Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit
Da möchte ich, Jahrgang 1949, nur mal meine Erfahrungen zur Nach-NS Zeit besteuern. In der Schule gab es eine Landkarte, in der noch die Besatzungszonen eingezeichnet waren. Die DDR gab es faktisch im Unterricht nicht. Die "Ostzone" wurde uns von den Lehrern als weißer Fleck auf der Landkarte vermittelt. Erst als ich mich selbst dafür interessierte, konnte ich Dresden, Chemnitz, Leipzig, Jena oder Rostock, genauso wie die Flüsse und Landschaften geographisch einordnen.
Im großen Weltatlas von 1963 ist zwar die DDR farbig von Westdeutschland abgesetzt, aber Den Namen DDR hat man sich verkniffen.
Das Credo war, dass im Osten der böse Russe lebt, Kommunist ist und wir im Westen sehr aufpassen müssen, weil er uns ans Leder will. Darum brauchen wir auch eine starke Bundeswehr, die uns im Notfall schützt. Wenn es ganz schlimm kommen sollte, dann steht die starke Macht der USA hinter uns, um uns zu verteidigen. Vom atomaren Sperrgürtel den man bei einem russischen Angriff quer durch Europa legen wollte, hat man erst viel später erfahren.
Zur NS-Zeit wurden in der Schule nur wenige Worte verloren, wenigstens kann ich mich nur an wenig, wie zum Beispiel den Film "Die Brücke" erinnern, den wir unkommentiert zu sehen bekamen. Erst als ich dann durch einen Besuch mit der Berufsschule im KZ Dachau aufgeweckt wurde, begannen die Diskussionen im Elternhaus.
Bei uns zu Hause war es normal, dass wir Bekleidung beim "Jud" in München kauften. Genauso normal war der Besuch eines jüdischen Teppich- und Stoffhändlers einmal jährlich bei uns. Da wurde Kaffee getrunken (ausnahmsweise nicht Quietta mit König Ludwig Feigenkaffee sondern richtiger Bohnenkaffee) und man unterhielt sich zwanglos.
Andererseits waren die Soldaten der Wehrmacht geachtet. Kein Wunder, denn es war ja fast jeder selbst dabei. Die erzählten Kriegserlebnisse waren eher human, so dass ich nicht weiß, ob da einer der mir bekannten Reservisten überhaupt an die Front kam. Als Bub waren für mich die Soldaten eh Helden. Dafür sorgten schon die Ausgaben der "Landser" Heftchen.
Viele Jahre später, nach der Wiedervereinigung, führte mich der erste Weg in die Ostländer. Eisenach und Wartburg und natürlich Peenemünde waren die ersten Ziele. In jenen Tagen war mir wohl bewusst, dass ein Wernher von Braun einst führender NS- Offizier war. Was ich nicht wusste, dass unser späterer Bundespräsident Heinrich Lübke zum Bau des Raketenzentrums KZ Häftlinge anforderte und Lager für die Häftlinge errichtete. Ein Spind im Museum des Raketenzentrums trägt noch seinen Namen.
Das passt gut in die ganze Verlogenheit der Politik. Der Marinerichter Filbinger, der schnell zum Kriegsende noch, ohne Not, Fahnenflüchtige erschießen ließ um dann den Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zu geben. Oder ein KZ- Arzt Mengele, um dessen Gunst und seine grausamen "Studien" die südamerikanischen Geheimdienste und der CIA buhlten.
Darum lehne ich es auch ab, mich als Teil des deutschen Volkes in irgendeiner Form schuldig zu fühlen.
Anderl
Ichbin Jahrgang 1944 und erlebte es als Mädchen mit, wenn mein Vater seine Nazifreunde zu uns nach Hause einlud und das ansonsten versteckte Hitlerbild wieder aufgehängt wurde und diese unverbesserlichen Nazis davor sassen und von den alten Zeiten schwärmten, alte Marschlieder sangen (wo dann Juden verunglimpft wurden) usw.
Und dabei hatten alle nach dem Krieg für ihre Leidenschaft doch schwer büssen müssen ; sie verloren den Anschluss an die neue, sich herausbildende Gesellschaft. Mein Vater konnte auch nie mehr beruflich aufschliessen und starb mit 53 Jahren an einem Herzinfarkt. Er hinterliess seine 40-jährige Ehefrau und zwei Kinder mit 15 und 10 Jahren.
Bei meiner Mutter kam das alles erst später wieder an die Oberfläche. Als sie die letzten 10 Jahre ineinem guten Münchner Altenheim lebte, beschimpfte sie dort die Pflegekräfte mit migrantischem Hintergrund und erklärte, dass diese vom Adolf vergessen wurden.
Mein Bruder und ich gingen dann jahrelang bei unseren Besuchen mit erhöhtem Trinkgeld zu den betroffenen MitarbeiterInnen und entschuldigten uns für die Gemeinheiten unserer Mutter.
Auch in der übrigen Verwandtschaft lebten sie natürlich, die früheren SS-Männer mit ihren Frauen, die nach und nach keine Scheu mehr hatten, ihren Hitler und dessen Kumpane hochleben zu lassen und "die Besatzer" übelst zu beschimpfen.
Das hat mich bis heute stark geprägt und ich sehe schon aufgrund der familiären Vorkommnisse sicher lebenslang zumindest eine ideelle Verantwortung als deutsche Staatsbürgerin. Umgekehrt partizipiere ich auch an den Dingen, die mich dann ein wenig stolz darauf machen, zufällig als Deutsche geboren worden zu sein. Z.B., dass wir nun so lange eine funktionierende Demokratie haben mit nicht ausgeprägten, korrupten Politikern und einer hohen Freiheit für jeden von uns.
