Geisteswissenschaft / Philosophie Was ist Geist?
"...denn diese Diskussion war außergewöhnlich sachlich und interessant. Unter anderem auch, weil sich die Esoteriker weitgehend zurückgehalten haben. )" marina
@ marina: Warum verwendest du die Vergangenheitsform? Die Diskussion müsste eigentlich nicht zu Ende sein, weil das, was den "Geist" berührt, nicht direkt angesprochen wurde.
Esoterik will ich nicht betreiben. Ich erinnere nur an Schiller, der in der "Entgötterung" der Welt das Spezifikum der neueren Jahrhunderte sah. Dieser Prozess ist in Europa so radikal wie sonst nirgends vollzogen worden. Hier wurde im Gefolge des Christentums eine Skepsis möglich, die ohne Vorbild ist. Es gab die glaubenslosen Skeptiker der Antike oder die des alten Indien, für die nichts als das sinnlich Gegenwärtige galt. Aber immer noch lebten sie in einer Welt, die für sie faktisch als Ganzes beseelt blieb. Anders in Europa: Die Konzeption des überweltlichen Schöpfergottes verwandelte die gesamte Welt als Schöpfung zur Kreatur. Aus der Natur verschwanden die heidnischen Dämonen, aus der Welt die Götter. Das Geschaffene wurde zum Gegenstand der Erkenntnis (und später dann zum Ausbeutungsobjekt). Zuerst wurden beim Forschen die Gedanken des Schöpfers nachgedacht. Die großen Naturforscher (wie Newton) des 17. und 18. Jahrhunderts waren fromme Christen. Es gab diese Affinität zwischen protestantischem Christentum und der Welt der Naturwissenschaften mit ihrer Rationalisierung, Mathematisierung und Mechanisierung. Wenn dann aber am Ende der Zweifel den Schöpfergott strich, so blieb nur die in den Naturwissenschaften erkennbare Weltmaschinerie zurück. Mit Entgötterung ist bei Schiller nicht der Unglaube Einzelner gemeint, sondern das Ergebnis einer geistigen Entwicklung, welche wie Karl Jaspers es formulierte ins "Nichts" führt. War diese Entwicklung notwendig oder unausweichlich? Sie setzt doch ein Missverstehen des Sinns der exakten Naturerkenntnis und die Verabsolutierung im Übertragen ihrer Denkformen auf alles Sein voraus. Ist das zu hart geurteilt? Möglich ist sie geworden durch den immensen technischen und praktischen Erfolg dieser Naturerkenntnis. Heute zeigt die grüne Bewegung, dass eine Besinnung auf den Sinn der Technik notwendig ist, weil das Überleben der Zivilisaton und unserer Art davon abhängen.
Dazu Jaspers: "Was kein Gott in den Jahrtausenden für den Menschen getan, macht dieser durch sich selbst. Leicht kann er in diesem tun das Sein erblicken wollen, bis er erschreckt vor seiner selbst geschaffenen Leere steht."
Wünsche allen ein schönes Wochenende
C.
@ marina: Warum verwendest du die Vergangenheitsform? Die Diskussion müsste eigentlich nicht zu Ende sein, weil das, was den "Geist" berührt, nicht direkt angesprochen wurde.
Esoterik will ich nicht betreiben. Ich erinnere nur an Schiller, der in der "Entgötterung" der Welt das Spezifikum der neueren Jahrhunderte sah. Dieser Prozess ist in Europa so radikal wie sonst nirgends vollzogen worden. Hier wurde im Gefolge des Christentums eine Skepsis möglich, die ohne Vorbild ist. Es gab die glaubenslosen Skeptiker der Antike oder die des alten Indien, für die nichts als das sinnlich Gegenwärtige galt. Aber immer noch lebten sie in einer Welt, die für sie faktisch als Ganzes beseelt blieb. Anders in Europa: Die Konzeption des überweltlichen Schöpfergottes verwandelte die gesamte Welt als Schöpfung zur Kreatur. Aus der Natur verschwanden die heidnischen Dämonen, aus der Welt die Götter. Das Geschaffene wurde zum Gegenstand der Erkenntnis (und später dann zum Ausbeutungsobjekt). Zuerst wurden beim Forschen die Gedanken des Schöpfers nachgedacht. Die großen Naturforscher (wie Newton) des 17. und 18. Jahrhunderts waren fromme Christen. Es gab diese Affinität zwischen protestantischem Christentum und der Welt der Naturwissenschaften mit ihrer Rationalisierung, Mathematisierung und Mechanisierung. Wenn dann aber am Ende der Zweifel den Schöpfergott strich, so blieb nur die in den Naturwissenschaften erkennbare Weltmaschinerie zurück. Mit Entgötterung ist bei Schiller nicht der Unglaube Einzelner gemeint, sondern das Ergebnis einer geistigen Entwicklung, welche wie Karl Jaspers es formulierte ins "Nichts" führt. War diese Entwicklung notwendig oder unausweichlich? Sie setzt doch ein Missverstehen des Sinns der exakten Naturerkenntnis und die Verabsolutierung im Übertragen ihrer Denkformen auf alles Sein voraus. Ist das zu hart geurteilt? Möglich ist sie geworden durch den immensen technischen und praktischen Erfolg dieser Naturerkenntnis. Heute zeigt die grüne Bewegung, dass eine Besinnung auf den Sinn der Technik notwendig ist, weil das Überleben der Zivilisaton und unserer Art davon abhängen.
