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Verlage im Netz: Nicht so schutzlos wie behauptet
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Dieser Beitrag wurde dem Blog iRights.info von Matthias Spielkamp entnommen
Die Verlage wollen das Urheberrecht im Netz verschärfen. Den Urhebern, den sie ihre Rechte abnötigen, nützt das nicht – und es geht am Kern des Problems vorbei.
Vor fast 220 Jahren, am 28. Mai 1794 schloss Friedrich Schiller einen bemerkenswerten Vertrag mit seinem Verleger Johann Friedrich Cotta. Es ging um die Veröffentlichung von Werken Schillers im Literaturmagazin Die Horen. Der Vertrag sicherte Schiller Vorschüsse, Lizenzgebühren und Optionen zu, außerdem enthielt er eine Klausel zum Schutz von Schillers Persönlichkeitsrecht. Absatz 5 garantierte dem Autor, über Änderungen an seinem Text, die vom Redaktionskollegium gewünscht sind, selbst entscheiden zu dürfen. In den Horen abgedruckte Texte durften erst nach Ablauf von vier Jahren anderswo veröffentlicht werden (Absatz 8). Absatz 15 garantierte den Beteiligten (Autor, Redaktion) einen Anteil an den Einnahmen, sollte eine Ausgabe mehr als 2000 Mal verkauft werden. Heute würde man das die Bestsellerklausel nennen.
Warum ist dieser Vertrag bemerkenswert? Weil es 1794 kein gesetzlich verbrieftes Urheberrecht in Württemberg gab, wo die Cotta’sche Buchhandlung ihren Sitz hatte. Dennoch konnte Schiller einen Vertrag abschließen, der ihn besserstellte, als die meisten der Verträge, auf die sich heute Autoren einlassen (müssen). Und das, obwohl immer wieder das Urheberrecht verschärft wird, um die Urheber besser zu schützen und damit besser zu stellen. Vermeintlich. Denn tatsächlich wird das Urheberrecht seiner Funktion, dem Urheber die Grundlage dafür zu verschaffen, sich mit seinen Schöpfungen ein Auskommen zu sichern, nicht gerecht. Eine durchaus berechtigte Frage ist, ob das Urheberrecht ihr je gerecht wurde. Doch hier soll es nur um die Gegenwart gehen und nur um eine Branche: den Journalismus.
Recht vs. gesellschaftlicher Wandel
Wie überall, wo es ums Urheberrecht geht, gibt es drei Gruppen von Akteuren, die betroffen sind: Urheber, Verwerter und Nutzer. In der Vergangenheit waren nur die ersten beiden vom Urheberrecht betroffen, da nur sie etwas getan haben, was durch das Urheberrecht reguliert wird: Sie haben Werke – also Musik, Film, Foto, Text etc. – veröffentlicht, aufgeführt, öffentlich angeboten und weiteres. Das hat sich durch Digitalisierung und Internet fundamental verändert. Jeder Nutzer von PC und Internet kann Werke verlustfrei kopieren und zu minimalen Kosten verbreiten. So sind also Menschen auf den Plan getreten, die bei Facebook ein Video veröffentlichen, in ihrem Weblog einen Text kopieren, in einen Beitrag in einem Diskussionsforum ein Foto einbauen, das sie aus dem Netz geladen haben. All das mit der Vorstellung, etwas Privates zu tun. Doch dieses vermeintlich Private ist öffentlich im Sinne des Urheberrechts. Ein Eldorado für Abmahnwellen und Nährboden für eine Verachtung des Urheberrechts, das scheinbar nur dazu dient, zu verhindern, statt zu schaffen.
Wer darauf antwortet, dass nicht jeder ein Künstler sei, der ein „geklautes” Foto in sein Blog stellt, verkennt den Kern des Problems. Der darin besteht, dass sich das Verhalten von Menschen verändert, wenn sich die Möglichkeiten ändern. Und damit offenbar wird, dass das Urheberrecht, das wir haben, den Anforderungen der digitalen Ära nicht gerecht wird. Denn es ist ja das Urheberrecht selbst, das jedem, der ein Foto in sein Blog stellt, seinen Regulierungsanspruch aufzwingt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir es nicht mit einem technologischen Wandel zu tun haben, sondern mit einem von Technologie getriebenen gesellschaftlichen Wandel ungeheuren Ausmaßes. Der Vorwurf, die Nutzer wollten sich ja nur kostenlos bedienen, geht daher fehl. Er trägt auch nichts dazu bei, die Anerkennung, auf der Recht immer beruhen muss, zu stärken.
Ausverkauf bei den Urhebern
Diese Anerkennung ist auch in der Gruppe der Urheber, also der Journalisten, in Gefahr. Und zwar deshalb, weil ihre Vertragspartner, die Verlage, selbst die größten Urheberrechtsverletzer sind. Der Fachbegriff dafür heißt treffend „Total Buyout”, also Totalausverkauf von Verwertungsrechten. Damit versuchen Verlage, ihren freien Mitarbeitern sämtliche Verwertungsrechte an ihren Beiträgen abzuzwingen – oft genug gegen das Gesetz. Rahmenverträge und allgemeine Geschäftsbedingungen – oder Teile davon – der Verlage und Zeitungen Axel Springer, Zeit, Bauer, Gruner+Jahr, WAZ, Süddeutsche Zeitung, Südkurier, Ruhr Nachrichten, Nordkurier, Braunschweiger Zeitung und Mittelbadische Presse sind von Gerichten kassiert worden, nachdem die Journalistengewerkschaften DJV und DJU/Verdi dagegen geklagt hatten. Weitere Verfahren laufen. Ohne Prozess kam es zu Einigungen bei der Lausitzer Rundschau und nach einer Unterlassungserklärung bei der Celler Zeitung. Jedoch muss man feststellen, dass in den meisten Fällen nur die allerschlimmsten Passagen gestrichen werden und den Journalisten immer noch Knebelverträge bleiben.
