Latein "Tempus fugit" - "Carpe diem" / Ein Austausch über lateinische Sentenzen
Man braucht nicht wie ich schon über 80 sein, um mehr und mehr das Gefühl zu haben, dass die Zeit "rennt", im Lateinischen "flieht". Auch dass man die Gelegenheit, lat. den Tag, ergreifen muss. Es könnten nicht mehr Tausende kommen! Zu diesem Lebensgefühl, dem der antike Mensch genau wie wir mit zunehmendem Alter unterworfen war, gibt es, glaube ich, noch andere Beispiele, an die sich Freunde des Lateins erinnern könnten. Also bringt sie hier ein!
Andere Themen wären Klagen über die heutigen Sitten und Zustände in Form von Sentenzen. Bekanntlich beklagte sich der Philosoph Sokrates im antiken Griechenland schon über die Zucht- und sittenlosigkeit der damaligen Jugend. Und römische Tugendwächter verwiesen auf die "mores maiorum", die Gesittung der Altvorderen, vgl. deutsche Ableitung = Moral.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu lateinischen Sentenzen niemandem nichts (= doppelte Verneinung) einfallen könnte.
Salutat investigador
"Principiis obsta, sero medicina paratur" (Ovid)
Widerstehe den Anfängen, zu spät wird die Medizin bereit gehalten.
Was sollte ich mir (lateinische) Sorgen um die Zukunft meiner Nachkommen machen; die machen sich bei mir ja nicht mal unlateinische! ):-((
"ein im richtigen moment angebrachtes lateinisches zitat kann etwas bewirken. entweder versteht es der gegenüber oder falls nicht, steigst du in seinem ansehen.".
Wer zeigen will, dass er die klugheit gepachtet hat, der prahlt gerne mit den redewendungen der alten römer.
narürlich im lateinischen original.
chris33
Du, nütze die Zeit, noch blühen Dir die Tage der Jugend: Doch nicht langsamen Schritts gleitet sie flüchtig dahin! (Tibull)
Das habe ich natürlich aus dem Netz geholt. Zuerst dachte ich, bei Marc Aurel oder Horaz findet man immer was, aber dann stolperte ich über dieses passende Zitat, obwohl ich Tibull und überhaupt die Dichter der augusteischen Epoche so gut wie gar nicht kenne.
Was mich nun interessieren würde: Wie stellst Du Dir den Austausch über lateinische Sentenzen genau vor? Es ist doch dabei bestimmt nicht nur ans Zusammentragen gedacht, oder?
Liebe Chris,
das Prahlen kann dann auch leider gründlich schief gehen.
Ich kann mich an die Rede eines Schulleiters erinnern, der Juvenals "mens sana in corpore sano" (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) zitieren wollte und sich dabei völlig verheddert hat, bis ihm einer der Zuhörer mit den richtigen Worten zu Hilfe kam.
Aber nun ernsthaft: Griechen wie Römer waren Meister darin, wichtige Einsichten kurz und prägnant zu formulieren.
Gerade die Zitate zur Zeit, die Investigador vorgeschlagen hat, zeigen, dass sich schon die Menschen der Antike intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben.
Aus Senecas Schrift de brevitate vitae (Die Kürze des Lebens) stammt der bekannte Satz:
Non exiguum temporis habemus, sed multum perdidimus.
Nicht wenig Zeit haben wir, aber viel vergeuden wir.
Vielleicht mögen ja einige die ganze Abhandlung auf Lateinisch oder Deutsch lesen und hier darüber diskutieren.
Zu der Aufforderung carpe diem von Horaz (Genieße den Tag, wörtlich: pflücke den Tag) habe ich einen neue Verwenung des alten Ratschlags in einer Autobahnraststätte gelesen und fotografiert:
Margit
Ich habe den Seneca-Text gelesen und muss gestehen, dass ich mit der Übersetzung nicht ganz zurecht kam. Zum Beispiel der zweite Absatz:
"Noch ist es lediglich die allgemeine Herde und die gedankenlose Menge, die beklagt, was ist, wie Männer es dagegen als ein Universalübel erachten; Das selbe Gefühl hat auch die Beschwerde von Männern hervorgerufen, die berühmt waren."
Ich errate schon ungefähr den Sinn, aber sprachlich kann man das so doch kaum verstehen, oder?
Hallo chris33,
die von Dir zitierten Aussprüche müssen auch schon sehr alt sein. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich überhaupt einmal Gelegenheit gehabt hätte, in den Zirkeln, in denen ich mich später bewegt habe, ein lateinisches Zitat loszuwerden. Es hätte einfach niemand als Latein erkannt. Einzige Ausnahme: meine Studentenverbindung. Und dort hatte es auch immer schon eine ironische Klangfarbe. So in dem Sinne: Schöner Cantus ex est. Omnes ad sedes. Colloquium. Ein Speziallatein, das die Römer als barbarisch klassifiziert hätten.
investigador salutat
Hallo Investigator, über eine kurze Antwort auf meine zwei Fragen würde ich mich ebenfalls freuen, damit ich weiß, dass ich hier "angekommen" bin ...
