Innenpolitik Wir Älteren und die Nazizeit
ausgelöst durch verschiedene threads und Beiträge und Vorgänge um die AFD etwa hatte ich die Idee, mal so einen thread zu eröffnen, wo man mal, in kompakter Form sich erinnern könnte, wie es denn so lief.
(Ich entschuldige mich gleich, weil ich ja lange Texte meide, dass es trotz Telegrammstil so viel geworden ist, ich liess auch viel weg):
*Geboren 1940, nur mitbekommen, dass was Schlimmes zu Ende war, Vater war noch in Gefangenschaft
*1947 Schulbeginn, machte Spass, war mal was anderes
*1951 nanu, in der Oberschule muß man sich ja plötzlich anstrengen
*50er Jahre: Vater erzählt viel vom Krieg, war hochinteressant, einmal erzählt er, dass er in Russland bei Erschiessungen zusehen mußte, ansonsten war er scheinbar clever, war Nachschub-LKW-Fahrer mit Rundum-Kümmern um alles.
*Im Radio hört man ab und zu jüdische Gesänge, gefielen allen ob ihres tragischen Tones nicht. In der Schule, auch in der Oberschule, wo ja alles Lehrer sind, in der Nazizeit ausgebildet, gibt es nie Erwähnungen der Nazizeit, auch nicht bei den Pfarrern.
*Mein Freund überredet mich, Ministrant zu werden, mache ich, die Eltern stört es nicht.
Nebenbei bekommt man mit, dass es Prozesse gibt gegen böse Nazis, oft mit sanftem Ausgang für sie. Mein Onkel, fast Naziopfer geworden, hilft bei der Entnazifizierung mit, im Zweifel für den Angeklagten.
*Lehrzeit, Studiums-Zeit, Berufszeit erlebe ich ohne wesentliche Kenntnisnahme der schlimmen Zeiten 33 bis 45, man ist mit Urlaubsplanung, Autokauf, Wohnung, Familiengründung befasst, alles wichtiger, auch wenn einem leid tut, dass es das Schicksal z.B. der Anne Frank gab.
*"Gott sei Dank", so denkt man damals, ist Israel so ein "rassistischer nicht zimperlicher Staat, das macht es leichter, zu einem Volk gehören, das "ähnlich", so erfährt man aber erst nach und nach, einen "Holocaust" ungeheuren Masses angerichtet hatte.
*Man bekommt zwar mit, dass Russland 26 Millionen Verluste hatte durch Deutschland, aber die haben ja auch sich gewaltig Rache genommen(Teilung Deutschlands- Gewaltregime etc.). Oft heisst es, das alles haben "die Nazis" angerichtet. Deutschland war nicht identisch mit "Nazis".
*Sprung: vor paar Jahren habe ich Stolpersteine entdeckt, ab da hab ich mich intensiver mit unserer Vergangenheit befasst, Juden kenngelernt und plötzlich liefen auch Dokus und Prosa ohne Ende in den Medien.
*Jetzt unterstütze ich die Bewegung "Stolpersteine für München"
Vor diesem Vergangenheits-Hintergrund wundert es mich nicht, dass viele junge Menschen über die schlimme deutsche Zeit nix wissen oder nix wissen wollen.
Da irritiert natürlich auch z.B. so ein m.E. gräßliches Holocaust-Denkmal in Berlin eher als dass es wachrüttelt.
Wie alt muss man sein, um zu den "wir Älteren" zu gehören ?
Das Folgende ist leicht off-topic, denke aber, es könnte den einen oder anderen Leser interessieren:
Ich habe mich ca. drei Jahre lang mit dem Leben meines Großvaters (1898 - 1970) befasst, dazu Archivalien aus unterschiedlichen Archiven herangezogen, wie dem Bundesarchiv. Mir liegt auch ein deutschsprachiges Archivgut aus einem polnischen Archiv vor, mit Bezug zu meinem Großvater.
Über meine Erkenntnisse über meinen Großvater habe ich einen wissenschaftlichen Text geschrieben (101 Seiten, 361 Fußnoten). Diesen Text werde ich in naher Zukunft meinen Verwandten zukommen lassen, was quasi einer Veröffentlichung gleichkommt, ich warte noch auf die entsprechende Erlaubnis des Bundesarchivs am Standort Berlin-Lichterfelde. Der Standort Koblenz hat mir bereits die Erlaubnis erteilt.