Nun sind die Verlage im Jahr 2002 gesetzlich verpflichtet worden, sich mit Journalistenvertretern auf sogenannte gemeinsame Vergütungsregeln zu einigen. Dieses Gesetz hatten die Verlage bzw. Zeitungen vehement bekämpft, und es ist ihnen auch gelungen, es abzuschwächen. Was dazu führte, dass es sechs Jahre Verhandlungsdauer und unzählige Runden gebraucht hat, bis es zu einer Einigung gekommen ist. Diese Einigung hat allerdings keineswegs zu angemessenen Vergütungen geführt. Denn das höchste angemessene Honorar für das Erstdruckrecht eines Leitartikels in einer Zeitung mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren beträgt 1,65 Euro pro Zeile – also in Publikationen wie der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung.
Vergütungsregeln: Eine Rechenübung
Nehmen wir – nur als Beispiel – an, Heribert Prantl wäre freier Journalist. Ein Leitartikel in typischer Länge würde ihm etwa 210 Euro einbringen. Brutto. Vor Abzug von Steuern, Sozialversicherung, Altersvorsorge und Kosten für Arbeitsmittel und Miete. Die der wahre Heribert Prantl nicht bezahlen muss, er ist ja angestellt. Die aber jeder Freiberufler bezahlen muss. Seien wir großzügig und sagen, dass ihm von den 210 Euro die Hälfte bleibt. Würde Prantl an 20 Tagen im Monat einen solchen Leitartikel schreiben, käme er auf ein Einkommen von 2100 Euro. Eine angemessene Vergütung für den Leiter des Innenressorts und Mitglied der Chefredaktion der SZ? Das jedoch war ein Beispiel für den höchsten Satz aus den Vergütungsregeln. Das niedrigste angemessene Honorar liegt bei 38 Cent pro Zeile. Ein Text in der Länge, die im vorigen Beispiel zugrunde gelegt wurde, wäre dann 48 Euro und 85 Cent wert. Noch einmal: Das ist das Honorar, auf das sich Journalistengewerkschaften und Verleger geeinigt haben, unter dem Schutz des Urheberrechts.
Doch damit nicht genug: Wenn die Vereinbarungen geschlossen sind, sind sie nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Mediafon, ein Informationsangebot von Verdi, meldete am 13. April 2011: „Alle Zeitungen im Osten ignorieren das Urheberrecht. Sämtliche Tageszeitungsverlage in den neuen Bundesländern setzen sich systematisch über das Urheberrechtsgesetz hinweg, indem sie ihren freien Mitarbeitern durchgängig unangemessen niedrige Honorare bezahlen.” Es ist davon auszugehen, dass es im Westen bei den Zeitungen, die vorher schlechte Honorare gezahlt haben, keinen Deut besser ist.
Es bleibt also festzuhalten: Verlage verletzen massenhaft das Urheberrecht, und das Urheberrecht schützt die Urheber nicht in ihren Verhandlungen mit den Verlagen. Und doch besitzen die Verleger die Chuzpe, in jeder Runde, in der das Bundesjustizministerium das Urheberrecht reformiert, für ein starkes Urheberrecht zu plädieren. Warum? Weil sie verstanden haben, dass es ihren Interessen weit mehr dient als denen der Urheber.
Leistungsschutzrecht: Mehr Schaden als Schutz
Denn all die Verwertungsrechte, die die Verlage sich von den Urhebern übertragen lassen, sind ebenfalls durch das Urheberrecht geschützt. Da trifft es sich gut, dass man sich den Anstrich geben kann, für die Urheber zu kämpfen, und tatsächlich geht es um die eigene Kasse. Doch das Urheberrecht allein reicht den Verlegern nicht mehr. Seit etwa drei Jahren gibt es eine Forderung der Presseverlage, die in Fachkreisen eine Menge Aufmerksamkeit, geradezu Aufruhr erregt hat: die Forderung nach einem Presseverleger-Leistungsschutzrecht.
Leistungsschutzrechte sind mit dem Urheberrecht verwandt, aber im Kern etwas anderes. Sie schützen keine persönlichen geistigen Schöpfungen, sondern die Leistung des sogenannten Werkmittlers. Das ist zum Beispiel eine Filmproduktionsfirma. Dieser Firma hat der Gesetzgeber ein eigenes Recht zugestanden, weil er der Ansicht war, dass sie eine Leistung erbringt, die durch das Gesetz geschützt werden sollte – also etwa die Leute zusammen zu bekommen, die einen Film erstellen, und das finanzielle Risiko einzugehen, den Film zu drehen. Diesen Schutz möchten nun auch die Presseverleger. Sie begründen das damit, dass sich durch Internet und Digitalisierung die Situation der Verlage grundlegend verändert habe und ihre Investitionsleistung – also das Verlegen von Zeitungen und Zeitschriften – vom Gesetz geschützt werden müsse. Wovor? Vor der Übernahme ihrer Inhalte durch Dritte.
