Geisteswissenschaft / Philosophie Was ist Geist?

Karl
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Re: Was ist Geist?
geschrieben von Karl
als Antwort auf dmz vom 02.04.2007, 01:43:36
Quantenphysik ist die falsche Hierarchie-Ebene, um Hirnleistungen zu erklären. Ich würde, wenn schon die naturwissenschaftliche Basis geklärt werden soll, doch lieber die Neurowissenschaften bemühen. Jede Hierarchie-Ebene braucht ihre eigene Sprache, selbst die Sprache der Neurowissenschaften ist keineswegs einheitlich, da auch hier Funktionen auf unterschiedlichen Komplexitätsebenen untersucht werden. Wenn ich mich für die biochemische Funktionsweise einer einzelnen Synapse interessiere, macht es einfach keinen Sinn über deren geistigen Beitrag nachzudenken und umgekehrt wäre es hirnrissig geistige Leistungen in der Sprache der Biochemie zu beschreiben. Mehr Sinn sähe ich schon darin, sich hierüber auf dem Niveau der Simulation von Nervennetzen zu unterhalten.
Andererseits ist es durchaus erhellend festzustellen, dass einzelne Moleküle innerhalb einer Synapse wie logische UND-Gatter funktionieren können, weil dies eine der Grundlagen für elementare Lernprozesse ist. Ich denke gerade darüber nach, ob es Sinn machen würde hier unter "Wissen" einige Grundlagen der Neurobiologie darzustellen - ich fürchte aber, mir fehlt im Moment die Zeit - auch wenn ich (Oster-)Urlaub habe.
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Karl vom 02.04.2007, 10:09:22
Bevor ich nochmal was zur Sache schreibe, möchte ich darauf hinweisen, dass die neue Überschrift "Geisteswissenschaft und Philosophie" sehr irreführend ist. Die Philosophie ist Bestandteil der Geisteswissenschaften, obwohl sie eine Sonderstellung darin einnimmt, weil sie nicht bestimmte Gegenstandsbereiche behandelt und Problemlösungen anbietet, sondern in erster Linie alles immer wieder neu in Frage stellt. Dieses ständige Infragestellen ohne verbindlich gültige Antworten zu erlangen, ist das Charakteristische der Philosophie und unterscheidet sie vor allem von den Naturwissenschaften, aber auch in dieser Radikalität von einigen Geistes- und Kulturwissenschaften. Ich will jetzt kein großes Referat darüber schreiben, aber zumindest darauf hinweisen, dass die Philosophie nicht getrennt von den Geisteswissenschaften gesehen werden kann. Ich würde deshalb vorschlagen, die Überschrift vielleicht zu ändern in „Geisteswissenschaften/Philosophie“ (also mit Schrägstrich). Das halte ich für besser als durch das Wort „und“ eine künstliche Trennung von Bereichen zu herzustellen, die es so gar nicht gibt.

marina
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.04.2007, 10:50:32
Mein letzter Satz war vielleicht etwas missverständlich. Ich meinte: eine künstliche Trennung herzustellen ... Nicht dass es so aufgefasst wird, dass es die Bereiche nicht gibt. Die Tennung gibt es eigentlich nicht, das meinte ich.
--
marina

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Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.04.2007, 10:54:25
Booaah Karl, das ging ja schneller als der Schall. Ein Wort, und schon die Umsetzung wie von Geisterhand. So würde ich es mir immer wünschen, auch im realen Leben. Einmal in die Hände geklatscht, und der Wunsch ist erfüllt (das gibt es sonst nur im Märchen).
Danke auf alle Fälle. Später schreibe ich vielleicht noch anderes, aber jetzt ist erst mal zu schönes Wetter, da zieht es mich mit Macht hinaus in die Ferne.

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marina
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.04.2007, 11:53:58
Ich wollte noch etwas zum Thema „Geist“ schreiben.
Karl, du schreibst:
„Allerdings ist es so, dass ich an eine Welt glaube und nicht an zwei, für mich ist es also, völlig im Gegensatz zu simba, klar, dass es Denken und Geist ohne Gehirn nicht gibt“, und führst es später weiter aus.
Kann es sein, dass du den Begriff „Geisteswissenschaften“ missverstehst? Nach allem, was ich von dir hier gelesen habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass du der Meinung bist, die Geisteswissenschaftler würden unter
„ Geist“ immer irgend ein transzendendentes oder göttliches Prinzip - so etwas wie „Weltgeist“ bei Hegel oder die „Ideen“ bei Platon oder „Gott“ im Christentum - in einer zweiten, jenseitigen Welt verstehen? Und aus dieser Auffassung resultiere das Wort „Geisteswissenschaft“? Oder habe ich dich da falsch verstanden? Wenn es so wäre, würdest du einem großen Missverständnis aufsitzen. Es gibt innerhalb der Geisteswissenschaft, speziell der Philosophie, verschiedene Auffassungen von „Geist“. Die, die ich eben beschrieben habe, ist die des sog. „Idealismus“. Dieser Begriff wird in der Alltagssprache immer falsch gebraucht, denn damit ist gemeint, ein geistiges und nicht ein materielles Prinzip als das Primäre anzunehmen. Die Materie sehen die Idealisten als das Sekundäre, das aus dem geistigen Prinzip hervorgeht. Das ist im Christentum z. B. Gott, der als das Primäre, als Ursache für alles Naturgeschehen und damit auch für Materie angesehen wird. Diese Position wird innerhalb der Metaphysik, einem Teilbereich der Philosophie „verhandelt“.

