Literatur Dichter oder Dichterinnen raten...
Hallo, Chris - Du sprichst mir aus der Seele. Das Rumsuchen und sich überraschen lassen und auch noch ein paar Querverbindungen ergooglen mit spannenden Sachen, die man normalerweise "freiwillig" nie gesucht hätte - das macht's, ja. Das freut mich richtig, dass es Dir auch so geht. )
Mit der Ilse Aichinger hast Du natürlich recht. Ihr Mann Günter Eich wäre im Februar dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Berühmt geworden von ihm sind die Zeilen (aus dem Schlussgedicht d. Hörspiels Träume): "Seid unbequem! Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt." Oder: "Nachher hat man immer recht, man sollte gleich nachher leben."
Was mir an ihr gefällt: Sie geht so sorgsam mit unserer Sprache um. "Es gibt keine Todesarten. Es gibt nur Sterbensarten." Und sie spielt mit der Fülle an Möglichkeiten. "Geschichten lassen sich wieder erzählen. Und nicht nur wieder erzählen." "Die Erinnerung muss alles und darf doch nichts behalten wollen." Und ihre "Spiegelgeschichte" find ich heute noch irre gut. Siehe Linktipp.
Gruss
--
emma7
Emma,
nun freu ich mich doch, dass ich mit Ilse Aichinger richtig lag.
Mir geht es immer wieder so, dass ich durch Querverweise, die interessantesten
Dinge finde. Manchmal weiss ich oft gar nicht, durch was ich auf einer Seite
gelandet bin.
Das Stöbern in Biografien gibt immer wieder neue Ueberraschungen!
chris
Hallo, Elfenbein. Die Aichinger!?! Klingt, als ob Du sie nicht so sonderlich magst? )
Ich finde es zunehmend schwieriger, die Biografien so zu verschlüsseln, dass man nicht gleich in Windeseile den Gesuchten erkennt.
Zum Heidedichter: Über Deinen versauten Witz hab' ich herzlich gelacht. Und dann habe ich mir den Chris-Link geholt (über 50 Seiten!). Ich hoffte, eine Antwort auf Deine Frage zu finden. Wer hat die Gedichte der beiden Brüder aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übersetzt? August und Friedrich haben das offenbar selbst "geleistet". Am Beispiel des berühmten "O schöne Tied, o selige Tied", das auf Drängen des Verlegers "übersetzt" werden sollte, kritisierte LÖNS: "Ich weiß nicht, wer das niederdeutsche Gedicht ins Hochdeutsche verhunzt hat." August gab zu, daß er das gewesen sei.
Also, nach der Lektüre dieser zwar zeitraubenden, aber den Zeitgeist treffenden Biografie glaube ich, daß Chris mit ihrem August Freudenthal Recht hat. Hermann Allmers (der Marschendichter) soll August den "besten Ehrennamen des Heidedichters" verliehen (S. 29/31) haben? Aber was soll's, es bleibt damit ja in der Familie!!
Wer hat denn jetzt Lust, weiter zu machen?
--
emma7
Re: DichterInnen raten...
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Danke, emma7!
*
Dass Ilse Aichinger von mir geringschätzig grmeint sei, ist ein Missverständnis; ich habe ja nur Chris' richtige, flotte und sensible Einschätzung bestätigen wollen.
*
Als neues Rätsel eine Geschichte, die ich gerne im Unterricht habe lesen lassen; von der ich weiß, dass sie durch ein Gedicht von I.A. ausgelöst wurde.
PIA MARIA D R I S S E N
Novembertags
Ilse Aichinger:
Nachruf:
Gib mir den Mantel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.
Wie sah der doch aus - naja - wie ein Ausländer. - Eben. - Ein Asylant? - Weiss nicht. - Komm erzähl: Ein Italiener? Oder so mehr wie ein Albaner? Lederhäutig, mediterran? Äh? -
Hör zu! Also: Eine langovale, fast runde Gesichtsfläche, mit kleiner Nase und starken Backenknochen; trotzdem gross, ja stattlich, aber kein bisschen unangenehm; herrisch? nein - eher herrschaftlich, eindrucksvoll.
Er benahm sich - ja, selbstsicher, unauffällig in diesem unseren Gastland und hätte auch kaum mein Interesse gefunden, wenn er nicht für einen kurzen Moment in mir, als er mir sein fast klassisches Profil und die haarlose, hohe Stirn zeigte, die Erinnerung an einen Onkel, den Lieblingsbruder meiner Mutter, ausgelöst hätte, fern aus meiner Kindheit flog's mich an, einen Onkel Klaus oder Martin - der Name wollte mir nicht so schnell auf die Zungenspitze. Wenn der mich abholte zu einer Tour auf dem Motorrad, seiner knatternden 80er Zündapp, dem stinkenden, herrlichen Maschinchen, mit dem zweiten Sitz, Sonderausstattung, genarbte Ledersitze. Fussschaltung, Windschutzschirm, mit grüner Sonnenblende. Rollend ins frische Land, auf, zum Rhein, in die Büsche, zu den Wiesen...
Der Mann stand unentschlossen im silbrig-weiss glänzenden, lichthell aufgeputzten Kaufhaus an einem Verkaufsstand mit Unterwäsche, Trikotagen, als ich von der zweiten Etage runter zur Kinderboutique fuhr. Ich verliess, wie magisch oder automatisch, in dieser Ebene die Rolltreppe und bemerkte, schräg von oben herabblickend, dass ihm seine lichtgoldschönen Haare, leicht ergraut, in einem deutlichen Wulst, wie eingekerbt, rund um seinen Kopf lagen, als ob sich ein Helm, ein Motorradhelm, noch nachträglich abzeichnete. Aber der Mann war schon zu alt - die Idee, dieser Mustermann auf einer Kawasacki, heute etwa - wirkte belustigend.
