Geisteswissenschaft / Philosophie Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von ehemaliges Mitglied
"Der Gedanke ans praktische Vorwärtskommen wird bei vielen eine so eiserne Vormacht innehaben, dass nichts im Ernst ihm gegenüber erwogen wird. Ihre Haltung ist moralische Abwehr; .... Immer wieder staune ich über den Scharfsinn, den noch die Stumpfesten aufbringen, wenn es gilt, Schlechtes zu verteidigen. ..... So viel würde ich konzedieren, dass in einem Zustand, in dem die virtuelle Abhängigkeit aller vom übermächtigen Gesamtgefüge die Möglichkeit von Freiheit auf ein Minimum reduziert, der Appell an die Freiheit des Einzelnen etwas Hohles hat." T.W. Adorno
Sind wir deshalb schon unmoralisch, wenn wir an ein "praktisches Vorwärtskommen" denken? Ist es immer nur so, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral? Hat Erziehung eine Chance dagegen etwas auszurichten?
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carlos1
Sind wir deshalb schon unmoralisch, wenn wir an ein "praktisches Vorwärtskommen" denken? Ist es immer nur so, dass erst das Fressen kommt und dann die Moral? Hat Erziehung eine Chance dagegen etwas auszurichten?
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carlos1
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von Karl
Hallo Carlos1,
es ist schön dich hier wieder zu lesen! Du stellst eine wichtige Frage. Kommt immer zuerst das Fressen und erst dann die Moral? Wenn du mit "Fressen" nur das eigene meinst, dann möchte ich mit einem klaren "Nein" antworten. Auch der Altruismus (die Selbstaufopferung zugunsten Dritter) ist eine Realität. Es gibt ihn und er hat ebenso robuste biologische Wurzeln wie der Egoismus eines Individuums.
Es gibt den Altruismus wegen der Existenz in einem Gesamtgefüge. Darüber haben wir schon diskutiert, vielleicht lohnt es sich nach zu lesen (s. Linktipp).
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karl
es ist schön dich hier wieder zu lesen! Du stellst eine wichtige Frage. Kommt immer zuerst das Fressen und erst dann die Moral? Wenn du mit "Fressen" nur das eigene meinst, dann möchte ich mit einem klaren "Nein" antworten. Auch der Altruismus (die Selbstaufopferung zugunsten Dritter) ist eine Realität. Es gibt ihn und er hat ebenso robuste biologische Wurzeln wie der Egoismus eines Individuums.
Es gibt den Altruismus wegen der Existenz in einem Gesamtgefüge. Darüber haben wir schon diskutiert, vielleicht lohnt es sich nach zu lesen (s. Linktipp).
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karl
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Karl, es lohnt sich wirklich - Danke!
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meli
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meli
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
"Sind wir deshalb schon unmoralisch, wenn wir an ein "praktisches Vorwärtskommen" denken?" (Carlos)
Im "Normallfall" scheint mir das "praktische Vorwärtskommen" des Einzelnen doch sehr legitim zu sein, wenn es auf eigenes Können und Moral begründet ist. Geht es aber auf die Knochen und Kosten anderer, beinhaltet es nur die Ellbogenmentalität, ist es mir egal, ob meine Mitmenschen auf der Strecke bleiben, Hauptsache ich komme voran und nach und neben mir die Sintflut, dann fällt solches handeln für mich unter Unmoral und Unanstand.
Vorgelebte "Erziehung" in Elternhaus und auch Schule sind unumgänglich, Gefühle für Gemeinsinn, Anstand, moralische Einstellung, Schützen des Schwächeren sind im Kind zu wecken und zu festigen. Verantwortung für den Schwächeren zu übernehmen (ob Mensch oder Tier) war eine Maxime in meinem Elternhaus. Das an meine Kinder weitergegeben zu haben, scheint mir in aller Bescheidenheit gelungen zu sein.
M.
Im "Normallfall" scheint mir das "praktische Vorwärtskommen" des Einzelnen doch sehr legitim zu sein, wenn es auf eigenes Können und Moral begründet ist. Geht es aber auf die Knochen und Kosten anderer, beinhaltet es nur die Ellbogenmentalität, ist es mir egal, ob meine Mitmenschen auf der Strecke bleiben, Hauptsache ich komme voran und nach und neben mir die Sintflut, dann fällt solches handeln für mich unter Unmoral und Unanstand.