Mein Großvater war Beamter in der Weimarer Republik und arbeitete als solcher ohne Unterbrechung weiter im Dritten Reich bis zu dessen Untergang, jedoch war er seit 1931 als Beamter beurlaubt und arbeitete stattdessen in der Privatwirtschaft, und zwar für die Landwirtschaftskammer Schlesien, die durch die Nazis in den Reichsnährstand überführt und gleichgeschaltet wurde.
In einem Verein, der aus dieser Landwirtschaftskammer hervorging, erledigte er die Buchhaltung und das Steuerwesen für schlesische Landwirte. Im Jahr 1942 wurde er Geschäftsführer dieses Vereins.
Nach dem Krieg machte er Karriere im Bundeslandwirtschaftsministerium und schied als Oberregierungsrat in den Ruhestand aus. Er bekam ein Bundesverdienstkreuz. Deswegen gibt es über ihn u. a. eine Personalakte beim Bundesarchiv.
Ich habe mich selbstverständlich gefragt, wie seine Haltung zum NS-Regime war, konnte diesbezüglich aber eigentlich nichts wirklich Erhellendes/Belastendes in den Archivalien über ihn finden.
Er durchlief ein Entnazifzierungsverfahren, weil er Mitglied der NSDAP war (Beitritt in 1937), wurde als "entlastet" in diesem Verfahren kategorisiert. Er war meiner Meinung nach ein Mitläufer des NS-Regimes, obwohl er erst recht spät in die NSDAP eintrat.
Vielleicht hat er sich trotzdem indirekt an Zwangsenteignungen landwirtschaftlicher Flächen im heutigen Polen und im Sudetenland beteiligt, es ist ihm aufgrund der Archivalienlage jedenfalls nicht nachweisbar.
Schaschlik_Tango
😂 Älter als ich 😁
DAnke für Ihren interessanten und auch offenen Beitrag.
Viele von uns können die "Gnade der späten Geburt" in Anspruch nehmen,d.h., als dieses sog. 1000-jährige Reich zusammenbrach, der Obermörder Hitler und einige andere Selbstmord begingen und andere beim Nürnberger Prozess zum Tode oder Haftstrafen verurteilt wurden ,waren wir Säuglinge, resp. kleine Kinder.
Bei mir war es so, wie bei vielen meiner Altersgenossen, dass Fragen zu Hause nicht beantwortet oder schlicht gelogen wurde; auch die Schulen waren die ersten Jahre nicht hilfreich, das änderte sich bei mir erst auf dem Gymnasium, wo nicht mehr die LehrerInnen unterrichteten, die ihr "Handwerkszeug" während der Nazizeit erlernten.
Unser Vater wurde nicht entnazifiziert; er wurde verhaftet, was darauf schliessen lässt, dass er mit seinen Kumpanen in der FAngruppe um Hitler schlimmere Dinge zu verantworten hatte. Als er in die Familie zurückkam, war ich ein kleines Mädchen; Zugang zu ihm fand ich nie. Aber es ist in meiner Erinnerung verankert, dass er hinter verschlossenen Türen seine alten Nazikumpels regelmässig empfingt und auch das Hitler-Bild aus dem Versteck geholt wurde.
Er starb als ich 15 Jahre alt war; eine Gelegenheit, mich mit ihm auseinanderzusetzen hatte ich nie. Meine Mutter pflegte noch im hohen Alter im Altenheim den despektierlichen Umgang mit dortigen, ausländischen Pflegekräften und schmückte dies mit alten Nazisprüchen - entschuldigen mussten sich hierfür mein Bruder und ich bei den Mitarbeitern.
Auch der Rest der Verwandtschaft hielt sich in Schweigen, was auch bei deren Kindern zu Verunsicherung führte, bzw. zu Kontaktabbrüchen.
Je älter ich wurde, desto öfters stellte ich mir die Frage, wie ich mich eigentlich verhaten hätte, wenn ich eine erwachsene Frau in derNazizeit gewesen wäre, indoktriniert zwangsweise von diesem braunen Gift und wie ich das dann in mein späteres Leben wohl integriert hätte? Gut ,dass es nicht so war - die Ereignisse in meiner Familie machen mich (und meinen Bruder) sicher lebenslang immun gegen die braunen Ideologien mit allen Begleiterscheinungen. Olga
Insgesamt habe ich die Erfahrungen gemacht, dass Niemand sich wirklich äußerte, es war ein "vereintes"
Schweigen..., so habe ich das immer empfunden, bis heute.