Eher ein weises Altersgesicht, geglüht durch die Jahre, fünfzig? fast sechzig? Auch die aufrechte Haltung, heldenhaft denke ich heute, fiel mir auf. Ritterlich? Blöde Attribute. Ein Mann wie mein Onkel, der mich, bevor ich dann in die Pubertät kam, sonntags zu Spritztouren einlud, hinaus zu den Silberseen. Und Mutter packte besonders lecker geschmierte Brote ein!
Kaum auszumachen - ein verhuschtes Lächeln auf seinem Antlitz; und wohin blickte er? Ach - auf eine unschlüssig suchende Schülerin vor der Krawattenauslage, noch etwas schlacksig, die, still versonnen, frühe achtzehn, auch mich freute; so alt wie die; da findest du Männer, die dir nachlaufen, in alle Kaufhäuser!
Jetzt fährt er, etwas verlegen, mit der Linken über seinen schwitzenden Nacken, unter den blinkenden Spot-Stechern des Verkaufstisches, addiert wohl im Kopf seine Kaufwünsche, nachdenklich.
Ich beobachte unbemerkt; meine Drogeriesachen habe ich alle im Beutel; sehe, wie er warme Unterwäsche kauft, weiter einen Parka, wir sind schon am nächsten Stand, als ob's gemeinsam wäre, in einer anderen Abteilung, zwei blau-weisse Wollmützen, geringelte, dicke, gewirkte Strümpfe, einen blau-weissen, anderthalbmeterlangen Schal.
Die Artikel bezahlt er an der Sammelkasse 15 der Textilabteilung, geduldig im Gedränge mit ungeduldigen Frauen.
Mit dem herübergereichten Geldschein - einem quelligen Lappen, fiel mir auf - geht die Kassiererin, nachdem sie die Kollegin am Packtisch informiert hat, in einen Nebenraum, die zwei Spiegeltüren klappen hinter ihr nach. Langsameren Schritts, geradezu behutsam, kehrt sie zurück, entschuldigt sich süsssauer beim Kunden, verabschiedet ihn mit einem lang betrachtenden Blick, fast schon wieder freundlich, oder wie gemeint?
Ich ging dem Fremden durch die kleine, novemberlich aufgestimmte City nach; verrückt, denke ich heute, aber ich ging. Ich fühlte mich geschützt durch die Passanten. Wenn er jetzt nordwärts weitergeht, beim Lohtor gerade aus, zur Beisinger Höhe, wo die städtischen Arbeiter vor zwei Wochen die Container und die Wohnwagen aufgestellt haben. Dort würde er nochmals die Gas- und Wasseranschlüsse zu den Behausungen prüfen, die aus den vergitterten Absperrungen herausführen. Ob diese Kisten wackeln im Sturm? Ob -
Ich muss zurück. Was mache ich nur?
Die Temperaturen waren tagszuvor, wie vom Essener Wetterdienst gemeldet, erheblich gefallen. Feuchte Novemberluft, erfrischend kühl, winkende Atemfähnchen aus den Mündern der Hastenden, quirlig ziehende Gerüche der Brutzelstuben und lastender Gestank der Autos von dem Parkplatz her durchzogen die Strassen, vermischten sich zu einem trübsinnigen Kondensat, legten sich auf Autolack, Asphalt, Fensterscheiben, Mantelstoff und Haut der Hände und Gesichter. Auch auf meine Knochenhaut - ich streichle mein rechtes Handgelenk, das mein Onkel damals -
Auf den breiten, gedrängt vollen Fusswegen waren überraschend viele Kinder mit ihren Eltern unterwegs, vereinzelt auch an der Hand von Grossvätern und -müttern. Die Kleinsten, im Kinderwagen, und die Fünf- oder Sechsjährigen schon mal auf den Schultern ihrer Väter. Überall Laternen, fast nur Batterielichter, die keinen Ärger bei dem zugigen Wind in der Altstadt machten und keine Fackel in Brand gehen liessen.
Die Breite Strasse entlang, das schummrige Lampengässchen, an Sankt Peter vorbei und die Münsterstrasse rechts ab, über den von einer Lichtgiraffe der Freiwilligen Feuerwehr unwirklich angestrahlten Holzmarkt, der an diesem Freitag für den Parkverkehr gesperrt war.
Ich war ihm nachgegangen. Er schien es nicht eilig zu haben, im Gedränge mitlaufend konnte ich ihm ohne Schwierigkeiten folgen. Vorbei an den im Kontrast zum frühen Abend grell ausgeleuchteten Schauflächen der schreiend lockenden Läden - nur vor einem mehrfenstrigen Spielwarengeschäft mit verführerischen Dekorationen und einer glitzernden Erwachsenenwelt in Miniaturen und Nachbauten verharrte er kurz:
Eisenbahnen, wie viele, fuhren nebeneinander, übereinander, unter - Kopfschüttelnd?
Ich bin heute unsicher, ob mich meine Erinnerung nicht trügt; nein, ob kopfschüttelnd oder tief versunken, sich freuend ob alter, verschütteter Kinderträume?
Im fahlen Neon-Gefunzel des ersten Subterrasse des Parkhauses unter der Merkur-Kaufwelt spricht er mich an: "Was folgen Sie mir, junge Frau? Seit zwanzig Minuten schon!?"
(Oh Gott, so viel Zeit schon rum? Da wartet mein Mann seit einer Viertelstunde bei den Kinderstrumpfhosen im Erdgeschoss, mit meinem Einkaufszettel - und dann wollten wir zum Rathausvorplatz ziehen. Verdammt!)
Ich habe keine Antwort auf seine unvermittelte Frage und hampele von einem Fuss auf den anderen, wie ein Backfisch - (was sagte Onkel Klaus, nachdem er mich auf dem ersten Foto seiner Agfa-Box festgehalten hatte? Hippeldern? Vergiss es, Mädchen.)
Gottseidank fällt mir ein Handschuh hin.