Verlage im Strukturwandel
Wenn es darum geht zu erklären, warum Presseverlage in Schwierigkeiten geraten, hört man von Verlegern wie Hubert Burda, die Unternehmen seien „schutzlos im Internet”, und das sei eine Situation, an der der Gesetzgeber etwas ändern sollte. Beides ist falsch. Betrachtet man die Situation der Verlage unvoreingenommen, lassen sich drei fundamentale Probleme ausmachen, mit denen sie durch die Digitalisierung konfrontiert sind:
Im Jahr 2010 lag der Gesamtumsatz der Tageszeitungen, also die Einnahmen aus Verkauf und Werbung, noch bei 8,5 Milliarden Euro, 1997 hatte er 9,5 Milliarden Euro betragen. Der Umsatz ging also in diesen 13 Jahren um mehr als 10 Prozent zurück, während das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 25 Prozent stieg. Man kann all das beklagen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber selbst die Verleger, die es beklagen, sollten zur Kenntnis nehmen, dass es nichts mit dem Urheberrecht zu tun hat, und sich Strategien überlegen, wie man diesen Entwicklungen unternehmerisch begegnet.
„Raubkopien” werden aufgebauscht
Presseverleger tun das Gegenteil. Sie tun so, als würden sie Opfer von „Piraten” und „Raubkopierern”. Diese Piraten raubkopieren alles, was nicht niet-und nagelfest ist. Zum Beispiel Filme und Musik, Software und E-Books, Computerspiele und Zeitungsartikel. Zeitungsartikel? Hat jemand schon einmal von einer Tauschbörse für Zeitungsartikel gehört? Einem Megaupload für die FAZ, die Süddeutsche Zeitung bei Rapidshare? Nicht kino.to, sondern zeitung.to, wo die Angebote von Welt Online und Spiegel Online und Focus Online kostenlos abrufbar sind? Eine absurde Vorstellung, dass illegale Plattformen den Verlagen Milliarden Euro an Einnahmen nehmen. Warum? Weil die Verlags-Websites bereits kostenlos im Netz stehen. Warum sollte jemand etwas illegal in einer Tauschbörse anbieten, was jeder legal umsonst bekommen kann?
Die Zeitungsverleger versuchen sich als Trittbrettfahrer der Musik-und Filmindustrie, die in der Tat mit massenhaften Urheberrechtsverletzungen zu kämpfen haben. Christoph Keese, ehemals Journalist und nun Cheflobbyist des Axel-Springer-Verlags, schreibt: „Gewerbliche Kopisten (stehlen) oft tausende Artikel auf einmal.” Es mag sogar Einzelfälle wie diesen geben, aber zum einen sind die Verleger bis heute jeden Beleg dafür schuldig geblieben, dass das auch nur eine prozentual messbare Auswirkung auf ihre Umsätze hat. Zum anderen dient es lediglich dazu, von den tatsächlichen Problemen abzulenken. Einzelfälle sollen also hier ein Gesetz rechtfertigen, das im schlimmsten Fall die Presse- und Ausdrucksfreiheit gefährden, das Zitatrecht einschränken, die Kommunikationsfreiheit im Internet behindern und freiberufliche Journalisten noch einmal in ihrer Rechtsposition gegenüber den Verlagen schlechter stellen könnte.
Trotz aller Einwände hat erst im März der Koalitionsausschuss der Bundesregierung entschieden, das Leistungsschutzrecht einzuführen. Union und FDP hatten sich bereits 2009, ohne jegliche Kenntnis dessen, worum es sich eigentlich handelt, nach massivem Lobbying der Presseverleger die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht im Koalitionsvertrag zu eigen gemacht. Der Sturm der Entrüstung war groß, obwohl der Ausschuss eine Hauptforderung der Verleger abgelehnt hatte. Sie wollten das reine Lesen am Arbeitsplatz, eine Handlung, die nie durch das Urheberrecht reguliert wurde, erlaubnis- und vergütungspflichtig machen. Welches Ungemach nun noch droht, wird besser zu beurteilen sein, wenn ein Gesetzesentwurf vorliegt.
Wem Verschärfungen nützen
Diejenigen, die ein „stärkeres” Urheberrecht – und ein Leistungsschutzrecht – fordern, argumentieren traditionell damit, dass Urheber besser geschützt werden müssen. Doch tatsächlich hat jede Urheberrechtsreform der vergangenen Jahre dazu geführt, dass die Rechte der Urheber gegenüber den Verwertern – also ihren Vertragspartnern – nicht gestärkt, sondern geschwächt wurden. Gestärkt wurde die Position der Verwerter, die den Urhebern abgenötigten Verwertungsrechte besser gegen die Nutzer durchzusetzen. Das geschieht mit so fragwürdigen Kreationen wie dem sogenannten „Schutz technischer Maßnahmen”, der als Paragraph 95a mit der Urheberrechtsreform 2003 ins Gesetz aufgenommen wurde.