Vorgelebte "Erziehung" in Elternhaus und auch Schule sind unumgänglich, Gefühle für Gemeinsinn, Anstand, moralische Einstellung, Schützen des Schwächeren sind im Kind zu wecken und zu festigen. Verantwortung für den Schwächeren zu übernehmen (ob Mensch oder Tier) war eine Maxime in meinem Elternhaus. Das an meine Kinder weitergegeben zu haben, scheint mir in aller Bescheidenheit gelungen zu sein.
M.
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von arno
Hallo, medea,
auch die Erziehung ( Anpassung an die Gesellschaftsnormen) ändert
sich nach den politischen Vorgaben.
Heute kann jeder eine zunehmende Entsolidarisierung unserer Gesellschaft
feststellen. Übervorteilungen und Trickerei sind nicht nur in der Politik
der globalisierten Welt Gang und Gäbe!
Vorbilder sind die Raffkes und das schnelle Geld!
Alle anderen Vorstellungen gehören bald ins Reich der Träume.
Viele Grüße
--
arno
auch die Erziehung ( Anpassung an die Gesellschaftsnormen) ändert
sich nach den politischen Vorgaben.
Heute kann jeder eine zunehmende Entsolidarisierung unserer Gesellschaft
feststellen. Übervorteilungen und Trickerei sind nicht nur in der Politik
der globalisierten Welt Gang und Gäbe!
Vorbilder sind die Raffkes und das schnelle Geld!
Alle anderen Vorstellungen gehören bald ins Reich der Träume.
Viele Grüße
--
arno
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von ehemaliges Mitglied
Arno, ich denke, es gab immer die Pendelbewegungen.
Trickerei und Rafferei gab es schon immer - womit ich sie ausdrücklich nicht gut heiße.
Nimm Dir einen Heine, Tucholsky, einen Brecht und viele mehr. Es hatte Gründe, warum sie schrieben, was sie schrieben, so wie es Gründe hat, dass aus diesen Texten immer wieder treffend zitiert wird.
Aber ich gebe Medea recht. Auch ich habe meine drei Kinder in diesem Sinne erzogen und ich sehe die Solidarität in - zugegeben - kleinen Zellen. Ich sehe die vielen Hände, die helfen, dass eine Schar Kinder in einem gesunden Umfeld aufgezogen wird - ohne Verbrämung der großen Liebe, sondern durchaus realistisch. Sie lehren und lernen, dass genau hingeschaut wird - auf das eigene Verhalten, wie auf das Verhalten der anderen. Und das, Arno, fängt schon ganz früh an.
Ich sehe es im Rückblick bildlich so:
Der ins Wasser geworfene Stein bildet Kreise und diese werden größer. Und ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich sehe, aber ich bin sicher nicht repräsentativ. Es ist nur der Teil "unseres" Lebens.
Davon abgesehen arbeite ich in einem Umfeld, das so gern mit dem "Helfersyndrom" belegt wird. Und die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist riesig. Mit Helfersyndrom ist die Gefahr des burn out sehr groß und es hat Gründe, warum die Verweildauer in der Krankenpflege so kurz ist.
Meine Disziplin lebt nach dem Motto: Geht es mir gut, geht es auch meinem Patienten gut. Ich lebe also diesbezüglich auf einer Insel. Und ich weiß, wie schlecht es vielen Kollegen geht.
Wer hatte das noch geschrieben:
An dem Umgang mit den Schwächsten erkennt man die Qualität einer Gesellschaft! Sinngemäß hieß es so. Und da gebe ich Dir wiederum recht, dort sieht es im Großen gesehen sehr traurig aus.
--
meli
Trickerei und Rafferei gab es schon immer - womit ich sie ausdrücklich nicht gut heiße.
Nimm Dir einen Heine, Tucholsky, einen Brecht und viele mehr. Es hatte Gründe, warum sie schrieben, was sie schrieben, so wie es Gründe hat, dass aus diesen Texten immer wieder treffend zitiert wird.
