Internationale Politik Afghanistan Abzug, Mali Aufstockung
Weiß vielleicht jemand wie das von 1996 bis 2001 unter den Taliban war? Reichte es da für einen Asylantrag aus zu sagen: Ich bin Afghane, bin von den Taliban bedroht bzw. will nicht in dieser Diktatur leben ... und beantrage Asyl?
MarkusXP
Wie das vor 2001 war, weiß ich nicht, Ich kann nur etwas zu dem beitragen, wie es bisher gehandhabt wurde, weil ich in diese Arbeit teilweise mit eingebunden war.
Jeder Antrag auf Asyl wird einzeln geprüft. Es reicht nicht zu sagen: „Ich bin Afghane, bin von den Taliban bedroht bzw. will nicht in dieser Diktatur leben ... und beantrage Asyl“.
Der/die Geflüchtete muss im BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seine/ihre Geschichte von Anfang bis Ende ganz genau erzählen, da wird alles abgeklopft, auch Namen und Adressen von den dort noch lebenden Verwandten sowie eventuellen Zeugen, die man befragen kann, werden notiert. Die Leute werden auf Herz und Nieren gerprüft, und nur dann, wenn eine ganz persönliche Bedrohung glaubhaft dargestellt werden kann, erhalten sie Asyl. Nicht, wenn sie einfach sagen, die Taliban hat mich bedroht, das allein reicht nicht. Sie müssen ihre eigene, ganz persönliche Bedrohung glaubhaft darlegen.
Ich war (und bin jetzt auch manchmal noch) in der Vorbereitung für diese Befragungen innerhalb eines Flüchtlingsprojekts der Diakonie mit eingebunden und habe auch manche Flüchtlinge zu ihrer Befragung beim BAMF begleitet und diese Befragungen miterlebt.
Die Interviewer beim BAMF tun alles, um die Leute eventueller Lügen überführen zu können, sie lassen sich auch Einzelheiten des Orts erläutern, aus dem sie kommen, um zu prüfen, ob die behauptete Herkunft stimmen kann. Und sie stellen bestimmte Fangfragen, mit denen man Lügen entdecken kann.
Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Geflüchteten in den meisten Fällen die Wahrheit gesagt haben und das BAMF ihnen in den Fällen, wo ich dabei war, nichts anderes nachweisen konnte.
Und die haben ihre Mittel, das könnt ihr mir glauben. Genau deshalb reagiere ich auch so empfindlich, wenn sofort behauptet wird: Die lügen sowieso alle, um Asyl zu kriegen. Die meisten lügen nicht, das stimmt einfach nicht, und man merkt schnell, ob eine Geschichte wahr ist oder nicht.
Dazu gehört neben den Ursachen, warum sie geflohen sind, auch die Fluchtgeschichte, sie müssen genau beschreiben, wie sie nach D'Land gekommen sind und ob sie Schlepper hatten, wer diese Schlepper bezahlt hat, woher sie das Geld dafür hatten etc. etc.; diese Befragungen dauern manchmal bis zu drei Stunden.
Da kommen dann manchmal monatelange Fluchtgeschichten mit mehreren Aufenthalten in Gefängnissen unterwegs, verbunden mit Prügeln, zum Vorschein. Ich habe immer größten Respekt vor dem, was diese Leute auf sich nehmen, um endlich einem Leben zu entkommen, das ihnen keine Chancen bietet oder sie oft mit Haft, Folter und Tod bedroht.
Das ist ein wichtiger Punkt. ca 47% der Afghanen (Gesamtbevölkerung ca 33 Mio) sind jünger als 15 Jahre; der Altersmedian liegt bei ca 18 Jahren.
Weiß vielleicht jemand wie das von 1996 bis 2001 unter den Taliban war? Reichte es da für einen Asylantrag aus zu sagen: Ich bin Afghane, bin von den Taliban bedroht bzw. will nicht in dieser Diktatur leben ... und beantrage Asyl?