Diese technischen Maßnahmen, auf Deutsch Kopierschutz, erlauben es Rechteinhabern, digitale Werke so abzuschließen, dass auch Jahrhunderte lang geltende und eingeübte Kulturtechniken nicht mehr erlaubt sind. Das Verleihen von Büchern etwa wurde bis dahin vom Urheberrecht ausdrücklich nicht reguliert. Ein typischer Fall dafür, wie rechtstreue Nutzer ihre Rechte einbüßen, während diejenigen, die das nicht akzeptieren, den Kopierschutz weiterhin mühelos umgehen können – nun rechtswidrig, aber wirkungslos. Auf der Klaviatur der Lobbyisten wird dann das Lied der Urheber gespielt. Sie müssten vor den bösen Nutzern geschützt werden, zur Not mit Internetüberwachung und indem Nutzern der Zugang zum Netz abgeklemmt wird.
Logik der Kreativmärkte
Behauptet jemand, dass den Urhebern immer weitere Verschärfungen nichts nützten, folgt zumeist ein Aufschrei: Man wolle das Urheberrecht abschaffen, doch wovon sollen die Kreativen dann leben? Womit wir zurück bei Schillers Vertrag mit Cotta wären. Wie empirische Studien des Urheberrechtsökonomen Martin Kretschmer und seiner Kollegen gezeigt haben, ist der Markt der Kreativgüter ein „Winner takes all”-Markt: Die erfolgreichen Teilnehmer gewinnen überproportional, während die große Masse der Urheber unter dem Strich schlechter dasteht als ein Großteil der Bevölkerung – Urheberrecht hin oder her. In seinem Aufsatz „The Relationship Between Copyright and Contract Law” (PDF) zieht Kretschmer den Schluss: Die Erfolgreichen sind deshalb in der Lage, lukrativere Verträge abzuschließen als die Nobodys, weil sie prominenter sind, nicht, weil sie das Urheberrecht besser schützt.
Wer jedoch diese Tatsachen in die Debatte trägt, Autoren aber nicht zugleich ein simples und garantiert erfolgreiches Rezept dafür bieten kann, wie sie von jetzt an das ganze Geld verdienen, das sie von den Verlagen nie bekommen haben, muss sich warm anziehen. Doch so bitter es klingen mag: Dieses Rezept gibt es nicht, sondern nur die Scheinrezepte der Urheberrechtsindustrien, die die eigenen Einnahmen sichern, aber Urheber und Nutzer weiter entzweien. Die Realität ist komplex und Vorschläge für Verbesserungen sind nie die Lösung aller Probleme – das heißt auch, dass das Urheberrecht nur einen Teil der Antwort auf die gern gestellte Frage „Wovon sollen die Kreativen leben?” bietet.
Sich das einzugestehen, wäre ein enormer Schritt. Denn wer sich über seine Interessen im Klaren ist, kann besser handeln. Kann seine Kraft auf kollektive Verhandlungen konzentrieren, die dann auch gern mal platzen und somit eskalieren können, statt mit den vermeintlichen Partnern auf Verlagsseite zu kuscheln. Kann sich entscheiden, sich stärker unabhängig zu machen von den Verlagen, ihren Verträgen und Vertriebsmodellen. Oder kann sich entschließen, den Druck auf die Politik zu erhöhen, um per Gesetz die Verhandlungsposition der Journalisten zu verbessern. Denn wenn das (Urheber-)Recht dafür sorgen würde, dass Verwerter Urheber nicht zum Total-Buyout zwingen können, können Autoren bessere Verträge aushandeln. Und das wäre tatsächlich eine Veränderung, die sich direkt im Geldbeutel bemerkbar machen würde. So wird das Urheberrecht vielleicht doch noch zum Hauptthema des Journalismus in Deutschland. Nur ganz anders, als es die Rechteindustrie gern hätte.
Dieser Artikel ist der Publikation „Öffentlichkeit im Wandel – Medien, Internet, Journalismus” entnommen, die in der Schriftenreihe der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen ist. Lizenz CC BY-SA.
Die Verlage wollen das Urheberrecht im Netz verschärfen. Den Urhebern, den sie ihre Rechte abnötigen, nützt das nicht – und es geht am Kern des Problems vorbei.
Vor fast 220 Jahren, am 28. Mai 1794 schloss Friedrich Schiller einen bemerkenswerten Vertrag mit seinem Verleger Johann Friedrich Cotta. Es ging um die Veröffentlichung von Werken Schillers im Literaturmagazin Die Horen. Der Vertrag sicherte Schiller Vorschüsse, Lizenzgebühren und Optionen zu, außerdem enthielt er eine Klausel zum Schutz von Schillers Persönlichkeitsrecht. Absatz 5 garantierte dem Autor, über Änderungen an seinem Text, die vom Redaktionskollegium gewünscht sind, selbst entscheiden zu dürfen. In den Horen abgedruckte Texte durften erst nach Ablauf von vier Jahren anderswo veröffentlicht werden (Absatz 8). Absatz 15 garantierte den Beteiligten (Autor, Redaktion) einen Anteil an den Einnahmen, sollte eine Ausgabe mehr als 2000 Mal verkauft werden. Heute würde man das die Bestsellerklausel nennen.
