Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit
So unterschiedlich sind wohl die individuellen Erfahrungen. Bei uns wurde zuhause sehr viel über diese Zeit gesprochen, sowohl persönliche Kriegserlebnisse meines Vaters (wegen abgefrorener Zehen wurde er vor Stalingrad nach Hause geschickt) als auch die Bombennächte der Mutter mit Kleinkindern "im Bergwerksstollen" wurden oft lebhaft und anschaulich thematisiert. Hitler war der Antichrist und wurde quasi als alleinschuldiger Dämon hingestellt. Die Judenverfolgung und der Versuch einer gesellschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus war erst Thema in der Schule und das Ziel zumindest eines meiner guten Lehrer.
Karl
"Ueber die Nazizeit wurde bei uns nicht gesprochen"Bei uns schon, nachdem ich irgendswann angefangen hatte, "deutlicher" nachzufragen. Schon auch mit dem Gedanken an Mitläufer oder gar Begeisterte, im Hinterkopf .....
Das war vermutlich in den meisten Familien der Fall, ......
Schweigen überall, in der Schule sowieso.
Und dann bekam ich Schilderungen, aus den letzten Kriegstagen. Mein Vater war, als kleiner Junge, im Arbeitersportverein, Kunstkraftsport und er (nachweislich!), die Spitze der Pyramide. Diese Fähigkeiten kamen ihm zu Gute, damit er sich, vor den Schüssen frustrierter und wütender ......, auf einem 3 stöckigen Haus, hinter einem Schornstein, in Sicherheit bringen konnte. Er meinte, irgendwann mal lächelnd dazu, da hätten die wohl Schiss gehabt, da rauf zu kommen.
Meine Mutter erzählte, dass sie nach dem Kriegsende "Glück gehabt" habe ....
Es gab, bei den Bauern im Ortsteil, Zwangsarbeiter und z.T. wohl auch Kriegsgefangene. Und es gab einem Hohlweg, wo diese, in einer Ecke hausen mussten. Meine Mutter beschrieb mir, dass sie dort immer hergegangen sei und dann Brotreste und andere Lebensmittel "zufällig hingefallen sind". Nach Kriegsende wüteten Zwangsarbeiter usw. z.T. unter der Bevölkerung und natürlich(?!!) insbesondere gegen Frauen.
Es soll ein russischer Zwangsarbeiter gewesen sein (wusste sie nicht mehr so genau (oder auch nie??), der sich vor sie gestellt habe und allen klar gemacht habe "Die Nicht!"
Ich hab einiges davon auch, soweit möglich, in Archiven überprüft.
Und fand etliche Übereinstimmungen. Es war das erste Mal, dass ich, in meinen K-Gruppen herumstolzierte und mitteilte: meine haben nicht mitgemacht .....
Wir waren immer in Buchenwald. Das erste Mal war ich 1963 dort, das letzte Mal1989. Was ich nicht verstehen konnte, war die Tatsache, dass ich als Kind noch die Berge von Schuhen, Haaren, Lampenschirmen aus Haut sowie viele "Untersuchungsräume" im Original sehen konnte, später aber nur noch Fotos gezeigt wurden. Wir waren damals beeindruckt, erschüttert. Sogar die frechsten Jungs hielten die Klappe. Die Fotos haben die Jugendlichen später nicht mehr so berührt. Es wird Gründe gegeben haben, warum das geändert wurde.@Simiya
Diese Dinge habe ich 1960 auch in Buchenwald gesehen, große Glaskästen gefüllt mit Kinderschuhen oder Haaren. Für mich war das Grausamste der gezeigte Film vor dem Rundgang, was nach Lageröffnung vorgefunden und wie die Berge menschlicher Körper beräumt wurden. Lampenschirm aus Menschenhaut gab es nur einen, der gezeigt wurde. Auf der homepage der Gedenkstätte ist dazu zu lesen:
