Innenpolitik Was ist los in Thüringen ?
Michiko, ich stimme Dir voll zu , was den Beitrag von @aixois betrifft.
Auch ich habe die Sachlichkeit als angenehm empfunden und teile zum großen Teil seine Ausführungen.
Aber im Jahr 2021 auf die Rolle Sauckels in Suhl und Thüringen zu verweisen, halte ich für zu weit
hergeholt.
Was diesen Rassismus begünstigt, ist meiner Meinung nach zu einem Teil in dem Empfinden von
Ungerechtigkeit der "kleinen Leute" zu suchen.
@aixois, wenn man die Situation in der DDR in den 70er und 80er Jahren betrachtet - die
allgegenwärtige Mangelwirtschaft nicht extra betonend - dann war der Wunsch nach einer
guten Wohnung mit ausreichend Wohnraum für viele DDR-Bürger ein utopischer Traum. Glücklich,
wer in die Plattenbauten einziehen "durfte". Und dann kamen die "Vertragsarbeiter", für die solche
Neubauten zur Verfügung gestellt wurden. Von der Politik gewollt, daß man in den Heimatländern der
Vertragsarbeiter mit der guten Unterbringung "glänzen" konnte, aber von den DDR-Bürgern als
ungerecht empfunden, kam der Unmut und der Hass gegen die Ausländer auf.
Anderes Beispiel : Die "Rußlanddeutschen", von denen viele in den 80er Jahren geradezu eingeladen
wurden, in die BRD zu kommen ( ich lasse die politischen Absichten außer acht ). Und es sprach
sich herum : "DIE kriegen zum Eigenheimbau Kredite zu 2 %, und WIR müssen 9,5 % aufbringen."
Schon mal so was gehört ? Daraus erklären sich Aversionen bis hin zu Hass.
Nach der Wende : " DIE haben nie in unsere (BRD-)Rentenversicherung eingezahlt und kriegen
höhere Renten als WIR"...................... und die Liste läßt sich fortsetzen, sind ja zum Teil hier
im Forum immer mal hochgekocht.
Oder die Flüchtlingswelle : "Auf einmal ist sooooooooooooo viel Geld da - für DIE (Fremden),
während unsere Kinder in stark renovierungsbedürftigen Schulen unterrichtet werden , wofür nie
Geld da war........"
.
Sind es nicht immer politische Entscheidungen, die das Gerechtigkeitsempfinden der vielen einfachen
Leute verletzen, daß sie den "Bevorzugten" dann Hass entgegenbringen ?
Nur eine gerechtere Politik kann auf Dauer Fremdenhass, Aggressivität und alles, was damit
einhergeht, auf ein Minimum eindämmen.
C.S.
Ja Karin, habe ich.Schon mal so was gehört ?
Und kann auch - teilweise, wenn es um die Verletzung berechtigter Gerechtigkeitsgefühle geht - das auch nachvollziehen.
Meine Eltern mussten bis in die 1980-er , 30 Jahre lang "Lastenausgleichabgabe" bezahlen, die in der Summe fast 50 % des Vermögenswertes ausmachten.
Meine Eltern, die sparen mussten, fanden das äußerst ungerecht und schimpften auch auf die 'Privilegien' der Flüchtlinge, die angeblich alle Fotos von ihren verlorenen 'Hofgütern' im Osten vorzeigten, um irgendwelche '''Entschädigungen" zu bekommen, um sich dann angeblich für einen Appel und ein Ei sich ein Häuschen kaufen/bauen konnten, worauf die Einheimischen ein ganzes Leben sparen bzw. Schulden abtragen mussten, von denen viele auch in bombengeschädigten, notdürftig hergerichteten Wohnungen ohne sanitäre Standards wohnten, während die Flüchtlinge den neuesten "Luxus" (wie Badezimmer) geniessen konnten, den sie nie zuvor im Osten hatten.
'Flüchtling' war zum Schimpfwort geworden, wenn eine gemischte Heirat anstand, dann war das oft eine mittlere Katastrophe, besonders auf dem Land. Wenn aber eine 'Sitzengebliebene' einen Mann aus Siebenbürgen, Flüchtling 'abbekam',der tüchtig mit anpackte und schaffen konnte, dann erinnerte man sich an gemeinsame Wurzeln und aus dem Flüchtling wurde ein gern gesehener, anerkannter Rückkehrer ...
