Forum Politik und Gesellschaft Internationale Politik Günter Grass macht den Mund auf... »mit letzter Tinte«:

Internationale Politik Günter Grass macht den Mund auf... »mit letzter Tinte«:

justus39
justus39
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von justus39
als Antwort auf Karl vom 06.04.2012, 09:22:12
Mit Verlaub, diese einseitige Konzentration auf den Iran, die Grass anprangert, ist m. E. das Übel, um das es geht.

Wenn dem einen alles und dem anderen nichts erlaubt ist, dann ist diese Ungleichbehandlung der Ursprung von Frustration und Hass in dieser Region. Wieso wird den Israelis eigentlich ein rationaler Umgang mit vorhanden Atomwaffen zugestanden und den Iranern ein vermuteter irrationaler Umgang mit nicht vorhandenen Atomwaffen zum Verhängnis?

Karl
geschrieben von karl


Das genau ist es auch, was Günter Grass ausdrücken will.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.
Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheim gehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
geschrieben von Günter Grass


Man tut dem Lande Israel keinen Gefallen mit diese Tabu auf jegliche Kritik und der Unantastbarkeit ihrer Politik.
Das erinnert mich an den Umgang der DDR mit dem großen Bruder Sowjetunion. Je mehr diese glorifiziert wurde um so mehr Witze über sie waren in Umlauf und umso mehr wurde über sie gelästert.

justus




silhouette
silhouette
Mitglied

Vorsicht, Satire!
geschrieben von silhouette
Vorsicht, Satire!

Rainer Bonhorst,
Noch ‘n Gedicht

Am neuen Gedicht von Günter Grass fällt sofort das ungewöhnliche Versmaß auf. Der Dichter fügt Elemente des vierhebigen Jambus, des einsilbigen Trochäus und des frei schwebenden Daktylus zu einer Phrasierung zusammen, die Anklänge an einen lyrisch gelifteten Leitartikel erzeugt und damit exakt den zum Thema passenden Ton trifft. Thema ist das perfide Israel. Grass lässt den Judenstaat allerdings nicht im Ungewissen schweben, sondern stellt ihn in eine konkrete Situation, indem er als Kontrast den reinen, wenn auch verführten Iran in Szene setzt.
Wir haben es zweifellos mit einem neuzeitlich-nahöstlichen Echo des Faust-Motivs zu tun: Hier Ahmadinedschad als Reinkarnation des Gretchen. Dort das Mephistophelische, das unbeugsam auf seinem Existenzrecht beharrt.
Denkbar ist, dass Grass sich selbst in der Rolle eines alternden Faust sieht, der sich zu lange von Mephisto hat verführen lassen. ("Warum schweige ich, verschweige zu lange ...") In diesem Fall stellt sein Gedicht einen tragisch scheiternden Versuch dar, dem armen Gretchen auf dem Wege der Poesie sehr spät, ja zu spät Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Warum zu spät? Ach, Mephisto holt schon zum Atomschlag aus, der nicht nur Gretchen sondern “das ganze iranische Volk auslöschen” wird.
Gibt es Rettung? Grass lässt uns wenig Hoffnung, schreibt er doch “mit letzter Tinte”. Ob mit letzter Tinte oder mit letztem Federkiel: Grass hat mit der Anschaffung eines Computers zu lange gewartet. Er rettet den Freund nicht mehr.
Auch seine Versuche, der poetischen Tinte eine harsche Alltagslyrik spannungsreich entgegen zu setzen, etwa in den Formulierungen “nukleares Potenzial” und “rein geschäftsmäßig”, lösen den Nahostkonflikt nicht auf. Hinzu kommt die “flinke Lippe”, der sein Altersspott gilt. Sie steigert nur die Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Die flinke Lippe ist ja das hervorstechende Merkmal des Mephisto und seines Dieners Faust; sie ist das Werkzeug, mit dem Gretchen in den Untergang getrieben wird.
Diese mag in Gestalt des Ahmadinedschad atomar schwanger sein. Doch sie wird ihr Kind nicht austragen können. Die Besitzer der flinken Lippen werden ihr und dem iranischen Volk, das stellvertretend für uns alle steht, vorher den Garaus machen. Wir haben es hier womöglich mit dem letzten großen Gedicht vor dem nahen Weltuntergang zu tun, der neben den Mayas nun einen weiteren Propheten hat.



adam
adam
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von adam
als Antwort auf Karl vom 06.04.2012, 09:22:12
Mit Verlaub, diese einseitige Konzentration auf den Iran, die Grass anprangert, ist m. E. das Übel, um das es geht.

Wenn dem einen alles und dem anderen nichts erlaubt ist, dann ist diese Ungleichbehandlung der Ursprung von Frustration und Hass in dieser Region. Wieso wird den Israelis eigentlich ein rationaler Umgang mit vorhanden Atomwaffen zugestanden und den Iranern ein vermuteter irrationaler Umgang mit nicht vorhandenen Atomwaffen zum Verhängnis?

Das ist eine Ratio, die ich nicht mehr verstehe und die zutiefst irrational (und die Menschen ungleich behandelnd) ist. Es gibt keine Über- und Untermenschen!

Karl
geschrieben von karl



Karl,

bei nuklearen Waffen gibt es nur eine Logik: Wenn einer sie hat, ist das schlimm genug, dann darf der andere aber trotzdem keine bekommen.

