Innenpolitik Wie wird der Osten wählen?
Ich kenne zwar vieles aus dem TV und war einmal zur Mauerzeit und einmal danach in Berlin, aber mir war nicht bewusst, wie unterschiedlich die beiden Himmelsrichtungen in Deutschland geblieben sind.
Da ist wohl, ohne hier Schuldzuweisungen machen zu wollen, noch lange nicht zusammengewachsen, was zusammengehört. Es wird wohl noch Generationen dauern.
Ob es noch Generationen dauern wird, weiß niemand so genau. Aber dass es nicht über Nacht gelingene kann, musste jedem klar sein, der die Dinge realistisch sieht.
Ich als Wessi kenne die ehemalige DDR nur aus Besuchen als Tourist, vor der Maueröffnung und jetzt danach. Zuletzt im Herbst 2018 Dresden. Mein Eindruck ist, dass sich sehr viel geändert hat. Vieles ist nicht mehr, jedenfalls äußerlich, wiederzuerkennen gegenüber Besuchen im Frühjahr 1990. Und nicht nur Dresden oder Leipzig, wo es besonders auffallend und beeindruckend ist.
Als wir, meine Frau und ich, jetzt im Hebst 2018 in Dresden waren, gab es eine angemeldete Demo von Pegida. Viel Lärm, geschulte geübte Redner, man konnte spenden für "Merkel muss weg", und Sympathisanten haben das auch reichlich getan. Ich hab versucht mit Demonstranten, Gegendemonstranten und Polizisten ins Gespräch zu kommen. Mein Eindruck war, dass das eine inszenierte Schau war. Bestellte Redner, herbei organisierte Demonstranten, dass es nach viel aussehen sollte.
Auf einer spontan entstandenen Gegendemo waren viel mehr Leute, das hat später auch die Lokalpresse bestätigt. Wenn wir mit den Gegendemonstranten ins Gespräch kamen, war der Grundton: Wir wollen zeigen, dass Dresden anders ist, wir sind keine Neonazis. Wir waren beeindruckt von der Gegendemo und diesen Menschen.
Und das ist auch mein Eindruck bei dem was ich jetzt lese und höre zur ehemaligen DDR. Es herrscht bei vielen eine Stimmung der Unzufriedenheit. Aber die Leute, die jetzt vermutlich verstärkt AfD wählen, sind keine Neonazis. Sie sind verbittert, dass ihnen das angehängt wird.
Die Gründe für die Unzufriedenheit sind andere, so wie das ja auch hier diskutiert wird.
Ich finde Ihren BEricht sehr gut. Auch ich habe in der frühren DDR gute wie schlechte Erfahrungen gemacht, wenn ich dorthin reiste. BEgonnen hatte ich diese Reisen schon sehr kurz nach der sog. Wende, als z.B. Dresden noch völlig unrenoviert war. Da hatte ich ein ERlebnis mit zwei Engländerinnen, die sich diese wunderschöne Kulisse, die damals noch nicht so schön war, ebenfalls angesehen haben und mir dann Fragen stelllten, wie das früher war.
Aber die Leute, die jetzt vermutlich verstärkt AfD wählen, sind keine Neonazis. Sie sind verbittert, dass ihnen das angehängt wird.
Die Gründe für die Unzufriedenheit sind andere, so wie das ja auch hier diskutiert wird.
Ich erklärte ihnen, das ich Jahrzehnte keine Chance hatte, diese Stadt zu bereisen - solche Dinge konnten andere, die mit der deutsch-deutschen Geschichte nicht bewandert waren, nie verstehen (wir ja auch nicht, wenn wir keinen weiteren, direkten Bezug zu DDR-Menschen hatten).
Aber diesen so oft gesagten Satz, diejenigen,die jetzt verstärkt AfD wählen, seien keine Neonazis finde ich nicht zielführend und oft auch unglaubhaft.
Sagen kann jeder, was er will und wissen muss auch jeder, der AfD wählt, dass diese Partei immer nazihafter wird. Wählt er oder sie trotzdem, mag ich diesen verbitterten Tränen auch nicht glauben, bzw. interessieren sie mich nicht.
Sie können ja anders wählen, wenn es ihnen um den Erhalt der liberalen Demokratie geht und begreifen, dass Protest in dieser Form letztendlich zu einer Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse führen wird, aber vermutlich nicht zu einer Verbesserung.
Auch diese Verbitterten können sich selbst in die Politik ihrer ostdeutschen Länder einbringen, auf demokratischem 'Wege an Änderungen mitarbeiten, aber nie vergessen,dass dies nicht nur aus persönlichen Wunschvorstellungen geschehen soll, sonder das Grosse und Ganze im Auge behalten werden muss, was letztendlich immer zu einem Kompromiss führen wird, wofür die Mehrheiten entscheidend sind.
