Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit
bravo!
Demokratie bietet das Korsett, was Dich zwingt, dich an Gesetze zu halten und Verfehlungen werden in diesem Land nach demokratischen Regeln bestraft!.Ich denke, wir sollten sorgsam mit dem - m.M. oft unüberlegt und inflationär gebrauchten - Begriff 'Demokratie' umgehen.
Man kann demokratisch korrekt wählen und doch damit Demokratievernichter an einfölussreiche Machtpositionen bringen. Demokratie zwingt auch niemanden, sich an Gesetze zu halten. Es ist der Rechtsstaat mit seinen Gesetzen, die durchgesetzt werden müssen. Was aber schon schwierig wird, wenn es RichterInnen gibt, die die Gesetze nach ihren ideologischen Vorstellungen interpetieren, streng handeln, wo Milde angesagt wäre, und wegschauen, wo dem Gesetz Geltung verschafft werden sollte. Die Weimarer Republik und einzelne Fälle aus der jüngsten Vergangenheit , wo der Eindruck entstand, dass Recht sogar 'gebeugt' worden war, geben dafür Beispiele.
Demokratische Gewählt sein, heisst eben nicht, dass auch die Partei und deren Ziele demokratisch sind.
Was es braucht, sind demokratisch erfahrene und gut informierte Bürger. Die gab es in Weimar mangels Erfahrung nicht. Es sollte heute aber genug davon geben, die nicht einfach schweigend zustimmen, dass schön geredet wird, wenn Demokratiefeinde gewählt werden, nur weil sie die meisten Stimmen bekommen haben.
Demokratie ist wie feines Porzellan: wertvoll, schön anzusehen, aber auch sehr zerbrechlich und deshalb aktiv zu schützen.
gerade wollte ich dazu aufrufen, sich enger an die Vorgabe des thread zu halten, weil unsere Erfahrungen denke ich ein besonderes Wissensgut, das ja früher oder später "flüchtig" wird, darstellt, vor allem für neue Mitglieder.
Du hast aber einen Bogen geschlagen, der zum Thema zurückführt, gut so.
Was mir bzw auch meiner spanischen Familie sehr auffällt, ist der Umgang des TVs mit der Nazizeit.
Da sind zum einen die täglichen Dokus über Hitler und seine Mittäter, ihr Privatleben, über die SS usw. Wer schaut sich das eigentlich an und zu was soll es gut sein?
Viel schlimmer aber noch ist die Trivialisierung der Nazizeit in vielen neueren Produktionen wie Babylon Berlin oder ganz extrem die Serie "Charité"
Die taz hatte da vor einiger Zeit einen guten Artikel, ich hab ihn noch einmal gerausgesucht
Insofern ist „Charité“ eine Schmonzette für die Gemütshaushalte der Deutschen, an die AfD-Chef Alexander Gauland seine „Vogelschiss“-Metapher für die NS-Vergangenheit als nur zwölfjährige Anomalie der deutschen Geschichte adressiert: Alle waren irgendwie dagegen, viel mehr waren Widerstandskämpfer*innen, wenn auch nicht immer ersichtlich. Denn die Verhältnisse, die waren ja riskant für die Aufrechten, nicht wahr? In den fünfziger Jahren war dafür die Wendung populär, man habe sich ja „in innerer Emigration“ befunden, ein giftiger Hinweis an die wenigen jüdischen Remigrant*innen, dass man es ja auch nicht so leicht hatte bis 1945.
Deutsch-selbstbesoffen
„Charité“ als TV-Produkt ist kein singuläres Ereignis für die Unfähigkeit der Deutschen, um es mal eher pathetischer zu formulieren, um den Verlust ihres führergeführten Deutschland zu trauern, wie ja die klassische Formel von Alexander und Margarete Mitscherlich ursprünglich gemeint war. Nicht die Trauer um den selbst besorgten Verlust, besser: Mord an den europäischen Juden, an Nachbar*innen und Kolleg*innen, sondern die um die betrogenen Hoffnungen einer definitiv so gut wie gar nicht widerständigen Nation gegen den Nationalsozialismus. Traurig, weil man verloren hat – zum Glück der Nachgeborenen, möchte man natürlich anfügen.
Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat zur Differenz des NS-Deutschland zu unserer heutigen Verfasstheit – und dank angloamerikanischer „re-education“ ausführlich beschrieben – und sich dafür viel Ärger eingehandelt –, dass es im NS-Deutschland nicht keine Moral gab, sondern eine andere, eben nationalsozialistische. Eine, in der es Mitgefühl, wie es heute verstanden wird, nur um die eigenen, die Herrenmenschen gab, nicht jedoch mit jenen, die sie als Untermenschen oder Missratene verstanden und kalt, tödlich kalt behandelten.