Der Mann steht vor einer Parkbox im düsteren-schmierigen Betongrau der Unterwelt. Wendet sich dort einem Pferd zu, das den Kopf, ohne zu wiehern, ihm zudreht; nickt es freundlich? Das hellbraune Halfter ist in einem Ring verknotet, der in die Betonwand eingelassen ist. Er tätschelt dem Apfelschimmel den langglänzenden Hals: "Ruh-, ruhig, mein - ruhig breitsilbig gesprochen: Co-ad-jutor! Fein, brav! Ja, ich bin's, mein Kerl! Mein Guter!" - Pause! -
Dann zu mir: "Warum sind Sie mir gefolgt?"
Wieder seine Frage! Auch jetzt kann ich ihm seine berechtigte Frage nicht sinnvoll beantworten. "Ich hab' dich" - stottere ich, "ich glaube, Sie zu kennen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Nix Unanständiges!"
Pah, doof und rot - mit meiner Bombe, sag ich dir! Mein erster vollständiger Satz ihm gegenüber, obwohl ich mir mehrere Anreden und Erklärungen schon während des Fusswegs hierher überlegt habe. Nur diesen Unsinnssatz nicht. So geht es mir, wenn ich intuitiv mich auf was einlasse und dann - dieser Scheiss-Onkel!
"Sind Sie - etwa - eine Kaufhausdetektivin? - Auf der Jagd nach einem Dieb?"
Gleichzeitig, mit seiner Frage kramt er schon, nach Quittungen wohl, in seiner hellhäutigen Ledertasche.
Ich atme ein bisschen auf: "Nein-nein, lassen Sie bitte. Bitte nicht. Nur - ganz einfach ist es. Sie erinnern mich an meinen Onkel, aus Kindertagen. Oder war's schon der Opa? Von weit her, aus dem alten Livland her. Wenn kann ich da noch fragen, seit Omas Ersatzfrau (Urte, Burte, Schnurrte! - hatten die älteren Geschwister immer am Telefon ihr ins Ohr kichern dürfen, und wir hatten schallend gelacht - und uns auf das nächste Päckchen mit einer neuen Reimaufgabe gefreut) auch schon mit dem typischen Totenbrief abgemeldet war...
Gott, wie weit her! Die Stimmen, die Bilder im Kopf! Bevor Mutter mit uns Kindern wegzog vom Vater, hierhin in den Ruhrpott. Einen Onkel Martin? "Kennen Sie ihn?" Welch Gestammel! Ich breche ab - ich bin doch wohl bescheuert. Wieder so beschämt und hilflos, als Klaus damals den feuchten Fleck auf dem Ledersitz seines ganzen Stolzes sah und mich fragte - was konnt ich da schon sagen - ich zeigte auf meinen Hintern...
"Haben Sie schon selber Kinder?" fragt er mich nach einer Pause, in der ich mich weder in meiner Erinnerung an Verwandte noch in meiner Gegenwart wohl fühle, die Hand wieder am Gesäss, als Klaus sagte: "Hast du etwas die -?" obwohl der hier als Mann nicht gefährlich wirkt, nur väterlich, so einfach lieb.
"Jaja, deshalb sind wir hier in der Stadt der - Recken!" (Ja, das sagte ich! - "Wintersachen einkaufen und dann - mein Mann - der wartet ja irgendwo!"
Der Mann greift zum braunen Pappkarton, der an der dunklen, von runden Stellen verrussten Wand steht, schlägt den ineinander gesteckten Klappdeckel auf, entnimmt ihm vorsichtig einen Helm, der glänzt metallisch, ein - wirklich - ein blitzendes Schwert und einen roten Mantelfetzen in zwei Teilen, mit Druckknöpfchen, Brokat oder Samt, ein Gewebe wie aus einem Theaterfundus. "Würden Sie mich dann bitte allein lassen? Es wird jetzt Zeit für mich. Ich will mich umziehen. Und für Sie - Sie doch auch! Zeit, meine ich."
"Sind Sie - was ?" Statt verständlich zu fragen, ich geb mir ja Mühe, reagiere ich doch lieber auf seine Bitte, wiederholt sie, als er sich hinter seinem Pferd beginnt umzukleiden.
Meinen Mann, genervt, treffe ich in dem von schwülwarmer Heizungsluft durchzogenen Kaufhauseingang. Da steht er nicht gerne.
"Was blieb ihm übrig, als dumm runzustehen... Mensch, wo warst du nur, Wiltrud?? Lässt mich stehen zwischen den kaufwütigen Weibern. Ich renn hier rum wie gejagt und - und such dich wie bescheuert. Die Kinder sind mit Peter und Traudl und ihrem Sulky losgezogen über den Markt, und du fehlst ihnen. Wo warst du!"
"Wie? - Dann haben wir ja noch zehn Minuten Zeit, bis sie am Rathaus sind! Komm mit!" Ich bin mir meiner Sache sicher.
Es gelingt mir, ihn mitzuziehen. Eine kurze Erklärung, mehr nicht; ich stottere nicht mehr. Ich führe ihn auf dem kürzesten Weg zum Parkhaus am Ring, von hinten passieren wir das taumelhelle Kaufhaus.
In der Parkbox, 1. Tiefebene Nr. 25, steht ein schwarzer Mercedes, ein Dienstwagen, kenntlich am buchstabenlosen Nummernschild aus der Kreisstadt.
Nichts, kein Ring im Beton, kein abgestellter Karton. Kein Schauspieler. Bin ich denn -?
Nur die Erinnerung an diesen Sommertag, der Dreck auf dem Soziussitz, mein Scham, ich lief weg, zum Rhein runter. Am Deich versteckt ich mich in einer wandernden Schafsherde und riss Büschel des grauweissen Grases aus und fütterte das kleinste Lämmchen, ganz weiss, verstehste? Der Onkel wartete, flüsterte Worte, die mich einlullten. Kraulte mich irgendwie.
Ich muss zurück. Zurückkehren in diese Welt. Kein Wort mehr.
"Suchst du Pferdeäpfel?" höhnt mein Mann, mich von oben herab anblickend, als ich mich bücke, um unter die Nobelkarosse zu schauen.