Es gibt aber auch innerhalb der Geisteswissenschaft oder Philosophie die sog. „Materialisten“, auch wieder anders, als in der Alltagssprache gebräuchlich, zu verstehen. Die Materialisten teilen genau deine Auffassung und sehen Materie als das Primäre und damit das Gehirn als Verursacher des Geistes an, glauben also nicht an eine jenseitige Substanz oder zweite Welt. Und diese Richtung vertreten heute die allermeisten Geisteswissenschaftler, denn die Ontologie oder Metaphysik ist in den Geisteswissenschaften inzwischen weitgehend „out“.
D. h. es gibt eine Menge Berührungspunkte zwischen Geistes- und Naturwissenschaft, diese Trennung, die du annimmst, gibt es so nicht.
Das war jetzt aber alles wieder sehr verkürzt dargestellt, denn innerhalb dieser Richtungen gibt es wieder jede Menge Unterschiede, die ich hier nicht alle darstellen will und auch nicht kann, denn eine Expertin dafür bin ich leider nicht. Gerade auf diesem Gebiet ist unbedingte Genauigkeit von Begriffen wichtig, da möchte ich nicht einfach irgend etwas schwafeln auf unsicherem Fundament, das hasse ich bei anderen, und diesen Fehler will ich deshalb selbst auch nicht machen.
Ich wollte nur ein mögliches Missverständnis deinerseits versuchen auszuräumen.

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marina
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Was ist Geist?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 02.04.2007, 10:09:22


Philosophie als Bestandteil der Geisteswissenschaften scheint mir eher zu eng gesehen, Marina. Ursprünglich war jede auf Sachkunde, Wissen, und Einblick in den Zusammenhang der Dinge und Vorgänge gegründete Denktätigkeit Philosophie. Dazu gehörten ebenso auch die Vorgänge des menschlichen Lebens. Einstein bezeichnete sich, so weit ich mich entsinne, als theoretischen Physiker. Er arbeitete mehr mit Papier und Schreibwerkzeug als im Labor mit weißem Kittel an Experimenten, wie man sich so landläufig einen Naturwissenschaftler vorstellt. Sein geistiges Rüstzeug war die Mathematik. Vor allem blieb er nicht beim Formelkram (Pardon) stehen, sondern sah seine Arbeit in einem ganzheitlichem Zusammenhang mit dem Menschsein überhaupt. WEnn Karl als Headline "Grundlagen der Wissenschaften" Geisteswissenschaften und Philosophie mit dem Untertitel "Grundlagen des Denkens" versieht, ist das sehr anspruchsvoll. Das bedeutet, dass Themen nicht so schnell abgehakt werden sollten. Was über den Tag hinaus gilt, bedarf auch des Überlegens.

Karl, ich verstehe so gut, dass du das Gefühl hast in "einer Welt" zu leben. Dies Gefühl ist mir nicht fremd. Diese Welt fassen wir in Raum und Zeit, wir kennen ihre Koordinaten und behandeln sie als Wirklichkeit. So gesehen drängt sich die Vorstellung auf, es könne nur physikalische Dinge geben und keine bewusstseinmäßigen Erlebnisse (Quine). Es gibt auch die Vorstellung, dass es geistige Erlebnisse gibt. Aber dann wird behauptet, dass diese in gewissem Sinne physikalische Vorgänge sind, oder dass sie identisch sind mit physikalischen Vorgängen. so gesehen leben wir dann "in einer Welt", wenn wir das annehmen oder glauben.
Ist es aber nicht auch möglich anzunehmen, dass mit dem Auftreten des Menschen das Universum eine schöpferische Kreativität gezeigt hat? Die Evolution empfindender Lebewesen mit bewussten Erlebnissen ist doch etwas ganz Neues. Am Ende der Entwicklung standen jene Formen des Ich-Bewusstseins und der geistigen Kreativität, die wir nur beim Menschen finden.
Müssen wir nicht sogar noch weiter gehen und die Erzeugnisse des menschlichen Gehirns, des menschlichen Geistes eine eigens geschaffene objektive Welt nennen? Eine Welt der Sprache, der Dichtung, der Mythen, der Märchen, der Kunst, der wissenschaftlichen Theorien, der Musik etc. Diese Welt des menschlichen Geistes ist nicht nur ein beiläufiges Konstrukt, ein zufälliges Anhängsel der physikalischen Welt. Es ist eigene objektive Wirklichkeit. Es wirkt auch über lange Zeiten hinweg. Indem Kunstwerke Menschen in ihren Gefühlen nach Jahrhunderten noch ansprechen zeigen sie Wirkung. Naturwissenschaftliche Gesetze werden genutzt, um in technischer Nutzanwendung ökonomische Wirkungen zu erzielen. Wir dürfen vermuten, dass etwas "wirklich" ist, wenn es physische Gegenstände beeinflussen kann. Wir können auch annehmen, dass etwas "wirklich" existiert, wenn solche Wirkungen durch andere Gründe bestätigt werden.
Wo sind wir eigentlich, wenn wir nur mit uns selbst zusammen sind? Die Frage stellt Hannah Arendt. Was tun wir, wenn wir nur denken? Die Frage wäre leicht zu beantworten, wenn es die objektive Welt des "Geistes" nicht gäbe, wir nur in der Welt der physikalischen Faktizität gefangen wären. Aber so einfach liegen die Dinge nicht.
Einen schönen Abend an alle
C.