Keine deutsche TV-Produktion hat sich in einer realistischen Weise mal an eine Skizze dieses NS-Deutschland gemacht – und schon gar nicht die laufende namens „Charité“. Ein leider deutsch-selbstbesoffen besonders preisgekröntes Beispiel ist auch „Unsere Väter, unsere Mütter“, ein seifiges Machwerk, 2013 mit viel Trara als Quasi-Dokumentation der schlimmen, der Jugend gestohlenen Jahre lancierten TV-Serie im ZDF. Was man sah, war viel Kriegsästhetik mit Blitzen, Schrapnellen und zerschossenen Körpern. Aber die jungerwachsenen Menschen, zum Nationalsozialismus so dissident wie eine Hipster-Clique von heute gegen die schlimmen bürgerlichen Verhältnisse, die kamen irgendwie aufrecht durch die Zeit, fast ohne Schmutz an den Händen: Solche Eltern und Großeltern – die wollen wir uns loben.
Nur dass es so nicht war. Nur im Fernsehen wird von der Stunde null an ein Dauer-Mea-Culpa formuliert, ausnahmslos. Deutschland – ein insgeheimes Widerstandsnest. Es stimmt irgendwie immer noch, was die aus ihrer Heimat Deutschland geflohene Hannah Arendt nach 1945, ins zertrümmelte Land für eine Recherchereise zurückgekehrt, schrieb: Dass deren Bewohner sich in Sentimentalitäten ergingen, im Leid suhlten, das man ihnen angetan habe.
1968 formulierte die jüdische Remigrantin und Publizistin Hilde Walter nicht als Erste, aber am treffendsten diese Beobachtung: „Es scheint, dass die Deutschen uns Auschwitz nie verzeihen werden. Das ist ihre Krankheit, und sie verlangen verzweifelt nach Heilung. Aber sie wollen sie leicht und schmerzlos. Sie lehnen es ab, sich unters Messer zu legen, das heißt: sich der Vergangenheit und ihrem Anteil daran zu stellen.“
Trostloserweise wird diese Sicht 51 Jahre später in einer TV-Serie beglaubigt: Es gab so viele Gute damals, jetzt können wir es erkennen – und geheilt sein.
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Interessant auch, wie das offizielle Sprachrohr Deutschlands , die Deutsche Welle, mit dem Thema umgeht. Dort heißt es
Das Thema Nationalsozialismus ist für deutsche TV-Serien und Spielfilme der Schlüssel zum Erfolg, vor allem im Ausland.
Wer bekennender Nazigegner war, wurde nach „33“ sofort gekennzeichnet. Er wurde sofort entlassen und in seinem Ausweis befand sich fortan der Vermerk „Staatsfeind“. Arbeitgeber die dies missachteten, machten sich strafbar.
Dies war allerdings nur der Anfang. Später wurden sie natürlich verfolgt ,und wenn man ihrer habhaft wurde, eingesperrt.
Sein persönliches „Hab und Gut“ - und sei es noch so bescheiden - wurde beschlagnahmt und wenn es sich um Bücher handelte, verbrannt.
Meinem Vater ist es so ergangen, aber nach dem Krieg hat das keinen interessiert.
Pippa
Was interessiert den braven Bürger heute noch, 75 Jahre nach dem Ende des Naziregimes? Es gibt und gab schon immer Menschen, die sich nicht für Politik interessierten und trotzdem ihr Leben meisterten. Meine Großeltern zum Beispiel. Sie hatten andere Sorgen, besonders nach 1945. Und die anglo-amerikanische re-education gab es in der SBZ nicht, auch nicht das Wirtschaftswunder, ganz im Gegenteil.
Ich verstehe die ununterbrochenen alten Filme aus der NS-Zeit im TV auch nicht, man hat sie schon zigmal gesehen. Aber es gibt nicht nur "Schmonzetten", es gibt gute Filme aus der ehem. DDR und natürlich BRD. Ich denke da an einen alten DDR-Film: "Die Abenteuer des Werner Holt" oder "Nackt unter Wölfen" oder verhältnismäßig aktuell "Das Zeugenhaus" nach einer wahren Begebenheit. Naziprominenz, darunter Gestapo-Gründer Rudolf Diels und Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, verbrachte zwischen 1945 und 1948 viel Zeit unter anderem mit jüdischen Holocaustüberlebenden unter dem Dach zweier Nürnberger Villen. Im Vorfeld der Nürnberger Prozesse wurden sie befragt. Regisseur war Matti Geschonnek, der Sohn des DDR-Schauspielers Erwin Geschonnek.