"Hier, eingeklemmt unter der Kofferraumhaube - ein Stoffetzen! Oder was anderes von dem feinen Herrn mit den grauen Schläfen? Eine - Visitenkarte, mit Hotelangabe und Preiskalkulation für eine Stunde?"
Ich schaue erst gar nicht hin, worauf mein Mann mit spitzen Fingern und heisser Nase zeigt, und winke zum Treppenhaus hoch, zwar enttäuscht, aber zielgewiss nach oben.
"Ich weiss doch, wen ich gesehen habe! Und den kann ich Dir auch zeigen! Ich bin doch nicht -"
"Du, werd nicht mucksig! Klaro? Ach, komm, Kleines, du Rabenmutter, du Träumerin!" Doch zieht er mich lachend, mir in den Handballen kneifend, hoch in die dämmrige Abendluft. Mein Arm wir länger. Ich stehe -
Zum Rathaus am Königswall schaffen wir es hastend, ohne Diskussion, fast verödet sind hier Markt und Strassen.
Von oben, von der Freitreppe des Rohbaus für das von einigen VEBA-Knilchen gesponserte "Neue Technikum" (IT-Undsoweiter) herab entdecken wir auf dem Vorplatz unsere Kinder in Rufweite. Sie sind die letzten, die eine pralle Tüte mit einem grossen Stutenkerl aus der Hand des Vorsitzenden der Städtischen Werbegemeinschaft erhalten. Der Martin segnet sein Umfeld. Hinter ihnen bleiben mehrere Kinder in der Schlange stehen, mit offenen Armen, sie gehen leer aus, betroffen zum heiligen Mann hinaufblickend.
Ich habe keine Lust, mich anzustrengen, mich durchzudrängen, zu ihnen rüberzugehen und die Gerechte zu spielen, die Helferin. Die schwarz angemalten Ruprechte, zwei stumm grölende Knechte, und die uniformierten Feuerwehrmänner gehen Achseln zuckend zurück zum Reiter und dem Bürgermeister, der jetzt ins Mikrophon pustet: "Wie schon seit Jahrhunderten besucht uns heute in unserer schönen Stadt, hier auf dem einladenden Markt -"
Ich empfinde nur noch eine Schallwand, eine verzerrte Kulisse aus Gelichter und Geräuschen. In meinem Kopf geht der letzte Satz des Fremden im Parkhaus spazieren, die Augen versuche ich vor der Lichtfassade des Rathauses zu schliessen. Ich bin am Rhein, ich sitze auf meinem eigenen Dreck, ich wage nicht, den Onkel anzufassen, wie kann ich mich halten -
Der Mann bückte sich hinter dem Pferd, schaute freundlich zu mir auf; der Lärm des Platzes, mit Kommandos und schönen Worten, dringt in mein Ohr. Das Gesicht meines Onkels und seine Antwort, unterlegt mit Farbspiegelungen, Lichtkegeln, geschnitten ins Novembertrübe, mit hellem Lächeln und unter dem Schmirgeln der Reifen aus der Parkhausebene, erscheinen wie im Schwindel machenden Endlosband eines dröhnenden Hall-Effekts: Der Lärm und die Lichtfetzen trennen sich, vermengen sich aufs neue. Ich sehe laut und höre scharf seinen letzten Satz, dem ich davongelaufen bin: "Würden Sie mich denn erkennen, wenn ich unkostümiert beim Umzug mitmachen würde, in Zivil und zu Fuss? - Sozusagen privat?"
Ein Mann fasst mich an. Wer? Meiner. "Was ist mit dir, Wiltrud?"
Wo bin ich noch?
"Weisst du, wo die Kinder sind?"
"Bei Omi?" frag ich zurück, "vielleicht?"
"Quatsch! Kuck hin!"
"Wie, wo?"
"Da zu dem heiligen Rotmantel!"
"Seh nix!"
"Kuck höher!"
"Da? Da! Da - auf dem Schimmel? - wovon du immer geträumt hast! - Mädchen, wie ist dir?"
Gut, dass er mich in den Arm nimmt.
***
Rätselfrage...?
Die Autorin ist eine frühere Schülerin, die unter diesem Autorinnennamen nicht bekannt geworden ist.
Aber, wow: In welcher Stadt spielt diese Geschichte?
--
elfenbein
*
Dass Ilse Aichinger von mir geringschätzig grmeint sei, ist ein Missverständnis; ich habe ja nur Chris' richtige, flotte und sensible Einschätzung bestätigen wollen.
*
Als neues Rätsel eine Geschichte, die ich gerne im Unterricht habe lesen lassen; von der ich weiß, dass sie durch ein Gedicht von I.A. ausgelöst wurde.
PIA MARIA D R I S S E N
Novembertags
Ilse Aichinger:
Nachruf:
Gib mir den Mantel, Martin,
aber geh erst vom Sattel
und lass dein Schwert, wo es ist,
gib mir den ganzen.
Wie sah der doch aus - naja - wie ein Ausländer. - Eben. - Ein Asylant? - Weiss nicht. - Komm erzähl: Ein Italiener? Oder so mehr wie ein Albaner? Lederhäutig, mediterran? Äh? -
Hör zu! Also: Eine langovale, fast runde Gesichtsfläche, mit kleiner Nase und starken Backenknochen; trotzdem gross, ja stattlich, aber kein bisschen unangenehm; herrisch? nein - eher herrschaftlich, eindrucksvoll.
