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Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf JuergenS vom 24.11.2020, 14:03:12

*Sprung: vor paar Jahren habe ich Stolpersteine entdeckt, ab da hab ich mich intensiver mit unserer Vergangenheit befasst, Juden kenngelernt und plötzlich liefen auch Dokus und Prosa ohne Ende in den Medien.
*Jetzt unterstütze ich die Bewegung "Stolpersteine für München"

Vor diesem Vergangenheits-Hintergrund wundert es mich nicht, dass viele junge Menschen über die schlimme deutsche Zeit nix wissen oder nix wissen wollen.

Da irritiert natürlich auch z.B. so ein m.E. gräßliches Holocaust-Denkmal in Berlin eher als dass es wachrüttelt.
Fange mer hinten an, Berlin Denkmal.
Das ist Harter Tobak. Da muss Mensch selber durchgehen, um (trotz vorheriger Information) annnähernd begreifen zu können, sich vorstellen  zu können, was geschehen ist. Dazu gehört wieder die Kenntnis, was geschehen ist.
Das kann kein Denk/Mahnmal vermitteln.
Das Berlin Holocaust Mahnmal ist optisch auch nicht gerade von und für Rubens gebaut.
Aber darum geht es ja nicht damit.
Da einfach 'durchzuspazieren' ist irgendwie 'komisch', mehr nicht. Jedenfalls für den, der über die vermutlichen Schicksale hinter den Steinen nicht wenigstens etwas kennt. Es sind Millionen grausamster Schicksale. Selbst diese Steine können das nicht/nie vermitteln (sie erscheinen anonym), aber sie können vielleicht die Grausamkeit andeuten, zum Nachdenken anregen.
Und allerdings auch den einwandfrei funktionierenden 'Apparat' dahinter erklären - was uns zum heutigen (modernen) 'Nazi' führen würde.

Über die Nazi-Zeit wurde uns jedenfalls nichts erzählt. Keinen Ton. Dürfte auch meinem GrundschulLehrer nicht leichtgefallen sein. Weswegen er dieses Thema wohl ausgelassen hat. Zumal 10-Jährige es sowieso nicht verstanden hätten. Fragen kann ich ihn nicht mehr.
Erst zufällig Dachau viele Jahrzehnte später...
Ob ich eine AufklärungsFahrt dorthin empfehle? Nein, das bleibt hängen. Davon kommt keiner mehr los.
Aber ich kann verstehen, warum Isreal rundum bis über die Zähne bewaffnet ist.
Als aktiver Beitrag, dass sich das nicht wiederholen wird.
Und so sehe ich auch die Stolpersteine.

Ich kann natürlich nicht für alle Jugendlichen sprechen/schreiben.
Mit denen ich zusammen kam, die wussten zwar, dass 'da was Böses' geschehen war. Aber was, das wussten sie nicht genau, es war auch nicht so brennend interessant. Das war für sie so weit entfernt, da fehlte einfach das Vorstellungsvermögen.

Ob sie darüber nichts wissen wollen?
Ja, das nehme ich auch an; denn es geht sowieso über die Vorstellungskraft.
Auch bedenknd der heutigenzeits angesagten TerrorAnschläge.
Erst wenn Mensch selber betroffen ist, dann wächst die Aufmerksamkeit.

Erst wenn Mensch selbst erlebt hat, wie Familien abgeführt wurden, erst dann fängt das Denken auch bei 5-Jährigen an. Der 'Pimpf' sieht das Grauen und die Brutalität  der Schergen durchaus.
Und macht sich heute Gedanken, wie 'sauber' das alles rechtlich gedeckt ablaufen konnte/musste.
Bei jedem 'verdammten' Stolperstein kommt mir das pure Grauen wieder hoch; da strellen sich meine Nackenhaare automatisch hoch. Zudem ich Grausamkeiten (Erschiessungen) selbst mit erlebt habe, und auch auf mich geschossen wurde. Da kommt dir auch mit 5-6 das Grauen, das du nie vergisst.
Genau das sollte der heutigen Generation (eigentlich allen) vermittelt werden.
Aber dazu brauchen sie schon einen etwas weiteren BegreifKreis, den Erstklässler (noch) nicht haben können. Das könnte erst mit 18-20 sein.
Dann wächst auch das Verständnis für Asylanten, auch für radikale und ungehobelte.