Warum ist dieser Vertrag bemerkenswert? Weil es 1794 kein gesetzlich verbrieftes Urheberrecht in Württemberg gab, wo die Cotta’sche Buchhandlung ihren Sitz hatte. Dennoch konnte Schiller einen Vertrag abschließen, der ihn besserstellte, als die meisten der Verträge, auf die sich heute Autoren einlassen (müssen). Und das, obwohl immer wieder das Urheberrecht verschärft wird, um die Urheber besser zu schützen und damit besser zu stellen. Vermeintlich. Denn tatsächlich wird das Urheberrecht seiner Funktion, dem Urheber die Grundlage dafür zu verschaffen, sich mit seinen Schöpfungen ein Auskommen zu sichern, nicht gerecht. Eine durchaus berechtigte Frage ist, ob das Urheberrecht ihr je gerecht wurde. Doch hier soll es nur um die Gegenwart gehen und nur um eine Branche: den Journalismus.
Recht vs. gesellschaftlicher Wandel
Wie überall, wo es ums Urheberrecht geht, gibt es drei Gruppen von Akteuren, die betroffen sind: Urheber, Verwerter und Nutzer. In der Vergangenheit waren nur die ersten beiden vom Urheberrecht betroffen, da nur sie etwas getan haben, was durch das Urheberrecht reguliert wird: Sie haben Werke – also Musik, Film, Foto, Text etc. – veröffentlicht, aufgeführt, öffentlich angeboten und weiteres. Das hat sich durch Digitalisierung und Internet fundamental verändert. Jeder Nutzer von PC und Internet kann Werke verlustfrei kopieren und zu minimalen Kosten verbreiten. So sind also Menschen auf den Plan getreten, die bei Facebook ein Video veröffentlichen, in ihrem Weblog einen Text kopieren, in einen Beitrag in einem Diskussionsforum ein Foto einbauen, das sie aus dem Netz geladen haben. All das mit der Vorstellung, etwas Privates zu tun. Doch dieses vermeintlich Private ist öffentlich im Sinne des Urheberrechts. Ein Eldorado für Abmahnwellen und Nährboden für eine Verachtung des Urheberrechts, das scheinbar nur dazu dient, zu verhindern, statt zu schaffen.
Wer darauf antwortet, dass nicht jeder ein Künstler sei, der ein „geklautes” Foto in sein Blog stellt, verkennt den Kern des Problems. Der darin besteht, dass sich das Verhalten von Menschen verändert, wenn sich die Möglichkeiten ändern. Und damit offenbar wird, dass das Urheberrecht, das wir haben, den Anforderungen der digitalen Ära nicht gerecht wird. Denn es ist ja das Urheberrecht selbst, das jedem, der ein Foto in sein Blog stellt, seinen Regulierungsanspruch aufzwingt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir es nicht mit einem technologischen Wandel zu tun haben, sondern mit einem von Technologie getriebenen gesellschaftlichen Wandel ungeheuren Ausmaßes. Der Vorwurf, die Nutzer wollten sich ja nur kostenlos bedienen, geht daher fehl. Er trägt auch nichts dazu bei, die Anerkennung, auf der Recht immer beruhen muss, zu stärken.
Ausverkauf bei den Urhebern
Diese Anerkennung ist auch in der Gruppe der Urheber, also der Journalisten, in Gefahr. Und zwar deshalb, weil ihre Vertragspartner, die Verlage, selbst die größten Urheberrechtsverletzer sind. Der Fachbegriff dafür heißt treffend „Total Buyout”, also Totalausverkauf von Verwertungsrechten. Damit versuchen Verlage, ihren freien Mitarbeitern sämtliche Verwertungsrechte an ihren Beiträgen abzuzwingen – oft genug gegen das Gesetz. Rahmenverträge und allgemeine Geschäftsbedingungen – oder Teile davon – der Verlage und Zeitungen Axel Springer, Zeit, Bauer, Gruner+Jahr, WAZ, Süddeutsche Zeitung, Südkurier, Ruhr Nachrichten, Nordkurier, Braunschweiger Zeitung und Mittelbadische Presse sind von Gerichten kassiert worden, nachdem die Journalistengewerkschaften DJV und DJU/Verdi dagegen geklagt hatten. Weitere Verfahren laufen. Ohne Prozess kam es zu Einigungen bei der Lausitzer Rundschau und nach einer Unterlassungserklärung bei der Celler Zeitung. Jedoch muss man feststellen, dass in den meisten Fällen nur die allerschlimmsten Passagen gestrichen werden und den Journalisten immer noch Knebelverträge bleiben.
Nun sind die Verlage im Jahr 2002 gesetzlich verpflichtet worden, sich mit Journalistenvertretern auf sogenannte gemeinsame Vergütungsregeln zu einigen. Dieses Gesetz hatten die Verlage bzw. Zeitungen vehement bekämpft, und es ist ihnen auch gelungen, es abzuschwächen. Was dazu führte, dass es sechs Jahre Verhandlungsdauer und unzählige Runden gebraucht hat, bis es zu einer Einigung gekommen ist. Diese Einigung hat allerdings keineswegs zu angemessenen Vergütungen geführt. Denn das höchste angemessene Honorar für das Erstdruckrecht eines Leitartikels in einer Zeitung mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren beträgt 1,65 Euro pro Zeile – also in Publikationen wie der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung.