Er benahm sich - ja, selbstsicher, unauffällig in diesem unseren Gastland und hätte auch kaum mein Interesse gefunden, wenn er nicht für einen kurzen Moment in mir, als er mir sein fast klassisches Profil und die haarlose, hohe Stirn zeigte, die Erinnerung an einen Onkel, den Lieblingsbruder meiner Mutter, ausgelöst hätte, fern aus meiner Kindheit flog's mich an, einen Onkel Klaus oder Martin - der Name wollte mir nicht so schnell auf die Zungenspitze. Wenn der mich abholte zu einer Tour auf dem Motorrad, seiner knatternden 80er Zündapp, dem stinkenden, herrlichen Maschinchen, mit dem zweiten Sitz, Sonderausstattung, genarbte Ledersitze. Fussschaltung, Windschutzschirm, mit grüner Sonnenblende. Rollend ins frische Land, auf, zum Rhein, in die Büsche, zu den Wiesen...
Der Mann stand unentschlossen im silbrig-weiss glänzenden, lichthell aufgeputzten Kaufhaus an einem Verkaufsstand mit Unterwäsche, Trikotagen, als ich von der zweiten Etage runter zur Kinderboutique fuhr. Ich verliess, wie magisch oder automatisch, in dieser Ebene die Rolltreppe und bemerkte, schräg von oben herabblickend, dass ihm seine lichtgoldschönen Haare, leicht ergraut, in einem deutlichen Wulst, wie eingekerbt, rund um seinen Kopf lagen, als ob sich ein Helm, ein Motorradhelm, noch nachträglich abzeichnete. Aber der Mann war schon zu alt - die Idee, dieser Mustermann auf einer Kawasacki, heute etwa - wirkte belustigend.
Eher ein weises Altersgesicht, geglüht durch die Jahre, fünfzig? fast sechzig? Auch die aufrechte Haltung, heldenhaft denke ich heute, fiel mir auf. Ritterlich? Blöde Attribute. Ein Mann wie mein Onkel, der mich, bevor ich dann in die Pubertät kam, sonntags zu Spritztouren einlud, hinaus zu den Silberseen. Und Mutter packte besonders lecker geschmierte Brote ein!
Kaum auszumachen - ein verhuschtes Lächeln auf seinem Antlitz; und wohin blickte er? Ach - auf eine unschlüssig suchende Schülerin vor der Krawattenauslage, noch etwas schlacksig, die, still versonnen, frühe achtzehn, auch mich freute; so alt wie die; da findest du Männer, die dir nachlaufen, in alle Kaufhäuser!
Jetzt fährt er, etwas verlegen, mit der Linken über seinen schwitzenden Nacken, unter den blinkenden Spot-Stechern des Verkaufstisches, addiert wohl im Kopf seine Kaufwünsche, nachdenklich.
Ich beobachte unbemerkt; meine Drogeriesachen habe ich alle im Beutel; sehe, wie er warme Unterwäsche kauft, weiter einen Parka, wir sind schon am nächsten Stand, als ob's gemeinsam wäre, in einer anderen Abteilung, zwei blau-weisse Wollmützen, geringelte, dicke, gewirkte Strümpfe, einen blau-weissen, anderthalbmeterlangen Schal.
Die Artikel bezahlt er an der Sammelkasse 15 der Textilabteilung, geduldig im Gedränge mit ungeduldigen Frauen.
Mit dem herübergereichten Geldschein - einem quelligen Lappen, fiel mir auf - geht die Kassiererin, nachdem sie die Kollegin am Packtisch informiert hat, in einen Nebenraum, die zwei Spiegeltüren klappen hinter ihr nach. Langsameren Schritts, geradezu behutsam, kehrt sie zurück, entschuldigt sich süsssauer beim Kunden, verabschiedet ihn mit einem lang betrachtenden Blick, fast schon wieder freundlich, oder wie gemeint?
Ich ging dem Fremden durch die kleine, novemberlich aufgestimmte City nach; verrückt, denke ich heute, aber ich ging. Ich fühlte mich geschützt durch die Passanten. Wenn er jetzt nordwärts weitergeht, beim Lohtor gerade aus, zur Beisinger Höhe, wo die städtischen Arbeiter vor zwei Wochen die Container und die Wohnwagen aufgestellt haben. Dort würde er nochmals die Gas- und Wasseranschlüsse zu den Behausungen prüfen, die aus den vergitterten Absperrungen herausführen. Ob diese Kisten wackeln im Sturm? Ob -
Ich muss zurück. Was mache ich nur?
Die Temperaturen waren tagszuvor, wie vom Essener Wetterdienst gemeldet, erheblich gefallen. Feuchte Novemberluft, erfrischend kühl, winkende Atemfähnchen aus den Mündern der Hastenden, quirlig ziehende Gerüche der Brutzelstuben und lastender Gestank der Autos von dem Parkplatz her durchzogen die Strassen, vermischten sich zu einem trübsinnigen Kondensat, legten sich auf Autolack, Asphalt, Fensterscheiben, Mantelstoff und Haut der Hände und Gesichter. Auch auf meine Knochenhaut - ich streichle mein rechtes Handgelenk, das mein Onkel damals -
Auf den breiten, gedrängt vollen Fusswegen waren überraschend viele Kinder mit ihren Eltern unterwegs, vereinzelt auch an der Hand von Grossvätern und -müttern. Die Kleinsten, im Kinderwagen, und die Fünf- oder Sechsjährigen schon mal auf den Schultern ihrer Väter. Überall Laternen, fast nur Batterielichter, die keinen Ärger bei dem zugigen Wind in der Altstadt machten und keine Fackel in Brand gehen liessen.
Die Breite Strasse entlang, das schummrige Lampengässchen, an Sankt Peter vorbei und die Münsterstrasse rechts ab, über den von einer Lichtgiraffe der Freiwilligen Feuerwehr unwirklich angestrahlten Holzmarkt, der an diesem Freitag für den Parkverkehr gesperrt war.
Ich war ihm nachgegangen. Er schien es nicht eilig zu haben, im Gedränge mitlaufend konnte ich ihm ohne Schwierigkeiten folgen. Vorbei an den im Kontrast zum frühen Abend grell ausgeleuchteten Schauflächen der schreiend lockenden Läden - nur vor einem mehrfenstrigen Spielwarengeschäft mit verführerischen Dekorationen und einer glitzernden Erwachsenenwelt in Miniaturen und Nachbauten verharrte er kurz:
Eisenbahnen, wie viele, fuhren nebeneinander, übereinander, unter - Kopfschüttelnd?