Und damit kommen wir zu dem Punkt heutiger 'Nazies'.
Der heute 'Nazi' hat mit der damaligen 'Rampe' nix am Hut. Vllt von Ausnahmen abgesehen.
Der heutige/moderne Nazi' hat andere Gründe.
1) Der hat einfach noch nicht kapiert was eine Demokratie ist. Weil es ihm auch nicht unbedingt gut geht. Über die Gründe dafür könnte ich Seiten schreiben. Aber da sie sowieso keiner (kaum einer) lesen würde, erspare ich mir den Aufwand; auch aus Furcht, in der Luft zerrissen zu werden.
2) Neid auf andere, denen mehr geholfen wird. Abgehängt.
Das ist bitter. Da gibt es auch kein stechendes Argument. Angebot an gescheiter Fort/Ausbildung? EigenInitiative?
Vor einigen Tagen hab ich mich mit zwei solchen 'Benachteiligten' unterhalten. 25-Jährige.
Fehlende Kenntnisse in Deutsch? Ja, es waren Deutsche, die sich ganz einwandfrei ausdrücken konnten. Den Beruf, den sie sich vorstellten, ... nix da; sie würden 'auf dem Bau schaffen gehen müssen'. Kein Wunder über Frust.
Sie müssen sich doch geradezu Radikalen zuwenden. Sie mit 'Nazies' zu verallgemeinern ist nicht fair, erzeugt aber weitere 'Aufmüpfigkeit'. Und dann werden sie natürlich auch radikal.
DE muss sich dringendst um eine radikale Neuformierung des Bildungssystems kümmern. Auch/nur damit kann dieser Trend vermieden werden. Chinesen sind uns auch darin eine Generation voraus.
3) Unsere Bürokratie. Die erzeugt Widerstand. Obwohl ich kein 'Nazi' bin (warum sollte ich?), muss ich doch hin&wieder heftig mit dem Kopf schütteln. Gegen Bürokratie kommt in diesem Staat niemand mehr an. Auch nicht unsere Bundeskanzlerin.
Wie war das also 'damals', als alles 'rechtlich einwanfrei legalisiert' war?
Und wer aus der Reihe tanzte, ...
Heute sicherlich/hoffentlich nicht mehr so organisierbar. Jedoch ... Toyota?
Da verstehe ich zwar zu diesem Grund 'Freiheitsberaubung' die Corona-Demonstanten durchaus, aber hier verfehlen sie das Thema ganz grob.
zausel2
zausel2
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von zausel2

Eine gute Adresse, sich über die NS-Zeit und viele andere interessante Themen schlau zu machen, ist die "Bundeszentrale für politische Bildung". Für Schüler und Schülerinen, Studenten und Studentinnen, aber auch für wirklich jeden egal welchen Alters gibt es dort ausführliches Informationsmaterial über alles, was in der Welt geschah oder gerade geschieht.
Als es das Internet noch nicht gab, musste man sich die Broschüren beschaffen.
Heutzutage ist alles einfacher, um an Informationen zu kommen. Es lohnt sich, einfach mal auf der Webseite zu stöbern. Gruß Zausel2

JuergenS
JuergenS
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von JuergenS
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.12.2020, 19:14:07

digi, ich würde dir ja ab und zu gerne ein Herzchen geben, aber du schreibst immer so viel "Zeug", dass ich nur, wenn ich überhaupt alles lese, mit so manchem einverstanden sein kann, uferst auch gern aus.

die meisten haben vor allem ihre eigene, oft schmale Erinnerung gezeigt, war Hauptsinn der Sache.
Heute könne wir kaum noch viel aktiv mitwirken, ich zum Beispiel habe mich Jahrzehnte kaum dafür interessiert, die Wunden, die wir kaum kannten, auch noch zu pflegen. Umso problematischer ist es, zumindest für mich, auch nur  ein wenig dafür zu sorgen, dass das, wo wir selbst schon wenig aktiv waren, für junge Menschen das nachzuholen, was uns kaum wichtig war.