Vergütungsregeln: Eine Rechenübung
Nehmen wir – nur als Beispiel – an, Heribert Prantl wäre freier Journalist. Ein Leitartikel in typischer Länge würde ihm etwa 210 Euro einbringen. Brutto. Vor Abzug von Steuern, Sozialversicherung, Altersvorsorge und Kosten für Arbeitsmittel und Miete. Die der wahre Heribert Prantl nicht bezahlen muss, er ist ja angestellt. Die aber jeder Freiberufler bezahlen muss. Seien wir großzügig und sagen, dass ihm von den 210 Euro die Hälfte bleibt. Würde Prantl an 20 Tagen im Monat einen solchen Leitartikel schreiben, käme er auf ein Einkommen von 2100 Euro. Eine angemessene Vergütung für den Leiter des Innenressorts und Mitglied der Chefredaktion der SZ? Das jedoch war ein Beispiel für den höchsten Satz aus den Vergütungsregeln. Das niedrigste angemessene Honorar liegt bei 38 Cent pro Zeile. Ein Text in der Länge, die im vorigen Beispiel zugrunde gelegt wurde, wäre dann 48 Euro und 85 Cent wert. Noch einmal: Das ist das Honorar, auf das sich Journalistengewerkschaften und Verleger geeinigt haben, unter dem Schutz des Urheberrechts.
Doch damit nicht genug: Wenn die Vereinbarungen geschlossen sind, sind sie nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Mediafon, ein Informationsangebot von Verdi, meldete am 13. April 2011: „Alle Zeitungen im Osten ignorieren das Urheberrecht. Sämtliche Tageszeitungsverlage in den neuen Bundesländern setzen sich systematisch über das Urheberrechtsgesetz hinweg, indem sie ihren freien Mitarbeitern durchgängig unangemessen niedrige Honorare bezahlen.” Es ist davon auszugehen, dass es im Westen bei den Zeitungen, die vorher schlechte Honorare gezahlt haben, keinen Deut besser ist.
Es bleibt also festzuhalten: Verlage verletzen massenhaft das Urheberrecht, und das Urheberrecht schützt die Urheber nicht in ihren Verhandlungen mit den Verlagen. Und doch besitzen die Verleger die Chuzpe, in jeder Runde, in der das Bundesjustizministerium das Urheberrecht reformiert, für ein starkes Urheberrecht zu plädieren. Warum? Weil sie verstanden haben, dass es ihren Interessen weit mehr dient als denen der Urheber.
Leistungsschutzrecht: Mehr Schaden als Schutz
Denn all die Verwertungsrechte, die die Verlage sich von den Urhebern übertragen lassen, sind ebenfalls durch das Urheberrecht geschützt. Da trifft es sich gut, dass man sich den Anstrich geben kann, für die Urheber zu kämpfen, und tatsächlich geht es um die eigene Kasse. Doch das Urheberrecht allein reicht den Verlegern nicht mehr. Seit etwa drei Jahren gibt es eine Forderung der Presseverlage, die in Fachkreisen eine Menge Aufmerksamkeit, geradezu Aufruhr erregt hat: die Forderung nach einem Presseverleger-Leistungsschutzrecht.
Leistungsschutzrechte sind mit dem Urheberrecht verwandt, aber im Kern etwas anderes. Sie schützen keine persönlichen geistigen Schöpfungen, sondern die Leistung des sogenannten Werkmittlers. Das ist zum Beispiel eine Filmproduktionsfirma. Dieser Firma hat der Gesetzgeber ein eigenes Recht zugestanden, weil er der Ansicht war, dass sie eine Leistung erbringt, die durch das Gesetz geschützt werden sollte – also etwa die Leute zusammen zu bekommen, die einen Film erstellen, und das finanzielle Risiko einzugehen, den Film zu drehen. Diesen Schutz möchten nun auch die Presseverleger. Sie begründen das damit, dass sich durch Internet und Digitalisierung die Situation der Verlage grundlegend verändert habe und ihre Investitionsleistung – also das Verlegen von Zeitungen und Zeitschriften – vom Gesetz geschützt werden müsse. Wovor? Vor der Übernahme ihrer Inhalte durch Dritte.
Verlage im Strukturwandel
Wenn es darum geht zu erklären, warum Presseverlage in Schwierigkeiten geraten, hört man von Verlegern wie Hubert Burda, die Unternehmen seien „schutzlos im Internet”, und das sei eine Situation, an der der Gesetzgeber etwas ändern sollte. Beides ist falsch. Betrachtet man die Situation der Verlage unvoreingenommen, lassen sich drei fundamentale Probleme ausmachen, mit denen sie durch die Digitalisierung konfrontiert sind:
Problem 1: Vor allem Tageszeitungen verlieren seit mehr als 20 Jahren an Auflage: Die Zahl der im Durchschnitt täglich verkauften Zeitungen (lokale und regionale Abonnementzeitungen, überregionale Zeitungen und Kaufzeitungen) sank vom Höchststand von knapp 21 Millionen Exemplaren im zweiten Quartal 1990 auf rund 17 Millionen Exemplare im zweiten Quartal 2008. Das ist ein Rückgang von 15,8 Prozent. Das bedeutet niedrigere Einnahmen aus dem Verkauf, und es bedeutet niedrigere Einnahmen aus Werbung, denn Werbekunden zahlen für Leserkontakte, nicht für Inhalte.
Problem 2: Die Verlage haben die Anzeigenmärkte verloren. Auto-, Immobilien- und Stellenanzeigen suchen und finden wir nicht mehr in der Zeitung, sondern im Netz. Gewaltige Einnahmen, die den Verlagen abhanden gekommen sind. Der Marktanteil der Zeitung an den Werbeaufwendungen schrumpft ebenfalls. 1985 betrug der Anteil der Tageszeitungen an den Werbeaufwendungen 37,1 Prozent, 2007 waren es 22 Prozent.
