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Gesundheit Aggressionen durch Angst?

gerry
gerry
Mitglied

Aggressionen durch Angst?
geschrieben von gerry
Seit einiger Zeit stelle ich bei mir eine charakterliche Veränderung fest,
die mich zusätzlich belastet:
Ich bin aggressiv und unleidlich geworden, mich stören Dinge, denen ich früher keine Beachtung schenkte.
Ich war ungerecht und anmaßend zu meinem Umfeld, zu meiner Familie und Freunden.
Sogar hier im Internet habe ich einen lieben Menschen gekränkt und ihm unsere Freundschaft
grundlos vor die Füße geworfen, was mir im Nachhinein unendlich leid tut.

Wie kann so etwas passieren?
Weil ich seit Montag wieder in der Uni-Klinik liege, habe ich meinen behandelnden Oberarzt -
Neurologe+Psychologe - am Dienstag um ein Gespräch gebeten und mit ihm gemeinsam Ursachenforschung
zu betreiben.
Er kam zu dem Ergebnis, dass es Angst wäre.

Ich hatte ihm erzählt, dass wir 1945 aus dem "Jenseits-der-Odergebiet" vor den Russen geflüchtet seien,
im April 1945 bei einem Luftangriff auf Halberstadt zwei Tage verschüttet waren, dass ich 1951 zwei Wochen
in Stasi-U-Haft war, dass mir 1956 vier Wochen vor der Trauung die Braut mit einem farbigen Sänger
durchgebrannt sei.
Ich hätte fast alle negativen Facetten des Lebens kennengelernt und der Begriff "Angst" mir eigentlich fremd sei.
"Das glauben Sie, Herr K." meinte mein Doc, "überlegen Sie mal, warum Sie wieder hier sind."

Seit 1998 leide ich an Myasthenia gravis (MG), einer unheilbaren Muskelschwäche im Seh-Kau-Schluck
und Sprechbereich.
Nach anderhalbjähriger Odyssee bei allen möglichen Ärzten und zwei Wochen Intensivsation im KKH
kam ich hierher in die Uni-Klinik-Halle wo ich von dem Oberarzt kompetente Hilfe erhielt.
Als ich hier ankam,war ich mehr tot als lebendig und wurde künstlich ernährt.
Im Laufe der Zeit konnte ich soweit stabilisiert werden, dass ich mich völlig gesund fühlte.
2006 erkrankte ich an Prostatakrebs, der aber auch gut behandelt wurde und von dem ich nichts mehr spürte.
Festgestellt wurde er als ich an einer Gürtelrose (Zoster) an der linken Hand erkrankte und mein
Oberarzt daraufhin einen PSA-Test anordnete.

Meine MG wurde nur noch alle sechs Wochen mit einer Infusion behandelt, war nicht mehr zu spüren.
Dann, im Dezember ein Rückfall, mit dem nicht mal mein Doc gerechnet hatte.
Am 30. 12. plötzlich Blutungen aus der Harnröhre, die wirklich Angst aufkommen ließen, sich dann aber,
nach einem Besuch beim Urologen, als "harmlos" herausstellten.
Nach dem MG-Rückfall wurden die Medikamente umgestellt, ich vertrug sie auch gut.
Plötzlich ein Anruf meines Oberarztes: "Sie müssen sofort kommen, wir müssen eine erneute Blutuntersuchung
vornehmen".
Das wurde getan, auch eine Knochenmarkuntersuchung wurde noch gemacht um mit Sicherheit eine
Leukämie auszuschließen.
Das war in der letzten Woche.
Nun liege ich seit Montag wieder hier, habe zum Glück den Laptop mit und soll mit täglichen Infusionen
wieder stabilisiert werden.
Es hat sehr geholfen, ich fühle mich viel besser.
Vor allem hat mir das intensive Gespräch mit meinem Doc die Augen geöffnet.
Nach diesen vielen Rückschlägen in kurzer Zeit sind es wirklich unterschwellige Ängste, die mich sehr belastet haben und sich in Aggressionen zeigten.
Bei meiner Familie habe ich mich entschuldigt, Meine Frau und die Tochter haben mich auch täglich besucht
und die 120 Km-Fahrt (eine Strecke) auf sich genommen. Da ist also alles geklärt und in Ordnung.
Bei allen Anderen werde ich mich entschuldigen und mich erklären können.
Nur bei dem lieben Menschen im Internet (im ST) werde ich wohl auf Granit beißen.
Ich kann leider nicht mehr tun, als mich auf diesem Weg zu entschuldigen und zu sagen, dass es mir
sehr, sehr leid tut.
Dass unterschwellige Ängste so aggressiv machen, war für mich neu aber sehr lehrreich.
Mein Doc hat mir geraten, dieses alles aufzuschreiben. Von Veröffentlichung sagte er allerdings nichts.
Aber egal, das nehme ich auf meine Kappe.
Vielleicht hat jemand Ähnliches erlebt? Man könnte sich ja austauschen...