Ich bin heute unsicher, ob mich meine Erinnerung nicht trügt; nein, ob kopfschüttelnd oder tief versunken, sich freuend ob alter, verschütteter Kinderträume?
Im fahlen Neon-Gefunzel des ersten Subterrasse des Parkhauses unter der Merkur-Kaufwelt spricht er mich an: "Was folgen Sie mir, junge Frau? Seit zwanzig Minuten schon!?"
(Oh Gott, so viel Zeit schon rum? Da wartet mein Mann seit einer Viertelstunde bei den Kinderstrumpfhosen im Erdgeschoss, mit meinem Einkaufszettel - und dann wollten wir zum Rathausvorplatz ziehen. Verdammt!)
Ich habe keine Antwort auf seine unvermittelte Frage und hampele von einem Fuss auf den anderen, wie ein Backfisch - (was sagte Onkel Klaus, nachdem er mich auf dem ersten Foto seiner Agfa-Box festgehalten hatte? Hippeldern? Vergiss es, Mädchen.)
Gottseidank fällt mir ein Handschuh hin.
Der Mann steht vor einer Parkbox im düsteren-schmierigen Betongrau der Unterwelt. Wendet sich dort einem Pferd zu, das den Kopf, ohne zu wiehern, ihm zudreht; nickt es freundlich? Das hellbraune Halfter ist in einem Ring verknotet, der in die Betonwand eingelassen ist. Er tätschelt dem Apfelschimmel den langglänzenden Hals: "Ruh-, ruhig, mein - ruhig breitsilbig gesprochen: Co-ad-jutor! Fein, brav! Ja, ich bin's, mein Kerl! Mein Guter!" - Pause! -
Dann zu mir: "Warum sind Sie mir gefolgt?"
Wieder seine Frage! Auch jetzt kann ich ihm seine berechtigte Frage nicht sinnvoll beantworten. "Ich hab' dich" - stottere ich, "ich glaube, Sie zu kennen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Nix Unanständiges!"
Pah, doof und rot - mit meiner Bombe, sag ich dir! Mein erster vollständiger Satz ihm gegenüber, obwohl ich mir mehrere Anreden und Erklärungen schon während des Fusswegs hierher überlegt habe. Nur diesen Unsinnssatz nicht. So geht es mir, wenn ich intuitiv mich auf was einlasse und dann - dieser Scheiss-Onkel!
"Sind Sie - etwa - eine Kaufhausdetektivin? - Auf der Jagd nach einem Dieb?"
Gleichzeitig, mit seiner Frage kramt er schon, nach Quittungen wohl, in seiner hellhäutigen Ledertasche.
Ich atme ein bisschen auf: "Nein-nein, lassen Sie bitte. Bitte nicht. Nur - ganz einfach ist es. Sie erinnern mich an meinen Onkel, aus Kindertagen. Oder war's schon der Opa? Von weit her, aus dem alten Livland her. Wenn kann ich da noch fragen, seit Omas Ersatzfrau (Urte, Burte, Schnurrte! - hatten die älteren Geschwister immer am Telefon ihr ins Ohr kichern dürfen, und wir hatten schallend gelacht - und uns auf das nächste Päckchen mit einer neuen Reimaufgabe gefreut) auch schon mit dem typischen Totenbrief abgemeldet war...
Gott, wie weit her! Die Stimmen, die Bilder im Kopf! Bevor Mutter mit uns Kindern wegzog vom Vater, hierhin in den Ruhrpott. Einen Onkel Martin? "Kennen Sie ihn?" Welch Gestammel! Ich breche ab - ich bin doch wohl bescheuert. Wieder so beschämt und hilflos, als Klaus damals den feuchten Fleck auf dem Ledersitz seines ganzen Stolzes sah und mich fragte - was konnt ich da schon sagen - ich zeigte auf meinen Hintern...
"Haben Sie schon selber Kinder?" fragt er mich nach einer Pause, in der ich mich weder in meiner Erinnerung an Verwandte noch in meiner Gegenwart wohl fühle, die Hand wieder am Gesäss, als Klaus sagte: "Hast du etwas die -?" obwohl der hier als Mann nicht gefährlich wirkt, nur väterlich, so einfach lieb.
"Jaja, deshalb sind wir hier in der Stadt der - Recken!" (Ja, das sagte ich! - "Wintersachen einkaufen und dann - mein Mann - der wartet ja irgendwo!"
Der Mann greift zum braunen Pappkarton, der an der dunklen, von runden Stellen verrussten Wand steht, schlägt den ineinander gesteckten Klappdeckel auf, entnimmt ihm vorsichtig einen Helm, der glänzt metallisch, ein - wirklich - ein blitzendes Schwert und einen roten Mantelfetzen in zwei Teilen, mit Druckknöpfchen, Brokat oder Samt, ein Gewebe wie aus einem Theaterfundus. "Würden Sie mich dann bitte allein lassen? Es wird jetzt Zeit für mich. Ich will mich umziehen. Und für Sie - Sie doch auch! Zeit, meine ich."
"Sind Sie - was ?" Statt verständlich zu fragen, ich geb mir ja Mühe, reagiere ich doch lieber auf seine Bitte, wiederholt sie, als er sich hinter seinem Pferd beginnt umzukleiden.
Meinen Mann, genervt, treffe ich in dem von schwülwarmer Heizungsluft durchzogenen Kaufhauseingang. Da steht er nicht gerne.
"Was blieb ihm übrig, als dumm runzustehen... Mensch, wo warst du nur, Wiltrud?? Lässt mich stehen zwischen den kaufwütigen Weibern. Ich renn hier rum wie gejagt und - und such dich wie bescheuert. Die Kinder sind mit Peter und Traudl und ihrem Sulky losgezogen über den Markt, und du fehlst ihnen. Wo warst du!"