Dazu Jaspers: "Was kein Gott in den Jahrtausenden für den Menschen getan, macht dieser durch sich selbst. Leicht kann er in diesem tun das Sein erblicken wollen, bis er erschreckt vor seiner selbst geschaffenen Leere steht."
Wünsche allen ein schönes Wochenende
C.
Gut geschrieben Carlos!
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hema
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hema
Hallo Carlos1,
ich sehe das nicht so, dass die Entmystifizierung der Welt zu einem "Nichts" führt, denn nun darf dieser einen verbliebenen Realität die Kraft zugeschrieben werden, die Leben und "Geist" schafft. Nun kann die Erkenntnis, dass unser Leben hier und jetzt seinen Sinn finden muss, die trügerischen Projektionen auf ein nicht existentes "Jenseits" überwinden.
Selbsterkenntnis ist grausam, denn sie stürzt den Menschen in die volle Verantwortung. Dieser Existentialismus ist nicht bequem, niemand wird aufgefangen, sondern jeder muss die Verantwortung für sich und seine Taten übernehmen. Daran ändern auch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften nichts, die uns einen ersten Einblick geben, wie die Mechanismen sind, die uns ausmachen. Wir sind dieses Kausalgeflecht selbst, welches uns treibt. Außer uns gibt es keine Instanz, auf die wir Verantwortung abwälzen können.
Mein sehr gläubiger Vater, der mich und meine Geschwister christlich erzogen hat, betonte immer wie segensreich der Glaube im Hinblick auf das Sterben sei. Der christliche Glaube, der Glaube ans "Jenseits" ist tatsächlich geeignet, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Aber kann ich meine Gedanken korrumpieren lassen? Ist das wahr und richtig, was mich ruhig schlafen lässt?
Dürfen wir unser Denken vom gewünschten Ergebnis her bestimmen lassen? Das naturwissenschaftliche Regelwerk funktioniert anders. Wenn auch noch die Hypothesen den Wünschen der Wissenschaftler folgen mögen, so ist deren Falsifikation unerbittlich, falls möglich, und nicht mehr dem Wollen und Wünschen der Menschen unterworfen.
Die Entgötterung der Welt, die Erklärung von Blitz und Donner, als Resultat naturwissenschaftlichen Denkens, die Aufdeckung der Mechanismen dieser Welt hat uns zu deren Besitzern und Beherrschern gemacht, uns viel Macht (kommt von "machen") gegeben, aber uns auch den Schlaf geraubt und die Sicherheit genommen. Bequem ist das nicht, aber es macht erwachsen.
--
karl
ich sehe das nicht so, dass die Entmystifizierung der Welt zu einem "Nichts" führt, denn nun darf dieser einen verbliebenen Realität die Kraft zugeschrieben werden, die Leben und "Geist" schafft. Nun kann die Erkenntnis, dass unser Leben hier und jetzt seinen Sinn finden muss, die trügerischen Projektionen auf ein nicht existentes "Jenseits" überwinden.
Selbsterkenntnis ist grausam, denn sie stürzt den Menschen in die volle Verantwortung. Dieser Existentialismus ist nicht bequem, niemand wird aufgefangen, sondern jeder muss die Verantwortung für sich und seine Taten übernehmen. Daran ändern auch die Erkenntnisse der Neurowissenschaften nichts, die uns einen ersten Einblick geben, wie die Mechanismen sind, die uns ausmachen. Wir sind dieses Kausalgeflecht selbst, welches uns treibt. Außer uns gibt es keine Instanz, auf die wir Verantwortung abwälzen können.
