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Innenpolitik Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg

netarip
netarip
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Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg
geschrieben von netarip
.
„Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
Heinrich Heine.
Mai 2013 – Hamburg liest gegen das Vergessen und setzt damit ein
Lese-Zeichen gegen rechts

80 Jahre nach den Bücherverbrennungen

Freitag, 10. Mai 2013, 11-17 Uhr

Öffentliche Lesung aus den verbrannten Büchern

Hamburgerinnen und Hamburger lesen aus Büchern,
die 1933 von den Nazis verbrannt wurden.
Auf Hamburger Straßen und Plätzen, in Bussen und Bahnen, in Betriebskantinen und Kaufhäusern. Überall, wo Menschen sind.
LESEN SIE MIT!
Lesestoff gibt's auch vor Ort.

Vor 80 Jahren wurden von SA-Schergen am Kaiser-Friedrich-Ufer Bücher jüdischer und anderer verfemter Autoren verbrannt. Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Heinrich und Thomas Mann, Erich Maria Remarque, Lion Feuchtwanger, Heinrich Heine, Bertold Brecht, Carl Zuckmayer, Franz Kafka – die Liste der berühmten Namen, die auf dem Index des Regimes standen.
Langsam brannte der Scheiterhaufen aus Büchern nieder. Angehörige der SA in Uniform standen stramm und salutierten. Es war der 15.Mai 1933 gegen Mitternacht – eines der beschämenden Daten in den zwölf Jahren NS-Herrschaft in Hamburg. Gegen 23 Uhr waren der SA-Studentensturm 6/76, Angehörige schlagender Verbindungen und die Hochschulgruppe des Frontkämpferbundes Stahlhelm am Kaiser-Friedrich-Ufer in Eimsbüttel aufmarschiert. Mit einem mittelalterlich anmutenden Ritual warfen sie die Bücher jüdischer oder aus anderen Gründen von den neuen Machthabern mit Hass verfolgter Autoren ins Feuer. Dabei deklamierten sie Propagandaparolen wie "Gegen Frechheit und Anmaßung! Für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen Volksgeist!

Von Protesten unter den Professoren und in der Studentenschaft der Hansestadt gegen die öffentliche Herabwürdigung weltberühmter Schriftsteller durch Vernichtung ihrer Werke ist nichts bekannt. Das ist nicht verwunderlich, wenn man sich das politische Klima vor Augen hält, das nach der Machtübernahme Hitlers in der Universität herrschte. In einem Aufruf zum 1.Mai 1933 hatte der "Führer" der Hamburger Studentenschaft, der Student Heinrichsdorff, triumphierend erklärt: "Gefallen ist die liberale Fiktion der Gleichheit vor dem Gesetz und der Unabhängigkeit des Richtertums! Fallen muss und wird¿ die Autonomie der Hochschule, damit der Boden für die nationalsozialistische Universität Hamburg bereitet werden kann!"


Sprache und Schrifttum wurzeln im Volke. Das deutsche Volk trägt die Verantwortung dafür, daß seine Sprache und sein Schrifttum reiner und unverfälschter Ausdruck seines Volkstums sind.
Es klafft heute ein Widerspruch zwischen Schrifttum und deutschem Volkstum. Dieser Zustand ist eine Schmach.
Reinheit von Sprache und Schrifttum liegt an Dir! Dein Volk hat Dir die Sprache zur treuen Bewahrung übergeben.
Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist.
Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter. Der Student, der undeutsch spricht und schreibt, ist außerdem gedankenlos und wird seiner Aufgabe untreu.
Wir wollen die Lüge ausmerzen, wir wollen den Verrat brandmarken, wir wollen für den Studenten nicht Stätten der Gedankenlosigkeit, sondern der Zucht und der politischen Erziehung.
Wir wollen den Juden als Fremdling achten und wir wollen das Volkstum ernst nehmen. Wir fordern deshalb von der Zensur: Jüdische Werke erscheinen in hebräischer Sprache. Erscheinen sie in deutsch, sind sie als Übersetzung zu kennzeichnen. Schärfstes Einschreiten gegen den Mißbrauch der deutschen Schrift. Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.
Wir fordern vom deutschen Studenten Wille und Fähigkeit zur selbständigen Erkenntnis und Entscheidung.
Wir fordern vom deutschen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Reinerhaltung der deutschen Sprache.
Wir fordern vom deutschen Studenten den Willen und die Fähigkeit zur Überwindung jüdischen Intellektualismus und der damit verbundenen liberalen Verfallserscheinungen im deutschen Geistesleben.
Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste.
Wir fordern die deutsche Hochschule als Hort des deutschen Volkstums und als Kampfstätte aus der Kraft des deutschen Geistes.

Quellen ; Staatsbibliothek Hamburg ; Forschungsstelle für Zeitgeschichte
in Hamburg (FZH) ; ASTA Hamburg
Karl
Karl
Administrator

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg
geschrieben von Karl
als Antwort auf netarip vom 09.05.2013, 12:31:51
Danke netarip für diese Erinnerung. Ich habe deshalb darüber noch einmal nachgelesen.

Karl
miriam
miriam
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg
geschrieben von miriam
Bertold Brecht: Bücherverbrennung

Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen
Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben
Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern
Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte
Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der
Verbrannten studierend, entsetzt, dass seine
Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch
Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber.
Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich!
Tut mir das nicht an! Lasst mich nicht übrig! Habe ich nicht
Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt
Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt? Ich befehle euch:
Verbrennt mich!"