MarkusXP
Die meisten können sich also gar nicht an die SChreckensherrschaft der Taliban erinnern; sie kennen sie nur aus den Erzählungen ihrer Familien.
Da wuchs in den letzten 20 Jahren eine völlig andere Generation heran (MÄnner und Frauen), sehr Netz-affin, besser,bzw. überhaupt schulisch gebildet und demzufolge mit sehr viel höheren Ambitionen als die vorhergehenden Generationen (auch Frauen).
Das wird nun alles zunichtegemacht.
Wenn ich hier so einige Beiträge zum "Fremdschämen" lese, bekomme ich fast den Eindruck, dass dies alles ein Alleinverschulden deutscher Politiker war. Mich würde sehr interessieren, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer dieses Drama aus heutiger Sicht betrachten; es war ja Herr Schröder, der 2001 damals Mr Bush unverbrüchliche Treue geschworen hat.
Jetzt haben wir natürlich wieder die Situation ,dass hinterher jeder weiss, wie es besser gemacht hätte werden können.
Ist dies nicht auch ein wenig Heuchelei von uns allen? Haben wir uns wirklich die letzten Jahre für den Krieg in Afghanistan interessiert (oder den immer noch bestehenden in Syrien)?
Haben nicht auch viele von uns den Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan begrüsst (Begeisterung war teilweise auch hier zu lesen)?
Als die Grünen im Frühjahr für unkompliziertere Aufnahme der sog. Ortskräfte aus Afghanistan plädierten, wurde dies vermutlich abgelehnt, weil man billigerweise den Grünen nicht Recht geben wollte, weil Wahlkampf ist.
PErsönlich gehe ich davon aus,dass auch dieses Thema in einigen Wochen nicht mehr alles überlagern wird. Ich gehe sogar noch weiter: nur wenige werden sich dann noch dafür interessieren, wenn die westliche Staatengemeinschaft zukünftig "ganz normal" mit den Taliban verhandeln wird, z.B. über die Entwicklungshilfen, die in dieses Land überwiesen werden (Afghanistan ist ja auch aktuell ein grosser Empfänger solcher Leistungen).
DAnn werden wir in unseren Ländern nur noch Sorge dafür tragen,dass nicht zu viele afghanische Flüchtlinge zu uns kommen und werden parallel darüber auch mit dem Iran und der Türkei sowie Pakistan Gespräche führen,damit diese uns die menschliche Last gegen Bezahlung abnehmen.
Olga
Eine nachdenkliche und nachdenklich stimmende Analyse, liebe @olga64, danke dafür
DAnn werden wir in unseren Ländern nur noch Sorge dafür tragen,dass nicht zu viele afghanische Flüchtlinge zu uns kommen und werden parallel darüber auch mit dem Iran und der Türkei sowie Pakistan Gespräche führen,damit diese uns die menschliche Last gegen Bezahlung abnehmen.
Olga
Ist es nicht schon jetzt so, dass der Kanzlerkandidat der Partei mit dem "C" im Namen als nahezu erste Reaktion vor einigen Tagen darauf hinwies, das sich ein "2015" nicht wiederholen dürfe?
LG
DW
Vllt darf ich daran erinnern, an das Ende WWII. Als DE in ähnlicher Situation war. Und von aussen befreit werden musste. Wegen einer Klique Wahnsinniger.
Ich denke, der Hindukusch wird uns allen jetzt auf die Füsse fallen. Und dann?
Lieber D.W.,
dieser Kanzlerkandidat der christlichen Partei änderte seine Meinung und Aussagen so oft, dass ich in meinem Alter dem auch intellektuell nicht mehr folgen kann und mag.
Wenn ich ihn aus der Ferne beurteilen sollte, denke ich, er besteht nur noch aus grosser Angst und sieht allmählich ein,dass seine Schuhgrösse für die Fussstapfen von Frau Merkel, in die er tappen möchte, einfach viel zu klein ist.
Interessant finde ich derzeit das Verhalten von China an der Situation in Afghanistan: die haben zum einen das grosse Problem, dass evtl. muslimische Terroristen o.ä. in China einfallen, um dort den Genozid an den muslimischen Uiguren zu rächen oder aufzuhalten.