Aber ich gebe Medea recht. Auch ich habe meine drei Kinder in diesem Sinne erzogen und ich sehe die Solidarität in - zugegeben - kleinen Zellen. Ich sehe die vielen Hände, die helfen, dass eine Schar Kinder in einem gesunden Umfeld aufgezogen wird - ohne Verbrämung der großen Liebe, sondern durchaus realistisch. Sie lehren und lernen, dass genau hingeschaut wird - auf das eigene Verhalten, wie auf das Verhalten der anderen. Und das, Arno, fängt schon ganz früh an.
Ich sehe es im Rückblick bildlich so:
Der ins Wasser geworfene Stein bildet Kreise und diese werden größer. Und ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich sehe, aber ich bin sicher nicht repräsentativ. Es ist nur der Teil "unseres" Lebens.
Davon abgesehen arbeite ich in einem Umfeld, das so gern mit dem "Helfersyndrom" belegt wird. Und die Kluft zwischen Theorie und Praxis ist riesig. Mit Helfersyndrom ist die Gefahr des burn out sehr groß und es hat Gründe, warum die Verweildauer in der Krankenpflege so kurz ist.
Meine Disziplin lebt nach dem Motto: Geht es mir gut, geht es auch meinem Patienten gut. Ich lebe also diesbezüglich auf einer Insel. Und ich weiß, wie schlecht es vielen Kollegen geht.
Wer hatte das noch geschrieben:
An dem Umgang mit den Schwächsten erkennt man die Qualität einer Gesellschaft! Sinngemäß hieß es so. Und da gebe ich Dir wiederum recht, dort sieht es im Großen gesehen sehr traurig aus.
--
meli
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von carlos1
Hallo Karl,
gerne würde ich lesen, was früher zu diesem Thema geschrieben worden ist. Leider führte der Link mich aber nicht weiter. Ich bin zur Zeit so beschäftigt mit anderen Dingen, dass mir mit dem PC wohl ungewohnte Fehler unterlaufen.Ich weiß nur noch nicht welche.
Ich war von vornherein etwas skeptisch, als ich das Brecht-Zitat vom Vorzug des Fressens gegenüber in die Frage einbaute. Es ist ein plakativer Aufhänger und jeder kann darüber seinen Frust von der Seele schreiben. Immer finden wir subjektive Beispiele genug, die das "objektiv" belegen. Darum habe ich auch in der Überschrift ein abgewandeltes Zitat von Adorno eingesetzt, in dem er für einen Ausweg aus dem Dilemma plädiert durch Reflexion und kritische Anstrengung.
Angeregt wurde ich durch einen Satz aus den Minima Moralia Adornos: „Es gibt kein richtiges Leben in einem falschen.“ Bei den Minima Moralia handelt sich um eine Sammlung von 153 Aphorismen, die in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts im amerikanischen Exil entstanden sind. Sie stehen stark unter dem Einfluss des nationalsozialist. Terrors. Aphorismen bieten keine systematische Darstellung eines Sachverhalts. Aber sie sind ein Anreiz durch Paradoxien zu eigenem Nachdenken zu gelangen. Ich bestreite gar nicht, dass es Altruismus gibt, aber es gibt auch den Egoismus. Beides ist in einem Menschen vereint, beides hat biologische Wurzeln. Das akzeptiere ich. Altruismus gab es auch bei Massenmördern der SS. Sie liebten ihre Kinder, ihre Familien, ihr eigenes Volk (ihr eigenes „Blut“) und vernichteten gleichzeitig andere. Mir scheint es auch zu einfach zu sein, zu sagen, wenn genügend Fressen da sei, stimmt auch alles mit der Moral. Niemand kann ausschließen, dass hinter altruistischem Handeln und Denken egoistische Motive stecken. Auch Selbstlosigkeit kann tückisch sein. Selbstlosigkeit kann zur Waffe gegen andere werden, eitler Selbstbestätigung dienen. Nur vom Unmöglichen her können wir unsere Möglichkeiten verstehen, würde Adorno sagen.
c.
gerne würde ich lesen, was früher zu diesem Thema geschrieben worden ist. Leider führte der Link mich aber nicht weiter. Ich bin zur Zeit so beschäftigt mit anderen Dingen, dass mir mit dem PC wohl ungewohnte Fehler unterlaufen.Ich weiß nur noch nicht welche.
