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Literatur Künstler-Gedenken

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied



Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.
(Søren Aabye Kierkegaard)
 
Sirona
Sirona
Mitglied

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Sirona
 
 
Einsames Stübchen.jpg


Auszug aus Memoiren (1854) Heinrich Heine

In der Einleitung spricht Heine ein „fiktives Fräulein“ an, das er mit folgenden Worten auffordert seinem „Märchen des Lebens“ zuzuhören. Heine lag in den letzten 6 Jahren seines Lebens schwerkrank auf seiner „Matratzengruft“, wie er sein Krankenlager bezeichnete.


Da tritt dein holdes Bild herein, ohne daß sich die Türklinke bewegt, und du lagerst dich auf das Kissen zu meinen Füßen. Lege dein schönes Haupt auf meine Kniee und horche, ohne aufzublicken.
Ich will dir das Märchen meines Lebens erzählen. Wenn manchmal dicke Tropfen auf dein Lockenhaupt fallen, so bleibe dennoch ruhig; es ist nicht der Regen, welcher durch das Dach sickert. Weine nicht und drücke mir nur schweigend die Hand.

Ort und Zeit sind auch wichtige Momente: ich bin geboren zu Ende des skeptischen achtzehnten Jahrhunderts und in einer Stadt, wo zur Zeit meiner Kindheit nicht bloß die Franzosen sondern auch der französische Geist herrschte. Die Franzosen, die ich kennenlernte, machten mich, ich muss es gestehen, mit Büchern bekannt die sehr unsauber und mir ein Vorurteil gegen die ganze französische Literatur einflößten. Ich habe sie auch später nie so sehr geliebt, wie sie es verdient, und am ungerechtesten blieb ich gegen die französische Poesie, die mir von Jugend an fatal war.

Daran ist wohl zunächst der vermaledeite Abbé Daunoi schuld, der im Lyzeum zu Düsseldorf die französische Sprache dozierte und mich durchaus zwingen wollte französische Verse zu machen. Wenig fehlte, und er hätte mir nicht bloß die französische, sondern die Poesie überhaupt verleidet. Der Abbé Daunoi, ein emigrierter Priester, war ein ältliches Männchen mit den beweglichsten Gesichtsmuskeln und mit einer braunen Perücke, die sooft er in Zorn geriet eine sehr schiefe Stellung annahm. 
So denke ich jetzt und so fühlt ich schon als Knabe, und man kann sich leicht vorstellen, daß es zwischen mir und der alten braunen Perücke zu offnen Feindseligkeiten kommen mußte, als ich ihm erklärte, wie es mir rein unmöglich sei, französische Verse zu machen. Er sprach mir allen Sinn für Poesie ab und nannte mich einen Barbaren des Teutoburger Waldes.
Ich denke noch mit Entsetzen daran, daß ich aus der Chrestomathie des Professors die Anrede des Kaiphas an den Sanhedrin aus den Hexametern der Klopstockschen „Messiade“ in französische Alexandriner übersetzen sollte! Es war ein Raffinement von Grausamkeit, die alle Passionsqualen des Messias selbst übersteigt, und die selbst dieser nicht ruhig erduldet hätte. Gott verzeih; ich verwünschte die Welt und die fremden Unterdrücker, die uns ihre Metrik aufbürden wollten, und ich war nahe dran ein Franzosenfresser zu werden.
Ich hätte für Frankreich sterben können, aber französische Verse machen – nimmermehr!
Durch den Rektor und meine Mutter wurde der Zwist beigelegt. Letztere war überhaupt nicht damit zufrieden, daß ich Verse machen lernte, und seien es auch nur französische. Sie hatte nämlich damals die größte Angst, daß ich ein Dichter werden möchte; das wäre das Schlimmste, sagte sie immer, was mir passieren könne.

____________



Es wäre wirklich sehr schade gewesen, wenn Heines Mutter ihre Vorstellungen, aus Heine einen tüchtigen Beamten machen zu wollen, in Erfüllung gegangen wären. Die Begriffe die man damals mit dem Namen „Dichter“ verknüpfte, waren nicht sehr ehrenhaft, ein Poet galt als ein zerlumpter, armer Teufel, der für ein paar Taler ein Gelegenheitsgedicht verfertigt und am Ende im Hospital stirbt. Davor hatte Heines Mutter große Angst - dass dies ihrem geliebten Sohn passieren könnte.