"Wie? - Dann haben wir ja noch zehn Minuten Zeit, bis sie am Rathaus sind! Komm mit!" Ich bin mir meiner Sache sicher.
Es gelingt mir, ihn mitzuziehen. Eine kurze Erklärung, mehr nicht; ich stottere nicht mehr. Ich führe ihn auf dem kürzesten Weg zum Parkhaus am Ring, von hinten passieren wir das taumelhelle Kaufhaus.
In der Parkbox, 1. Tiefebene Nr. 25, steht ein schwarzer Mercedes, ein Dienstwagen, kenntlich am buchstabenlosen Nummernschild aus der Kreisstadt.
Nichts, kein Ring im Beton, kein abgestellter Karton. Kein Schauspieler. Bin ich denn -?
Nur die Erinnerung an diesen Sommertag, der Dreck auf dem Soziussitz, mein Scham, ich lief weg, zum Rhein runter. Am Deich versteckt ich mich in einer wandernden Schafsherde und riss Büschel des grauweissen Grases aus und fütterte das kleinste Lämmchen, ganz weiss, verstehste? Der Onkel wartete, flüsterte Worte, die mich einlullten. Kraulte mich irgendwie.
Ich muss zurück. Zurückkehren in diese Welt. Kein Wort mehr.
"Suchst du Pferdeäpfel?" höhnt mein Mann, mich von oben herab anblickend, als ich mich bücke, um unter die Nobelkarosse zu schauen.
"Hier, eingeklemmt unter der Kofferraumhaube - ein Stoffetzen! Oder was anderes von dem feinen Herrn mit den grauen Schläfen? Eine - Visitenkarte, mit Hotelangabe und Preiskalkulation für eine Stunde?"
Ich schaue erst gar nicht hin, worauf mein Mann mit spitzen Fingern und heisser Nase zeigt, und winke zum Treppenhaus hoch, zwar enttäuscht, aber zielgewiss nach oben.
"Ich weiss doch, wen ich gesehen habe! Und den kann ich Dir auch zeigen! Ich bin doch nicht -"
"Du, werd nicht mucksig! Klaro? Ach, komm, Kleines, du Rabenmutter, du Träumerin!" Doch zieht er mich lachend, mir in den Handballen kneifend, hoch in die dämmrige Abendluft. Mein Arm wir länger. Ich stehe -
Zum Rathaus am Königswall schaffen wir es hastend, ohne Diskussion, fast verödet sind hier Markt und Strassen.
Von oben, von der Freitreppe des Rohbaus für das von einigen VEBA-Knilchen gesponserte "Neue Technikum" (IT-Undsoweiter) herab entdecken wir auf dem Vorplatz unsere Kinder in Rufweite. Sie sind die letzten, die eine pralle Tüte mit einem grossen Stutenkerl aus der Hand des Vorsitzenden der Städtischen Werbegemeinschaft erhalten. Der Martin segnet sein Umfeld. Hinter ihnen bleiben mehrere Kinder in der Schlange stehen, mit offenen Armen, sie gehen leer aus, betroffen zum heiligen Mann hinaufblickend.
Ich habe keine Lust, mich anzustrengen, mich durchzudrängen, zu ihnen rüberzugehen und die Gerechte zu spielen, die Helferin. Die schwarz angemalten Ruprechte, zwei stumm grölende Knechte, und die uniformierten Feuerwehrmänner gehen Achseln zuckend zurück zum Reiter und dem Bürgermeister, der jetzt ins Mikrophon pustet: "Wie schon seit Jahrhunderten besucht uns heute in unserer schönen Stadt, hier auf dem einladenden Markt -"
Ich empfinde nur noch eine Schallwand, eine verzerrte Kulisse aus Gelichter und Geräuschen. In meinem Kopf geht der letzte Satz des Fremden im Parkhaus spazieren, die Augen versuche ich vor der Lichtfassade des Rathauses zu schliessen. Ich bin am Rhein, ich sitze auf meinem eigenen Dreck, ich wage nicht, den Onkel anzufassen, wie kann ich mich halten -
Der Mann bückte sich hinter dem Pferd, schaute freundlich zu mir auf; der Lärm des Platzes, mit Kommandos und schönen Worten, dringt in mein Ohr. Das Gesicht meines Onkels und seine Antwort, unterlegt mit Farbspiegelungen, Lichtkegeln, geschnitten ins Novembertrübe, mit hellem Lächeln und unter dem Schmirgeln der Reifen aus der Parkhausebene, erscheinen wie im Schwindel machenden Endlosband eines dröhnenden Hall-Effekts: Der Lärm und die Lichtfetzen trennen sich, vermengen sich aufs neue. Ich sehe laut und höre scharf seinen letzten Satz, dem ich davongelaufen bin: "Würden Sie mich denn erkennen, wenn ich unkostümiert beim Umzug mitmachen würde, in Zivil und zu Fuss? - Sozusagen privat?"
Ein Mann fasst mich an. Wer? Meiner. "Was ist mit dir, Wiltrud?"
Wo bin ich noch?
"Weisst du, wo die Kinder sind?"
"Bei Omi?" frag ich zurück, "vielleicht?"
"Quatsch! Kuck hin!"
"Wie, wo?"
"Da zu dem heiligen Rotmantel!"
"Seh nix!"
"Kuck höher!"
"Da? Da! Da - auf dem Schimmel? - wovon du immer geträumt hast! - Mädchen, wie ist dir?"
Gut, dass er mich in den Arm nimmt.
***
Rätselfrage...?
Die Autorin ist eine frühere Schülerin, die unter diesem Autorinnennamen nicht bekannt geworden ist.
Aber, wow: In welcher Stadt spielt diese Geschichte?
