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Innenpolitik Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus

margit
margit
Administrator

Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von margit

Mich hat heute der Artikel in der Badischen Zeitung "So ausgeliefert" aufgewühlt. Es wird darin über antisemitische Vorfälle in und um Freiburg berichtet.

So hat z.B. ein jüdischer Handwerker mit seiner Familie einen benachbarten  Ort wegen wiederholten und heftigen antisemitischen Bedrohungen eines Nachbarn verlassen und sein Haus dort verkauft.
Anzeigen wegen der Drohbriefe, Sachbeschädigungen und Beschimpfungen wurden von der Polizei nicht enstgenommen. Als aber der Handwerker auf eine heftige Beleidigung mit einer Ohrfeige reagierte, wurde er, ohne dass die Richterin das Video von dem ganzen Vorkommnis davon sehen wollte, zu einer Geldstrafe  verurteilt.

Oder, in einem anderen Fall wurde einer Synagogenbesucherin in Freiburg gesagt: "Sind wir hier in Deutschland oder sind wir hier im Judenland? Mich wundert nicht, dass Hitler euch vergast hat."

Hetze gibt es also nicht nur im Internet, sondern auch zunehmend im Alltag. Nicht immer so drastisch, wie in den oben genannten Beispielen, oft aber völlig überraschend in alltäglichen Situationen, so nebenbei bemerkt.

Ich habe mir inzwischen angewöhnt, immer nachzufragen, wie das denn zu verstehen sei. Oft ist damit schon einiges klargestellt. Zivilcourage ist nötig. Nicht nur bei den - in meinem Umkreis - sehr seltenen antisemitischen, sondern auch bei den viel häufigeren rassistischen oder antimuslimischen Bemerkungen. Wichtig ist in meinen Augen, dass auch diese nicht unkommentiert hingenommen werden. Wenn ich in einem Geschäft solche Äußeungen hinterfrage, mich distanziere und u. U. den Laden ohne den geplanten Einkauf verlasse, habe ich vielleicht etwas bewirken können.

Wie sehen Eure Erfahrungen mit diesem Thema aus?

Margit

lupus
lupus
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von lupus

Diese Situation, der Befangenheit gegenüber Juden kann ich für mich und mein Umfeld nicht bestätigen.
Für mich war der aus der Nazizeit berichtete Judenhass immer nicht begreiflich. Was sollte an einem der neben mir an einer Maschine arbeitete anders sein?
Selbst wenn ich wüsste wer ein Jude wäre und wie soll man das eigentlich erkennen, wäre ich in keiner Weise irritiert. Und das ist auch in meinem Umfeld so, sofern man das ja auch nur an der Oberfläche erkennen könnte.
Es liegt vielleicht eben auch an dem Umfeld - dörflich, man kennt sich, östlich.
lupus

Kopie aus anderem Faden

dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf margit vom 17.10.2019, 17:35:51

Am schlimmsten finde ich den verdeckten, dumpfen Antisemitismus und Rassismus, der nicht offen ausgesprochen, sondern gelebt wird. Das passiert nebenbei in einem Witz oder in der Alltäglichkeit. Zum Beispiel haben in fast allen Gemeinden die Freiwilligen Feuerwehren ein Nachwuchs-Problem. Warum spricht man dann nicht konkret Flüchtlinge an, die meist sogar Erfahrung mit der Rettung von Menschen aus brenzlichen Situationen haben. Bei der Ausbildung werden sich die Flüchtlinge nicht dümmer als Deutsche zeigen.

Sicher sind die Feuerwehren eine verschworene Gemeinschaft und sie haben es zunächst nicht verdient in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, aber Hand aufs Herz: Wieviele afrikastämmige Feuerwehrleute habt Ihr schon gesehn? Das geht weiter bei Schützenvereinen und ähnlichen "Clubs". Ich versuche dort entsprechende Fragen zu stellen und stoße auf massives Schweigen und Schulterzucken.

Auf meiner facebook-Pinne habe ich folgendes Bild geteilt und bislang knapp Tausend Likes bekommen. Das heißt entweder, dass facebook besser ist als sein Ruf oder dass ich die richtigen Freunde habe.

rassismus für dumme.jpg


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olga64
olga64
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von olga64

Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit, wo meine Nazi-Eltern das Wort Jude, wenn überhaupt, nur flüsternd ausgesprochen hatten, um dann ohne weitere Erklärung für uns Kinder nur bedeutungsschwere Mimik und Gestik angewendet hatten. Wenn sie mit Gleichgesinnten zusammen waren, wurde schon lauter gesprochen - aber wir Kinder wurden rausgeschickt, weil sie vermutlich befürchteten, wir würden sonst in der SChule darüber sprechen.
Wenn man z.B. auf dem Gehweg stolpere, wenn ein Pflasterstein nicht eben war, wurde gesagt; "da liegt ein Jud begraben".
All das prägte mich früh und ich begann bald nachzufragen, bzw. Informationen zu sammeln, die mich nicht nur bis heute erschüttern, sondern auch zu einer Kämpferin wohl auf Lebenszeit machten, dagegen aufzustehen.
Ich weiss gar nicht, ob ich persönlich Menschen jüdischen Glaubens kenne; für mich wäre das auch nie wichtig gewesen. Selbst praktiziere ich meinen katholischen Glauben nur sehr wenig, habe aber immer Bewunderung für diejenigen - egal ob Muslimen, Hindi oder Juden  - die dies mit Engagement machen.
Auch in meiner Sauna erleben wir seit Jahren einen verbitterten, alten Mann, der immer lauter gegen Ausländer und vor allem Juden verbal zu Felde zieht, weil er der Meinung ist, "einmal muss Schluss sein mit diesen jüdischen Beschwerden, die uns sowieso zuviel Geld kosten". Natürlich erklärt dieser Typ auch immer wieder ,dass "in Israel esdie Politiker nicht anders machen würden als damals die Nazis". Anfangs versuchten wir noch, ihm zu erklären, dass viele bei uns lebenden Juden nie in Israel lebten, sondern in Deutschland geboren wurden und dieses Land als ihre Heimat empfinden. ABer das ist meist so sinnlos, dass man es auch bleiben lassen kann. Auch das ist versteckter Antisemitismus, der in Deutschland weit verbreitet ist (und oft in linken Kreisen auftaucht), die dann mit geschickter Formulierung Antisemitismus für sich aber als nicht zutreffend bezeichnen.
MIttlerweile ignorieren wir diesen Deppen, aber es fällt auf, dass es sich klammheimlich eingeschlichen hat, heute Dinge anscheinend sagen zu können, was vor einigen Jahren noch unvorstellbar war.
Sollte ich es miterleben, dass bewusst despektierlich z.B. gegen Juden in meiner Gegenwart KOmmentare erfolgen, würde ich mich wehren. In jedem Fall beim Einkaufen oder in meiner Hausgemeinschaft usw.
Unterlassen würde ich es aber zB. in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn irgendwelche gewaltbereite Deppen hier auftreten, weil ich befürchten würde, solche Schläge usw. nicht gut überleben zu können.
Ich würde dann einfach aussteigen, wenn es für mich zu unerträglich würde. Olga

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf lupus vom 17.10.2019, 17:41:06
Diese Situation, der Befangenheit gegenüber Juden kann ich für mich und mein Umfeld nicht bestätigen.
Für mich war der aus der Nazizeit berichtete Judenhass immer nicht begreiflich. Was sollte an einem der neben mir an einer Maschine arbeitete anders sein?
Selbst wenn ich wüsste wer ein Jude wäre und wie soll man das eigentlich erkennen, wäre ich in keiner Weise irritiert. Und das ist auch in meinem Umfeld so, sofern man das ja auch nur an der Oberfläche erkennen könnte.
Es liegt vielleicht eben auch an dem Umfeld - dörflich, man kennt sich, östlich.
lupus

Kopie aus anderem Faden
Hallo Lupus, die Befangenheit nehmen auch viel eher jüdische Mitbürger wahr als jeder andere - 
ich versichere, sie ist sehr viel häufiger, als Du glaubst. Vor einiger Zeit sind wir mit einem befreundetem chassidischen Rabbiner, der zwischen Jerusalem und Deutschland  lebt und arbeitet und hier in Deutschland viele Vorträge hält usw. unterwegs und wir trafen sehr viele nichtjüdische Bekannte. Bei Menschen ab 50 fiel eigentlich immer ein Satz wie "also meine Eltern hatten keine Ahnung damals ..." oder "meine Mutter war Halbjüdin" (was ein Mensch jüdischer Herkunft nie sagen würde, denn entweder man ist es oder man ist es nicht, halb gibts nicht :-) ) oder aber es kam ein "meine Grosseltern haben damals jüdischen Nachbarn geholfen" ... irgendie versuchte fast jeder, einen Bezug zur Vergangenheit herzustellen, oft glaube ich, kommt das geradezu wie ein Reflex. Ammeisten staunten aber die Leute, dass er ein so aisgesprochen humorvoller Mann ist, der offen auf jeden zugeht und der auch - ich staune da immer wieder auch in Online Diskussionen - auf sehr unverschämte Beleidigungen sehr souverän zu antworten weiss.
Wer sich für seine Arbeit interessiert und ihn vielleicht einmal erleben will , dem empfehle ich die Webseite  der Jüdischen Kulturgemeinde Breslev - aber vorsichtig: Sein Optimismus und seine Lust am Leben