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Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf carlos1 vom 02.04.2007, 23:38:24
"Philosophie als Bestandteil der Geisteswissenschaften scheint mir eher zu eng gesehen, Marina. Ursprünglich war jede auf Sachkunde, Wissen, und Einblick in den Zusammenhang der Dinge und Vorgänge gegründete Denktätigkeit Philosophie."

Da stimme ich voll mit dir überein, Carlos. Das Wort „Bestandteil“ fiel mir selber schon beim Schreiben als zu geringfügig auf, ich fand nur gerade kein besseres. Ich hatte aber in meinem Beitrag vom 01.04.2007 um 11.55 schon darauf hingewiesen, dass die Philosophie der Anfang alles Denkens ist, mit den Worten: „Die Geisteswissenschaften waren früher nicht von den Naturwissenschaften in dieser Weise getrennt, wie es heute der Fall ist. . . . Grob gesagt sind aus dem Dreiweg die heutigen geisteswissenschaftlichen Fakultäten und aus dem Vierweg die Naturwissenschaften entstanden, aber ursprünglich gehörten alle zur Philosophie. . . . Die Naturwissenschaft war also nicht strikt getrennt von der Geisteswissenschaft, sondern ging sogar aus ihr hervor“.
Wir stimmen in diesem Punkt also überein.
Deine anderen Gedanken finde ich sehr interessant. Ich entnehme ihnen, dass du die sog. "zweite Welt" offenbar als gegeben annimmst. Mir selber ist die rein materialistische oder positivistische Haltung auch zu verkürzt, und ich kann mich nicht entschließen, die heute gängige Einstellung der meisten Geisteswissenschaftler (mein Sohn ist auch so ein nüchtern denkender ) zu übernehmen. Ich weiß aber auch nicht, ob ich so weit gehen würde, die Erzeugnisse des menschlichen Gehirns, des menschlichen Geistes als „eigens geschaffene objektive Welt“ und als „objektive Wirklichkeit“ zu bezeichnen, obwohl mir diese Sicht eigentlich gefällt. Ich komme da für mich zu keinem endgültigen Schluss und finde das alles sehr kompliziert, aber auch sehr interessant.

Entschuldige, wenn ich darauf antworte, obwohl eigentlich Karl angesprochen war. Ich hatte das Bedürfnis, auch darauf einzugehen.
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marina

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marina
Karl
Karl
Administrator

Re: Was ist Geist?
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 02.04.2007, 17:22:01
Hallo Marina,


ich stimme dir zu. Kein Widerspruch. Es ist mir bewusst, dass auch Geisteswissenschafler dem Dualismus nicht das Wort reden müssen.
Karl
Karl
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Re: Was ist Geist?
geschrieben von Karl
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 03.04.2007, 09:44:17
Carlos1 auf mich gemünzt " So gesehen drängt sich die Vorstellung auf, es könne nur physikalische Dinge geben und keine bewusstseinmäßigen Erlebnisse"

So sehe ich das überhaupt nicht. Meine subjektiven bewusstseinsmäßigen Erlebnisse sind ein Fakt. Die Frage ist für mich nur, ob diese Erlebnisse von den informationsverarbeitenden Prozessen, die in meinem Hirn ablaufen, separierbar sind oder nicht. Ich persönlich glaube nein, beides sind die zwei Seiten einer Medaille. Es gibt unterschiedliche Ansichten der "einen Welt", ob eine der "Ansichten" das Recht hat als real angesehen zu werden und die andere nicht, wage ich zu bezweifeln. Meiner Meinung nach gibt es aber überhaupt keinen vernünftigen Anlass zwei separate Welten anzunehmen.
hl
hl
Mitglied

Re: Was ist Geist?
geschrieben von hl
als Antwort auf Karl vom 03.04.2007, 15:19:56
Das Denken, das Wahrnehmen, das Fühlen, die Materie .. das alles sind B e s t a n d t e i l e einer einzigen "Welt" sofern wir uns auf unsere Erde beschränken, richtiger wäre "des uns bisher bekannten Universums".

Je nach aktuellem Standpunkt lässt sich natürlich von einer geistigen, wahrgenommenen, gefühlten oder materiellen (im Sinne von Materie) Welt sprechen, solange man sich bewusst ist, dass man hier über Bestandteile redet.

--
hl

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