Olga
Wie kommst du darauf, dass "DER OSTEN" schwerpunktmäßig "Protest" also AfD wählen wird...Pauschalisierungen bringen garnichts !Ich bezog den Protest ("Neupartei" AfD wählen / Pegida "Merkel muss weg!") prozentual im Vergleich zu den prognostizierten Wahlergebnissen der von der AfD so genannten Altparteien.
Kristine
Das Phänomen des Protests gibt es in den östlichen Bundesländern stärker als in den westlichen Bundesländern. Vermutlich hat das mit einem unterschiedlichen Demokratie- und Verfassungsverständnis zu tun. Und dieses widerum hat mit fehlender politischer Bildung in den Schulen (wo sollten die Sozialkunde / Sozialwissenschaften Lehrenden auch ab 1990 herkommen?) und in weiten Teilen der Gesellschaft zu tun. Der frühere Leiter der Sächsischen Landeszentrale für poltische Bildung, Frank Richter, bemängelte das bereits vor 10 Jahren.
Wir befinden uns allerdings 30 Jahre nach der Wende, verglichen mit der BRD-alt befänden wir uns, 30 Jahre nach derer Demokratisierung, im Jahr 1975. Du wirst doch nun nicht ernsthaft in frage stellen wollen, dass dieser zu jener Zeit die Lehrenden in Sachen Sozialkunde/Sozialwissenschaften gefehlt haben.
Das Phänomen des Protests gibt es in den östlichen Bundesländern stärker als in den westlichen Bundesländern. Vermutlich hat das mit einem unterschiedlichen Demokratie- und Verfassungsverständnis zu tun. Und dieses widerum hat mit fehlender politischer Bildung in den Schulen (wo sollten die Sozialkunde / Sozialwissenschaften Lehrenden auch ab 1990 herkommen?) und in weiten Teilen der Gesellschaft zu tun.
Davon abgesehen haben die Menschen in der DDR in der Zeit der Wende ein hohes Maß an politischer und humanistischer Reife bewiesen, und das auf beiden Seiten, ansonsten wäre dieser Prozess nicht derart friedlich und unblutig verlaufen. Und das ganz ohne westliches Demokratie- und Verfassungsverständnis, und die dieses Lehrende.
@TNolte
@wandersmann
Das halte ich für eine interessante Diskussion. Ich sehe im Osten auf dem Niveau der Fassaden große Veränderungen zum Positiven. Aber Fassaden sind das eine, die Lebenssituation das andere. Gerade auf dem Land gibt es eine Verödung, den Verlust der jungen Menschen und der Infrastruktur. Wir suchten in manchen Dörfern vergeblich nach Lebensmittelgeschäften.
Dieses Umfeld scheint der AfD als Protestpartei förderlich zu sein. Aber ist es wirklich richtig, dem Westen die Schuld zu geben, wenn die jungen Menschen in den Westen ziehen?
Karl
Das Fach Sozialkunde bzw. Politik (später in NRW: Politik/Wirtschaft) und Sozialwissenschaften wurde in den Alt-Bundesländern erst in den 1970er-Jahren eingeführt. - Vorher wurde das politische System im Geschichtsunterricht behandelt, teils durch NS-belastete Lehrer.Wir befinden uns allerdings 30 Jahre nach der Wende, verglichen mit der BRD-alt befänden wir uns, 30 Jahre nach derer Demokratisierung, im Jahr 1975. Du wirst doch nun nicht ernsthaft in frage stellen wollen, dass dieser zu jener Zeit die Lehrenden in Sachen Sozialkunde/Sozialwissenschaften gefehlt haben.
Das Phänomen des Protests gibt es in den östlichen Bundesländern stärker als in den westlichen Bundesländern. Vermutlich hat das mit einem unterschiedlichen Demokratie- und Verfassungsverständnis zu tun. Und dieses widerum hat mit fehlender politischer Bildung in den Schulen (wo sollten die Sozialkunde / Sozialwissenschaften Lehrenden auch ab 1990 herkommen?) und in weiten Teilen der Gesellschaft zu tun.
Davon abgesehen haben die Menschen in der DDR in der Zeit der Wende ein hohes Maß an politischer und humanistischer Reife bewiesen, und das auf beiden Seiten, ansonsten wäre dieser Prozess nicht derart friedlich und unblutig verlaufen. Und das ganz ohne westliches Demokratie- und Verfassungsverständnis, und die dieses Lehrende.
Die '68er-Bewegung, und damit die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, gab es in der DDR nicht. Dort wanderte man direkt von der braunen in die rote Diktatur. Zwar wurden rechtsradikale Tendenzen unter jungen Leuten in der DDR durch die Stasi als Rauditum hart verfolgt, aber es gab keine echte Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit. Die Faschisten lebten ja nach der SED-Doktrin alle im Westen, weshalb 1961 die Mauer als "antifaschistischer Schutzwall" gebaut wurde.