Als ich mit 19 Jahren erstmals für längere Zeit im Ausland lebte (Grossbritannien und Frankreich) erlebte ich es ja noch mit, wie verhasst wir in diesen LÄndern waren, denen wir so übel mitspielten. Und das hat sich allesgeändert, auch weil meine (unsere)Generation gjrossenteils dafür gesorgt hat, dass diese hässliche Deutsche heute nicht mehr so offensichtlich, bzw mehrheitlich auftritt. Olga
Mein Respekt, liebe Olga, wie Sie diese schlimme Zeit überwunden haben als Jugendliche. Phil.
Wer als Feigling geboren wurde, wird es wohl auch mit 101 Jahren nicht mehr schaffen, ein Held zu werden!
Wer als Feigling geboren wurde, wird es wohl auch mit 101 Jahren nicht mehr schaffen, ein Held zu werden!Weshalb so pessimistisch, Schorsch?
Bis 101 ist's doch noch 'ne geraume Weile hin, oder?
Wer als Feigling geboren wurde, wird es wohl auch mit 101 Jahren nicht mehr schaffen, ein Held zu werden!Keiner wird als Feigling geboren, aber auch nicht als Held! Obwohl ..... ich muss schon in meiner Kinderzeit ein Held gewesen sein, denn meine Oma sagte öfter zu mir: Du bist mir schon ein Held.......
Mein Respekt, liebe Olga, wie Sie diese schlimme Zeit überwunden haben als Jugendliche. Phil.Danke lieber Phil.
Ich denke, wir Kriegs-bzw. Nachkriegskinder hatten alle eine schlimme Zeit, die die meisten von uns aber auch geprägt hat. Meine frühen Erlebnisse mit der Nazizeit brachten mich schon früh dazu, herauszufinden, was das eigentlich war. Irgendwann gab es Verwandte,die mit mir darüber sprachen und auch LehrerInnen,die sich nicht scheuten und dann als junge Studentin war ich nicht mehr allein. Da war eine ganze Generation von Menschen, denen es ähnlich erging wie mir.
Und es prägt natürlich für das weitere Leben und da sage ich schon, es hätte auch andere oder schlechtere "Prägungen'" gegeben. LG Olga
Liebe @Olga, Sie haben meine volle Bewunderung dafür, dass Sie sich selbst aus dieser Prägung befreit haben. Das ist alles andere als selbstverständlich und ganz betimmt auch nicht leicht, weil man sich wohl eingestehen muss, Eltern zu haben, die oder deren Haltung man eigentlich nicht akzeptieren kann. Und welches Kind oder welche Jugendliche möchte das schon gern wahrhaben?
Ich hatte es da viel leichter, weil mir im Elternhaus schon eingebleut wurde, wie schrecklich das alles war und wie wenig meine Eltern mit allem einverstanden waren.
Und das war nicht gelogen, sondern glaubhaft, mein Vater hat ja auch seine Erinnerungen aufgeschrieben, da sind sehr interessante Rückblicke aus der Zeit, die für mich ein wertvoller Schatz sind.
Auf jeden Fall finde ich Ihre Leistung ganz besonders beachtlich und habe großen Respekt davor.
Danke Rispe.
Aber das war alles ein langer Prozess. Als Kind hatte ich z.B.meine gleichaltrige Cousine,die ähnliches mit ihren Eltern erlebte.
Dann wurde auch mein Bruder älter (er ist 5 Jahre jünger als ich) und auch dieser erkannte irgendwann die 'Erlebnisse zu Hause, obwohl er unseren 'Vater praktisch nicht mehr miterlebte; als der starb war mein Bruder 10 Jahre alt.
Ich ging dann den Weg wie viele meiner Altersgenossen, mich emotional und auch physisch vom sog. Elternhaus zu trennen (da war ich 18 Jahre alt).Das empfinde ich im Nachhinein als meine beste Entscheidung. Hätte ich es nicht getan, hätte ich mich irgendwann mit dem Elternhaus arrangiert.
So war ich frei und konnte meinen sebstgewählten Weg gehen.
Aber ich denke, es gab viele in unserer/meiner Altersgruppe,die dies so handhabten und sich von ihren schweigenden Eltern trennten.
Heute beneide ich oft Heranwachsende und ihr freundschaftliches und offenes Verhältnis zu ihren Eltern. Aber das ist auch wieder eine andere Generation mit anderen Herausforderungen als es bei uns war. Olga
Eben habe ich ein wenig gelesen von einem über 100 jährigen, der den Holocaust bis heute überlebt hat.
Und dies im Zusammenhang mit dem auch über 100 jährigen SS-Mann, der vor Gericht steht, er hatte ihn im KZ erlebt.
Ich bin zwar nach wie vor der Ansicht, dass es Unsinn ist, höchstbetagte Nazis heute noch juristisch zu belangen, aber in den Erlebnis-Schilderungen des Überlebenden habe ich erneut erkannt, dass, möglicherweise ausgeprägt bei uns "Deutschen" ein Hang zu Freude am Quälen in der Standard-DNA sozusagen Basis ist.
Auch deshalb ist es umso wichtiger, dass alle radikal mit Worten und Taten vorgehenden Bewegungen hochsensibel beobachtet werden müssen, um sie unter Kontrolle zu halten.
AFD und ähnliches darf keinen Zulauf erhalten und in Schulen muß Unterricht danach ausgerichtet werden.