Innenpolitik BGH-Urteil gegen KZ-Sekretärin
Ich habe an anderer Stelle hier im Forum die Erinnerung meines Vaters an seine Gefangennahme als ganz junger Soldat gegen Kriegsende eingestellt.
Und erzählt, was er nach 2 1/2 Jahren Kriegsgefangenschaft, als der Krieg schon lange zu Ende war, empfand:
"Was ihm nach seiner Rückkehr am meisten zu schaffen gemacht hat, war, daß viele von dem alten Klüngel aus der in der Nazizeit wieder in guten Positionen waren. Während für die einfachen Soldaten ein ganzes Weltbild zusammen gebrochen ist, alles, was ihnen eingedrillt wurde, hat sich als Lüge herausgestellt und sie standen vor den Trümmern ihrer vergeudeten Jugend mit leeren Händen."
Daran muss ich denken, wenn ich von dem Prozess höre.
Die "Kleinen" führt man noch heute mit einem Schauprozess vor wie ein Bauernopfer, während so viele, die damals wirklich Macht und Einfluss hatten, diese Macht und den Einfluss auch schon kurz nach dem Krieg wieder Innehalten. Sie hatten eben genug Macht und Einfluss, um sich der verdienten Strafe zu entziehen.
Nicht daß die Schuld der Kleinen durch die viel größere Schuld der Großen verkleinert werden kann.
Aber ich frage mich: wenn man jugendliche Schreibkräfte anklagt - wer hat in jener Zeit keine Schuld auf sich geladen, allein durch "unterlassene Hilfeleistung"?
Es gibt viele berühmte Beispiele von Menschen, die damals Juden versteckt haben. Und es gibt eben auch Beispiele von Menschen, die dabei von der Gestapo erwischt wurden und selbst dafür ins KZ wanderten.
Wer davon erfuhr, hatte natürlich Angst, gegen das Regime zu handeln und tat lieber nichts.
Ich kann mir gut vorstellen, wieviel Angst eine kleine Schreibkraft mit 18 Jahren hatte und ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle wirklich den Mut gehabt hätte, mich gegen meine Vorgesetzten zu stellen.
Aber vielleicht hat sie sich als " Arierin ", also als
Angehörige der sog. " Herrenrasse " wohl gefühlt.
Vielleicht hat sie gerne da gearbeitet...
Ich habe ein Buch: " Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus "
von Kathrin Kompisch, erschienen 2008.
Es hat gedauert, bis Studien zu dem Komplex " Frauen in der NS-Zeit "
herauskam.
Sie wurden generell für unschuldig gehalten, da hilflose Frauen, den
Männern untertan.
Aber so war es eben nicht.
Frauen waren z.B. auch an der Euthanasie beteiligt.
Die 18jährige Täterin hätte auch eine andere Stelle antreten
können.
Traudl Junge, eine der Sekretärinnen A.H. hatte sich selber immer
damit entschuldigt, dass sie viel zu jung war, um zu erkennen, wem
sie da diente.
Sie war auch freiwillig dort, im Zentrum.
Dann, etliche Jahre nach dem Inferno, kam sie in München an einer
Gedenkstätte für Sophie Scholl vorbei.
Sie erstarrte: Sophie Scholl war der selbe Jahrgang wie sie: 1921.
Das hat ihre Einstellung, von wegen " Ich war zu jung " gründlich
verändert.
Sie hat ein Buch geschrieben.
Ich habe es gelesen. Fand ich bemerkenswert, weil es Einblicke
gab in den inneren Kreis.
Sie meinte später in einem Interview, dass sie es hätte erkennen
können. Aber sie wollte nicht.
Sie fühlte sich geehrt, Sekretärin beim " Führer " zu sein.
Anna
Warum scheint es mir hier bei manchen so, als würde mehr Verständnis für die *ironie-an* "arme alte Frau" *ironie-aus*, die verurteilt wurde, aufgebracht als für die Opfer, die sich danach SEHNEN, dass die Täter verurteilt würden, sie sind erleichtert, DASS jemand verurteilt wird, und sei er oder sie noch so ein kleines Rädchen im Terror-Regime gewesen.... Die Opfer haben übrigens keine Bewährungsstrafen, sie und ihre Angehörigen leiden bis an ihr Lebensende.
DW
Es ist nicht zu entschuldigen, aber denkt doch mal bitte daran, wie IHR mit 18 oder 19 Jahren wart.
Sie hat da gearbeitet, hatte somit keine richtige Kenntnis, von dem, was da geschah.
welches *Vorzimmermädchen* hat denn heute immer Kenntnis von den Machenschaften ihres
Chefs, bzw. kann sie sich einmischen?
ich denke nicht.
deshalb finde ich, sollte man endlich mal die Sache ruhen lassen und nicht immer in der
Vergangenheit kramen.