Der Produzent Oliver Berben äußerte sich folgendermaßen zu seinem Film:
"Wir zeigen am Beispiel des Zeugenhauses einen Mikrokosmos, der widerspiegelt, was in ganz Deutschland los gewesen ist - im Tagtäglichen", erklärte Produzent der Presse. In Hamburg, "die Hoffnungslosigkeit eines besiegten Volkes und auch der Alliierten, der Gewinner, die auf eine Mauer des Schweigens gestoßen sind." Ein gesellschaftliches Gefüge wolle man darstellen, das sei "viel interessanter als die einzelnen Schicksale."
Noch einmal zu meinen Großeltern. Sie wurden 1944 ausgebombt und die ihnen zugewiesene Wohnung gehörte einer Dame, die in Thüringen lebte und den Zweitwohnsitz in Berlin aufgab. In der Wohnung befand sich auch Nazi-Literatur und mein Großvater hat als erstes die Bücher im Badeofen verbrannt. Die Wohnung war möbliert und meine Großeltern haben jedes Möbelstück bezahlt und nicht zu knapp, die Rechnungen habe ich heute noch.
Michiko
ja das ist bekannt pippa, auch in meiner Familie gab es ähnliche Geschichten und es gab Opfer und Täter.
Mein griechischer Großvater , seine Brüder und sein alter Vater waren unter den 200 Männern und Knaben, die im kleinen Dorf Kato Kerdylia bei Thessaloniki von Männern der deutsche Wehrmacht 1941 gefoltert und ermordet wurden, der andere Großvater und auch mein Vater und seine Brüder waren glühende Nazis und zum Teil in der SS. Mein Vater war in Karelien und kam in russische Kriegsgefangenschaft und als gebrochener und tief sich schuldig fühlender Mann als einer der Ersten aus Sibirien zurück. 1960 nahm er sich das Leben und hinterließ uns einen erschütternden Brief.
Aber darum ging es mir in dem Beitrag nicht, es geht um die Trivialisierung in deutschen TV Produktionen die den Eindruck oft genug erwecken, als habe es nur Widerständler mit viel Zivilcourage und Nichtsahnende gegeben.
Ich frage aber noch einmal nach den Zuschauern all der vielen Nazi Dokus mit Originalfilmen, die jeden Tag irgendwo ausgestrahlt werden. Wen und was will man damit erreichen und was erreicht man damit wirklich?
Trivialität ist nie ein gutes Transportmittel für kritisches Denken, aber es gibt immer noch sehr gute Filme die nachdenklich machen. Besonders hat mich der kürzlich wieder gezeigte Film "Wannseekonferenz" beschäftigt und zur Diskussion mit meinen Enkelmädchen angeregt. Wer will kann auch aus dem trivialen Bild kritische Inhalte schöpfen. Wichtig ist doch, dass wir aufmerksam auf unsere Umwelt achten und handeln und wenn nötig mit unseren Möglichkeiten eingreifen. Das mag sehr romantisch klingen, aber der Versuch ist es immer Wert mit Menschen und deren schrägem Weltbild ins Gespräch zu kommen.
Santos
.............Aber darum ging es mir in dem Beitrag nicht, es geht um die Trivialisierung in deutschen TV Produktionen die den Eindruck oft genug erwecken, als habe es nur Widerständler mit viel Zivilcourage und Nichtsahnende gegeben.Ja Malinka, das frage ich mich auch immer wieder.
Ich frage aber noch einmal nach den Zuschauern all der vielen Nazi Dokus mit Originalfilmen, die jeden Tag irgendwo ausgestrahlt werden. Wen und was will man damit erreichen und was erreicht man damit wirklich?
teri
Diese ganzen NS-Trivialschinken wie die von Guido Knopp und anderen habe ich mir nie angesehen, sie interessieren mich nicht. Auch „Der Untergang“ habe ich mir erspart trotz der tollen Schauspieler. Da gibt es ja den schönen Begriff „Histotainment“, wird hier sehr treffend erklärt: Im bildungsbürgerlichen Giftschrank
Nur ganz wenige Filme aus der Zeit tu ich mir an, dazu gehört auch bei mir „Das Zeugenhaus“. Matti Geschonneks Filme sehe ich grundsätzlich immer, wenn ich die Gelegenheit dazu habe, er ist ein ganz besonders guter Filmregisseur.