Problem 3: Die Leser wandern zunehmend ins Netz. Was heißt das? Zum einen, dass die Verlage ihre Gebietsmonopole verlieren, zum anderen, dass in der Folge die Inhalte entbündelt werden. Früher konnte ein Verlag seinen Lesern ein Paket verkaufen, in dem der Lokalteil das Feuilleton subventioniert hat, der Sport die Politikberichterstattung. Die Leser hatten keine Wahl, als dieses Paket zu kaufen, die Anzeigenkunden hatten keinen anderen Weg, um zu den Kunden zu gelangen. Knapp zusammengefasst: ALDI hat das Korrespondentenbüro in Washington bezahlt.
Problem 2: Die Verlage haben die Anzeigenmärkte verloren. Auto-, Immobilien- und Stellenanzeigen suchen und finden wir nicht mehr in der Zeitung, sondern im Netz. Gewaltige Einnahmen, die den Verlagen abhanden gekommen sind. Der Marktanteil der Zeitung an den Werbeaufwendungen schrumpft ebenfalls. 1985 betrug der Anteil der Tageszeitungen an den Werbeaufwendungen 37,1 Prozent, 2007 waren es 22 Prozent.
Problem 3: Die Leser wandern zunehmend ins Netz. Was heißt das? Zum einen, dass die Verlage ihre Gebietsmonopole verlieren, zum anderen, dass in der Folge die Inhalte entbündelt werden. Früher konnte ein Verlag seinen Lesern ein Paket verkaufen, in dem der Lokalteil das Feuilleton subventioniert hat, der Sport die Politikberichterstattung. Die Leser hatten keine Wahl, als dieses Paket zu kaufen, die Anzeigenkunden hatten keinen anderen Weg, um zu den Kunden zu gelangen. Knapp zusammengefasst: ALDI hat das Korrespondentenbüro in Washington bezahlt.
Im Jahr 2010 lag der Gesamtumsatz der Tageszeitungen, also die Einnahmen aus Verkauf und Werbung, noch bei 8,5 Milliarden Euro, 1997 hatte er 9,5 Milliarden Euro betragen. Der Umsatz ging also in diesen 13 Jahren um mehr als 10 Prozent zurück, während das Bruttoinlandsprodukt um mehr als 25 Prozent stieg. Man kann all das beklagen, aus den unterschiedlichsten Gründen. Aber selbst die Verleger, die es beklagen, sollten zur Kenntnis nehmen, dass es nichts mit dem Urheberrecht zu tun hat, und sich Strategien überlegen, wie man diesen Entwicklungen unternehmerisch begegnet.
„Raubkopien” werden aufgebauscht
Presseverleger tun das Gegenteil. Sie tun so, als würden sie Opfer von „Piraten” und „Raubkopierern”. Diese Piraten raubkopieren alles, was nicht niet-und nagelfest ist. Zum Beispiel Filme und Musik, Software und E-Books, Computerspiele und Zeitungsartikel. Zeitungsartikel? Hat jemand schon einmal von einer Tauschbörse für Zeitungsartikel gehört? Einem Megaupload für die FAZ, die Süddeutsche Zeitung bei Rapidshare? Nicht kino.to, sondern zeitung.to, wo die Angebote von Welt Online und Spiegel Online und Focus Online kostenlos abrufbar sind? Eine absurde Vorstellung, dass illegale Plattformen den Verlagen Milliarden Euro an Einnahmen nehmen. Warum? Weil die Verlags-Websites bereits kostenlos im Netz stehen. Warum sollte jemand etwas illegal in einer Tauschbörse anbieten, was jeder legal umsonst bekommen kann?
Die Zeitungsverleger versuchen sich als Trittbrettfahrer der Musik-und Filmindustrie, die in der Tat mit massenhaften Urheberrechtsverletzungen zu kämpfen haben. Christoph Keese, ehemals Journalist und nun Cheflobbyist des Axel-Springer-Verlags, schreibt: „Gewerbliche Kopisten (stehlen) oft tausende Artikel auf einmal.” Es mag sogar Einzelfälle wie diesen geben, aber zum einen sind die Verleger bis heute jeden Beleg dafür schuldig geblieben, dass das auch nur eine prozentual messbare Auswirkung auf ihre Umsätze hat. Zum anderen dient es lediglich dazu, von den tatsächlichen Problemen abzulenken. Einzelfälle sollen also hier ein Gesetz rechtfertigen, das im schlimmsten Fall die Presse- und Ausdrucksfreiheit gefährden, das Zitatrecht einschränken, die Kommunikationsfreiheit im Internet behindern und freiberufliche Journalisten noch einmal in ihrer Rechtsposition gegenüber den Verlagen schlechter stellen könnte.
