Forum Politik und Gesellschaft Initiativen-Engagement-Vereine Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer

Initiativen-Engagement-Vereine Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf JuergenS vom 24.07.2015, 13:28:02
Bitte warum muss man seine Meinung denn begründen und warum wirfst Du mir Intoleranz vor? Mit dem gleichen recht frage ich nach mehr Hinterfragung und nicht einfach der bedingungslosen Annahme und Loberei einer Künstleraktion, die für viele eben nur scheinbar ein würdevolles Gedenken ist.

Angenommen, Deine Eltern wären von Nazis deportiert und ermordet worden und man hätte verbreitet, das sie "Rassenschande" betrieben hätten, viele Nachbarn haben solche Diffarmierungen ja auch noch geglaubt; wie würde es Dir gefallen, wenn da so ein Stolperstein vor Eurem alten Haus wäre, auf dem wieder "Rassenschande" steht? Bitte gebe mir eine ganz persönliche Antwort, keine allgemeine mit Erklärungsversuchen. Danke,
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von JuergenS
Ich glaub, ich muß klarstellen, dass ich es grundsätzlich betrachte, nicht persönlich.
Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2015, 14:01:03
Wie kann man nur die guten Absichten eines Künstlers derart missverstehen? Mir ist das unbegreiflich. Es ist doch klar, dass die Texte darauf deshalb so neutral gehalten sind, weil sie für sich selbst sprechen. Jeder erkennt doch ganz klar, dass sie als Anklage gemeint sind. Als Anklage gegen einen Unrechtsstaat, der Menschen wegen "Vergehen" verurteilt hat, die gar keine sind. Da wird doch das Regime von damals angeklagt und diffamiert, nicht die Menschen, die das erleiden mussten.

Bei mir direkt um die Ecke gibt es diese Steine. Lange habe ich sie gar nicht wahrgenommen, aber als auf einmal ganz unvermittelt und plötzlich mein Blick darauf fiel (es waren gleich mehrere, weil es vor einem Haus ist, in dem viele Juden gelebt haben), da wurde mir ganz anders. Ich war in dem Moment ziemlich erschüttert und dachte wieder einmal fassungslos, wie so etwas vor nicht einmal langer Zeit, eine Zeit, in der ich schon gelebt habe, möglich sein konnte.
Und ich dachte, wie wichtig es ist, durch beispielsweise solche Zeichen immer wieder daran zu erinnern. Auch als Mahnung, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Dann hat es doch seinen Zweck erfüllt, jedenfalls bei mir. Genauso hat der Künstler es gemeint: so wie es bei mir gewirkt hat, das war seine Absicht. Und damit erfüllen diese Steine einen Sinn, der nur positiv gesehen werden kann.
Warum ist das eigntlich so schwer zu verstehen?

Anzeige

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2015, 15:14:45
Dann versuche es doch einmal aus der Sicht Betroffener zu sehen. Gut gemeint ist leider nicht immer auch wirklich gut.
Die Idee des Künstlers war ohne Zweifel ganz phantastisch. Nur hat er vieles eben leider nicht bedacht und Kritik will er nicht hören.

Ich zitiere einmal aus einem hagalil-Artikel zu einer SWR Sendung über die Steine, der erklärt vielleicht, worum es mir geht?

- - - Ein Beispiel dafür ist der Dentist Max Ruf: Er prozessiert vergeblich für eine Rückgabe seines Hauses in der Freiburger Innenstadt. Die mit dem Verfahren befasste Badische Restitutionskammer stellt zwar fest, dass Max Ruf als Jude gefoltert, denunziert und verfolgt wurde, die Gründe für den Verkauf des Hauses weit unter Wert seien dann aber doch wieder andere gewesen. „Es ist so, dass es einen erstaunt, mit welcher Akribie die Wiedergutmachungsbehörden in den 50er Jahren und auch noch in den 60er Jahren gearbeitet haben, wie mit aller Kraft und aller juristischen Kompetenz versucht worden ist, die Ansprüche dieser Opfer, dieser überlebenden Opfer abzuwehren“, sagt die ehemalige Bibliothekarin Silvia Böhm-Steinert. Sie ist eine jener zahllosen Regionalgeschichtsforscherinnen der Stolperstein-Initiativen, deren Arbeit die SWR2-Stolpersteine zum Hören ermöglicht haben.

Anmerkung: vor dem enteigneten Haus aber befinden sich Stolpersteine

Diese Stolperstein-Initiativen, der Samen, den der Künstler Gunter Demnig gesät hat, ist in einem Maße aufgegangen, dass Demnig nun mit dem Verlegen der Steine gar nicht mehr hinterherkommt. Er ist zu einem Sklaven seines eigenen Werkes geworden, in seiner Rolle als Identifikationsfigur für hunderte von engagierten Ortsgruppen erstarrt. Wenn Gunter Demnig sich jetzt wenig empfänglich zeigt für Kritik und kaum bereit zu Auseinandersetzungen, so sicherlich auch deswegen, weil sein Ruhm, seine gesellschaftliche Anerkennung sich seit 20 Jahren auf die Stolpersteine gründet und sein künstlerisches Ego sich somit auf keine anderen Erfolge stützen kann.

Solch nachvollziehbare menschliche Schwäche sollte jedoch nicht verdunkeln, dass Demnigs Idee nach wie vor brillant ist: Menschen erforschen den Alltag der NS-Zeit in ihrer alltäglichen Umgebung. Dort nämlich treffen die Erkenntnisse empfindliche Punkte bis heute: Der Mann, der die Fluchthelferin Gertrude Luckner verriet, wird von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg nach wie vor als Ehrensenator geführt. Die Bäckerei, aus der die Familie Seligmann vertrieben wurde, ist auch heute noch eine Bäckerei in Heidelberg, im Besitz jener Familie, die von der Enteignung der jüdischen Vorbesitzer profitierte und dann selbst zu leiden hatte unter den schwierigen Bedingungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre.