Ja ich habe das alles nicht nur gehört, sondern miterlebt, die Aversionen, die Ausgrenzungen bis hin zum Neid und zu Flüchtlings-/Ausländerfeindlichket.
Aber ich erinnere mich nicht, dass das Empfinden von Ungerechtigkeit, das zu Kurz-gekommen-Sein in Hass, in Menschenverachtung, radikalen Rassismus oder gar Gewalt umgeschlagen wäre, so wie das heute der Fall ist.
Die alten Ressentiments aus dem Kaiserreich, den nachfolgenden Regimen waren natürlich noch da (Antisemitismus, Minderwertigkeiturteile über bestimmte Nationalitäten, usw.) und bauten sich erst allmählich und mit dem Nachwachsen der Jungen ab, verschwanden aber nie ganz.
Irgendwo , so würde ich es im Rückblick interpretieren wollen, war da damals noch ein Rest von 'Volksgemeinschaft' der "Noch einmal Davongekommenen" , ein kritisches, aber doch im Grunde einsehendes Verständnis, dass die Fremden aus dem Osten letztlich ja doch irgendwo bleiben mussten.
Und dass in die Neubauten nur die Einheimischen einziehen sollten, die Flüchtlinge aber in deren freigewordenen Elendsquartiere, so weit gingen die Forderungen der Verärgerten in der Regel doch nicht.
Vielleicht erklären sich Unterschiede durch die enttäuschten Erwartungshaltungen. Neudeutsch : die Narrative...
In den Nachkriegsjahren lagen alle mehr oder weniger im Dreck, aus dem alle rauskommen wollten, alle mussten mit anpacken, die Ärmel hochkrempeln, mitmachen beim Umbau, Wiederaufbau, es sollte ja besser werden. Gejammert wurde da nicht so viel wie heute.
Es gab ein gemeinsames Ziel. Das Wirtschaftministerium nennt es heute noch GA (=Gemeinschaftsaufgabe). Die Schere arm-reich fing erst an, sich zu öffnen. Man vertraute den Regierenden, wollte sie nicht aufhängen oder abschaffen oder gar 'unser' Land zurück haben (was komisch klingt aus dem Munde von Jungen Radikalen, die nie in dem Land gelebt haben, das sie zurückhaben wollen).
Immer mehr merken es: es fehlt uns und wir brauchen es, ein neues Narrativ, wohin es gehen soll mit unserer Gesellschaft, wenn die Reichen nicht weiter noch reicher werden sollen, wenn alle wegen der Klimakosten Verzicht üben müssen, weniger das eigene Fortkommen durchboxen dürfen, sondern sich mehr um das Schaffen von Gemeinwohl und Solidarität kümmern sollen.
Eigentlich alles Erwartungen, in denen zumindest die 45-70 jährigen Bürger der DDR den verwöhnten Wessis viele (gute und schlechte) Erfahrungen voraus haben sollten, weshalb sie sich konstruktiv in diesen Prozess einbringen könnten.
Lieber aixois,
ich danke Dir sehr für diesen klugen nachdenklichen und nachdenklich machenden Beitrag.
Liebeb Grüße
DW
Lastenausgleichsabgabe gab es auch im Westen. wie lange weiß ich nicht.
Immer mehr merken es: es fehlt uns und wir brauchen es, ein neues Narrativ, wohin es gehen soll mit unserer Gesellschaft, wenn die Reichen nicht weiter noch reicher werden sollen, wenn alle wegen der Klimakosten Verzicht üben müssen, weniger das eigene Fortkommen durchboxen dürfen, sondern sich mehr um das Schaffen von Gemeinwohl und Solidarität kümmern sollen.Und wer sagt, dass sie es nicht tun? Die ehem. Bürger der DDR hatten 40 Jahre lang den real existierenden Sozialismus und waren froh und glücklich, endlich selbst bestimmen zu können, wo es für sie lang geht. Verzicht zu üben, das haben sie gelernt. Und sie bringen sich ein, gerade diese Altersgruppe, bei vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, Jugendsozialarbeit, beim DRK und Malteser, in den Tierheimen und an den Tafeln in Berlin. Das gibt es z.B. das Kinder- und Jugendhaus Bolle, dort werden täglich bis zu 150 Kinder und Jugendliche mit einem Freizeit- und Bildungsangebot betreut.
