Forum Politik und Gesellschaft Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit

Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit

JuergenS
JuergenS
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von JuergenS

Also zunächst, ich finde es gut, dass hier bei ST so viele interessante Beiträge zu diesem Thema kamen.

Terry Swartzberg, der Initiator in München zur baldigen Freigabe der Verlegung von Stolpersteinen in München hat in seinem facebook-account angeregt, ein "Bild" einzuschicken, siehe:


ausch.jpg
Ich wollte euch dies zur Kenntnis bringen, ich überlege gerade, was ich da angemessener Weise beitragen könnte, es ist nicht ganz einfach, denn auch ich gehöre ja zu der Nachnazizeit-Generation, aber immerhin sind in München an die 4000 Juden abgeholt und massakriert worden.

olga64
olga64
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von olga64

Die mittlerweile 96-jährige, frühere Sekretärin eines Nazi-Verbrechers,der Lagerkommandat im KZ Stutthof war, sollte heute vor 'Gericht aussagen. Die alte Dame versuchte sich dieser Verantwortung zu entziehen, in dem sie mit einem Taxi versuchte, aus ihrem Altenheim zu entfliehen.
Allerdings wurde sie geschnappt; es erging Haftbefehl.
Gegen die Dame wird im Jugendstrafrecht verhandelt ,weil sie zur mutmasslichen Tatzeit erst 19 Jahre alt war. Sie wechselte damals übrigens als Sekretärin der Dresdner Bank zu dieser Tätigkeit im KZ; wurde also vermutlich nicht zwangsverpflichtet oder ähnliches.
Durch ihren Fluchtversuch bewies sie nun allerdings, dass sie anscheinend noch sehr fit ist und dem Prozess ohne grosse Einschränkungen wird folgen können; inwieweit dies auch Auswirkung auf eine evtl. Haftstrafe im späteren Urteil haben könnte, wird man sehen.
Es ist in jedem Fall eine Ignoranz den Ansprüchen der Opfer und Nebenkläger gegenüber, wenn sich jemand auch an seinem Lebensende noch nicht bereiterklärt, sich seiner Verantwortung zu stellen. Olga

JuergenS
JuergenS
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf Songeur vom 24.11.2020, 14:25:09

das will ich persönlich erst mal nicht diskutieren, erster Ansatz: wer sich angesprochen fühlt, aus welchen Gründen auch immer,  Songeur 24.


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Junger Alter
Junger Alter
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Junger Alter

Ich selber bin Jahrgang 1956 und habe somit keine direkten Erinnerungen an die Zeit 1933-1945. Meine Mutter stammte ( Verst. 2020 im Alter von 91 J) aus dem nördlichen Berlin und mein Vater (Verst.1997) stammte aus Ostpreußen. Seine Eltern waren zumindest Anhänger der Nazis gewesen. Genaueres habe ich nie herausbekommen. Sein Bruder war wohl im Krieg, hat aber überlebt und ist später in RLP sesshaft geworden und hat eine Familie gegründet. Seine Schwester kam südlich von Bonn zur Ruhe und lebte dort mit ihrer Familie. Mein Vater war gegen Kriegsende noch in Ostpreußen bei irgend einer Logistikeinheit eingezogen worden und hat dann auf Befehl seines Chefs den Rückzug nach dem Westen angetreten. Wenn Ich ihn fragte, wollte er aber nicht viel erzählen. Er sprach von schrecklichen Zeiten, die er erlebt hatte.
Meine Mutter flüchtete mit der Familie aus Hohen Neuendorf bei Berlin. Zuerst wurden sie im Westen bei Bremen einquartiert. Ihr Vater war Lehrer im 3. Reich und trat 1938 in die Partei ein, damit er seine Familie ernähren konnte. Somit stand er nach 1945 auf der Liste der Nazis und durfte wieder nicht arbeiten. Ich glaube so 1951/52 bekam er eine Stelle bei Ludwigshafen/Rhein. Dort wurde ich geboren.
Der Schwager meiner Mutter war aus einem Dorf im Taunus. Er war strammer Nazi. Er sah nur die Möglichkeit sich bei der Fremdenlegion zu verpflichten, um einer Internierung zu entgehen. Und genau so hat er seine Familie beherrscht.