Hier ein kleines Beispiel aus seinen Vorträgen - leider stört die Musi im Hintergrund ein wenig
 
Monja_moin
Monja_moin
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von Monja_moin

Persönlich kenne ich keine Menschen mit jüdischem Glaube hier vor Ort.
Vielleicht doch und weiß es nicht?
Ich frage nicht danach an was oder wen jemand glaubt.
 
Das hier auch Menschen mit jüdischen Glauben leben ist mit bekannt.
Das erinnert mich an ein Erlebnis, welches mein Mann etwa Ende der 80er Jahre hatte und mir erzählte.
 
Ein Arbeitskollege war gestorben und ein großer Teil der Kollegen gingen zur Beerdigung.
Als sie gemeinsam am Grab standen, sagte ein Kollege laut zu seinem Nachbarn, der neben ihm stand, "neben einem Juden werden ich keinen Abschied nehmen".
 
Die Reaktion von allen anderen Kollegen, war, sie nahmen den Kollegen mit jüdischen Glauben in die Mitte und stellen sich demonstrativ auf die andere Seite des Grabes.
Vielen war gar nicht bekannt, daß dieser Kollege jüdischen Glaubens war.
 
Ich freute mich über den Zusammenhalt und über die Reaktion der Kollegen.
 
Von einem anderen Erlebnis berichtete mir meine Tochter.
Sie war in Berlin im Urlaub und fuhr mit der S-Bahn.
Dort beobachtete sie wie ein recht dunkelhäutiger Mann der auf einem Sitzplatz saß von einen stark angetrunkenen, ungepflegt gekleideten Mann mit Bierpulle in der
Hand, lautstark angeschrien wurde, was er denn in Deutschland wolle und mit anderen beleidigten rassistischen Redensarten  beschimpfte.
Meine Tochter hat sich dazwischen gestellt und in etwa gesagt, lassen sie den Mann in Ruhe, er hat ihnen nichts getan und im Gegensatz zu ihnen, stinkt er nicht nach Alkohol und Schweiß und ist sauber und ordentlich gekleidet.
 
Dieser Mann wollte dann meine Tochter anmachen, da schritten die anderen Fahrgäste ein, die vorher weg geschaut haben oder nur zugehört und stellten sich ihm in den Weg. Darauf verschwand er laut meckernd.
Der dunkelhäutige Mann bedankte sich.
 
Über diese Reaktion meiner Tochter freute ich mich.
Ich nehmen an, hätte ähnlich reagiert.
Weg geschaut hätte ich nicht.
 
Monja.


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lupus
lupus
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von lupus
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 17.10.2019, 18:50:35

Ach Woschi, warum schon wieder " es gibt mehr als du glaubst"?
Ich schreibe meine Erfahrungen aus meinem Umfeld. Nicht mehr und nicht weniger. Mit glauben ist das nicht beschrieben..
Jeder kann , wenn er ehrlich schreibt , nur schildern was er erlebt.
Dabei staune ich aber schon wie auch aus einer Begegnung mit einem unliebsamen Menschen auf allgemein geschlossen wird.
lupus

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf lupus vom 17.10.2019, 20:27:25

Ich streite Deine Eindrücke doch gar nicht ab, ich habe sie nur durch meine aus der Perspektive der nennen wir es betroffenen Seite schildern und keineswegs hier einen Streit vom Zaun brechen wollen   

adam
adam
Mitglied

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von adam
als Antwort auf margit vom 17.10.2019, 17:35:51

Mit dem Antisemitismus ist es in Deutschland wie mit der Bildzeitung. Niemand liest sie, aber sie hat weit über eine Million Anhänger und oft wundert man sich, wer alles dazu gehört.

--

adam
Karl
Karl
Administrator

RE: Alltäglicher Antisemitismus und Rassismus
geschrieben von Karl
als Antwort auf dutchweepee vom 17.10.2019, 17:50:36

@dutchweepee,

das ist ein gutes Bild. Ebenso, ganz ähnlich, bringt es der von @Woschi verlinkte Rabbi auf den Punkt.

Margits Anliegen, dem alltäglichen Rassismus in der eigenen Nachbarschaft entgegenzutreten, kann ich nur unterstützen. Wir müssen aufmerksam sein, jeder für sich, aber auch die Kräfte bündelnd. 

Karl


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