--
elfenbein
Erst schickst Du einen durch das Feuerwehr-Foto in die "Wüste" (sprich Erding/Bayern). Aber dann - handelt es sich um Minden? Ich hab's getestet: Minden hat auch einen St. Peter Dom und einen Königswall, ha!! Und Deine Pia Maria heisst Stephanie, gelle? Und im übrigen ist ihre Geschichte fesselnd, nicht nur, aber vor allem zur Weihnachtszeit... Und das Aichinger-Gedicht konnte ich ja nicht reinsetzen, dann kannst Du gleich den Namen dazu sagen.
Sonnige Grüsse. Und nicht, dass Du denkst, zur Strafe müßte ich nun wieder ein Rätsel anbieten. Enigma, Chris, Ursula - wo seid Ihr??
--
emma7
Sonnige Grüsse. Und nicht, dass Du denkst, zur Strafe müßte ich nun wieder ein Rätsel anbieten. Enigma, Chris, Ursula - wo seid Ihr??
--
emma7
Emma,
Minden und Rathaus am Königswall hab ich auch gefunden, aber auf der Suche nach Pia Maria, hab ich wohl auf den falschen Seiten gesucht! (
Werde aber mal versuchen am Nachmittag was hier reinzustellen, muss nur erst nochmal
nach-googeln!
--
chris
na, dann will ich es mal wagen.
Der Dichter ist geboren im 18.Jahrhundert. Die Liste seiner Gedichte ist sehr lang.
Viele der Gedichte wurden auch vertont so z.B. von Brahms,Mozart,Schubert u.v.a.
Sicher wisst ihr gleich, wen ich suche!
--
chris
Hallihallo,
hier bin ich auch wieder.
Ich glaube, dass ich die Stadt kenne. Und darum möchte ich nichts dazu sagen, aber vielleicht Euch den Hinweis geben, mal mehr mitten im Ruhrpott zu suchen (ich hoffe, dass das jetzt nicht irreführend ist und ich mich nicht täusche).
Elfenbein, wenn ich jetzt Quatsch geredet habe, darfst Du mir einen leichten virtuellen Schlag auf den Hinterkopf versetzen. Der erhöht ja bekanntlich das Denkvermögen.
)
Und nun wieder ein Rätsel für die Rätselfreund/Innen:
Steckbrief:
Gesucht wird: Schriftsteller/in
Geboren: Ende des 19. Jahrhunderts
Schulbesuch:
Er/Sie verließ die Schule früh und hielt sich mit verschiedenen Aushilfstätigkeiten über Wasser.
In einer Tätigkeit sammelte er/sie Erfahrungen , die später in seine/ihre Bücher eingeflossen sind.
Er/sie arbeitete auch in der Werbeindustrie.
Veröffentlichungen:
Kurzgeschichten
Romane
Veröffentl. In Zeitschriften
Mitwirkung an Drehbüchern
(einige seiner/ihrer Bücher wurden verfilmt)
Beziehungen/Ehe/Familie;
Mir ist nur eine Beziehung zu einem Dramatiker/einer Dramatikerin bekannt, die allerdings bis zu seinem/ihrem Lebensende hielt.
Politische Überzeugungen:
Er/sie stand weit links und erhielt später durch diese (gelebte) Überzeugung in seinem - wieder mal englischsprachigen - Heimatland massive Probleme.
Er/sie starb verarmt an einer schweren Krankheit.
Wisst Ihr, wen ich meine?
Sonst kann ich noch einen Tipp geben, der etwas mehr, aber hoffentlich nicht alles über den/die Gesuchte verrät!
Bis dann.
PS
Ich bin dann auch gespannt auf das Rätsel, das Chris ausbaldowert.
)
--
enigma
hier bin ich auch wieder.
Ich glaube, dass ich die Stadt kenne. Und darum möchte ich nichts dazu sagen, aber vielleicht Euch den Hinweis geben, mal mehr mitten im Ruhrpott zu suchen (ich hoffe, dass das jetzt nicht irreführend ist und ich mich nicht täusche).
Elfenbein, wenn ich jetzt Quatsch geredet habe, darfst Du mir einen leichten virtuellen Schlag auf den Hinterkopf versetzen. Der erhöht ja bekanntlich das Denkvermögen.
)
Und nun wieder ein Rätsel für die Rätselfreund/Innen:
Steckbrief:
Gesucht wird: Schriftsteller/in
Geboren: Ende des 19. Jahrhunderts
Schulbesuch:
Er/Sie verließ die Schule früh und hielt sich mit verschiedenen Aushilfstätigkeiten über Wasser.
In einer Tätigkeit sammelte er/sie Erfahrungen , die später in seine/ihre Bücher eingeflossen sind.
Er/sie arbeitete auch in der Werbeindustrie.
Veröffentlichungen:
Kurzgeschichten
Romane
Veröffentl. In Zeitschriften
Mitwirkung an Drehbüchern
(einige seiner/ihrer Bücher wurden verfilmt)
Beziehungen/Ehe/Familie;
Mir ist nur eine Beziehung zu einem Dramatiker/einer Dramatikerin bekannt, die allerdings bis zu seinem/ihrem Lebensende hielt.
Politische Überzeugungen:
Er/sie stand weit links und erhielt später durch diese (gelebte) Überzeugung in seinem - wieder mal englischsprachigen - Heimatland massive Probleme.
Er/sie starb verarmt an einer schweren Krankheit.
Wisst Ihr, wen ich meine?
Sonst kann ich noch einen Tipp geben, der etwas mehr, aber hoffentlich nicht alles über den/die Gesuchte verrät!
Bis dann.
PS
Ich bin dann auch gespannt auf das Rätsel, das Chris ausbaldowert.
)
--
enigma
hallo Chris,
da haben wir uns ja sozusagen "gekreuzt".
Könntest Du eventuell Wilhelm Müller meinen?
--
enigma
da haben wir uns ja sozusagen "gekreuzt".
Könntest Du eventuell Wilhelm Müller meinen?
--
enigma
Enigma,
das kann immer mal passieren, aber Wilhem Müller meine ich nicht!
Ich werde mich gleich mal an deiner Frage versuchen"
--
chris