Innenpolitik Soll ein 96-jähriger Nazitäter in Haft?
Meine Sicht:
Eine Stenotypistin ist nicht verantwortlich für das, was ihr diktiert wird.
In unserem heutigen Rechtssystem hätte sie vermutlich die Pflicht, ihr Wissen über strafbare Handlungen anzuzeigen, aber die Voränge waren damals keine strafbaren Handlungen, sondern vom Staat angeordnet. Moralisch hat sie sich schuldig gemacht, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht juristisch. Korrigiert mich, ich "plappere" gerade nur, ohne mich im Strafrecht des 3.Reiches auszukennen.
Durch die Gesetzesänderung, die ich in einem früheren Beitrag hier im Faden lesen durfte, ist sie nun als Mitwisserin für die Taten mitverantwortlich. Also ist es nun rechtens, sie anzuklagen und zu verurteilen.
Wenn dem nun so ist mache ich mir keine weitere Gedanken mehr, sondern vertraue auf den Rechtsstaat, wie er heute ist.
Natürlich muss sich jeder Gedanken über seine Taten machen, die heute vor dem Gesetz legal sind, aber moralisch nicht. Vielleicht ändert sich ja auch in diesen Punkten einmal die Rechtslage und man kann angeklagt und verurteilt werden.
Also immer schön ehrlich bleiben und integer.
Lies bitte mal u.a., das ist shr aufschlußreich ........
Aufklärung der NS-Morde„Das deutsche Strafrecht war für Massenverbrechen nicht geeignet“
"Rommel: Ich habe zwei Rückschläge, die ich benennen kann. Zum einen ist es so, dass man 1968 eine versteckte Verjährung für Mordgehilfen eingefädelt hat, und zwar war die Beihilfe zum Mord dann verjährt, wenn der Unterstützer selbst nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat, wenn man ihm keinen Rassenhass oder Antisemitismus nachweisen konnte. Damit sind insbesondere Ermittlungen gegen die Schreibtisch-Beteiligten in Berlin, beispielsweise im Reichssicherheitshauptamt zum Erliegen gekommen – eine gesetzgeberische Fehlleistung.
Dann gibt es eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1969 zum Konzentrationslager Auschwitz, in der der Bundesgerichtshof folgendes sagt: Nicht jeder, der irgendwie an diesen Verbrechen der Vernichtungsmaschinerie beteiligt war, sei für alles verantwortlich, denn sonst würde man jemanden bestrafen, dessen Verhalten die Taten nicht konkret gefördert hat. Aus diesen Formulierungen haben dann die Staatsanwaltschaften gefolgert, sie müssten im Einzelfall immer nachweisen, durch welches Verhalten an einem bestimmten Tag jemand einen einzelnen Mord unterstützt hat, und das war natürlich dann Jahrzehnte nach den Taten kaum mehr möglich. Daher sind leider sehr viele Verfahren Anfang der 70er-Jahre beendet worden.
Edita
Ich wollte das nur mal erwähnt haben, weil es sich fast doppelt mit dem Nazi-Täter dieses threads und erinnere mich gut, dass es auch zu dem Fall von Irmgard F. hier einen thread gab, wo sich alle mit pro und contra austauschten. Mein Eindruck und der kann natürlich täuschen ist, dass die Justiz damit rechnet, dass sich das Problem auf natürliche Weise erledigt.Am 18. Oktober 2021 begann der Prozess gegen die damals 96jährige Imgard Furchner, Schreibkraft und Sekretärin des Lagerkommandanten im KZ Stutthof. Sie wurde wegen Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen angeklagt. Bereits im Jahre 1954 sagte sie als Zeugin in einem anderen Prozess aus, dass sie als Stenotypistin dem KZ-Kommandanten Paul Werner Hoppe unterstellt war und der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Verwaltungsamt durch ihre Hände gegangen sei. Warum ermittelte man damals nicht schon gegen sie? Mittlerweile ist die Frau 97 Jahre alt und still ruht der See in Sachen Verhandlungsfortführung.Du machst da ein Fass auf, Michiko.
Soweit ich es mitbekomme, hat die Justiz derzeit mit einer ganzen Reihe anderer, noch nicht gänzlich bearbeiteter Gräueltaten aus jüngerer Zeit zu tun.
Lies bitte mal u.a., das ist sehr aufschlußreich ........Habs gelesen Edita, es ist schon erstaunlich, wie akribisch unterschieden und dann geurteilt wird. Aber auch 2011 liegt nun schon 11 Jahre zurück, wieviele Verurteilungen hat der Startschuss ausgelöst? Kann mich nur an 3 oder 4 erinnern.