Daß der Iran an der Bombe baut, ist keine Sache des Beweises, sondern der Logik. Das Mullahregime braucht die Waffe zum Überleben nach außen, zum Schüren nationaler Emotionen unter der Bevölkerung nach innen und letztendlich auch, um den Islam zu verbreiten, wie es sich für einen islamischen Gottesstaat gehört. Da natürlich die Schia und deshalb ist Saudi-Arabien seit Generationen als Mutterland der Sunna ein Erbfeind, reich und stark durch sein Öl

Und wer sagt denn, daß der Iran die Bombe gegen Israel braucht? Wo liegt der politische Sinn für den Iran, Israel militärisch zu vernichten? Die Drohgebärden Ahmadinedschads gegen Israel bringen ihm Punkte in der Bevölkerung der arabischen Staaten. Schau mal auf die Landkarte. Im Libanon wurde Ahmadinedschad von der Hisbollah und der Bevölkerung empfangen als sei er der Präsident des Landes und in Syrien nimmt der Iran über Waffenlieferungen und finanzielle Hilfe maßgeblichen Einfluß auf Regierung und Macht, verteidigt dies im syrischen Bürgerkrieg. So setzt sich der Iran an der Hintertür zu Saudi-Arabien fest, während er schon seit Jahren an der Vordertür klopft und Ansprüche gegenüber Bahrain stellt, weil die Mehrheit der Bevölkerung schiitisch ist und von Persern abstammt.

Die Krise um den Iran ist meines Erachtens ein Krise um das arabische Öl und keine Krise zwischen Israel und Iran.

--

adam

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Marija
Marija
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von Marija

Die ( fast ) Gleichschaltung der Medien wäre eigentlich kein Zeichen von Freiheit.

fast Gleichschaltung

Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Marija vom 06.04.2012, 09:59:20
Alle Zeichen weisen auf einen "Präventiv"krieg hin.

Die öffentiche und insbesondere die veröffentichte Meinung spricht eine deutliche Sprache.

Es fehlt nur noch der Anlaß. Aber auch dieser wird sich sehr leicht finden lassen (oder konstruiert werden.
silhouette
silhouette
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von silhouette
als Antwort auf Marija vom 06.04.2012, 09:59:20
Die "Gleichschaltung" ist ein Begriff aus dem 3. Reich. Und eine böse Anschuldigung. Welcher Adolf soll denn die Gleichschaltung angeordnet haben?

Oder es ist ein Zeichen der Weinerlichkeit eines alten Mannes. Der Zusatz "fast" verstärkt diesen Eindruck. Mann traut sich dann doch nicht so ganz.

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Mitglied_81b4260
Mitglied_81b4260
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 06.04.2012, 09:56:00
adam,
Ich kann deinen Ansichten in weiten Teilen deines Postings folgen.

Daß der Iran an der Bombe baut, ist keine Sache des Beweises, sondern der Logik.
geschrieben von adam


Stimmt, in die Situation des Irans (auch hier unterscheide ich jetzt nicht zwischen Staat, Regierung, Politiker, Menschen) hineinversetzt, würde ich auch daran bauen. Ein Gleichgewicht des Schreckens war lange Zeit die Maxime der westlichen Welt.

Wenn allerdings aus diesem für mich logisch klingenden Schluß, die Rechtfertigung für einen Krieg konstruiert werden sollte, dann muß heftigst Widerspruch einlegen.
Es wird damit die Basis unseres Rechtssystems unterminiert - und darauf sind WIR? - ich zumindest - absolut nicht stolz. Ich finde diese Tendenz, die bereits an die Türe unserer Gesetzgebung klopft bzw. sogar schon Eingang gefunden hat, brandgefährlich.

(Wer von uns findet es richtig verurteilt zu werden, weil es für andere nur logisch erscheint, dass in einer bestimmten Situation eine Waffe besorgt werden könnte und dass es logisch erscheint, diese auch anzugewenden?)

Mitglied_bed8151
Mitglied_bed8151
Mitglied

Re: Günter Grass macht den Mund auf...
geschrieben von ehemaliges Mitglied
In Deutschlands offizieller Welt laufen sie herum mit Schaum vor dem Mund. Ein Beispiel: Richard Herzinger, einer der Redakteure der 'Welt am Sonntag', der auch für 'Die Welt' schreibt, lässt es fernab der Wahrheit und ungehemmt von jedem Anstand krachen in seinem Blog 'Freie Welt': Günter Grass auf Adolf Hitlers Spuren

--
Wolfgang
Marija
Marija
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit Günter Grass
geschrieben von Marija


Es könnte ja sein,

dass Grass einen starken Rücken hat, trotz seines Alters und aller Angriffe.

Es könnte ja sein, dass er noch ein anderes in Prosa verfasstes Lied singen wird, das in der Tradition der mitteleuropäischen Lyrik steht, ähnlich jenen Sagen, die vom Wohl und Wehe und Untergang berichten.

Es könnte ja sein,
dass es nicht klug ist,
die Ahnungen, das "Sehen" eines alten Mannes
grundsätzlich
und in allem
zu verwerfen
und als falsch, demagogisch, hetzerisch zu benennen .

M.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Ein Gespräch mit dem Historiker Tom Segev
geschrieben von miriam
als Antwort auf Marija vom 06.04.2012, 10:57:16
Eine Erfahrung die ich schon oft gemacht habe: die wohltuende Gelassenheit die in Israel herrscht, als Gegensatz zur hiesigen Aufgeregtheit...

Interessant auch zu sehn, welche Ausmasse das Thema hier annimmt.
Es scheint mir fast, als wäre das Gedicht von Günter Grass so etwas wie eine Initialzündung gewesen.

Siehe im Link das Interview des Historikers Tom Segev, gesendet gestern in Kulturzeit (3sat)

Miriam

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