Trotz aller Einwände hat erst im März der Koalitionsausschuss der Bundesregierung entschieden, das Leistungsschutzrecht einzuführen. Union und FDP hatten sich bereits 2009, ohne jegliche Kenntnis dessen, worum es sich eigentlich handelt, nach massivem Lobbying der Presseverleger die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht im Koalitionsvertrag zu eigen gemacht. Der Sturm der Entrüstung war groß, obwohl der Ausschuss eine Hauptforderung der Verleger abgelehnt hatte. Sie wollten das reine Lesen am Arbeitsplatz, eine Handlung, die nie durch das Urheberrecht reguliert wurde, erlaubnis- und vergütungspflichtig machen. Welches Ungemach nun noch droht, wird besser zu beurteilen sein, wenn ein Gesetzesentwurf vorliegt.
Wem Verschärfungen nützen
Diejenigen, die ein „stärkeres” Urheberrecht – und ein Leistungsschutzrecht – fordern, argumentieren traditionell damit, dass Urheber besser geschützt werden müssen. Doch tatsächlich hat jede Urheberrechtsreform der vergangenen Jahre dazu geführt, dass die Rechte der Urheber gegenüber den Verwertern – also ihren Vertragspartnern – nicht gestärkt, sondern geschwächt wurden. Gestärkt wurde die Position der Verwerter, die den Urhebern abgenötigten Verwertungsrechte besser gegen die Nutzer durchzusetzen. Das geschieht mit so fragwürdigen Kreationen wie dem sogenannten „Schutz technischer Maßnahmen”, der als Paragraph 95a mit der Urheberrechtsreform 2003 ins Gesetz aufgenommen wurde.
Diese technischen Maßnahmen, auf Deutsch Kopierschutz, erlauben es Rechteinhabern, digitale Werke so abzuschließen, dass auch Jahrhunderte lang geltende und eingeübte Kulturtechniken nicht mehr erlaubt sind. Das Verleihen von Büchern etwa wurde bis dahin vom Urheberrecht ausdrücklich nicht reguliert. Ein typischer Fall dafür, wie rechtstreue Nutzer ihre Rechte einbüßen, während diejenigen, die das nicht akzeptieren, den Kopierschutz weiterhin mühelos umgehen können – nun rechtswidrig, aber wirkungslos. Auf der Klaviatur der Lobbyisten wird dann das Lied der Urheber gespielt. Sie müssten vor den bösen Nutzern geschützt werden, zur Not mit Internetüberwachung und indem Nutzern der Zugang zum Netz abgeklemmt wird.
Logik der Kreativmärkte
Behauptet jemand, dass den Urhebern immer weitere Verschärfungen nichts nützten, folgt zumeist ein Aufschrei: Man wolle das Urheberrecht abschaffen, doch wovon sollen die Kreativen dann leben? Womit wir zurück bei Schillers Vertrag mit Cotta wären. Wie empirische Studien des Urheberrechtsökonomen Martin Kretschmer und seiner Kollegen gezeigt haben, ist der Markt der Kreativgüter ein „Winner takes all”-Markt: Die erfolgreichen Teilnehmer gewinnen überproportional, während die große Masse der Urheber unter dem Strich schlechter dasteht als ein Großteil der Bevölkerung – Urheberrecht hin oder her. In seinem Aufsatz „The Relationship Between Copyright and Contract Law” (PDF) zieht Kretschmer den Schluss: Die Erfolgreichen sind deshalb in der Lage, lukrativere Verträge abzuschließen als die Nobodys, weil sie prominenter sind, nicht, weil sie das Urheberrecht besser schützt.
Wer jedoch diese Tatsachen in die Debatte trägt, Autoren aber nicht zugleich ein simples und garantiert erfolgreiches Rezept dafür bieten kann, wie sie von jetzt an das ganze Geld verdienen, das sie von den Verlagen nie bekommen haben, muss sich warm anziehen. Doch so bitter es klingen mag: Dieses Rezept gibt es nicht, sondern nur die Scheinrezepte der Urheberrechtsindustrien, die die eigenen Einnahmen sichern, aber Urheber und Nutzer weiter entzweien. Die Realität ist komplex und Vorschläge für Verbesserungen sind nie die Lösung aller Probleme – das heißt auch, dass das Urheberrecht nur einen Teil der Antwort auf die gern gestellte Frage „Wovon sollen die Kreativen leben?” bietet.
Sich das einzugestehen, wäre ein enormer Schritt. Denn wer sich über seine Interessen im Klaren ist, kann besser handeln. Kann seine Kraft auf kollektive Verhandlungen konzentrieren, die dann auch gern mal platzen und somit eskalieren können, statt mit den vermeintlichen Partnern auf Verlagsseite zu kuscheln. Kann sich entscheiden, sich stärker unabhängig zu machen von den Verlagen, ihren Verträgen und Vertriebsmodellen. Oder kann sich entschließen, den Druck auf die Politik zu erhöhen, um per Gesetz die Verhandlungsposition der Journalisten zu verbessern. Denn wenn das (Urheber-)Recht dafür sorgen würde, dass Verwerter Urheber nicht zum Total-Buyout zwingen können, können Autoren bessere Verträge aushandeln. Und das wäre tatsächlich eine Veränderung, die sich direkt im Geldbeutel bemerkbar machen würde. So wird das Urheberrecht vielleicht doch noch zum Hauptthema des Journalismus in Deutschland. Nur ganz anders, als es die Rechteindustrie gern hätte.
Dieser Artikel ist der Publikation „Öffentlichkeit im Wandel – Medien, Internet, Journalismus” entnommen, die in der Schriftenreihe der Heinrich-Böll-Stiftung erschienen ist. Lizenz CC BY-SA.