Einen schönen Sonntag wünscht
Rani Silberweide
Liebe Silberweide,
Du hast die deutsche Übersetzung der Webseite Lateinheft.de zitiert. Auch mir blieb der Sinn der Übersetzung unverständlich. Das liegt aber nicht daran, dass Seneca Unsinn schrieb, sondern an den mangelnden Lateinkenntnissen des Übersetzers.
Hier ist meine Übersetzung und ich hoffe, dass Seneca nun etwas verständlicher wird. Bei Fragen stehe ich gern zur Verfügung.
Seneca, de brevitate vitae
Seneca, Die Kürze des Lebens
I.1 Maior pars mortalium, Pauline, de naturae malignitate conqueritur,
Der größere Teil der Menschen, Paulinus, klagt über die Bösartigkeit der Natur,
quod in exiguum aevi gignimur,
weil wir in einen kurzen Zeitraum der Ewigkeit hinein geboren werden,
quod haec tam velociter, tam rapide dati nobis temporis spatia decurrant,
(und) weil diese Dauer der uns gegebenen Zeit so geschwind,
so rasend schnell verrinnt,
adeo ut exceptis admodum paucis ceteros in ipso vitae apparatu vita destituat.
so sehr (schnell), dass das Leben - mit Ausnahme von nur wenigen - die übrigen gerade mitten in der Gestaltung ihres Lebens verlässt.
Nec huic publico, ut opinantur, malo turba tantum et imprudens vulgus ingemuit;
Und nicht nur die Masse und das dumme Volk stöhnte über dieses allgemeine, wie man meint, Übel.
Clarorum quoque virorum hic affectus querellas evocavit.
Dieser Zustand rief auch die Klagen von berühmten Männern hervor.
Seneca schrieb "Über die Kürze des Lebens" mit 48 Jahren im Jahr 49. n. Chr. Der Adressat der Schrift, Paulinus, war ein Freund Senecas und ein hoher römischer Beamter, zu dessen Amtsaufgaben auch die Getreideversorgung Roms gehörte. Seneca war in zweiter Ehe mit einer Paulina verheiratet, Paulinus könnte also der Schwiegervater oder Schwager gewesen sein.
Margit
Liebe Forenmitglieder,
besonders diejenigen, die mich auch noch persönlich angeschrieben haben!
Nehmt es mir nicht übel, ich fühle mich inzwischen wie der bekannte Zauberlehrling, der etwas in Gang gestzt hat, das er nicht beherrschen kann. Insbesondere zeitlich - tempus fugit -, ich bin in den Händen der Ärzte, morgen der nächste Termin. Und mit meinen 81 Jahren beherrsche ich hier die Technik auch nicht mehr oder noch nicht. Es ist vorgekommen, dass ich eine längere Epistel verfasst hatte und dann am Ende auf der Tastatur nicht genau mit dem Finger gezielt hatte. Und alles war weg. Wegen des Frusts habe ich dann längere Zeit nicht in den Seniorentreff hineingeschaut,
Ich habe das Latein-Forum ins Leben gerufen, bin aber eigentlich nicht dazu berufen. Zwar riet man mir nach 9 Jahren Latein- und 6 Jahren Griechischunterricht am Humanistischen Gymnasium zum Studium der Altphilologie oder der evangelischen Theologie - ich bräuchte dann nur noch Hebräisch zu erlernen -, aber heraus kam dann ein WISO-Studium. Nur manchmal dachte ich: Da war doch noch was? Und so gab ich dann mal in die Suchmaschine "Latein als Hobby" ein. Ich landete beim Seniorentreff - eigentlich treffe ich mich lieber mit Jüngeren - bei einem Beitrag "Latein ist mein Hobby" von einem gewissen "crassus". Der Beitrag war von 2009. Weitere Beiträge von ihm gab es nicht zu entdecken. Nun, nicht in jedem Heim werden PC-Arbeitzplätze zur Verfügung gestellt. Oder es heißt gar "Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere ..." aus "Gaudeamus igitur". Gesundheitlich bedingt, ist es auch bei mir möglich, dass längere Pausen eintreten werden oder ich ganz zum Verstummen komme.
Ich habe auch noch anderweitige ehrenamtliche Verpflichtungen, und zwar bei Amnesty International, für deren Organisation ich seit 30 Jahren tätig bin, zuletzt etwas überlagert durch Flüchtlingshilfe.
Bei den Sentenzen wäre mir bald der Stoff ausgegangen. Ich freue mich, dass andere, sogar wirklich vom Fach, den Staffelstab von mir aufgenommen haben.
Schade wär's, wenn ich wieder eine falsche Taste erwischte.
Salutat investigador = span. Ermittler, Forscher
(Spanisch ist die einzige Sprache, die ich mir einbilde, in Wort und Schrift wirklich zu beherrschen.)