Geisteswissenschaft / Philosophie Kritik ja, aber wie?

hobbyradler
hobbyradler
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von hobbyradler
Wie bei allen rationalen Überlegungen sollte sich der Kritikübende das gewünschte Ziel seiner Kritik vor Augen halten. Dies bedeutet Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Man unterdrückt dadurch auch eher negative Kritik

Je nach Ziel wird sich die Form der Kritik artikulieren. Wie mradefeld bereits schrieb kommt es auch auf die Machverhältnisse an. Im Berufsleben wird der Überlegene seine Kritik so gestalten, dass der Empfänger letztlich glaubt selbst auf die Lösung eines Problems gekommen zu sein. Kritik in Fragestellung scheint eine gute Form zu sein.
[Ich habe bewusst Überlegener geschrieben - wegen dem Peterprinzip]

Einige der mögliche Ziele:
Herbeiführen einer bestimmten Verbesserung
Herbeiführen einer allgemeinen Verbesserung
Abstellen eines Umstandes
Vor einer Gefahr warnen
Dem anderen Drohen
Dem anderen die eigene Meinung kundtun
Den anderen auf einen Fehler hinweisen
Den anderen ärgern
Den anderen bloßstellen
usw.

Kritik an einer Person oder Personengruppe gibt es meiner Meinung nach nicht. Es ist immer Kritik an der Sache. Lediglich die Artikulierung kann beleidigend sein.

2 Beispiele

Politiker sind saudumm und korrupt.
[Der Kritisierende stellt sich selbst bloß. Das ist keine Kritik sondern Beleidigung]

Seit Jahren bin ich mit Entscheidungen vieler Politiker nicht einverstanden. Sie nehmen meiner Meinung nach ihre Lobbyarbeit wichtiger als die Interessen der Wähler.
[Es wird das Handeln kritisiert – also die Sache]



Ciao
Hobbyradler
adam
adam
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von adam
Von verschiedenen Standpunkten hat jeder Beitrag mein Problem behandelt und ich lerne kräftig.

In einem anderen Thread las ich gerade ein Zitat des französischen Komponisten Jolivet zur Kritik, das ich in abgewandelter Form hier bringen möchte:

"Manche Kritiker meinen, sie könnten Fehler von Menschen abspülen, indem sie auf sie Pipi machen."

So kann Kritik nicht funktionieren. Sie sollten sich wenigstens die Mühe machen, Wasser zu holen.

--

adam

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 08.07.2011, 13:35:55
Ein gutes Beispiel Adam.
Allein der Weg zu Wasserquelle und wieder zurück zum Wässern kann die Gemüter mitunter abkühlen und alles ein wenig sachlicher werden lassen.

(Wie tief sind die Laufspuren um Deine Sitzgarnitur?)

Mit Emotionen Kritik zu äußern ist nicht gut. Ich spreche da aus Selbsterfahrung.

Meli

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Mareike
Mareike
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von Mareike
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.07.2011, 13:54:21
Hallo
Auffällig ist, dass immer versucht wird zwischen Kritik an der Sache und Kritik an der Person zu unterscheiden. Das mag rational möglich sein, ist aus meiner Sicht in der gelebten Praxis jedoch unmöglich. In jeder Kommunikation gibt es eine sachliche und eine Beziehungskömponente. Mal steht das eine, mal das Andere im Vordergrund, meist vermischt es sich jedoch.
Jemanden der emotional "geladen" ist, aufzufordern sachlich zu bleiben, bewirkt das Gegenteil. Ebenso die Aufforderung sich zu beruhigen. Da wäre aus meiner Sicht Raum zu schaffen zur "Entladung" zB durch Konfrontation, wodurch die Sachlage klarer werden kann, oder durch Rückzug um Beruhigung zu ermöglichen. Die kalte Schulter ist das letzte Mittel Ruhe zu schaffen, wenn eine Annäherung nicht möglich ist.