Eigentlich alles Erwartungen, in denen zumindest die 45-70 jährigen Bürger der DDR den verwöhnten Wessis viele (gute und schlechte) Erfahrungen voraus haben sollten, weshalb sie sich konstruktiv in diesen Prozess einbringen könnten.
geschrieben von aixois
Und nicht zu vergessen (gegen ein kleines Entgelt) die vielen Impfhelfer in den Impfzentren.
@ michiko
Mit dem Einbringen des Ostens nach der Vereinigung beider deutscher Staaten hat das so nicht funkrioniert, da ging es nach den Vorstellungen der Übernehmer vorrangig darum, das sich der Osten ins Räderwerk des Westens einfügen sollte. Und das möglichst ohne knirschende Nebengeräusche dabei zu produzieren. Dazu zählten die 1:1- Übernahme der gesamten ökonomischen und gesellschaftlichen Maßstäbe, ebenso wie Bildung und Justiz, alles wurde übergestülpt. Für eigene Ideen und Vorstellungen, wie sie von frei denkenden und engagierten Bürgern im Prozess der Wende 89/90 formuliert wurden, war kein Platz mehr vorgesehen (und intelligente Ideen und machbare Vorstellungen gab es gab es in jener Zeit nicht wenige). Wer das bezweifelt, der möge sich vor Augen führen und vergleichen, was sich seit 1990 im Westen und was sich im Osten durch die Vereinigung verändert hat. Im Westen fast gar nichts (selbst der Einführung des Rechtsabbiegepfeils sah man sich intellektuell nicht gewachsen) und im Osten eben so gut wie alles, sowohl im positive als auch im negativen. Zur Messlatte wurde das erhoben, was im Westen galt. Dieser Status quo war es auch, der von Beginn an dieses Überlegenheitsgefühl des Westens dem Osten gegenüber zementierte.
Das von Dir oben angesprochene soziale Engagement in allen Ehren, es handelt sich hier allerdings um Bereiche, für die es in der DDR gar nicht erst die Notwendigkeit der Bearbeitung gab.
@wandersmann
aixois sprach in seinem Beitrag das Schaffen von Gemeinwohl und Solidarität als konstruktives Einbringen an, darauf habe ich versucht zu antworten. Und in dem Bereich gebe ich Dir auch Recht, dass es gerade bei DDR-Bürgern dieses Anstoßes nicht bedurfte.
Bei Deinen Ausführungen fiel mir ein Satz von Bärbel Bohley ein: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat"... Auch wenn ich mich nicht allen Deinen Ausführungen 100%ig anschließen kann, aber das dachtest Du Dir schon😏, danke für Deine Antwort.
Michiko
So gut wie jeder Soziologe, Ethologe oder Sozialpsychologe könnte aus seiner Profession heraus begründet erklären, weshalb der Zustand der Gesellschaft derzeit so ist wie er ist und wohin er sich unter gleichbleibenden Bedingungen weiter entwickeln wird
Neue "Narrative" werden nicht in der Lage sein, daran wesentlich etwas zu ändern.
Semantik leistet nun mal nicht alles; aus Raider wird Twixx, sonst ändert sich nix.
@ michiko
Mit dem Einbringen des Ostens nach der Vereinigung beider deutscher Staaten hat das so nicht funkrioniert, da ging es nach den Vorstellungen der Übernehmer vorrangig darum, das sich der Osten ins Räderwerk des Westens einfügen sollte. Und das möglichst ohne knirschende Nebengeräusche dabei zu produzieren. Dazu zählten die 1:1- Übernahme der gesamten ökonomischen und gesellschaftlichen Maßstäbe, ebenso wie Bildung und Justiz, alles wurde übergestülpt. Für eigene Ideen und Vorstellungen, wie sie von frei denkenden und engagierten Bürgern im Prozess der Wende 89/90 formuliert wurden, war kein Platz mehr vorgesehen (und intelligente Ideen und machbare Vorstellungen gab es gab es in jener Zeit nicht wenige). Wer das bezweifelt, der möge sich vor Augen führen und vergleichen, was sich seit 1990 im Westen und was sich im Osten durch die Vereinigung verändert hat. Im Westen fast gar nichts (selbst der Einführung des Rechtsabbiegepfeils sah man sich intellektuell nicht gewachsen) und im Osten eben so gut wie alles, sowohl im positive als auch im negativen. Zur Messlatte wurde das erhoben, was im Westen galt. Dieser Status quo war es auch, der von Beginn an dieses Überlegenheitsgefühl des Westens dem Osten gegenüber zementierte.