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RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf JuergenS vom 03.12.2020, 14:05:53
digi, ich würde dir ja ab und zu gerne ein Herzchen geben, aber du schreibst immer so viel "Zeug", dass ich nur, wenn ich überhaupt alles lese, mit so manchem einverstanden sein kann, uferst auch gern aus.
In meiner 50-jährigen '(auch) InstruktorZeit' quer über den Globus habe ich gelernt, eine Sache so logisch und einfach wie möglich aufzudröseln. Dazu gehört, den Vorgang Stück für Stück darzustellen - mit Worten, die auch TanteOttilie verstehen könnte. Gelingt auch mir nicht immer. Verlangt aber schon eine gewisse 'Ausschweifung'.
Das geht also meistens nicht kurz. Fehlt nämlich auch nur ein einziger Schritt in der Erkärung, ist der gesamte Vorgang für die Katz.
Ist das Gegenteil von unbrauchbaren Anweisungen, die sich manche -wenn nicht alle- SoftwareEntwickler erlauben, um ihr Publikum zu verwirren.
Nach dem Motto: wie man's auch macht - es ist immer verkehrt. Und allen kann man's sowieso nicht recht machen. Aber kaum macht man's richtig, schon funktioniert's.

Och, mit den Herzschen isses nicht so wichtig. Hauptsache meins ist ok.
😇

OT:
Aber sonst denke ich schon, dass ich wenigstens fehlerfrei schreiben kann: :-)
Abitur war damals für mich als Flichtling nicht drin, nicht mal das Fahrgeld.
Es hätte mir auch später nichts gebracht.
https://wochenberichtelehre.de/Files/Image/_zeugnisse/entlassungszeugnis_volksschule.jpg
Bias
Bias
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Bias
als Antwort auf zausel2 vom 03.12.2020, 13:47:07
Eine gute Adresse, sich über die NS-Zeit und viele andere interessante Themen schlau zu machen, ist die "Bundeszentrale für politische Bildung". Für Schüler und Schülerinen, Studenten und Studentinnen, aber auch für wirklich jeden egal welchen Alters gibt es dort ausführliches Informationsmaterial über alles, was in der Welt geschah oder gerade geschieht.
Als es das Internet noch nicht gab, musste man sich die Broschüren beschaffen.
Heutzutage ist alles einfacher, um an Informationen zu kommen. Es lohnt sich, einfach mal auf der Webseite zu stöbern. Gruß Zausel2
Heutzutage ist es sogar möglich sich am Original zu orientieren.
Sich beispielsweise "Mein Kampf" als Hörbuch aus dem Netz zu laden, zuzuhören und sich darüber Gedanken zu machen, wie das was da geäußert wird damals Leute ansprechen konnte.

Heutzutage scheint eben alles ganz anders als früher zu sein, Zausel.
Die Leute sind informierter, kritischer und folgen - wenn sie folgen - mehrheitlich immer den richtigen Vorbildern.
olga64
olga64
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von olga64
als Antwort auf Bias vom 04.12.2020, 19:10:25

Unsere Eltern erhielten Mein Kampf zur HOchzeit; bei meinen Eltern war das wenigstens so. Sie haben es auch nicht weggeworfen, so dass mein Bruder und ich als Heranwachsende dieses "Werk" schon gelesen hatten und bis heute wundern, dass die Beschenkten dies anscheinend nie getan haben. In diesem im Landsberger Knast von Hitler verfassten Bestseller stehen seine gesamten Pläne und Vorhaben, die er dann eigentlich recht stringent mit seiner Verbrechergruppe abgearbeitet hat. Olga


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Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Michiko
als Antwort auf zausel2 vom 03.12.2020, 13:47:07

Auch eine gute Adresse ist in Berlin die "Topographie des Terrors", gleich neben dem ehem. "Reichsluftfahrtministerium", später Haus der Ministerien, danach Treuhandanstalt, und aktuell Ministerium der Finanzen.