Brecht bezieht sich in seinem Gedicht auf Oskar Maria Graf, der am 12 Mai 1933 einen Protestbrief zur Bücherverbrennung verfasst hatte.

Dazu hieß es in der NS-Presse: "Einer der auch mitverbrannt werden will..."

Miriam

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Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Karl vom 09.05.2013, 23:17:00
Im Jüdischen Museum Berlin gibt es gerade eine Ausstellung dazu.
Neben Einsteins Relativitätstheorie war auch das "Bambi" dabei.
miriam
miriam
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren Beispiel Hamburg
geschrieben von miriam
als Antwort auf miriam vom 10.05.2013, 09:06:17
Noch ein Name bleibt für mich, stellvertretend für all die vielen anderen deren Werke damals, vor 80 Jahren, verbrannt wurden, für immer präsent:
Kurt Tucholsky, der sich später, am 21 Dezember 1935, das Leben nahm.

Der große Kabarettist und Buchautor Werner Schneyder, widmete Tucholsky vor einigen Jahren ein Lied, dessen Text mit den Zeilen beginnt:

"Schlafen Sie gut, Herr Tucholsky
Ihr Selbstmord war nicht übereilt
Ihr Werk hat zehn Bände, ich les sie zuende
Und bin von jeglicher Hoffnung geheilt."


Miriam
Shenaya
Shenaya
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren
geschrieben von Shenaya

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cecile
cecile
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren
geschrieben von cecile
als Antwort auf Shenaya vom 10.05.2013, 10:53:20
Mich hat es immer sehr beeindruckt, dass Erich Kästner bei dieser furchtbaren Bücherverbrennung selbst dabei war - ein Erlebnis, das sicher nicht so leicht zu verkraften war.

Zitat Kästner:
" ... Ich sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter lag über der Stadt ..."

Spiegel-Interview mit Kästners Lebensgefährtin Luiselotte Enderle
bukamary
bukamary
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren
geschrieben von bukamary
Hätte die Bücherverbrennung vor 80 Jahren nicht viel mehr Menschen wachrütteln sollen und müssen? Wie steht es heute mit dem Thema, auch wieder etwas eher für Intellektuelle? Ich habe im Laufe der sagen wir mal letzten 3 Jahrzehnte zumindest nicht viel darüber gehört oder gelesen. Wird das in allen Schulen Thematisiert?

Ich habe mich mal in meinem Umfeld umgehört. Schulterzucken, Erstaunen, Unwissenheit auch bei den Erwachsenen! Ein trauriges Ergebnis!

Dabei hat das Verbrennen schon eine lange Geschichte, Verbrennen als Ritual, dass sehr emotional geladen ist. Wie wiele Rituale und Bräuche gibt es in denen durch Verbrennen etwas Unerwünschtes, Verbotenes, als Böse empfundenes vernichtet werden, ausgetrieben werden soll!

Heute werden keine Bücher mehr verbrannt, statt dessen brennt, nein, "fackelt" man bewohnte Häuser ab. Eine effektvolle Steigerung der Bücherverbrennung?

bukamary
miriam
miriam
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren
geschrieben von miriam
als Antwort auf bukamary vom 10.05.2013, 14:25:44
Bukamari - dieses Nichtwissen, dieses Schulterzucken - beweist mir, dass die Gräueltaten der Nazis, von vielen gar nicht wahrgenommen wurden - oder nicht als solche verstanden wurden. Es hätte ja die Masse begreifen müssen was sich vor ihren Augen abspielt - dies taten manche, nicht aber die Mehrheit.

In seinem Werk "Kästner für Erwachsene", schreibt der Autor unter dem Titel:

"Bei Verbrennung meiner Bücher"

"Ich stand vor der Universität eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners.
Begräbniswetter hing über der Stadt. Der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds stak auf einer langen Stange, die, hoch über der stummen Menschenmenge, hin und her schwankte. Es war widerlich. (...) Die Bücher flogen weiter ins Feuer. Die Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners ertönten weiterhin. Und die Gesichter der braunen Studentengarde blickten, den Sturmriemen unterm Kinn, unverändert geradeaus, hinüber zu dem Flammenstoß und zu dem psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen. In dem folgenden Jahrdutzend sah ich Bücher von mir nur die wenigen Male, die ich im Ausland war. In Kopenhagen, in Zürich, in London. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in Buchläden zu sehen. In keiner Stadt des Vaterlandes. Nicht einmal in der Heimatstadt. Nicht einmal an Weihnachten, wenn die Deutschen durch die verschneiten Straßen eilen, um Geschenke zu besorgen. Zwölf Weihnachten lang! Man ist lebender Leichnam."


Wenn diese Texte vergessen werden sollten - und mit ihnen auch die vielen Zeremonien des Grauens, dann ist zu befürchten, dass diese sich wiederholen werden.

Miriam
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Bücherverbrennung vor 80 Jahren
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf miriam vom 10.05.2013, 16:50:21
Warum gibts es eigentlich keinen LIKE IT Button im ST ...ich würde bei miriams Texten am liebsten sogar auf *UMARMEN* klicken.

Danke, dass Du hier schreibst!

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