Aufklärung der NS-Morde„Das deutsche Strafrecht war für Massenverbrechen nicht geeignet“
Rommel: Der Fall Demjanjuk ist deswegen so bedeutsam, weil man sich auf einen alten Gedanken besonnen hat. Bei den reinen Vernichtungslagern, in denen es darum ging, wirklich jeden zu töten, der dort ankam, kann es ja nicht darauf ankommen, was jemand an einem einzelnen Tag gemacht hat. Wenn der einzige Zweck des Lagers ist, alle Häftlinge zu töten, so trägt auch jede Tätigkeit in diesem Lager zu diesem Zweck bei. Deswegen ist Ywan Demjanjuk verurteilt worden, obwohl man gar nicht wusste, was er an einzelnen Tagen gemacht hat, sondern allein für seinen Dienst in dem Lager hat man ihm die Morde zugerechnet. Diesen Gedanken hat dann die zentrale Stelle auch auf andere Lager wie Auschwitz, Majdanek, aber in der Folge auch auf Konzentrationslager wie Stutthof, Buchenwald oder Sachsenhausen übertragen. Es ist tatsächlich noch mal ein Startschuss für diese jetzt späte Verfolgung der letzten Beteiligten an den NS-Morden."
Ich teile Deinen Eindruck und halte ihn unter Effizienzgesichtspunkten auch für moralisch vertretbar.Du machst da ein Fass auf, Michiko.Ich wollte das nur mal erwähnt haben, weil es sich fast doppelt mit dem Nazi-Täter dieses threads und erinnere mich gut, dass es auch zu dem Fall von Irmgard F. hier einen thread gab, wo sich alle mit pro und contra austauschten. Mein Eindruck und der kann natürlich täuschen ist, dass die Justiz damit rechnet, dass sich das Problem auf natürliche Weise erledigt.
Soweit ich es mitbekomme, hat die Justiz derzeit mit einer ganzen Reihe anderer, noch nicht gänzlich bearbeiteter Gräueltaten aus jüngerer Zeit zu tun.
Wer sich in all den Jahren nach Kriegsenden nicht vom Gewissen geplagt sieht, den wird - abgesehen von der körperlichen und geistigen Verfassung - mit dem nahen Tod vor Augen wahrscheinlich auch solch ein Prozess nebst Urteil kaum noch zur inneren Einkehr bewegen.
Aber dem Strafbedürfnis nebst dem Sühne- und Gerechtigkeitsdenken wäre Rechnung getragen?
Ja, vielleicht!
Soweit ich es mitbekomme, hat die Justiz derzeit mit einer ganzen Reihe anderer, noch nicht gänzlich bearbeiteter Gräueltaten aus jüngerer Zeit zu tun.
Die Justiz stellt Prioritäten auf.
Dabei spielt die gediehene Ermittlungsarbeit bis zum Prozessbeginn auch eine Rolle.
Lenova
Ja, darin sind wir uns einig, Lenova.Soweit ich es mitbekomme, hat die Justiz derzeit mit einer ganzen Reihe anderer, noch nicht gänzlich bearbeiteter Gräueltaten aus jüngerer Zeit zu tun.
Die Justiz stellt Prioritäten auf.
Dabei spielt die gediehene Ermittlungsarbeit bis zum Prozessbeginn auch eine Rolle.
Lenova
geschrieben von Lenova46
Doch auf das, was sie für prioritär halten, haben weisungsgebundene Staatsanwaltschaften Einfluss.
Das mag sich manchmal als gut erweisen, manchmal auch nicht.
Zitat:
"Moralisch hat sie sich schuldig gemacht, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht juristisch."
Syka
Oh, Oh, willst du einen Unrechtsstaat nachträglich legitimieren?
So geht das nicht.
Lange genug hat es gedauert, bis sich unsere Rechtssprechung auf derartige Fälle endlich eingestellt hat.
Lenova
Meinst du, du hast mich richtig verstanden?
Ich hatte mit diesem Satz gesagt, dass es damals keine Gesetze gab, nach denen sich eine Stenotypistin strafbar macht, wenn sie Todesurteile oder Anweisungen ihrer Chefs zur Tötung schrieb.
Aber wie gesagt, ich lasse mich gerne belehren, wenn es damals diese Gesetze gab. Nichts anderes bedeutet es ja, juristisch sich strafbar zu machen.
Und Sie kennen das Urteil bereits, das gegen diese ehemalige Stenotypistin im deutschen Rechtsstaat gesprochen wurde? Bitte lassen Sie uns wissen, wie es lautet.
Oder ist es Ihnen vielleicht wichtiger, den ebenfalls sehr alten Opfer, die noch leben, bzw. deren Nachfahren die Gerechtigkeit zu verweigern, auf welche diese nun ein Leben warteten?
Olga