Das von Dir oben angesprochene soziale Engagement in allen Ehren, es handelt sich hier allerdings um Bereiche, für die es in der DDR gar nicht erst die Notwendigkeit der Bearbeitung gab.
Vielleicht wirst Du Dich wundern, @wandersmann_1, oder auch nicht, aber ich stimme Dir da voll zu! In nahezu jedem Satz!
Aber: Was bringt es uns JETZT, immer wieder Vorhaltungen zu machen und darüber zu zanken, was damals schief ging? Damals ging extrem viel schief, ich denke, das wird niemand, der sich ein wenig für Geschichte der Gegenwart interessiert, abstreiten (und falls doch, sollte er mal mit Menschen "aus dem Osten" reden). Und ich bin auch absolut dafür, dass das historisch aufgearbeitet wird; in Ansätzen wird das ja schon getan. Aber muss uns das wirklich bis heute trennen?
Aber genauso wie ich es kontraproduktiv finde, bei einem Streit zwischen zwei Menschen ständig das Vergangene wieder zum Thema zu machen, und darüber zu lamentieren, ohne Konsequenzen für das HEUTE daraus zu ziehen, finde ich dieses dauernde gegenseitige Beschuldigen und Gezanke weder sinnvoll noch hilfreich. Kommen wir hier EINEN Schritt über die gegenseitigen Beschuldigungen hinaus? Zumal ich der felsenfesten Überzeugung bin, dass Vorwürfe beim anderen nur auf Widerstand, Trotz und Sturheit stoßen, und Gegenvorwürfe erzeugen. So kommt man nicht weiter.
Glaube mir, ich habe höchsten Respekt davor, dass und wie Ihr es 1989/90 überhaupt geschafft habt, Euer ganzes soziales, berufliches, persönliches Leben quasi zu beenden und neu anzufangen, denn Ihr wurdet ja letztendlich gar nicht gefragt, ob Ihr das wollt oder könnt oder schafft! Die Wiedervereinigung hätte SO und so schnell nie stattfinden dürfen, schon gar nicht unter der Bedingung, dass die eine Seite alles diktiert und die andere nur zustimmen kann/muss. Ich fand das schon damals grausam dem Volk gegenüber, der Leistung dieses Volkes gegenüber, der Geschichte dieses Volkes gegenüber, jedem Einzelnen gegenüber.
Sehr gute Freund aus Chemnitz haben uns vor, während und nach der "Wende" durch Gespräche, Treffen Briefe, Telefonate, gemeinsame Urlaube ein wenig an all dem, was damals vor sich ging, teilnehmen lassen. Ich weiß einiges, aber ich weiß natürlich nicht alles!
Aber eins weiß ich: Indem wir uns HEUTE noch gegenseitig Vorwürfe machen und "die Köppe einhauen", ist NICHTS gewonnen, NICHTS erreicht, im Gegenteil, wir nähern uns vielmehr einer noch schlimmeren Spaltung als sie während der Jahre 1949-89 gewesen ist.
@Michiko, Du schreibst: " Ausgleichende Beiträge lesen sich immer gut und freundlich, verständnisvoll für Ost und West " Das klingt so, als brächte das Deiner Meinung nach nichts. Vielleicht hast Du recht. Aber bringt es etwas, gegenseitig in einem Dauerkampf zu verharren? Trotz Deines Einwandes erlaube ich mir, diesen Beitrag abzusenden, denn meiner Meinung sollten wir so nicht weitermachen, und uns bemühen, den Anderen ein wenig besser zu verstehen, und zwar ohne Vorurteil und ohne Voraussetzung. Nur so ist Annäherung möglich. Ich jedenfalls werde es weiter versuchen.
Schönen Sonntag
DW
Es ist zum Verzweifeln, wie man sich jetzt auch noch mit dem Ost-West Getue nur noch weiter von den Ursachen entfernt...