Gruss
Mareike
Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Mareike vom 08.07.2011, 14:18:13
Mareike,

nach langjähriger beruflicher klinischer Schulung und der Tatsache, dass bei einem Konflikt im realen Leben die Beziehung zu 80 % eine Rolle spielen, lässt mich Dir für den normalen Alltag und ein Diskussionsforum absolut recht geben.
Dies aufzudröseln ist schon nicht einfach im Gegenüber, wie soll es dann schriftlich gehen.
So verstehe ich Frage in der Überschrift dieses Threads.

Und doch, kann man Dinge versachlichen.
Es gibt Strategien, wie z.B. seine Emotionen herausschreiben, den Schrieb liegen lassen und Stunden später überarbeiten. Das nimmt viel Unsachliches heraus.
In jedem Fall bringt es viel, einen Zeitabstand zwischen dem spontan Geschriebenen und dem Absenden desselben einzulegen.
Oder dieses komplett zu überarbeiten, wenn die eigenen Emotionen vielleicht doch ins Auge springen.

Hier ist zu erwähnen, dass nicht jeder hier im ST über solche Schulungen durch berufliche Fortbildungen verfügt.
Und jeder, der hier liest weiß, dass auch mir trotz Schulung der Gaul durchgehen kann.
Wenn es mir bewußt wird - was auch nicht immer der Fall ist - und ich merke, dass ich stark danebengegriffen habe, kann ich um Entschuldigung bitten.
Mehr kann man nicht verlangen.

Miriam wird wissen, warum sie hier die "kalte Schulter" anspricht, die m.M.n. nicht in diesen Thread gehört.
Bei der kalten Schulter gibt es keine Diskussion mehr, also auch keine Kritik zwischen zwei Menschen. Dort sind dann Wege, die erst zusammenliefen wieder getrennt.

Meli
adam
adam
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von adam
als Antwort auf Mareike vom 08.07.2011, 14:18:13
@meli u. mareike,

ich gebe Euch beiden Recht. Heftige Emotionen in der Kritik lösen eher Widerspruch als Nachdenklichkeit aus und die Kritik spricht immer auch einen Menschen oder Personenkreis an, auch wenn es um ein Sachproblem geht. Man kann das berücksichtigen und sich zurück nehmen.

Andererseits kann man sich Kritik schenken, wenn nicht ein gewisser Nachdruck dahinter steht. Am Beispiel von Jolivet läßt sich das verdeutlichen: Kritisiert er seine Kritiker nur dadurch, daß er sie unfähig nennt oder sich voller Emotionen über sie aufregt, wird er wohl eher noch mehr unfaire Kritiken bekommen. Sein "Trick" ist, daß er mit dem Pipivergleich einen Schamreflex auslöst und so seine Kritiker buchstäblich zwingt, wenigstens fair zu sein, weil sie sich sonst selbst in der Rolle eines Menschen sehen, der sich völlig daneben benimmt und wer will das schon?

Kritik hat also etwas mit Rhetorik zu tun, indem man z.B. die Kritik eher allgemein hält und nicht an einen bestimmten Menschen richtet und mit Psychologie, weil man trotzdem irgendwie Schmackes in die Kritik bringen muß, damit sie nicht mit einem Schulterzucken abgetan wird.

Demnach wären rhetorisch geschulte Psychologen wohl die besten Kritiker?

--

adam


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Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 08.07.2011, 16:40:41
Adam verzeih, ich muss lachen.

Im normalen Alltag sind auch Psychologen Menschen, die vielleicht achtsamer sein können, doch auch nicht immer sind.
Auch diese habe ich schon wutschnaubend erlebt. Sie sind dann gerne durch den Park gerannt, bis der Zorn verraucht war.

Laufen ist eine sehr gute Strategie, egal ob um die Sitzgruppe oder im Park.