Andere Länder haben auch Schuld auf sich geladen. Jeder, der Krieg anzettelt, lädt Schuld
auf sich.
Kann jemand Herrn Putin stoppen? haha...... guter Witz.
Wer DEM widerspricht, ist auch schnell mal irgendwie *weg*
vergiftet oder aus dem Fenster gesprungen - oder ähnlich.
Ja, sicher haben andere erkannt, was sie auch hätte erkennen können, wenn ...
Ich stelle mir halt vor: sie war damals 18 in den Jahren davor - einer Zeit, in der die meisten Jugendlichen noch keine gefestigte eigene Meinung haben und leicht beeinflussbar von Propaganda jeder Art sind - massiver Indoktrination ausgesetzt.
Manche konnten sich dem vielleicht entziehen, hatten vielleicht in der Familie Andersdenkende als Rückhalt.
Wie auch immer.
Es ist leicht, von unserer überlegenen Position aus moralisch zu verurteilen (die gerichtliche Verurteilung ist ja schon geschehen). Aber für mich bleibt die Frage unbeantwortet ob ich selbst in jener Zeit tatsächlich den Mut aufgebracht hätte, eine Sophie Scholl zu sein 🤔
„Es ist nicht zu entschuldigen, aber denkt doch mal bitte daran, wie IHR mit 18 oder 19 Jahren wart.
Sie hat da gearbeitet, hatte somit keine richtige Kenntnis, von dem, was da geschah“
Man muß hier überhaupt nichts bedenken!
Über ihren Schreibtisch ging fast die gesamte Korrespondenz des KZ Stutthof, außerdem konnte, mußte sie von ihrem Bürofenster direkt auf den Eingang des Todesgebäudes schauen, in dem Massen von Leuten lebend verschwanden und es als Berge von Leichen wieder verließen!
Edita
Der Vergleich mit Putin ist nicht sinnvoll.
Bitte, denke daran, wie sich das ukrainische Volk gegen den Angriffskrieg wehrt.
Solange es noch Verursacher oder Mitwisser von Nazigräueltaten gibt, muss die Justiz ihren Verpflichtungen nachkommen.
Auch Neonazis sind nicht zu dulden.
Wer davon erfuhr, hatte natürlich Angst, gegen das Regime zu handeln und tat lieber nichts.Eine ganz 'delikate' Entscheidung, vor die wahrscheinlich nicht viele, aber doch einige Nachdenklichere, sich gestellt sahen.
Ich kann mir gut vorstellen, wieviel Angst eine kleine Schreibkraft mit 18 Jahren hatte und ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle wirklich den Mut gehabt hätte, mich gegen meine Vorgesetzten zu stellen.
Das - für mich unauflösbare - Paradoxon ist, dass der 'kleine Soldat' dafür gelobt wird, dass er (wie er, auch 'unschuldige') kleine Soldaten ermorden darf, eben nur deshalb , weil sie zu Feinden erklärt wurden.
Nach anfänglichen Skrupeln (es muss da wohl eine mentale Hemmung im Kopf überwunden werden), klappt das ganz gut, einigen macht das sogar Spaß.
Dieser Mut ist von der Gesellschaft als "ehrenvoll" anerkannt.
Wenn aber der Mut gefordert ist, der sich 'Zivilcourage' nennt, dann ist er ein verdammenswürdiges Werk des Teufels.
Und da kommt dann der angeblich so unschuldige 'kleine Mann' ins Spiel, der bis heute diejenigen verabscheut, die sich gegen die Obrigkeit erheben, sich deren Befehle widersetzen (auch wenn diese offensichtlich kriminell sind), sich der mörderischen Tötungsmaschinerie entziehen, durch Verweigerung oder Desertion.
Kann man bei den sich der Wehrpflicht entziehenden jungen Ukrainern sehen . Deutschland soll sie den ukrainischen Behörden ausliefern.
Man hat den Mut und ist bereit, sich töten zu lassen auf dem Schlachtfeld, hat aber Angst getötet zu werden, wenn man die für Millionen Tote Verantwortlichen, eliminieren soll, am besten bevor sie ihre Verbrechen begehen.
Das muss nicht gleich der Tyrannenmord sein, es genügt schon , seinen Unwillen zum Ausdruck zu bringen, durch Murren oder indem man sich mit denen solidarisiert, die aktiv Widerstand leisten wollen.
Zur Einnerung hat man dieses Recht den Deutschen sogar ins Stammbuch (Grundgesetz) geschrieben, was außergewöhnlich genug ist : "haben alle Deutsche das Recht zum Widerstand..."
Ich weiss von meinem Vater, der in die Kriegswirtschaft eingebunden war, dass sie ein, zwei Stunden täglich länger arbeiten sollten, um noch mehr Waffen zu produzieren.
