Forum Wissenschaften Geisteswissenschaft / Philosophie Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?

Geisteswissenschaft / Philosophie Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?

carlos1
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 11.04.2010, 11:53:21
»Im Zweifel für das Leben.« Hinsichtlich drohender großräumiger und irreversibler Schädigungen des Lebens auf der Erde muß künftig Unschädlichkeit bewiesen werden, nicht Schädlichkeit." Laudatio Spaemann zum Friedenspreis für Hans Jonas, Zitat bei Wolfgang



Im „Zweifel für das Leben“ heißt eben auch für das Leben, und zwar unbedingt. Warum aber soll menschliches Leben (etwa des technikliebenden Arnos u. carlos1 etc ….) überhaupt auf der Erde sein?? Eine Ethik, die auf die Erhaltung der Existenz des Menschen und des Menschseins (nach einem bestimmten Menschenbild) abzielt, ist letzten Endes in der Metaphysik begründet. Es gibt keine Naturgesetzlichkeit, aus der sich die Existenz des Menschen logisch zwingend, also notwendig, ableiten und darstellen lässt. Dazu Hans Jonas in Prinzip Verantwortung:


„Die Begründung einer solchen Ethik, die nicht mehr an den unmittelbar mitmenschlichen Bereich der Gleichzeitigkeit gebunden bleibt, reicht in die Metaphysik hinein, aus der allein sich die Frage stellen lässt, warum überhaupt Menschen in der Welt sein sollen: Warum also der unbedingte Imperativ gilt, ihre Existenz für die Zukunft zu sichern. Das Abenteuer der Technologie zwingt mit seinen äußersten Wagnissen zu diesem Wagnis äußerster Besinnung.“ Zitat H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Suhrkamp, 1. Auflage Seite 8



Erklärung zur Gleichzeitigkeit: Die Ethik der vergangenen Jahrhunderte ist auf die Beziehungen zwischen Individuen ausgerichtet, die in der Gegenwart, gleichzeitig leben. Es gab kein Wissen und keine Macht, durch deren Einsatz ein Auslöschen oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung der menschlichen Existenz möglich gewesen wäre. Technik des Feuermachens, Pfeil und Bogen, Eisenbahn und Elektromotor etc. waren dazu kaum in der Lage. Eine Einbeziehunhg zukünftig Lebender in ethische Überlegungen war undenkbar gewesen und nicht erforderlich.


„Das ist ein wichtiges Prinzip (gemeint ist der „Tutiorismus“) bei lebenswichtigen Fragen. Ich bejahe dieses Prinzip! Es muss aber gepaart sein mit einer umfassenden und vorurteilsfreien Situationsanalyse. Es ist ja keineswegs so, dass automatisch immer der sicherere Weg ist, etwas nicht zu tun, sondern es kann sehr wohl passieren, dass die Unterlassung, z. B. der Einführung einer neuen Technologie, langfristig weit unsicherer und katastrophaler ist als ihre Anwendung.“ Karl



Die vorurteilsfreie, umfassende Situationsanalyse bei Technologien, insbesondere Hochtechnologien der Moderne, beziehen sich nicht nur auf eine Gegenwart, sondern muss in die Zukunft gerichtet sein und extreme Möglichkeiten in Betracht ziehen. Das war, um das Beispiel der Kernphysik aufzugreifen, bei den Beteiligten um Hahn und Meitner sofort der Fall. Bei Hahn eher weniger, bei den anderen im Ausland eher mehr. Sie erkannten – subjektive Meinungen eher als Analysen - , wie die Nutzung der Kettenreaktion aussehen könnte. Ein Krieg drohte in Europa. Damit sind solche Analysen nach Jonas´ Abschätzungen von Auswirkungen zukünftiger Möglichkeiten und nichts anderes als Utopien und unterliegen damit einer Utopie-Kritik (Prinzip Verantwortung, Kapitel VI, Kritik der Utopie und Ethik der Verantwortung, Seite 388 ff). Die Kritik der Utopie ist nach Jonas bereits „eine Korrektur des Denkens und Wollens“ und damit „ein Akt der Ethik der Verantwortung“. Jede Technologie ist eine Utopie, insofern als sie die Möglichkeiten der Zukunft in sich trägt.


