anerkennt, die Pöbelmassen rücksichtslos zu Boden stoßend, sei auch unser Land! Ein Volk, das fremde Fürsten importieren muß, ist zum Untergang verdammt. Wer, wie wir, dem angestammten Fürstenhaus in den schweren Tagen des Umsturzes die Treue gewahrt hat
*
[Der Name "Barmat" bezieht sich auf Kaufhäuser der Kaufleute und Gebrüder Barmat, die in wirtschftlichen Schwierigkeiten steckten.]
--
elfenbein
Re: Lenzliches vom Dichter Tucholsky
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Kurt Tucholsky:
"Lenzlicher Leitartikel" (Teil 2)
... für die "Rheinisch-Westfälische Zeitung":
Der Lenz ist da. Deutscher Frühling ist über die deutschen Lande gekommen, und echt deutsches Blühen sprüht aus deutschen Knospen. Die politische Situation sieht allerdings nicht so hoffnungsgrün aus. Die Sklaverei, in der der Feindbund Deutschland gefangen hält, sowie die Begehrlichkeit der Arbeiter wirft einen Schatten auf das frühlingshafte Gemälde. Ein Blick in die Natur zeigt, was Deutschland allein noch vom Untergang retten kann: Produktion und nochmal Produktion, und zwar eine solche, die sich nicht an den Acht-Stunden-Tag gebunden glaubt. Blüht der Kirschbaum nur acht Stunden? Bringen die Bienen nur acht Stunden den Honig ein? So wie der Generaldirektor eines Hüttenwerks unablässig, die Nacht zum Tage machend, für das Wohl der ihm unterstellten Arbeiter sorgt und die deutsche Wirtschaft fördert, so soll auch der deutsche Arbeiter einsehen, dass die Einflüsterungen, denen er unterliegt, von landfremder Seite herkommen. Eine Stärkung der Reichswehr, eine Erhöhung des Schutzzolles und eine scharfe, aber gerechte Lohnsteuer – das tut uns not!
*
(Im Simplicissismus. 26. März 1928)
--
elfenbein
"Lenzlicher Leitartikel" (Teil 2)
... für die "Rheinisch-Westfälische Zeitung":
Der Lenz ist da. Deutscher Frühling ist über die deutschen Lande gekommen, und echt deutsches Blühen sprüht aus deutschen Knospen. Die politische Situation sieht allerdings nicht so hoffnungsgrün aus. Die Sklaverei, in der der Feindbund Deutschland gefangen hält, sowie die Begehrlichkeit der Arbeiter wirft einen Schatten auf das frühlingshafte Gemälde. Ein Blick in die Natur zeigt, was Deutschland allein noch vom Untergang retten kann: Produktion und nochmal Produktion, und zwar eine solche, die sich nicht an den Acht-Stunden-Tag gebunden glaubt. Blüht der Kirschbaum nur acht Stunden? Bringen die Bienen nur acht Stunden den Honig ein? So wie der Generaldirektor eines Hüttenwerks unablässig, die Nacht zum Tage machend, für das Wohl der ihm unterstellten Arbeiter sorgt und die deutsche Wirtschaft fördert, so soll auch der deutsche Arbeiter einsehen, dass die Einflüsterungen, denen er unterliegt, von landfremder Seite herkommen. Eine Stärkung der Reichswehr, eine Erhöhung des Schutzzolles und eine scharfe, aber gerechte Lohnsteuer – das tut uns not!
*
(Im Simplicissismus. 26. März 1928)
--
elfenbein
Re: Lenzliches vom Dichter Tucholsky
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Kurt Tucholsky:
"Lenzlicher Leitartikel"; für die
"Germania"
Der Lenz ist da. Durch Gottes unerforschliche Güte sprießt auch in diesem Jahr das frische Grün auf den Feldern, die ersten Maiglöckchen strecken ihre Köpfchen schüchtern aus der braunen Erde und lassen uns fragen, wer dies alles geschaffen hat, lassen uns dem Schöpfer für sein Werk danken. In die Frühjahrsglocken aber mischt sich die Sorge um das neue Schulgesetz, das leider nicht ganz so ausfallen wird, wie es die Interessen der katholischen Kirche verlangen. Solange es Eltern gibt, die die Möglichkeit haben, ihre Kinder ohne Religion aufwachsen zu lassen, solange steht es nicht gut um Deutschland!
Der Terror der Freidenker nimmt groteske Formen an, die wir nicht dulden können.
Ein Blick in die Natur belehrt uns, dass es dort keine Freiheit gibt - wir sehen Gebundenheit, wohin wir auch schauen -, also warum sollten sich die Menschen eine Freiheit anmaßen, die der Herr seinen Kreaturen selbst nicht gönnt?
Die Simultanschule bedeutet die Entfesselung eines neuen Kulturkampfes, den wir aufzunehmen entschlossen sind. Ver sacrum!
Blicken wir in diese Natur, so sehen wir nirgends einen Lutherfilm, können also auch nicht dulden, dass ein solcher das deutsche Volk in seinen tiefsten Gefühlen verletze!
--
elfenbein
"Lenzlicher Leitartikel"; für die
"Germania"
Der Lenz ist da. Durch Gottes unerforschliche Güte sprießt auch in diesem Jahr das frische Grün auf den Feldern, die ersten Maiglöckchen strecken ihre Köpfchen schüchtern aus der braunen Erde und lassen uns fragen, wer dies alles geschaffen hat, lassen uns dem Schöpfer für sein Werk danken. In die Frühjahrsglocken aber mischt sich die Sorge um das neue Schulgesetz, das leider nicht ganz so ausfallen wird, wie es die Interessen der katholischen Kirche verlangen. Solange es Eltern gibt, die die Möglichkeit haben, ihre Kinder ohne Religion aufwachsen zu lassen, solange steht es nicht gut um Deutschland!
Der Terror der Freidenker nimmt groteske Formen an, die wir nicht dulden können.
Ein Blick in die Natur belehrt uns, dass es dort keine Freiheit gibt - wir sehen Gebundenheit, wohin wir auch schauen -, also warum sollten sich die Menschen eine Freiheit anmaßen, die der Herr seinen Kreaturen selbst nicht gönnt?
Die Simultanschule bedeutet die Entfesselung eines neuen Kulturkampfes, den wir aufzunehmen entschlossen sind. Ver sacrum!
Blicken wir in diese Natur, so sehen wir nirgends einen Lutherfilm, können also auch nicht dulden, dass ein solcher das deutsche Volk in seinen tiefsten Gefühlen verletze!
--
elfenbein