Die Topographie des Terrors ist ein seit 1987 bestehendes Projekt zur Dokumentation und Aufarbeitung des Terrors durch den Nationalsozialismus in Deutschland insbesondere während der jahre 1933 - 1945. Dazu gehört eine Dauerausstellung im Neubau und eine Freiluftausstellung auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße 8 (heute: Niederkirchnerstr. 8). Das Gelände befindet sich in zentraler Lage zwischen Anhalter Bahnhof, Potsdamer Platz, und unweit des Brandenburger Tores und des CheckPoint Charlie.  

Es gibt seit kurzem eine neue Ausstellung in der Gedenkstätte:  Nazi-Wissenschaftlerinnen fotografierten in Tarnow/Polen Anfang der 1940er Jahre jüdische Familien, um vermeintliche Rassemerkmale zu dokumentieren. Nur wenige von ihnen haben den Holocaust überlebt. Die meisten der Fotografierten wurden anschließend in einem Waldstück bei Tarnow erschossen. Die Ausstellung "Der kalte Blick" in der Topographie des Terrors beleuchtet jetzt ihre Geschichte. Es sind 565 Porträts, jedes einzelne kaum größer als eine Zigarettenschachtel. Eine Vermessung angeblich rassisch minderwertiger Menschen. Angeregt hatte diese neue Ausstellung der Historiker Götz Aly. Die beiden Anthropologinnen, die dieses Projekt durchführten, wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
 
zausel2
zausel2
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von zausel2

Meine Eltern haben dieses Buch nicht zu ihrer Hochzeit (1939) bekommen. Wenn sie es bekommen hätten, wäre es bestimmt im Ofen gelandet, wenn er dieses Werk gesehen hätte. Er war ein Oberfranke und die Nazis haben ihn ins Gefängnis gesperrt, weil er darauf bestanden hat , der deutsche Gruss wäre Guten Tag und nicht dieses auch heute noch bekannte Unwort. Opa hätte dieses Werk in den Ofen seiner Stellmacher-Werkstatt "neig'schuert".
Und mein anderer Opa war noch rigoroser. Der war Kleinbauer und hat immer freundschaftlich mit dem jüdischen Viehhändler im Dorf Handel getrieben. Bis ihm der NS-verseuchte Ortsbauernführer gedroht hat, wenn er das nicht lassen würde, müsse er Opa ins Zuchthaus bringen. Opas Plattdeutsche Antwort: wenn du dat denn dohn muss, denn do dat. Ick kann den Levit Keen vorn Kopp haun. Auf solche Opas sind wir Enkel heute noch stolz.

schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von schorsch
als Antwort auf olga64 vom 04.12.2020, 19:16:28

Die Nazis haben die Bibel mit Wonne durch "Mein Kampf" ausgetauscht. Und ich glaube, ein grosser Teil dieser "Braune Bibel für reine Arier" wird auch heute noch ab und zu aus dem Versteck geholt.....

Viele Bücher der Weltliteratur wurden in öffentlichen "Festen" an offenen Feuern auf öffentlichen Plätzen verbrannt, zusammen mit "Judenbildern". Warum eigentlich gab es bis heute noch keine öffentlichen "Mein Kampf"-Verbrennungen? Vielleicht wegen dem Hintergedanken "Man kann ja nie wissen, ob die Braunen wieder an die Macht kommen werden. Dann wäre es doch gut, wenn ich Hitlers Bibel aus der Versenkung holen könnte!"

Bias
Bias
Mitglied

RE: Wir Älteren und die Nazizeit
geschrieben von Bias
als Antwort auf zausel2 vom 05.12.2020, 15:22:18
Auf solche Opas sind wir Enkel heute noch stolz.
Ich baus auch mal aufs Glauben auf, Zausel:
Der heutigen Enkelgeneration der Geschichtserben  wird dazu vermutlich gar nichts einfallen.
Wieso?
Aktuell sind ihre Opas und Omas in ihrer überwiegenden Mehrheit vermutlich nicht minder mutig wie es Deine Opas damals gewesen sind (ganz offensichtlich zwei gute Typen, denen angesagtes "Gedankengut" wurscht gewesen ist).

Halte Dich senkrecht und komm gut in den zweiten Advent.

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