Forum Wissenschaften Geisteswissenschaft / Philosophie was wird mit uns Ü 60 passieren

Geisteswissenschaft / Philosophie was wird mit uns Ü 60 passieren

olga64
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Mitglied

RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 16.06.2020, 15:08:12

Ja, eine sehr interessante und sehr schwierige Frage.
Selbstmord bedeutet ja auch ,dass man diesen selbst begeht (und nicht unbedingt andere damit beauftragt, es zu tun). Ich finde es richtig ,dass seine Frau sich an die neuen Lebensumstände ihres Mannes heranwagte und diese auch unterstützte. Er war ja anscheinend am Ende seines Lebens in dieser Situation froh und zufrieden - den Rest vergass er einfach.
Was ich hier aber auch interessant fand, ist, dass seine Frau, die Jahrzehnte "hinter ihm stand" es nach vorne schaffte und auch wissenschaftlich und schriftstellerisch dann doch sehr viel lieferte aus Eigeninitiative. Olga

Der-Waldler
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf olga64 vom 16.06.2020, 19:28:56

Seine Frau wurde ja durchaus auch angegriffen, weil sie selbst ihn nicht mehr pflegen konnte oder auch wollte, sondern ihn laut mancher "besserwisserischen Kritiker" "abgeschoben" habe.

Ich konnte Frau Jens sehr gut verstehen. Meine Frau und ich haben meine Mutter die letzten zehn Jahre ihres Lebens gepflegt, und das hat uns deutlich an (vielleicht sogar über) die Grenze dessen geführt, was man leisten kann und auch leisten will. Niemand, der nicht selbst einen pflegebedüftigen Angehörigen länger versorgt hat, kann sich vorstellen, was für eine extreme Belastung das ist, für Körper, Geist, Seele und nicht selten auch für die sozialen Beziehungen, die das Ganze oft nicht aushalten.

Aber es war schon sehr typisch, finde ich, dass keiner ein Wort des Mitgefühls mit Frau Jens äusserte, jedenfalls nicht öffentlich., Primär wurde damals Kritik laut. Dass auch sie das Recht auf ein Leben hatte, rein praktisch und intellektuell, spielte damals kaum eine Rolle.

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.

W.

olga64
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 17.06.2020, 09:25:56

Das hat in unserer älteren Generation noch tiefe Wurzeln, dass Frauen automatisch für die Pflege und Wohlfahrt herangezogen werden sollen und nicht die Möglichkeit präferieren dürfen, auch ein eigenes Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen.

DAs klingt immer so, als ob kleine Mädchen automatisch mit dem Putz- und Hausfrauen-GEn geboren werden.
Wir erlebten eine ähnliche Situation als unsere Mutter mit 82 Jahren nach einem Sturz zum Pflegefall wurde. Mein Bruder lebt in Berlin, ich damals auch ausserhalb von München. Den ersten Gedanken, die Mutter nach Berlin zu verfrachten, empfangen wir als höchst grausam und ausserdem wäre meine berufstätige Schwägerin nie bereit gewesen, diese Pflege zu übernehmen. Warum auch?

Wir suchten ein gutgeführtes Altenheim, wo sie dann 10 Jahre bis zu ihrem Tod lebte und wo es ihr auch gefiel. Da die Kosten die Renten meiner Mutter und des früh verstorbenene Vaters ziemlich überstiegen, zahlten mein Bruder und ich die Differenz. Wir fanden das von Anfang ehrlicher und auch professioneller als wenn einer von uns  Pflegelaien evtl. noch den Beruf aufgegeben hätte (und zum Hartz IV-Fall geworden wäre); dann hätte sich vermutlich schnell Frust und Hass entwickelt, was sich ja nicht unbedingt gut auf die Pflegequalität für einen Menschen am Ende seines Lebens auswirkt.
Bei diesen besserwisserischen Kritikern,die dies nicht gut finden, befinden sich oft auch solche, die auf das Pflegegeld angewiesen sind und es gibt auch viele,vermutlich sehr viele, bei denen es diese alten Menschen in den Familien dann nicht so gut haben, wie es in einem gutgeführten Heim möglich wäre.
Oft hängen an alten Menschen ja auch Häuser und Vermögen, das man sich auch als Erbe frühzeitig sichern und nicht reduzieren möchte, in dem ein Teil davon in die Pflege des alten Menschen investiert wird. Olga


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Der-Waldler
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf olga64 vom 17.06.2020, 18:41:04

Wir hatten damals das Glück, dass meine Frau tagsüber gearbeitet hat und ich tagsüber nur stundenweise in der Uni (ich studierte da noch, Zweitstudium) war, so dass wir uns gut abwechseln konnten. Hinzu kam mehrmals pro Woche ein Pflegedienst, vor allem dann, wenn meine Frau und ich nicht selbst zuhause sein konnten. Da meine Mutter eine sehr sanfte und liebe Frau war, klappte das alles ohne größere Spannungen.