  Ich habe von Elternseite also nicht viel erfahren. Bin allerdings seit meiner Schulzeit sehr an der jüngeren
Geschichte interessiert.
Für mich steht die Frage im Vordergrund, kann ich mich moralisch über die überlebenden Nazis erheben. Welche Entscheidungen hätte ich damals für mich getroffen.
Weshalb sind diese Entscheidungen dafür grade von "Otto Normalverbraucher"  getroffen worden. 
Liegt die Ursache der Entstehung des Dritten Reiches   nur im Erstarken der NSDAP oder liegt der schlüssel dafür nicht wesentlich früher.
Hätte man die NSDAP damals mit Stand des damaligen Wissens überhaupt stoppen können?
Welche Verantwortung tragen z.B. Großbritannien und Frankreich.
Wie können wir selbiges in der Zukunft verhindern. Wie können wir unseren Kinder die damalige Katastrophe  in Zukunft ohne überlebende Zeitzeugen in Erinnerung halten.

MarkusXP
MarkusXP
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von MarkusXP
als Antwort auf Junger Alter vom 04.10.2021, 23:18:17

  Ich habe von Elternseite also nicht viel erfahren. Bin allerdings seit meiner Schulzeit sehr an der jüngeren Geschichte interessiert.
Für mich steht die Frage im Vordergrund, kann ich mich moralisch über die überlebenden Nazis erheben. Welche Entscheidungen hätte ich damals für mich getroffen.
Weshalb sind diese Entscheidungen dafür grade von "Otto Normalverbraucher"  getroffen worden. 
Liegt die Ursache der Entstehung des Dritten Reiches   nur im Erstarken der NSDAP oder liegt der Schlüssel dafür nicht wesentlich früher.
Hätte man die NSDAP damals mit Stand des damaligen Wissens überhaupt stoppen können?
Welche Verantwortung tragen z.B. Großbritannien und Frankreich.
Wie können wir selbiges in der Zukunft verhindern. Wie können wir unseren Kinder die damalige Katastrophe  in Zukunft ohne überlebende Zeitzeugen in Erinnerung halten.
Das sind interessante Fragen die du da aufwirfst! Einiges geht in den Bereich der Spekulation ...

"Mein Kampf" war wahrschein der am wenigsten gelesene Bestseller!" habe ich mal irgendwo gelesen ... da hätte man über die politischen Ziele Hitlers bzw. später der NSDAP viel erfahren können!

Die Olympischen Spiele 1936 hätten in dieser Form nie stattfinden dürfen, und zwar vor dem Hintergrund was in den 3 Jahren nach der Machtübernahme in Deutschland schon passiert war.

Jeder hat doch die exorbitante Aufrüstung der Reichswehr mitbekommen!

Die Ursache des 2. Weltkriegs liegt auch im Ausgang des 1. Weltkrieges, zum Teil davor. Die Weimar-Republik hatte zu wenig Demokraten und viele "Geburtsfehler"

Die NSDAP war ja Mitte der 20iger Jahre verboten ... die Chance gab es m.E.!

Ich bin heute kein Held und wäre es auch wohl damals nicht geworden. Ich habe später einige Nazis in der weiteren Familie gehabt! Keiner wusste was, es ging ja aufwärts, so viele Juden gab es gar nicht, NSV hat uns geholfen, usw. usw.

Aber Helmut Schmidt und Richard von Weizäcker haben ja auch nix gewusst!

Das sind jetzt nur Stichworte, plakativ aneinander gereiht! Wenn sich daraus was ergibt mische ich gern mit!
MarkusXP

 
Karl
Karl
Administrator

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Karl

Ich bin Jahrgang 1948. Mein Leben verdanke ich dem Überleben meines Vaters, der als einfacher Soldat aus dem Russlandfeldzug vorzeitig wegen seiner erfrorenen und dann amputierten Zehen nach Hause geschickt wurde. Seine Kompagnie wurde in Stalingrad komplett aufgerieben.