 
RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Sirona vom 29.03.2019, 07:52:46
Wir haben immer wieder dankbar zu sein, liebe Sirona,
ich danke Dir auch.

vanGogh.jpg
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Clematis
 

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RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.03.2019, 07:51:45

Neulich habe ich gelesen, dass wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge beim Betrachten der Bilder großer Maler im Gehirn noch andere Areale aktiviert werden als nur die gewöhnliche "Sehzone". Vergleichbar wäre das in etwa mit meditativen Erfahrungen. Ich glaube, für die Bilder von van Gogh gilt das in besonderer Weise. Die machen etwas mit einem, nicht wahr?

Ela48
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RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Ela48
als Antwort auf Roxanna vom 25.03.2019, 08:07:06

Mir gefallen die Worte ungemein gut!
Ela

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Ela48 vom 30.03.2019, 08:24:50
Mir gefallen die Worte ungemein gut!
Ela
Liebe @Ela,

ein Tipp:
Wenn Du jemandem antworten willst, kannst du es so
@Roxanna machen.

Dieses @ macht den Empfänger darauf aufmerksam, dass
er angeschrieben wurde.
Es sei denn, Du zitierst, wie ich jetzt bei Dir.

lieben Gruß
Clematis

 

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Ela48
Ela48
Mitglied

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Ela48
als Antwort auf wolke07 vom 25.03.2019, 23:21:14
Hermann Hesse, Das Glasenperlenspiel
Die Stufen:


Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit ...

Stufen ist der Titel eines der bekanntesten, philosophischen Gedichte von Hermann Hesse. In Stufen beschreibt Hesse das Leben als fortwährenden Prozess, bei dem auf jeden „durchschrittenen“ Lebensabschnitt (Raum, Stufe) ein neuer Lebensabschnitt folgt.

1458106220_16503ffede_o (1).jpg
S. Guilio - Lago- d ´Iseo - Italien - Italy
Ela48
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RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Ela48
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.03.2019, 08:30:17

Ok, danke für den Tipp
Ela

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 30.03.2019, 08:06:54
Neulich habe ich gelesen, dass wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge beim Betrachten der Bilder großer Maler im Gehirn noch andere Areale aktiviert werden als nur die gewöhnliche "Sehzone". Vergleichbar wäre das in etwa mit meditativen Erfahrungen. Ich glaube, für die Bilder von van Gogh gilt das in besonderer Weise. Die machen etwas mit einem, nicht wahr?
Allerdings, liebe Silberweide, guten Morgen!
Da wir ja bei den Naturwissenschaftlern keine Seele mehr haben, grubeln sie im Hirn rum und suchen Erklärungen.
Muss auch sein, sie werden irgendwann in ferner Zukunft auch noch drauf kommen:
Die Seele empfindet, und WAS sie empfindet, wird durch unser Wunderwerk Hirn uns bewusst.

Das Hirn ist nur der Spiegel, nicht der Verursacher.
Die Empfindungen kommen wo ganz anders her.
Wenn ich in den  Spiegel schau, sehe ich dasselbe Bild, das es auch in der Wirklichkeit gibt, aber es ist nur ein Spiegelbild. Der Ursprung, das Reale, steht davor.

Dir einen frohen Tag und
einen lieben Gruß
Ingeborg



 
RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Ela48 vom 30.03.2019, 08:33:33
@Ela,

bitte, nicht Hermann Hesse-Gedichte einstellen.

Ich will es wieder mal - für Alle - erklären:


Es geht um das Coprhight. Dieses gilt 70 Jahre.
Wir dürfen also nur Dichter hier veröffentlichen, die
vor 1949 verstorben sind.

Ich weiss nun nicht, ob Du den Admin bitten möchtest, dieses
wundervolle Stufen-Gedicht zu löschen.

herzlichen Gruss
Clematis



 

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