Die Erzählung vom Lampenschirm aus Menschenhaut war Bestandteil der Nachkriegserzählung und wurde von der Presse, besonders im Umfeld der zwei gegen Ilse Koch 1947 und 1950 geführten Prozesse, stark aufgegriffen. Obwohl man Frau Koch in dieser Hinsicht keine konkrete Schuld nachweisen konnte, blieb die Lampenschirm-Geschichte lange Jahre fester Bestandteil der Buchenwald-Erzählung (nicht nur in der DDR). Schon die erste Ausstellung zur Geschichte des Lagers zeigte 1954 den kleinen, schlicht gearbeiteten Schirm einer Nachttischlampe als "Lampenschirm aus Menschenhaut". Er war von Karl Straub, einem ehemaligen Häftling, übergeben worden und stammte wohl offensichtlich aus dem Lager. Die Ausstellungsgestalter (Museum f. Deutsche Geschichte, Berlin) sahen wohl keine Veranlassung, seine Echtheit zu prüfen, und sich vielmehr in der Pflicht, diese Geschichte zu veranschaulichen. Der kleine Lampenschirm wurde in allen folgenden Ausstellungen als „Lampenschirm aus Menschenhaut“ weiter gereicht und noch in der 1985 neu gestalteten Dauerausstellung gezeigt. Erst mit der nach dem Ende der DDR durchgeführten Grundrevision des Sammlungs- und Ausstellungsbestandes wurde die Echtheit überprüft. Das vom Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Akademie Erfurt (Prof. Dr. sc. med. Leopold) am 6.7.1992 erstellte Gutachten besagt: „Präparat IV (Lampenschirm) ist dagegen serologisch nicht als menschlicher Art zu identifizieren. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Kunststoff, der in ähnlicher Zeit für Lampenschirme produziert wurde. Letztlich ist aber nicht völlig auszuschließen, daß es sich dennoch um biologisches Material handelt.“ Der Lampenschirm war schon vorher aus der ständigen Ausstellung genommen worden. Er befindet sich zur Zeit als Falsifikat im Fundus der Gedenkstätte.
Mein Vater war in der Wehrmacht als Kompanieführer der 2. ten Kompanie an der Newel Abwehrfront. Er wurde verwundet und ist nicht mehr zurückgekommen. Alles was ich von ihm weiß ist, er hätte sich niemals mit der SS und Konsorten gemein gemacht. Leider war seine Schwester ganz anderer Meinung, denn sie war als Assistentin in der Zigeunerverfolgung beteiligt. Obwohl sie meine Schwester und mich als Vollwaisen adoptiert hatte, ist sie mir bis zu ihrem Tod fremd geblieben. Sie hatte schwer mit ihrem Gewissen gekämpft und ist zum kath. Glauben übergetreten !! Was ihr nicht wirklich geholfen hat. Natürlich hat sie über ihre unrühmliche Vergangenheit nie gesprochen.
Wer sich den Film "Nazijäger - In die Finsternis " im TV angesehen hat, der hat das Grauen gesehen, wie es schlimmer nicht sein kann.
Trotzdem kann man nicht wirklich Nazis und Russlands Verbrechen im Krieg vergleichen. Mord ist immer ein Verbrechen.
In den 60er wurde über die NS Zeit nicht viel geredet, das kam erst viel später. Richtig zur Aufklärung haben die Überlebenden der KZ beigetragen.
Nie wieder !!!!
Danke für Ihr Vertrauen, dass Sie uns diese Dramatik schildern.
Aber es ist nicht richtig, dass erst sehr viel später als nach den 60er Jahren mit der Aufarbeitung dieser Nazi-Untaten begonnen wurden.
Der Auschwitz-Prozess mit dem mutigen Fritz Bauer fand von 1963 - 1965 statt; Eichmann wurde 1961 in Israel zum Tode verurteilt.
Und dann begannen die sog. 68er Jahre, wo wir jüngere Studierende gegen den Mief in unseren Elternhäusern und Universitäten rebellierten und genügend Lügen aufdeckten und letztendlich auch unseren Anteil dazu beigetragen haben ,die Gesellschaft zu ändern. Olga
Danke für Ihr Vertrauen, dass Sie uns diese Dramatik schildern.Der Wunsch nach Aufklärung war ja in der Gesellschaft nicht durchgängig, auch in den frühen 60iger Jahren nicht! Umfragen aus der damaligen Zeit zeigten ja sogar eine gewisse Feindseligkeit gegenüber dem 1. Auschwitz-Prozess:" Nestbeschmutzung!" war zu hören, aber auch zu lesen, von den Stammtischen sowieso!