Hitler und die Nazizeit waren bei uns zuhause und im Gymnasium immer ein wichtiges Thema.  Meine Eltern waren voller Abscheu und mein Vater weigerte sich aufgrund seiner pietistischen Überzeugung Mitglied der NSDAP zu werden.

Mein Vater sah aber in Hitler eher so etwas wie das personifizierte "Böse", die gesellschaftliche Analyse war nicht sein Ding.  Erst unter guten Lehrern am Gymnasium habe ich nicht nur das volle Ausmaß der Verbrechen erfahren, sondern auch Einblick in den historischen Prozess erhalten, der dazu geführt hat.

Elternhaus und Schule haben dazu beigetragen, dass ich um die Verantwortung weiß, die wir für Gegenwart und Zukunft tragen und ich versuche dieser im Rahmen meiner Möglichkeiten gerecht zu werden.

2018 habe ich einen Schülerwettbewerb an deutschen Schulen weltweit zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor 80 Jahren durchgeführt. Einen Schlussstrich darf es nie geben. Nur das Erinnern an die Geschehnisse und das Verstehen der Prozesse, die Faschismus ermöglichen, können uns helfen, die Zukunft besser zu gestalten.

Karl

 


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Bias
Bias
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Bias
als Antwort auf MarkusXP vom 05.10.2021, 00:07:49

Guten Morgen.
"Was wäre wenn", führt immer ins Spekulieren,  Markus.
Rückwärts gedacht ändert es nichts. Vorwärts wär's vor dem Hintergrund von Erfahrung sinnvoll, doch auch da führts, wie man sieht, bspw. zu Energiepreisen, die auf milde Winter hoffen lassen oder - eine Stufe näher an Tod und Verderben - zu Fiasken wie jenen in Afghanistan. 
Jetzt schaun wir mal, was eine kommende Regierung so alles an Fehlleistungen der direkten Vorgänger entdeckt und sich darauf beim Verordnen von Einschränkungen und Lasten für uns Bürger beruft.
Wer weiß schon, was wiederum daraus folgt.

Hab gerade gelesen, was Karl geschrieben hat und stelle fest: Altersmäßig war ich noch weniger wie der einzelne Soldat, der damals in den Krieg geschickt wurde, in der Lage etwas am unseligen Geschehen zu ändern und mein Vater "fiel" - was für ein netter Ausdruck fürs Verrecken - im "Kampf für Großdeutschland", wie meiner Mutter per Brief mitgeteilt wurde.

Jetzt im Alter stelle ich ernüchtert fest: Auch heute ist mein Einfluss äußerst gering.

schorsch
schorsch
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von schorsch
als Antwort auf olga64 vom 25.11.2020, 17:17:01

Alle Achtung dafür, dass du offenlegst, dass es nicht nur die nichts-wissenden und nichts-getan-habenden Deutschen (und Österreicher - und Schweizer - undundund) gab und noch gibt.....

schorsch
schorsch
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Bias vom 05.10.2021, 06:55:15
Guten Morgen....
......und mein Vater "fiel" - was für ein netter Ausdruck fürs Verrecken - im "Kampf für Großdeutschland", wie meiner Mutter per Brief mitgeteilt wurde.

......
geschrieben von Bias
Hätte Deutschland damals den Krieg gewonnen, wäre dein Vater heute posthum ein Held. Weil D aber den Krieg verloren hat, lässt die Geschichte mitleidsvoll das Tuch des Vergessens über ihn werfen -, um euch die Schmach zu ersparen, eure Väter seien allesamt willfährige Idioten im Dienste eines Wahnsinnigen gewesen.....
pschroed
pschroed
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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von pschroed
als Antwort auf schorsch vom 05.10.2021, 08:05:29
Schorsch es ist nur zu hoffen dass sich solch eine widerliche Zeit niemals mehr wiederholt.
Keinen Spielraum den Rechtspopulisten, auch im Umfeld ausserhalb des Forums.
Jeder ist heute aufgeklärt genug, um zu verstehen wie solch eine Ideologie enden kann. 
Es gab damals auch viele ungebildete Soldaten wo nicht fanatisch waren und aus Angst um sich selbst und ihren Familien einfach nur mitliefen. Die Demokratie ist ein unersetzbares Gut. Phil.

 

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