Wünsche allen einen schönen Tag
Gerry
lotte2
lotte2
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von lotte2
als Antwort auf gerry vom 27.01.2011, 11:43:30
Dein behandelnder Arzt hat Recht. Das sage ich, nicht, weil ich Ärztin bin, sondern weil ich die heilende Wirkung von Gesprächen kenne.

Ich habe als Kind die Luftangriffe auf Berlin, die wochenlange "Stalinorgelbedröhnung" miterlebt... die Wege aus der Wohnung in den Luftschutzkeller ... bald nur noch dieser ... wackelndes Haus ( darüber haben mein noch jüngerer Bruder und ich gelacht ! ) ..von angstgeschüttelten Erwachsenen umgeben ....
Noch heute habe ich Gänsehaut, wenn z.B. die Sonnabend -Mittag - Feueralarmglocken schrillen ....
Als ich 1959 und 1963 meine Kinder zur Welt bringen wolle.... kamen und kamen sie nicht...

Die Ärzte sagten damals ( in Wien), dass dieses Phänomen der körperlichen "Geburtsverweigerung" bei Frauen meiner Generation öfter öfter zu beobachten ist.


Heute weiß ich, dass es ebenfalls unwillkürliche Angstreaktionen waren.

Als aggressiv werde ich allerdings im realen Leben kaum eingeschätzt: als Spottdrossel eher...
marianne
marianne
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von marianne
als Antwort auf gerry vom 27.01.2011, 11:43:30
Gerry,
ich schicke dir eine Umarmung!

Kriegsgreuel habe ich nicht erlebt. Aber nicht alles war leicht....

Weisst du was? Du hast sehr ehrlich, einfach deine Leiden erzählend, beschrieben. Das ist bestimmt besser für dich als der -bisher von dir bekannte-verkrampfte Humor

Gute Besserung wünscht ganz von Herzen Marianne

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lemuria
lemuria
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von lemuria
@gerry,
ich habe MS, wie du vielleicht mitbekommen hast. Diese Krankheit des zentralen Nervensystems ist unheilbar aber behandelbar.
Bei mir aber zeigte sich im Verhalten genau der gegenteilige Weg, nämlich der introvertierte. Ich schloss mich beinahe ein in meinen Körper und war nur noch für engste Vertraute zugänglich.
Erst nach und nach öffnete ich mich, begann diese Krankheit anzunehmen und sie zu bekämpfen.
Aber Gerry, da sind wir wohl alle Individualisten; Ein jeder auf seine Art.
Und wenn der, den du gekränkt hast nachdenkt, wird er dir möglicherweise vergeben. Ich wünsche es euch beiden.

miriam
miriam
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von miriam
Ihr lieben Leute,

ich bewundere sowohl dich Gerry, als auch dich, Lemuria.
Meine Erkrankung, die in ihrer akuten Phase schon 31 Jahre zurückliegt - ich erkrankte damals an Krebs - habe ich nach einer kurzen Phase der Revolte, angenommen.
Es folgte zwar vor etwas mehr als 5 Jahren eine neue Krebserkrankung - die habe ich dann gar nicht mehr als so dramatisch empfunden.

Persönlich habe ich durch diese Erkrankungen sehr viel gelernt. Unter anderem auch, dass die Krankheit ein Teil von mir ist, dass sie mich auch geprägt hat.