Vielleicht liegen auch genau darin (Nichtaufarbeitung/Stillschweigen) die heutigen, oft unterschiedlichen Empfindungen / Denkweisen...
Eines weiß ich..., Nichtaufarbeitung hat immer auch Folgen für nachkommende Generationen, die mit diesem Thema kaum "umgehen" können.
Wie auch !
Kristine
Kristine, ich kann nur aus eigener Erfahrung und der meiner Altersgenossen in den 68er Jahren sagen, dass wir diese Aufarbeitung übernommen haben, oft zu einem harten Preis, d.h., Trennung von den Familien, wo insbesondere bei den Vätern dieser alte Nazigeist,bzw. das permanente Schweigen hierzu bis zu deren Tode gepflegt wurde.
Aber gerade (West)Deutschland hat viel aufgearbeitet, was aber auch bedeutet, dass wir nie am Ende sein werden.
Ich sah mir letztes Wochenende wieder mal die Doku über die Nürnberger Prozesse an, diese Einzigartigkeit der damaligen Zeit ,dass ein Staat mit seinen Rädelsführern vor Gericht stand. Das ist harte Kost, aber es lohnt sich, wenn sich die Nazischergen in ihrer Hoffnung, dass dieses Gericht der ERoberer keine lange Lebensdauer haben wird, bis zuletzt im Recht sahen - und dann doch am Galgen endeten. Das beeindruckt mich immer wieder. Olga
Das glaube ich auch, Olga..., dass wir als Deutsche nie "fertig" sein können mit diesen Aufarbeitungen. Hinzu kommt ja noch, dass "das 3. Reich" heutzutage in den Schulbüchern (ich weiß es z.B. von meiner Enkelin, die in der 10. Klasse auf einem Gym ist) nicht umfänglich genug behandelt wird, gleiches gilt im Übrigen für die "DDR", nur nebenbei.
Habe auch kaum Erfahrungen gemacht, dass die Kids heute nachfragen..., es war eben einfach so !
Abgesehen davon, dass ich mich dafür schon immer interessiert habe, gerne diese Dokus sah und sehe, weil sie ja immer weitergeführt werden und somit immer mehr Sichtweisen enthalten, kann man den jungen Menschen heute keinen Vorwurf machen...nur wenig zu wissen. Vieles aber ziehen sie sich ja eh aus dem Netz, wenn Interesse besteht.
Ein Thema, Olga, was noch Generationen beschäftigen wird..., fragt sich nur, ob das etwas bringt...?
Ich persönlich denke, ja...so etwas darf nie vergessen werden !
Kristine
WEnn überhaupt die Chance besteht, dass die Nazizeit noch weitere GEnerationen beschäftigen und was ebenso wichtig ist, abhalten soll, diesen Weg zu gehen, liegt es an den Eltern und den Lehrern, dies den Kindern zu vermitteln.
Ein wenig Hoffnung habe ich, wenn ich z.B. bei KZ-Besuchen in Dachau und Auschwitz viele junge (weinende) Kinder erlebt habe oder von Überlebenden der KZ`s immer wieder zu lesen ist,dass diese, wenn sie Schulen besuchen, auf viel Interesse stossen. Aber diese Menschen sterben aus und auch unsere Generation gibt es nicht mehr ewig, die noch etwas zu erzählen hätte und sei es nur von den eigenen schweigsamen Eltern.
Mehr können wir wohl nicht tun. Olga
Kurz zum Thema "Über die Nazizeit wurde in unserer Familie nicht gesprochen": Das ist auch in meiner Familie der Fall. Auch deswegen habe ich mich mit Unterbrechungen drei Jahre lang mit dem Leben meines Großvaters befasst. Ich bin jetzt schon schlauer, aber nicht schlau genug.
Die Ehefrau meines Großvaters, meine Großmutter, ist 2009 gestorben, ihr kann ich keine Fragen mehr über diese Zeit stellen. Ihre Kinder wissen eigentlich auch nichts über diese Zeit, da sie im Krieg geboren wurden und ihre Eltern, wie gesagt, über diese Zeit nicht mit ihnen geredet haben.
Schaschlik_Tango