Meli

nachträglich: Aber es stimmt natürlich, dass diese bei einem Konflikt sehr hilfreich sein können und meistens auch sind.
Ein guter Psychologe wird in jedem Fall um konstruktive Kritik bemüht sein und damit das Selbstwertgefühl des Gegenübers nicht verletzen und ihm mit Respekt begegnen.
adam
adam
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von adam
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 08.07.2011, 16:49:46

Ok meli ,

alle sollten in der Lage sein, richtig zu kritisieren. Aber um richtiges Kritisieren endgültig beschreiben zu können, sollten wir darüber reden, was das eigentlich ist, die Kritik. Wie und wo läßt sich sich in der menschlichen Gesellschaft einordnen?

--

adam



Martin40
Martin40
Mitglied

Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von Martin40
Kritik an einer Sache ist in einem erheblichen Maß etwas anderes als Kritik an der Person oder Kritik an einem persönlichen Standpunkt. Kaum unterschiedlich werden wir der Meinung sein, dass das Schreiben im Forum wenig zulässt. Überzeichnungen in der Sache manchmal dienlich sind aber keinesfalls gegen eine Person. Um aber nicht lange herum zu schreiben drei Beispiele.

KRITIK an der Sache.
„ .... dieser Meinung bin ich nicht, weil des Pudelskern liegt im Detail.....“

KRITIK an der PERSON (Herabsetzung)
„ .... welchen Umgang hast Du, dass Du auf solche Ideen kommst....“

Kritik an BEIDEM (das Schlimmste)
„ .... das was Du da schreibst ist Blödsinn - aber ich habe von Dir nichts anderes erwartet ...“

Ich meine, dass auf Grund der Beschränkung lediglich auf das Schreiben im Forum, - nur die sachliche Variante eine Eskalation vermeiden hilft. Die beiden anderen Vorgangsweisen würden doch im täglichen, visuellen Umgang zu erheblichen Problemen führen.
Klar, wenn man die Anonymität und negative Emotionen in seine Schreibweise mit einbezieht, dann kommt es unvermittelt zu Verständnislosigkeit beim visavis. Aber das nenn ich dann eher unfair gegenüber Usern die sich der Variante 1 bedienen.

glg Martin
Re: Kritik ja, aber wie?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf adam vom 08.07.2011, 16:59:32
Adam,

einfach mal ins Unreine gedacht.

Kritik ist immer eine Folge von irgendwas,
Sei es ein Ereignis, ein Wort, eine Handlung.
In jedem Fall etwas, das einem anderen missfällt.

Kritik ist für mich die geäußerte Nichtannahme einer Vorstellung, eines Gedankens, Teil eines Wertesystem, welches mit meinem eigenen nicht vereinbar ist, also kollidiert.

Ich versuche mal, es stümperhaft zu beschreiben.

Nehmen wir mal A:

Damit A auffällt, dass es ihm etwas missfällt, muss eine Messlatte vorhanden sein.
Dies wäre für mich das Wertesystem von A, welches bei jedem Menschen wiederum anders angelegt ist, weil abhängig von Biografie, Erziehung und Traditionen.
Getreu dem Volksmund: Wat dem eenen sin Uhl is, is dem anderen sin Nachtigall.

Wenn nun B in einer Weise - seinem Wertesystem entsprechend - aktiv wird, welches aber nicht mit dem Wertesystem von A übereinstimmt, dann kann oder wird A Kritik äußern, evtl. versuchen, B von seinem (A) Wertesystem zu überzeugen.

Mach Dir evtl. eine Skizze - lach.

Nun wird es abhängig davon sein, wie A und B zueinander oder gegeneinander stehen.

Dies wird letztlich die Kritik in die Form pressen, die dann öffentlich wird und - wie hier im Forum - zu lesen ist.

Deshalb ist Kritik für mich immer die Folge von verschiedenen Wertesystemen (bei politischen Diskussionen sehr gut zu beobachten).
In die Ausübung der Kritik spielen dann die Sympathien oder Antipathien hinein.

Jetzt muss ich erst noch einen Kaffee holen.

Meli



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