Meine Lebensfreude, hat mir die Erkrankung nicht genommen. Und ich wünsche dir Gerry und dir Lemuria, dass Ihr dies auch ähnlich empfinden sollt.

Liebe Grüße

Miriam
Karl
Karl
Administrator

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von Karl
als Antwort auf gerry vom 27.01.2011, 11:43:30
Mein Doc hat mir geraten, dieses alles aufzuschreiben. Von Veröffentlichung sagte er allerdings nichts.
Aber egal, das nehme ich auf meine Kappe.
Lieber Gerry,

ich gratuliere Dir für deinen Mut und hoffe, dass es Dir hilft, dass Dir im ST viele von Herzen alles Gute wünschen. Auch ich weiß aus Erfahrung, dass es wichtig ist, über seine Probleme reden zu können. Du scheinst einen guten Arzt zu haben. Ich wünsche Dir und ihm, dass ihm alles gelingt.

Beste Grüße, Karl

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Drachenmutter
Drachenmutter
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von Drachenmutter
als Antwort auf gerry vom 27.01.2011, 11:43:30
Grüß Dich Gerry,

normalerweise lese ich Deine Geschichten/Beiträge kaum bis gar nicht, aber diesmal zog mich der Titel magisch an und ich muss sagen, ich habe es nicht bereut, gelesen zu haben.

Du zeigst mit Deiner Schilderung eine ganz andere Seite Deines Selbst und ich bewundere Deinen Mut, dies alles im ST öffentlich zu machen. Es war bestimmt nicht leicht, weißt Du doch, was hier nun evtl. auf Dich zukommen kann.

Ich wünsche Dir gute Besserung und dass Du Deine tief sitzenden Ängste nun so nach und nach besiegen kannst, jetzt, wo Du weißt, woher sie kommen. Du hast einen großen Schritt in Richtung Genesung getan. Gratulation dazu.

Liebe Grüße,
woelfin
gerry
gerry
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von gerry
als Antwort auf Drachenmutter vom 27.01.2011, 16:03:27
Ja Woelfin, wie verkannt und verdreht es werden kann, habe ich schon in einer Mail lesen dürfen.
Ich wusste, worauf ich mich einließ, aber egal.
Ich weiß aber, dass ich in guten Händen bin, kenne meinen Doc seit elf Jahren und vertraue ihm bedinungslos.
Dir danke ich für Deinen Mut machenden Kommentar.
Herzl. Gruß
Gerry
gerry
gerry
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von gerry
als Antwort auf Karl vom 27.01.2011, 14:55:03
Leider, lieber Karl, komme ich erst jetzt dazu, deinen Kommentar zu beantworten.
Ich weiß, es gehört Mut dazu, sich hier zu öffnen.
Aber vielleicht hilft es ja Anderen?
Seit Beginn meiner Myasthenie-Behandlung vor elf Jahren, habe ich den gleichen Oberarzt in der Uni-Klinik.
Wir sind mittlerweile richtige Freunde geworden und ich kann ihm blind vertrauen.
Das gibt es nicht mehr sehr oft und ich bin ihm zeitlebens dankbar.

Herzliche Grüße zurück
Gerry
minu
minu
Mitglied

Re: Aggressionen durch Angst?
geschrieben von minu
Hallo Gerry, zuerst wünsche ich Dir eine gute Besserung und alles Gute.

Ich war ein lebenlang ein liebes Kind, eine liebe Ehefrau, eine Mutter die immer da war. Habe meine Wut immer runter geschluckt, habe meine Ängste unterdrückt usw.

Gut war das alles nicht, mein körper und meine Seele rebellierten.

Heute habe ich das Gefühl, hart, verbittert,gefühllos zu sein.
Ich bin zu müde geworden, mich immer zu verstellen.

Ich kann die Menschen, die mir die Zeit stehlen nicht mehr ertragen, "Freundinnen"
die mich kaufen wollen, Menschen die erwarten, dass ich ihnen stundenlang zu höre.

Ich habe immer enorm viel Liebe gegeben, doch niemand wollte sie haben.

War ich immer schon so? Oder hat mich das Leben so gemacht?

Ich glaube, es geht vielen so.

Gruss Emy

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