Mein sehr gläubiger Vater, der mich und meine Geschwister christlich erzogen hat, betonte immer wie segensreich der Glaube im Hinblick auf das Sterben sei. Der christliche Glaube, der Glaube ans "Jenseits" ist tatsächlich geeignet, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Aber kann ich meine Gedanken korrumpieren lassen? Ist das wahr und richtig, was mich ruhig schlafen lässt?
Dürfen wir unser Denken vom gewünschten Ergebnis her bestimmen lassen? Das naturwissenschaftliche Regelwerk funktioniert anders. Wenn auch noch die Hypothesen den Wünschen der Wissenschaftler folgen mögen, so ist deren Falsifikation unerbittlich, falls möglich, und nicht mehr dem Wollen und Wünschen der Menschen unterworfen.
Die Entgötterung der Welt, die Erklärung von Blitz und Donner, als Resultat naturwissenschaftlichen Denkens, die Aufdeckung der Mechanismen dieser Welt hat uns zu deren Besitzern und Beherrschern gemacht, uns viel Macht (kommt von "machen") gegeben, aber uns auch den Schlaf geraubt und die Sicherheit genommen. Bequem ist das nicht, aber es macht erwachsen.
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karl
Da sind wir uns weitgehend einig lieber Karl.
Auch scheinen unsere Biographien in dieser Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten zu haben.
Türen, die einmal mit viel Denkaufwand aufgestossen wurden, lassen sich nicht einfach wieder schliessen.
Ich kenne Mitmenschen, die nicht verstehen können, dass man auch in Eigenverantwortung ohne gott-väterlichen Segen glücklich werden kann. Auch vor meinem eigenen Tod brauche ich keine Angst zu haben. Mir wäre ein ewiges Leben danach eher ein Greuel!
--
felix
Auch scheinen unsere Biographien in dieser Hinsicht gewisse Ähnlichkeiten zu haben.
Türen, die einmal mit viel Denkaufwand aufgestossen wurden, lassen sich nicht einfach wieder schliessen.
Ich kenne Mitmenschen, die nicht verstehen können, dass man auch in Eigenverantwortung ohne gott-väterlichen Segen glücklich werden kann. Auch vor meinem eigenen Tod brauche ich keine Angst zu haben. Mir wäre ein ewiges Leben danach eher ein Greuel!
--
felix
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Schade, bis jetzt war es eine Diskussion, die von gegenseitiger Achtung und Toleranz und nicht von Besserwisserei getragen war.
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“, der Ausspruch eines weisen Lehrers der Antike, der zwar umstritten ist in seiner Wörtlichkeit, aber auch in einem anderen angenommenen Wortlaut („Ich weiß, dass ich nicht weiß“) einige lehren könnte, etwas bescheidener aufzutreten in ihrer scheinbaren Sicherheit, dass sie und ihr Weltbild „das Maß aller Dinge“ (Ausspruch eines anderen Lehrers der Antike, Protagoras) sind.
Ich halte Sokrates für den Klügeren, der weder einigen in diesem Forum missionarisch und sektiererisch auftretenden Gläubigen noch den sog. „Agnostikern“ (die diesem Begriff laufend widersprechen, denn der würde mit Sokrates übereinstimmen) oder überzeugten Atheisten zustimmen würde.
Carlos, ich glaube, du verstehst am besten, was ich meine.
--
marina
„Ich weiß, dass ich nichts weiß“, der Ausspruch eines weisen Lehrers der Antike, der zwar umstritten ist in seiner Wörtlichkeit, aber auch in einem anderen angenommenen Wortlaut („Ich weiß, dass ich nicht weiß“) einige lehren könnte, etwas bescheidener aufzutreten in ihrer scheinbaren Sicherheit, dass sie und ihr Weltbild „das Maß aller Dinge“ (Ausspruch eines anderen Lehrers der Antike, Protagoras) sind.
Ich halte Sokrates für den Klügeren, der weder einigen in diesem Forum missionarisch und sektiererisch auftretenden Gläubigen noch den sog. „Agnostikern“ (die diesem Begriff laufend widersprechen, denn der würde mit Sokrates übereinstimmen) oder überzeugten Atheisten zustimmen würde.
Carlos, ich glaube, du verstehst am besten, was ich meine.