Ich war von vornherein etwas skeptisch, als ich das Brecht-Zitat vom Vorzug des Fressens gegenüber in die Frage einbaute. Es ist ein plakativer Aufhänger und jeder kann darüber seinen Frust von der Seele schreiben. Immer finden wir subjektive Beispiele genug, die das "objektiv" belegen. Darum habe ich auch in der Überschrift ein abgewandeltes Zitat von Adorno eingesetzt, in dem er für einen Ausweg aus dem Dilemma plädiert durch Reflexion und kritische Anstrengung.
Angeregt wurde ich durch einen Satz aus den Minima Moralia Adornos: „Es gibt kein richtiges Leben in einem falschen.“ Bei den Minima Moralia handelt sich um eine Sammlung von 153 Aphorismen, die in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts im amerikanischen Exil entstanden sind. Sie stehen stark unter dem Einfluss des nationalsozialist. Terrors. Aphorismen bieten keine systematische Darstellung eines Sachverhalts. Aber sie sind ein Anreiz durch Paradoxien zu eigenem Nachdenken zu gelangen. Ich bestreite gar nicht, dass es Altruismus gibt, aber es gibt auch den Egoismus. Beides ist in einem Menschen vereint, beides hat biologische Wurzeln. Das akzeptiere ich. Altruismus gab es auch bei Massenmördern der SS. Sie liebten ihre Kinder, ihre Familien, ihr eigenes Volk (ihr eigenes „Blut“) und vernichteten gleichzeitig andere. Mir scheint es auch zu einfach zu sein, zu sagen, wenn genügend Fressen da sei, stimmt auch alles mit der Moral. Niemand kann ausschließen, dass hinter altruistischem Handeln und Denken egoistische Motive stecken. Auch Selbstlosigkeit kann tückisch sein. Selbstlosigkeit kann zur Waffe gegen andere werden, eitler Selbstbestätigung dienen. Nur vom Unmöglichen her können wir unsere Möglichkeiten verstehen, würde Adorno sagen.
c.
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von carlos1
Ich bin der gleichen Auffassung wie Medea, dass es legitim ist, an sein eigenes Vorwärtskommen zu denken. Es ist sogar notwendig. Täten wir es nicht, würden wir anderen zur Last fallen, von ihrem Mitleid leben. Nur wer hat, kann auch geben. So weit so gut.
Das Wort Gemeinsinn, dass Medea erwähnt, passt sehr gut in diesen Zusammenhang. Die moderne technologisierte Gesellschaft tendiert dazu den Einzelnen nur als Zweck zu sehen, ihn z. B. nur noch als Marktteilnehmer, als Steuernummer etc. zu erfassen und "interessant" zu machen. Das Individuum wird zur entkernten technoökonomischen Größe, wird nur noch als Objekt wahrgenommen. Das Inkommensurable, das Individuum eben, wird ausgelöscht (Adorno). Sachzwänge dominieren. So gesehen sind Medeas und Melis Beiträge sehr wohltuend.
c.
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von arno
Hallo, carlos1,
meine Lebenserfahrung ist aber ganz anders!
Du schreibst: " Nur wer hat, kann auch geben".
Tatsache ist, wer Überfluß besitzt, kann auch geben,
tut es meistens aber nicht!
Richtiger wäre: Wer ist (lebt), kann auch geben!
Viele Grüße
--
arno
meine Lebenserfahrung ist aber ganz anders!
Du schreibst: " Nur wer hat, kann auch geben".
Tatsache ist, wer Überfluß besitzt, kann auch geben,
tut es meistens aber nicht!
Richtiger wäre: Wer ist (lebt), kann auch geben!
Viele Grüße
--
arno
Re: Selbstreflexion und kritische Anstrengung - ein Ausweg für alle aus der virtuellen Abhängigkeit aus dem übermächtigen Gesamtgefüge? (Adorno)
geschrieben von schorsch
Kompromiss?:
Wer nix hat, kann auch nix geben!
--
schorsch
Wer nix hat, kann auch nix geben!
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schorsch