Zum anderen sind sie natürlich sehr daran interessiert, Afghanistan wieder aufzubauen. Das dürfte auch der Grund sein ,weshalb einige hochrangige Taliban bereiits in Peking empfangen wurden und dort auch geschworen haben sollen,dass China nicht mit muslimischen Terroristen zu rechnen habe.
Aber hoffentlich weiss auch China, wie sehr man den Worten dieser Taliban trauen kann - sollten jedoch die dringend benötigten Finanzspritzen von dort hoch genug sein, bestünde eine kleine Chance. Olga
Vllt darf ich daran erinnern, an das Ende WWII. Als DE in ähnlicher Situation war. Und von aussen befreit werden musste. Wegen einer Klique Wahnsinniger.
Ich denke, der Hindukusch wird uns allen jetzt auf die Füsse fallen. Und dann?
Hallo, @digi,
mir ist nicht klar, was Du sagen willst. Befreiung Afghanistans von außen? Durch wen?
Daß die Geheimdienste das Doppelspiel der afghanischen Armee nicht durchschaut haben, also alle zusammen, das will mir überhaupt nicht in den Kopf,
@ Edita
ich habe da auch so meine Schwierigkeiten, aber auch mögliche Erklärungen.
Besatzungsstreitkräfte in einem fremden Land haben aber oft wenig Zugang zu der einheimischen Bevölkerung und noch weniger zu den 'resistance' - Bewegungen im Volk.
Da haben die Botschaften meist die besseren ‚Kontakte‘ und Informationen (wie die deutsche, die ja schon vor Wochen ihre warnenden Akutmeldungen an den Werderschen Markt gekabelt haben soll).
Nach dem raschen 'Sieg' der Amerikaner 2001, sind die Taliban rasch abgetaucht.
Die Elite-Milizen ab nach Pakistan, die anderen haben ihre Waffen versteckt und konnten sich dann wie gewöhnliche Passanten in aller Öffentlichkeit bewegen.
Verräter lebten nicht lange.
Örtliche Mitarbeiter leisteten Hilfsdienste für die Truppen, aber eher weniger effektive Spionagearbeit.Falls doch, dann hatte das Konsequenzen. Autobomben, Anschläge waren ja an der Tagesordnung auch auf unschuldige Bewerber für den Polizei-/Armeedienst.
1/3 der Ausgebildeten waren nach spätestens 2 Jahren 'verschwunden' (von der Fahne gegangen), oft mitsamt ihren Waffen. Militärdienst war oft nicht mehr als eine relativ gute Verdienstmöglichkeit. Jedenfalls war die ‚Rotation‘ in der ‚Truppe‘ recht hoch.
Ich glaube, die ausländischen Ausbilder – wenn sie denn überhaupt (mittels Übersetzer) an ihre Rekruten, deren 'Denke' und Motivation ‚herankamen‘ – wussten sehr wohl um die „Schlagkraft“ der (angeblich 300 000 starken) afghanischen Armee und um die Auswirkungen der ständigen tödlichen Anschläge auf die Moral und den Kampfeswillen einer Armee, die über vieles verfügte (modernste Waffen, attraktives Gehalt) nur nicht über eine Einigkeit, darüber, wer denn der eigentliche Feind sein sollte, und über einen Gehorsam gegenüber den Befehlen einer (den Afghanen fremden, von Amerikas Gnaden eingesetzten, allgemein als korrupt empfundenen ) Zentralregierung, die ja nicht einmal eine allgemeine Wehrpflicht durchsetzen konnte.
Die NATO Alliierten verliessen sich in erster Linie auf die "Erkenntnisse" der GIs und deren Feindaufklärung, die öfters in etwa die Qualität der 'Beweise' für Saddams Massenvernichtungswaffen gehabt haben dürfte.
Das alles dürfte den Militärführungen der NATO Alliierten ja nicht entgangen sein. Selbst Trump hatte da mal was verstanden.