--
marina
Hallo Marina,
inhaltlich ist dein Beitrag leider keine Auseinandersetzung mit meinen Gedanken, sondern nur eine Anmache. Du demonstrierst, was du angeblich beklagst. Schade, ich hatte keineswegs gedacht, eine absolute Wahrheit zu verkünden, sondern meine subjektive, und wollte keineswegs Andersdenkende verprellen. Es waren meine ehrlichen Gedanken zu einem ernsthaften Problem. Beim Nachdenken darüber komme ich immer wieder zum selben Schluss. Wenn du diese meine Gedanken nicht schlüssig findest, dann wüsste ich gerne warum.
Der Spruch "Ich weiß, dass ich nichts weiß" mahnt zur Vorsicht, aber eine Lösung und vor allem ein Denkverbot kann er ja wohl nicht sein.
--
karl
inhaltlich ist dein Beitrag leider keine Auseinandersetzung mit meinen Gedanken, sondern nur eine Anmache. Du demonstrierst, was du angeblich beklagst. Schade, ich hatte keineswegs gedacht, eine absolute Wahrheit zu verkünden, sondern meine subjektive, und wollte keineswegs Andersdenkende verprellen. Es waren meine ehrlichen Gedanken zu einem ernsthaften Problem. Beim Nachdenken darüber komme ich immer wieder zum selben Schluss. Wenn du diese meine Gedanken nicht schlüssig findest, dann wüsste ich gerne warum.
Der Spruch "Ich weiß, dass ich nichts weiß" mahnt zur Vorsicht, aber eine Lösung und vor allem ein Denkverbot kann er ja wohl nicht sein.
--
karl
Re: Was ist Geist?
Marina,
das ist ja das Wesen eines Agnostikers. Er weiss nicht nur, dass er nicht wissen kann und dass es keine letzte Wahrheit gibt ... ja er glaubt sogar nicht einmal an eine solche!
Viel weniger festgelegt kann man also gar nicht sein.
Frei ist er aber auch im Hinterfragen und Denken. Erklärungsmodelle sieht er solange als brauchbar und anwendbar an, als keine immanente Widersprüche auftreten.
--
felix
das ist ja das Wesen eines Agnostikers. Er weiss nicht nur, dass er nicht wissen kann und dass es keine letzte Wahrheit gibt ... ja er glaubt sogar nicht einmal an eine solche!
Viel weniger festgelegt kann man also gar nicht sein.
Frei ist er aber auch im Hinterfragen und Denken. Erklärungsmodelle sieht er solange als brauchbar und anwendbar an, als keine immanente Widersprüche auftreten.
--
felix
Das war eine sehr gute Antwort, Felix.
--
karl
--
karl
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Lieber Karl, eigentlich meinte ich nicht dich in erster Linie. Deine Beiträge sind im allgemeinen sehr moderat und nicht rechthaberisch im Gegensatz zu denen von Felix, die immer mit dem Tenor daherkommen, dass die, die trotz Aufklärung heute noch glauben, nicht ganz richtig im Kopf sein können und unaufgeklärt, also dumm sind. Das regt mich genauso auf wie die Missionierungsversuche von den Sektierern, die ihre Eingebungen angeblich von Gott selbst bekommen. Beide Positionen sind von Intoleranz und Rechthaberei, die von den Sektierern obendrein von Selbstgerechtigkeit, geprägt.
Aber auch von dem, was du schreibst, bewirkt bei mir einiges ein komisches Gefühl. Z. B. der Satz: „Nun kann die Erkenntnis, dass unser Leben hier und jetzt seinen Sinn finden muss, die trügerischen Projektionen auf ein nicht existentes "Jenseits" überwinden.“ Du schreibst mit ganzer Sicherheit von einem „nicht existenten Jenseits“, woher weißt du das? Ich glaube auch nicht daran, aber deshalb würde ich es nicht als „nicht existent“ hinstellen, sondern sagen, dass ich es für nicht existent halte, das ist ein Unterschied.