Dennoch haben wir uns nach ihrem Tod in der Rückschau gefragt, ob es richtig war, sie aus ihrer alten Umgebung (Ruhrgebiet) in den Raum Frankfurt geholt zu haben, wo wir damals lebten. Da sie von einem auf den anderen Tag aus einem extrem aktiven Leben in einen völlig hilflosen Zustand nach einem schweren Schlaganfall "geworfen" worden war (sie war ja erst 67), mussten wir drei schnell entscheiden, was geschehen soll und wie es weitergehen soll. Obwohl sie all ihre Geschwister und Freunde verlassen musste,  wollte sie nicht so gern in ein Heim, sondern zu uns. Vielleicht wäre sie in einem Heim glücklicher gewesen, zumal sie vor ihrem Schlaganfall ehrenamtlich in einem Heim gearbeitet hatte, wo wir auch einen Platz bekommen hätten. Aber was besser wäre..., nun ja, das weiß man oft erst hinterher. Wir steckten in einer Situation, mit der damals niemand von uns gerechnet hatte, und so haben wir das gemacht, was Mutter gern wollte, und was meine Frau und ich auch glaubten, leisten zu können.

Aber einfach war das alles nicht. Wir wohnten zuerst in einer 3-Zimmer-Wohnung, ich gab mein Arbeitszimmer auf, das dann Mutters Zimmer wurde, es war alles sehr beengt, Aber eine größere Wohnung konnten wir uns nicht leisten, im Großraum Frankfurt war die Miete für unsere Wohnung fast so hoch wie andernorts für ein ganzes Haus!. Als wir dann später noch einmal umzogen, deutlich näher ans Ruhrgebiet, damit Mutter ihre Geschwister und Freunde öfter sehen konnte, hatten wir eine 5-Zimmer-Wohnung, da klappte alles viel viel besser.

Nun ja, ich denke, wir haben es ganz gut und für alle würdig hinbekommen.

Einen angenehmen Tag

W.

olga64
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 18.06.2020, 07:52:33

Ich bewundere es, wie Siedas geschafft haben.
Unsere Mutter war nie eine sanfte Frau. Wir hatten da auch im Altenheim so unsere Probleme, wenn uns bei Besuchen geschildert wurde, wie sie gerade ausländische Pflegekräfte wüst beschimpfte, weil sie den Anspruch erhob, nur von Deutschen gepflegt zu werden.
Mein Bruder und ich marschierten dann rum und übergaben den leidtragenden Pflegekräften jeweils Trinkgelder und entschuldigten uns bei ihnen.
Da half, dass sie unsere Mutter einfach nicht mehr so ernst nahmen und diese Angriffe ignorierten.
Es führte natürlich auch zu dem Denken, dass wir es zu Hause mit ihr nicht geschafft hätten - die Angriffe hätten dann sicher uns gegolten und wie wir drauf reagiert hätten, mussten wir gottlob nie herausfinden. Olga

Der-Waldler
Der-Waldler
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf olga64 vom 18.06.2020, 15:32:18

Meine Grosseltern waren Russen. Obwohl schon in D geboren, war meine Mutter eine richtige "Babutschka", sehr hilfsbereit, immer um alle besorgt, dabei bescheiden und den Menschen sehr zugewandt. Meiner Meinung nach hätte sie viel mehr fordern dürfen und nicht immer nur den/die Anderen in den Mittelpunkt ihrer Sorge stellen sollen. Oder ganz einfach: Sie hätte ein wenig egoistischer sein dürfen. Aber sie war nun einmal so wie sie war, was ja durchaus auch dazu beitrug, dass sie für meine Frau eine wunderbare Schwiegermutter war, und für meine Mutter war meine Frau die "Tochter", die  sie sich immer gewünscht hatte (sie lehnte die Vorsilbe "Schwieger-" immer ab).