Wenn anfangs die Soldaten sich noch relativ frei in der Öfffentlichkeit bewegen konnten, so war dies immer riskanter geworden, 'Ausflüge' waren nur kurz und nur unter starker Bewachung in gepanzerten Fahrzeugen möglich, ansonsten igelte man sich in gebunkerten Festungsanlagen ein oder liess die US Flieger drauf los bomben, wobei sicher auch der eine oder andere Taliban getroffen wurde, aber eben auch viele Zivilisten, die mit den Taliban nichts am Hut hatten. Deren Angehörige aber nach solch mörderischen Anschlägen schon.
Das nützten die Taliban aus, die sich ja während der 20 jährigen Besatzungszeit auch anpassten, dazu lernten, die Schwächen der Gegner auszunützen wussten.
So gesehen, fragte sich zunehmend mancher „Regierungssoldat“, warum er eigentlich seine afghanischen Landsleute umbringen, sein Leben für die Amerikaner riskieren sollte ohne zu wissen warum.
Vor diesem Hintergrund, handelte es sich letztlich gar nicht um ein „Doppelspiel“, sondern eine rational nachvollziehbare Entscheidung, sich den Taliban nicht entgegenzustellen, sondern sich mit ihnen zu ‚arrangieren‘, wenn es spitz auf Knopf kommt, auch wenn sie deswegen von manchen Damen bequem auf weit entfernten westlichen Sofas sitzend als Schlappschwänze und Feiglinge tituliert werden sollten. Lieber mit Kompromissen am Leben sein, als tot sein, als ein sinnlos bis zum Letzten kämpfender Sturkopf.
Ich glaube einfach nicht an soviel Inkompetenz in den Berliner Verwaltungsstuben, um damit die Überraschung über die rasche Rückkehr der Taliban an die Macht und die Ahnungslosigkeit über den quasi Totalausfall der regierungsnahen Truppen zu erklären. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da überhaupt keine altrnative 'Planspiele' in den Kommandozentralen durchgespielt worden sind.
Das Problem scheint mir in erster Linie darin zu liegen, dass man einfach im Geleitzug der USA mitschwimmen musste, ohne viel Einfluss auf den Kurs zu haben. Man stelle sich nur mal vor, die Deutschen wären vor den Amerikanern abgezogen - unmöglich !
Deshalb wurde das Mandat ja schon brav vom Parlament (ohne wirklich stichhaltige Begründung) immer wieder verlängert ...
Es muss auch noch andere Gründe geben, warum unsere Regierung sich seit vielen Jahren beharrlich weigert, der ständig wiederholten Forderung nach einer objektiven Evaluierung der Ziele und deren Einreichung durch den Bundeswehreinsatzes nachzukommen. Angst vor Blamage etwa ?
Ob wir sie je erfahren werden ?
aixois
Überhaupt mag ich die umfassende Unwissenheit, die zu diesem katastrophalen Rückzug und den zugehörigen Vorbereitungen gehören, nicht glauben. Wenn man schon die Warnungen der Botschaft in den Wind schlägt, sollte man wenigstens den Geheimdiensten in dieser prekären Situation glauben. Wenn sie nicht gewarnt haben, gehören sie unverzüglich aufgelöst. Denn nur für Falschmeldungen, um Kriege anzetteln zu können (CIA und Irak), braucht man sie nicht.Ich mag das ebenfalls nicht glauben, Anderl.
Anderl
Doch wenn die Beratungsstäbe einschließlich der Regierungsspitzen der beteiligten NATO-Staaten um alles zuvor Dargestellte gewusst haben und so natürlich auch die Folgen ihres Abzugs einkalkulieren konnten - was folgt daraus?
Wie bitte?
Einerseits fordert der Herr eine Luftbrücke aus Afghanistan, und andererseits erfolgt dann diese Aussage: "2015 darf sich nicht wiederholen." Einen schlechteren Moment hätte man wirklich nicht auswählen können.
Aber danke, jetzt weiß ich Bescheid, Herr Kanzlerkandidat! 😡
Rosi65