Literatur An diesem Dienstag Wolfgang Borchert
Der Krieg in der Ukraine hat mich veranlasst, mich wieder mit dem mir aus meiner Schulzeit bekannten Autor Wolfgang Borchert zu befassen. In der nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Sammlung von Erzählungen „An diesem Dienstag” stellt Borchert die Schrecken des Krieges in einem oft sehr prägnanten und bisweilen lakonischen Stil dar, indem er in den miteinander verbundenen Erzählungen das oft schein-bar normale, relativ angenehme oder banale Alltagsleben deutscher Zivilisten im II. Weltkrieg dem grau-envollen Kriegserlebnis der deutschen Soldaten in der Sowjetunion gegenüberstellt.In diesen Erzäh-lungen vernachlässigt der Autor nicht das Leid sowjetischer Zivilisten und Soldaten,auch wenn der Schwer-punkt auf den unbewältigten traumatischen Erlebnissen deutscher Soldaten liegt. Am Beispiel einer Leh-rerin wird in einer Erzählung auch die Indoktrination von Schülern sehr deutlich und symbolisch erfasst. Die zurückgekehrten deutschen Soldaten haben ihren Lebensmut verloren und quälen sich mit berechtigten Gewissensbissen hinsichtlich getöteter Russen. Der Stil Borcherts ist geprägt durch kurze oder verkürzte Sätze, viele Metaphern, prägnante Schlüssel-wörter und im weitesten Sinne durch eine sehr bildliche Sprache, die sich deutlich von vielen heute übli-chen Schreibstilen abhebt und den Leser zu einer besonders emotionalen und zum ständigen Nachdenken anregenden Lektüre veranlasst. Es stellt sich die Frage, ob diejenigen, die heute den Ukraine-Krieg als beteiligte oder unbeteiligte Zivilisten oder Soldaten miterleben, von der in Borcherts Erzählungen sehr klar erfassten Absurdität des Krieges und ihren negativen psychischen, physischen und politischen Folgen lösen können angesichts der auf beiden Seiten erkennbaren und offenbar momentan kompromisslosen Legitimationsversuche. Dass Borchert sich vor allem konzentriert auf die Soldaten eines Aggressors(NS-Deutschland), wirft, wenn man den Vergleich wagt, die interessante Frage auf, was der Krieg in der Ukraine jetzt und langfristig für russische Soldaten und Zivilisten bedeutet, nicht nur für die ukrainischen Opfer.