So ein schwieriger Mensch wie Ihre Mutter, Olga, macht es anderen sicher nicht leicht, auch und vor allem ihren eigenen Söhnen und Töchtern nicht. Und wie undankbar das doch den Menschen gegenüber ist, die einem tagtäglich helfen, ihnen dann rassistisch zu begegnen... Ich werde es nie verstehen, dass Menschen aufgrund der Tatsache, dass sie zufällig (!) in einem bestimmten Land (oder auch in einer bestimmten sozialen Schicht) geboren worden sind, den Schluss/Anspruch ziehen, dieses Land oder dieser "Stand" oder gar die Menschen des eigenen Landes/Standes seien etwas besseres als andere. Das ist mir wesensfremd.

Schönen Abend.



 


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schorsch
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Der-Waldler vom 18.06.2020, 16:39:24
..........Ich werde es nie verstehen, dass Menschen aufgrund der Tatsache, dass sie zufällig (!) in einem bestimmten Land (oder auch in einer bestimmten sozialen Schicht) geboren worden sind, den Schluss/Anspruch ziehen, dieses Land oder dieser "Stand" oder gar die Menschen des eigenen Landes/Standes seien etwas besseres als andere. Das ist mir wesensfremd.

Schönen Abend.



 
Das "predige" ich hier schon seit vielen Jahren......
olga64
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von olga64
als Antwort auf Der-Waldler vom 18.06.2020, 16:39:24

Aber sie war nun einmal so wie sie war, was ja durchaus auch dazu beitrug, dass sie für meine Frau eine wunderbare Schwiegermutter war, und für meine Mutter war meine Frau die "Tochter", die  sie sich immer gewünscht hatte (sie lehnte die Vorsilbe "Schwieger-" immer ab).

So ein schwieriger Mensch wie Ihre Mutter, Olga, macht es anderen sicher nicht leicht, auch und vor allem ihren eigenen Söhnen und Töchtern nicht. Und wie undankbar das doch den Menschen gegenüber ist, die einem tagtäglich helfen, ihnen dann rassistisch zu begegnen... Ich werde es nie verstehen, dass Menschen aufgrund der Tatsache, dass sie zufällig (!) in einem bestimmten Land (oder auch in einer bestimmten sozialen Schicht) geboren worden sind, den Schluss/Anspruch ziehen, dieses Land oder dieser "Stand" oder gar die Menschen des eigenen Landes/Standes seien etwas besseres als andere. Das ist mir wesensfremd.

Schönen Abend.


 
Unsere Mutter war sehr auf ihren Sohn fixiert (meinen Bruder), was natürlich auch gewaltige Auswirkungen auf die Frau hatte (ihre Schwiegertochter), mit der mein Bruder nun 45 Jahre verheiratet ist.
Begriffen haben wir vieles erst im Erwachsenen-Alter. Auch meine Mutter wurde in der Nazizeit sozialisiert; das prägte sie lebenslang zusammen mit der Ehe mit unserem Vater,der ein Nazi bis zu seinem Tod blieb.
Schon als Kind konnte ich nicht verstehen, dass jemand abwertend "als Jude" oder "als Ausländer" betitelt wurde. Dazu kam noch das patriotische, bayerische Denken. Mir wurde z.B. als Kind verboten, mit einem Flüchtlingskind in meinem Alter Kontakt zu haben, weil es "eine Preissin" ist.
Aber für uns Kinder hatte das auch den Vorteil, dass wir schon sehr früh dieses Verhalten unverständlich bis widerwärtig fanden und uns völlig anders entwickelten. Dazu kam natürlich die Möglichkeit,viel zu reisen, im Ausland zu leben und selbst AusländerIn zu sein, was natürlich die Perspektiven völlig verschiebt.
Hätte auch anders kommen können; es gibt sie ja die Familien, wo sich das rechte Gut über Generationen fortsetzt und gepflegt wird.
Alles Gute. Olga
Der-Waldler
Der-Waldler
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RE: was wird mit uns Ü 60 passieren
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf olga64 vom 19.06.2020, 19:06:40

Ja, ich denke, unsere Mütter-Väter-Generation ist sehr stark und dauerhaft von den Umständen geprägt. Natürlich gilt das auch für uns und alle Generationen. Aber die Zeit damals war doch eine andere, eine schwierigere. Heute ist es nicht mehr sehr mutig, eine vom Mainstream abweichende Meinung zu haben; damals hätte das das Leben kosten können.
 


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