Auch der Satz „Außer uns gibt es keine Instanz, auf die wir Verantwortung abwälzen können“ klingt sehr apodiktisch, und ich könnte ihn besser aushalten mit der Formulierung: "Ich glaube an keine Instanz, auf die . . . ". Im übrigen klingt es so, als würden alle Gläubigen diese Verantwortung nicht wahrnehmen. Ich bin in einem sog. „aufgeklärten Protestantismus“ erzogen worden und habe nicht gelernt, dass die Religion von jedem eigenverantwortlichen Denken entbindet. Ganz im Gegenteil erheben gerade aufgeklärte Christen das Prinzip Verantwortung zu ihrem Leitspruch. Das Prinzip der fehlenden Verantwortung gibt es vielleicht tatsächlich bei einigen Evangelikalen oder Esoterikern oder Sektierern, die alles als Vorsehung und Fügung begreifen, aber innerhalb der Religionen, auch des Christentums (allein schon zwischen Katholiken und Protestanten), gibt es immense Unterschiede, die man keinesfalls alle in einen Topf werfen kann.
Carlos schreibt von Verabsolutierung der exakten Naturerkenntnis „im Übertragen ihrer Denkformen auf alles Sein“. Genau die zeigt sich m. E., wenn du schreibst. „Die Entgötterung der Welt . . . als Resultat naturwissenschaftlichen Denkens, die Aufdeckung der Mechanismen dieser Welt hat uns zu deren Besitzern und Beherrschern gemacht, uns viel Macht (kommt von "machen") gegeben“. Die Formulierung „Besitzer und Beherrscher der Welt“ finde ich geradezu erschreckend. Genau da sehe ich nämlich die oft fehlende Verantwortung: im unverantwortlichen Umgang mit den Ressourcen der Welt von deren angeblichen „Besitzern und Beherrschern“, von Wissenschaftlern, die rücksichtslos alles ausbeuten und machen, was machbar ist und „Gott spielen wollen“, wie Wolfgang mal an anderer Stelle (und hier gebe ich ihm Recht) geschrieben hat. Du räumst zwar ein, dass „es uns auch den Schlaf geraubt und die Sicherheit genommen“ hat sowie „nicht bequem“ ist, aber „erwachsen macht“, aber auch das klingt wieder so, als wären alle Gläubigen einem vorwissenschaftlichen Denken verhaftet, würden nur aus Bequemlichkeit glauben, nicht mehr denken und wären nicht erwachsen. Ich kenne einige Theologen in meinem privaten Umfeld, die würden das energisch zurückweisen, denn die sind sehr intellektuell und aufgeklärt und durchaus erwachsen auch in ihrer Denke. Die allerdings würden auch vieles von dem zurückweisen, was hier von denen, die sich als überzeugte Gläubige outen, an esoterischen und sektiererischen Weisheiten, angeblich von Gott selbst empfangen, vorgetragen wird.
Aber diese Vorwürfe der Unaufgeklärtheit, Unselbstständigkeit, Bequemlichkeit, des mangelnden Denkens, der Dummheit etc. an die Gläubigen sind genau die, die hier immer wieder erhoben werden, und ich finde sie in der Form und im Ton, in der sie oft vorgebracht werden, intolerant und rechthaberisch. Dabei bin ich selbst nicht einmal mehr sehr gläubig, sondern eher eine Skeptikerin, die nicht mehr genau weiß, wo ihr Standort ist.
Ich weiß nicht, ob du mich jetzt besser verstehst. Immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, von der „Anmache“ weg auf Erklärungen zu kommen.
--
marina
Aber auch von dem, was du schreibst, bewirkt bei mir einiges ein komisches Gefühl. Z. B. der Satz: „Nun kann die Erkenntnis, dass unser Leben hier und jetzt seinen Sinn finden muss, die trügerischen Projektionen auf ein nicht existentes "Jenseits" überwinden.“ Du schreibst mit ganzer Sicherheit von einem „nicht existenten Jenseits“, woher weißt du das? Ich glaube auch nicht daran, aber deshalb würde ich es nicht als „nicht existent“ hinstellen, sondern sagen, dass ich es für nicht existent halte, das ist ein Unterschied.
Auch der Satz „Außer uns gibt es keine Instanz, auf die wir Verantwortung abwälzen können“ klingt sehr apodiktisch, und ich könnte ihn besser aushalten mit der Formulierung: "Ich glaube an keine Instanz, auf die . . . ". Im übrigen klingt es so, als würden alle Gläubigen diese Verantwortung nicht wahrnehmen. Ich bin in einem sog. „aufgeklärten Protestantismus“ erzogen worden und habe nicht gelernt, dass die Religion von jedem eigenverantwortlichen Denken entbindet. Ganz im Gegenteil erheben gerade aufgeklärte Christen das Prinzip Verantwortung zu ihrem Leitspruch. Das Prinzip der fehlenden Verantwortung gibt es vielleicht tatsächlich bei einigen Evangelikalen oder Esoterikern oder Sektierern, die alles als Vorsehung und Fügung begreifen, aber innerhalb der Religionen, auch des Christentums (allein schon zwischen Katholiken und Protestanten), gibt es immense Unterschiede, die man keinesfalls alle in einen Topf werfen kann.