Aber es ist nicht richtig, dass erst sehr viel später als nach den 60er Jahren mit der Aufarbeitung dieser Nazi-Untaten begonnen wurden.
Der Auschwitz-Prozess mit dem mutigen Fritz Bauer fand von 1963 - 1965 statt; Eichmann wurde 1961 in Israel zum Tode verurteilt.
Und dann begannen die sog. 68er Jahre, wo wir jüngere Studierende gegen den Mief in unseren Elternhäusern und Universitäten rebellierten und genügend Lügen aufdeckten und letztendlich auch unseren Anteil dazu beigetragen haben, die Gesellschaft zu ändern. Olga
Von den damals jüngeren Leuten und dem eher linken Spektrum war das Interesse an den Geschehnissen wesentlich größer! Aber ein großer Teil der Öffentlichkeit war schlichtweg desinteressiert. Viele waren ja selbst noch Parteigenossen, denn die NSDAP hatte ja immerhin 1945 etwa 8,5 Mio. Mitglieder!
MarkusXP
Ich habe zu Hause nichts erfahren, aber meine Eltern kamen erst 1945 nach Deutschland und wenn überhaupt, sprachen sie wie mein Vater von seiner Heimat, die er nicht vergessen konnte, meine Mutter eher ab und zu über das Leben als Volksdeutsche in Russland/Sibirien und auch über die furchtbare Flucht im Winter per Pferdewagen. Sie waren ja selbst Verfolgte gewesen, mein Großvater muetterlicherseits starb in einem der beruechtigten Straflagern Stalins, von beiden eigentlich grossen Familien haben wir in Deutschland nie mehr etwas erfahren, es kann gut sein, dass aus der Familie meines Vaters die 1941 "umgesiedelt" wurden, nach meiner Regerge auch einige in Kzs starben.
Vermutlich deshalb wurde nicht einmal das Wort Nazi in unserer Familiev vor uns Kinder erwähnt, meine Eltern hatten viel zu verarbeiten und waren das, was man traumatisiert nennt. Ich kann mich nur erinnern, dass ich einmal heimlich ein Gespräch meiner Eltern über jemanden aus der Nachbarschaft anhörte , den meine Mutter einen alten Nazi nannte.
Der war mir immer unheimlich.
Rosenbusch
Erst mal danke für eure wirklich fundamentalen Berichte und Kommentare, die teilweise sicher nicht leicht fallen.
Ich hätte mal eine Frage, die mich beschäftigt:
Ich persönlich bin immer wieder irritiert über neue Filme, die in der Zeit 33 bis 45 spielen, ich schau immer nur kurz rein, ich hab Probleme, solche Aufarbeitungen in modernen Filmen anzusehen. Wie geht es euch dabei?
Haltet ihr diese Filme für nötig, reichen nicht all die Dokus über diese Zeit, um zu kapieren, was da ablief?
grübel
Ich persönlich bin immer wieder irritiert über neue Filme, die in der Zeit 33 bis 45 spielen,Meinst Du mit "neue Filme" Spielfilme oder neue Dokus?
[ ... ]
Haltet ihr diese Filme für nötig, reichen nicht all die Dokus über diese Zeit, um zu kapieren, was da ablief?
geschrieben von JuergenS
Mir "reichen" die unendlich vielen Dokus auch aus.
Aber vermutlich will man auch ein jüngeres Publikum medial bedienen und erreichen
pace e bene
Bernd
naja, oft ist es glaub ich ein Mix aus Doku und "Spiel".
Ob das Hauptziel ist, Aufklärung zu betreiben, weiss ich nicht, dass Gruseln dabei ist, ist ja der Krimischwemme im TV nicht unähnlich.
Ihr seht, es geht um das Geschmäckle, bei mir.