Das ist sehr dünnes Eis, Herr TNolte, auf das Du Dich hier begibst.
Die '68er-Bewegung, und damit die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, gab es in der DDR nicht. Dort wanderte man direkt von der braunen in die rote Diktatur. Zwar wurden rechtsradikale Tendenzen unter jungen Leuten in der DDR durch die Stasi als Rauditum hart verfolgt, aber es gab keine echte Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit. Die Faschisten lebten ja nach der SED-Doktrin alle im Westen, weshalb 1961 die Mauer als "antifaschistischer Schutzwall" gebaut wurde.
Sicherlich gibt es eine Art "Protestwähler"..., das mag ich garnicht leugnen (gibt es aber in westlichen Teilen genauso) aber meine, ganz eigenen Erfahrungen sind, dass man sich sehr wohl Gedanken macht, wo das Kreuzchen gemacht wird.
Das hat aber vor allem etwas damit zu tun, dass die Menschen sich Tatsachen Vorort anschauen und ich könnte mir gut vorstellen, dass es in westlichen Regionen auch nicht viel anders ist.
Kristine
Ich finde es eh kompliziert, Irgendjemandem die "Schuld" zu zuweisen..., wir wissen doch alle, dass leider in der Wendezeit und der überschnellen Vereinigung die gravierendsten und nachhaltigsten Fehler gemacht wurden. Das Interesse des "Ostens" wurde einfach Null berücksichtigt. das hallt heute noch nach und sogar intensiver als vor noch 20 Jahren, weil es kaum junge Leute in diesen , ländlichen Regionen gibt.
Ich denke, dass fast die gesamte Infrastruktur auf dem Lande im Osten derzeit mehr als nur schlecht ist.
Fährt man z.B. mal durch die Brandenburgischen aber auch Mecklenburgischen Regionen, sieht man eben keinerlei Lebensstruktur mehr und dazu gehören eben, keine Läden, keine Kneipen aber auch keine Ärzte...das ist alles weg und kommt nicht wieder, weil kein Interesse besteht. Zu langweilig , kein Anreiz!!
Das aber betrifft vor allem die älteren Menschen, die zurückgeblieben sind.
Ich kenne aber auch Regionen im Bayrischen Wald, wo wir uns teilweise richtig erschrocken haben, da sah es aus, wie vor 100 Jahren.
Kristine
Ich finde es eh kompliziert, Irgendjemandem die "Schuld" zu zuweisen..., wir wissen doch alle, dass leider in der Wendezeit und der überschnellen Vereinigung die gravierendsten und nachhaltigsten Fehler gemacht wurden. Das Interesse des "Ostens" wurde einfach Null berücksichtigt. das hallt heute noch nachSo sehe ich es auch, ein kurzer Rückblick;
Kristine
Neofaschistischer Boden ist keine spezielle Erscheinung des Ostens. Es gibt zuverlässige Untersuchungen, dass es das immer in Nachkriegsdeutschland gab. Im Westen wie im Osten gibt es 10 bis 20 Prozent Leute, die hartes Faschistisches Gedankengut vertreten: Gewaltbereitschaft, die Demokratie als Feindbild, die typischen antisemitischen Vorurteile (schuld ist immer der Jud).
Je nachdem ob sich gerade eine Partei anbietet, gehen sie auch zu Wahlen. In der Bonner Republik
in den 60ziger Jahren kam die NPD in Landtage, 1969 fast in den Bundestag, später die Republikaner in den Landtag.
Diese Parteien sind alle an ihren internen Streitereien wieder in der Versenkung verschwunden. Ob es jetzt mit der AfD auch so kommt, ist offen.
Vor der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990 gab es am Anfang im Osten sehr starke Bürgerrechtsbewegungen, organisiert im Neuen Forum. Als es im Herbst zur Wahl kam, wurden diese Bewegungen im Osten immer schwächer und spielten am Schluss keine Rolle mehr. Der Osten war besoffen von Helmut Kohl: Wir wollen Helmut Kohl und seine D–Mark, so schnell wie möglich und sofort, bedingungslos. So war die Mehrheitsstimmung im Osten.
Ich hab das damals sehr bedauert, dass es so kam, dass der Geist der Bürgerrechtsbewegung im Osten keine Rolle mehr spielte. Es wäre die historische Chance gewesen, beim Einigungsvertrag auch das Grundgesetz im Sinn der Bürgerrechtsbewegung zu überdenken und zu ändern. Aber die damalige CDU-FDP-Mehrheit hat das verhindert.
Der neoliberale Zeitgeist, der damals nicht nur in Deutschland sondern weltweit herrschte, hat sich durchgesetzt. Mit all den Schäden, die wir heute sehen.
Nick42