Carlos schreibt von Verabsolutierung der exakten Naturerkenntnis „im Übertragen ihrer Denkformen auf alles Sein“. Genau die zeigt sich m. E., wenn du schreibst. „Die Entgötterung der Welt . . . als Resultat naturwissenschaftlichen Denkens, die Aufdeckung der Mechanismen dieser Welt hat uns zu deren Besitzern und Beherrschern gemacht, uns viel Macht (kommt von "machen") gegeben“. Die Formulierung „Besitzer und Beherrscher der Welt“ finde ich geradezu erschreckend. Genau da sehe ich nämlich die oft fehlende Verantwortung: im unverantwortlichen Umgang mit den Ressourcen der Welt von deren angeblichen „Besitzern und Beherrschern“, von Wissenschaftlern, die rücksichtslos alles ausbeuten und machen, was machbar ist und „Gott spielen wollen“, wie Wolfgang mal an anderer Stelle (und hier gebe ich ihm Recht) geschrieben hat. Du räumst zwar ein, dass „es uns auch den Schlaf geraubt und die Sicherheit genommen“ hat sowie „nicht bequem“ ist, aber „erwachsen macht“, aber auch das klingt wieder so, als wären alle Gläubigen einem vorwissenschaftlichen Denken verhaftet, würden nur aus Bequemlichkeit glauben, nicht mehr denken und wären nicht erwachsen. Ich kenne einige Theologen in meinem privaten Umfeld, die würden das energisch zurückweisen, denn die sind sehr intellektuell und aufgeklärt und durchaus erwachsen auch in ihrer Denke. Die allerdings würden auch vieles von dem zurückweisen, was hier von denen, die sich als überzeugte Gläubige outen, an esoterischen und sektiererischen Weisheiten, angeblich von Gott selbst empfangen, vorgetragen wird.
Aber diese Vorwürfe der Unaufgeklärtheit, Unselbstständigkeit, Bequemlichkeit, des mangelnden Denkens, der Dummheit etc. an die Gläubigen sind genau die, die hier immer wieder erhoben werden, und ich finde sie in der Form und im Ton, in der sie oft vorgebracht werden, intolerant und rechthaberisch. Dabei bin ich selbst nicht einmal mehr sehr gläubig, sondern eher eine Skeptikerin, die nicht mehr genau weiß, wo ihr Standort ist.
Ich weiß nicht, ob du mich jetzt besser verstehst. Immerhin habe ich mir die Mühe gemacht, von der „Anmache“ weg auf Erklärungen zu kommen.
--
marina
Re: Was ist Geist?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
felix schrieb am 16.04.2007 um 18.30:
"das ist ja das Wesen eines Agnostikers. Er weiss nicht nur, dass er nicht wissen kann und dass es keine letzte Wahrheit gibt ... ja er glaubt sogar nicht einmal an eine solche!
> Viel weniger festgelegt kann man also gar nicht sein.
> Frei ist er aber auch im Hinterfragen und Denken. Erklärungsmodelle sieht er solange als brauchbar und anwendbar an, als keine immanente Widersprüche auftreten."
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Das wäre eine sehr gute Antwort, wenn sie zusammenpassen würde mit dem, was ich oft an Hetze gegen Religiöse von dir lese. Agnostizismus, den du mir nicht erklären musst, verträgt sich nämlich nicht mit Intoleranz, gerade weil die Agnostiker nicht wissen können.
"das ist ja das Wesen eines Agnostikers. Er weiss nicht nur, dass er nicht wissen kann und dass es keine letzte Wahrheit gibt ... ja er glaubt sogar nicht einmal an eine solche!
> Viel weniger festgelegt kann man also gar nicht sein.
> Frei ist er aber auch im Hinterfragen und Denken. Erklärungsmodelle sieht er solange als brauchbar und anwendbar an, als keine immanente Widersprüche auftreten."
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Das wäre eine sehr gute Antwort, wenn sie zusammenpassen würde mit dem, was ich oft an Hetze gegen Religiöse von dir lese. Agnostizismus, den du mir nicht erklären musst, verträgt sich nämlich nicht mit Intoleranz, gerade weil die Agnostiker nicht wissen können.