Nach einer Woche war diese Anweisung plötzlich wieder verschwunden, weil die Verantwortlichen (in Berlin) schnell mitbekamen, dass es 'unruhig' wurde, die Betroffenen offen murrten und anfingen, nach einer Art "Dienst nach Vorschrift" zu arbeiten, was zu einer Reduktion der täglichen Produktion von rund 1/5 führte. Vorgesetzte, die sich 'Rädelsführer' vornehmen wollten, fanden sich im Nu umgeben von vielen anderen, die sich schützend vor ihre Meinungsführer stellten. Das gab es auch. Keiner wurde an die Front geschickt oder entlassen.
Goebbels hatte ein eigenes 'Meinungsforschungsinstitut', das sehr sensibel die Stimmung im "Volk" verfolgte und das auch die roten Linien erfasste, bei deren Überschreiten es den Menschen zuviel hätte werden können. Goebbels wusste genau, wo die Schwachstellen waren, wie er aufkeimenden Unwillen neutralisieren konnte, wo Zuckerbrot und wo die Peitsche zum Einsatz kommen mussten.
Der Krieg der Deutschen hat 50- 60 Millionen Menschen das Leben genommen.
Kann man sich vorstellen, dass die Nazis sich hätten an der Macht halten können, wenn sie 1 Promille oder auch nur 1/10 Promille der deutschen Bevölkerung umgebracht hätten ?
Nicht , wenn die Bevölkerung zusammengestanden hätte, statt sich , am Schicksal Einzelner desinteressiert, 'weggeschaut' hätten.
Aber vielleicht wollte man die Nazis ja auch gar nicht weghaben, sondern ihnen begeistert zujubeln, mitmachen bei dem, was sie unternahmen ... man kennt die feige 'Entschuldigung': "es war ja nicht alles schlecht , die Autobahnen, der KdF Volks-Wagen usw.".
60 Millionen Deutsche waren keine Gegner Hitlers, wie sie nach dem Krieg glauben machen wollten, sondern aktive, mehrheitlich wohl eher passive, Mitläufer, lebten nach der anerzogenen und verinnerlichten Tugend des Gehorsams :
" Gehorsam eine besondere, mit der Gerechtigkeit verbundene Tugend, mit der wir unseren Vorgesetzten eine besondere Ehre erweisen, die ihnen aufgrund ihrer hervorragenden Autorität gebührt, nämlich der Erfüllung ihrer Vorschriften oder Befehle."
Das führt zum : "Führer befiehl - wir folgen", 'folgen' auch i.S. von 'folgsam' sein.
Ganz nebenbei: das gilt m.E. auch für Putin und die russische Bevölkerung.
Ich suche nach einer Antwort : warum ist man gegen den äußeren Feind mutig und solidarisch. bereit sein Leben zu opfern, gegen den Feind im Innern aber feige, voller Angst und unsolidarisch ?
Aber im Unterschied zu anderen Ländern, hatte der Protest oder gar ein Aufbehren, gar Revolution, gegen die Autoritäten schon immer einen schlechten Stand. Gehorsam hatte (hat auch heute noch) einen moralisch höheren Wert, als der Widerspruch/Widerstand.
Protestkleber werden Terroristen gleichsetzt, nicht klebende Protestler verfolgt und gewalttätig angegriffen, Widerspruch, andere Meinungen als Ausdruck vom Feind bezahlten Agententums / Propaganda (Putin-Trolle) diskriminiert.
Jeder ist für sein individuelles Tun verantwortlich. Es gibt keine justiziable 'Kollektiv' - Schuld oder "Sippenhaftung" hinter der man sich verstecken könnte.
Das ist m.E. das Signal (und der Ausdruck einer viel zu späten Einsicht) des Stutthof-Prozesses.
Wer mitmacht und sich des Verbrechens bewusst ist, macht sich schuldig.
Unterlassene Hilfeleistung (Mangel an gerechter Solidarität) ist dagegen höchstens ein Unterlassungsdelikt, keine Mittäterschaft an einem Mord.
Ausserdem durch viele Gründe (z.B. der Pflicht zur Befehlsbefolgung) entschuldbar :
"Wer ... bei gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, "
Es ist nicht zu entschuldigen,
Und warum tust Du es dann, Tani, jedenfalls indirekt?
Sie hat dort unter anderem das Giftgas bestellt und die Rechnungen gezahlt. Sie hatte keine Kenntnis?!
DW
Aber für mich bleibt die Frage unbeantwortet ob ich selbst in jener Zeit tatsächlich den Mut aufgebracht hätte, eine Sophie Scholl zu sein 🤔
Das musste sie nicht und das muss niemand. Aber ich erwarte, dass ein Mensch, der sich in einem KZ mit Menschenverbrennungsanlage bewirbt, WEISS, wofür er sich bewirbt.
DW