Um die Bäckerei wurde konkret gestritten, die aus Uruguay zurückgekehrten Seligmanns glaubten in den sechziger Jahren, ein Anrecht auf die Rückgabe zu besitzen. Doch es ist eher die Ausnahme, dass betroffene Familien in direkten Kontakt miteinander getreten sind. Die 68er-Generation demonstrierte auf der Straße gegen die Kriegsgeneration, aber das persönliche Gespräch am Küchentisch, „Wo warst du, Mutter, Vater, als Hitler an der Macht war?“, dieses Gespräch fand nicht statt.
geschrieben von http://www.hagalil.com/archiv/2014/12/08/swr2-stolpersteine/
Karl
Karl
Administrator

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2015, 15:14:45
Hallo Marina,

ich empfinde das ebenso wie Du. In Freiburg gibt es leider Anlass für sehr viele solcher Steine. Ich verweile bei jedem und gedenke der Opfer.

Ich muss aber akzeptieren, dass einige der Angehörigen der Opfer das anders sehen. Allerdings möchte ich Ihnen mitteilen, dass diese Steine m.E. in die richtige Richtung wirken, nämlich Nachdenken und Betroffenheit auslösen.

Karl
Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Karl vom 24.07.2015, 15:37:13
aber geht es denn nur um die andere Seite und damit sie ein besseres Gefühl hat?
Wie schon erwähnt, dass die Menschen sich mit dem Thema und den toten Menschen ihrer Strasse beschäft8igen und nachforschen, das istsicher sehr positiv zu bewerten.
Nur wenn Häuser und Geschäfte deportierter Opfer billig verkauft wurden und die Angehörigen diese nach Ende des Krieges nicht zurück bekamen und dann aber plötzlich ein Stolperstein da angebracht wird, dann ist das schon auch ein Hohn, das musst Du verstehen.

Karrikatur

Anzeige

schorsch
schorsch
Mitglied

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von schorsch
Grosse Freude und Genugtuung erfüllt mich beim Verfolgen dieser Diskussion. Gibt es doch Anlass zur Hoffnung, dass die Geschichte zwischen 1930 - 1945 nie aus den deutschen Geschichtsbüchern und Gedächtnissen verschwinden wird.
Karl
Karl
Administrator

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2015, 15:44:19
Nun Wolkenschieber,

ich bin in Freiburg nicht geboren und wäre auch zu jung, um mich an Vorbesitzer zu erinnern. Deshalb sind die Stolpersteine nützlich. Unabhängig davon stimme ich Dir zu, dass vertriebene Vorbesitzer ein Anrecht auf Wiedergutmachung bzw. Wiedereinsetzung als Besitzer haben sollten.

Andererseits finde ich es nicht richtig, die Stolpersteininitiative als Alibifunktion zu sehen. Ich denke so ist sie nie gedacht gewesen, ganz im Gegenteil.

Karl
JuergenS
JuergenS
Mitglied

Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von JuergenS
Da ich als Nichtbetroffener des Holocaust seit geraumer Zeit verfolge, weil München sich sperrt, gegen Stolpersteine auf öffentlichem Grund, kenne ich die Argumente der Befürworter nun besser.

Wichtig: in erster Linie haben sie Denkmäler dieser Art wegen ihrer eigenen jüdischen Pietät verlegt, ähnlich wie Gräber. Nicht im Vordergrund steht, das was ich und zum Beispiel Karl bei der Betrachtung der Steine empfinden: Mitgefühl, Nachdenken.
Leider gibt es schon sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen zu dem gesamten Thema Demnig, der ja die Verlegung offensichtlich exklusiv betreibt und Standard-Kosten dafür erhebt und das ganze als Kunstwerk weltweit bezeichnet. Das lässt Raum für für und wieder, von dem ich bisher nichts wusste, ohne hier Stellung beziehen zu müssen.

Es ist natürlich schon ein Unterschied, ob "Betroffene", also Überlebende, Nachfahren argumentieren oder ich zum Beispiel, der ja eher als Reuiger gesehen wird, weil er ggf. schuldige Vorfahren hat.

Alles in allem ein subtiles Thema, Fingerspitze ist gefragt, wo immer man über die Thematik diskutiert.
Re: Stolpersteine, verlegt für Holocaust-Opfer
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 24.07.2015, 15:35:48
Dann versuche es doch einmal aus der Sicht Betroffener zu sehen. Gut gemeint ist leider nicht immer auch wirklich gut.
Die Idee des Künstlers war ohne Zweifel ganz phantastisch. Nur hat er vieles eben leider nicht bedacht und Kritik will er nicht hören.



Ich finde es ziemlich niederträchtig, die Idee des Künstlers in den Zusammenhang mit der ungerechten Gesetzgebung zu setzen.

Was hat seine private Initiative, ein Andenken für die Menschen zu bewahren, mit der Enteignungen durch den Staat zu tun.

Gar nichts.
Es ist ja nicht so, dass das Verlegen des Steines, die Rückgabe des enteigneten Eigentums verhindert.

Es gibt sogar sehr viele betroffene Familien, die das Verlegen der Stolpersteine selbst beantragen.

Ich habe hier in Hamburg mehrere Spendenaufrufe erlebt, wo der Künstler Geld für die Materialkosten brauchte, um den Wunsch der Familien zu erfüllen.
Das ist zwar schon einige Jahre her und war am Anfang, als er mit dem Verlegen der Steine begann.

Hannes

Anzeige