Jonas spricht in diesem Zusammenhang von der „Heuristik der Furcht“ (a. a. O. S. 8), einer Ethik der Klugheit und Ehrfurcht. Erst wenn wir uns vorstellen können, „was im schlimmsten Fall auf dem Spiel stehen kann, wissen wir, dass es auf dem Spiel steht.“

c.
Mitglied_bed8151
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf arno vom 09.04.2010, 21:28:37

--
Wolfgang
arno
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von arno
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.04.2010, 10:45:08
Hallo, wolfgang,

die Weltgemeinschaft hat sich in den letzten 20 Jahren
viel schneller weiterentwickelt, als dass dieses die westlichen
Politiker zur Kenntnis nehmen wollen. Das Sicherheitsbedürfnis
der Politiker und der Miltärs ist veraltet.
Hinzu kommen die Veränderungen im Machtgefüge.
In der globalisierten Welt sollte die UNO neu aufgestellt und
organsiert werden.
Ich halte den Spiegelartikel für nicht zukunftsorientiert!
Obama verfolgt nur seine eigenen Interessen!

Viele Grüße
arno

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Mitglied_bed8151
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf arno vom 13.04.2010, 10:57:54
Das ist jetzt wieder so eine Plattheit, wie Du sie leider häufig bringst. Zur Erinnerung... Dein Thema war, ob grenzenloser Fortschritt zu Fremdbestimmung führt. Die Atomtechniken (zu denen auch der Atomwaffenbau gehört) sind m.E.n. das überzeugendste Beispiel dafür, wie der viel beschworene, ja sogar oft angebetete Fortschritt grenzenlos (vor allem hinsichtlich seines Zerstörungspotentials) UND nicht mehr beherrschbar ist.

Mit Obama hat das wenig bis gar nichts zu tun. Der ist nur der aktuelle Aufhänger für das SPIEGEL-Interview.

--
Wolfgang
arno
arno
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von arno
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.04.2010, 11:38:05
Hallo, wolfgang,

Fremdbestimmung erfolgt immer dann, wenn sich jemand einem technischen Gerät oder einem anderen Menschen anvertraut, hat also nicht unbedingt etwas mit Fortschritt zu tun, zum Beispiel, wenn ich in einer Pferdekutsche fahre, werde ich sowohl vom Pferd als auch vom Kutscher fremdbestimmt.
Fremdbestimmung durch technischen Fortschritt wird umso grösser, je mehr man sich technischen Geräten anvertraut, deren Funktionsweise man nicht mehr versteht und die man nicht mehr selber kontrollieren kann.
Technischer Fortschritt kann aber auch mehr persönliche Freiheit und Unabhängigkeit bedeuten, wenn man mit Hilfe von technischen Geräten Dinge erledigen kann, die man früher entweder gar nicht oder nur mit Hilfe anderer Menschen verrichten konnte.


damit ist definiert, was Fremdbestimmung ist.

Die Atomtechnik gehört unter anderem zu einer speziellen Art der Waffentechnik, die technisch
beherrscht wird. Ich kann da keine Fremdbestimmung erkennen.

Du sprichst aber die politische Fremdbestimmung an.
Und die ist in der Tat sehr viel schwieriger, weil es in der politischen Handhabung
existenzbedrohender Waffensysteme keinen Fortschritt zu verzeichnen
gibt. Das macht mir Angst!

Viele Grüße
arno

Mitglied_bed8151
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf arno vom 13.04.2010, 12:08:24
'siegfried46' definiert, was Fremdbestimmung ist?

--
Wolfgang

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arno
arno
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von arno
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 13.04.2010, 12:33:41
Hallo, wolfgang,

der Beitrag von siegfried46 ist sehr gut.

Aber unabhängig von der "Definition" hat jeder Mensch bei Ergebnissen/Produkten des
technischen Fortschrittes die Möglichkeit, auf die Handhabung Einfluß
auszuüben. Jeder kann sich informieren.

Über politische Prozesse kann sich auch jeder informieren, aber
keiner hat Einfluß auf das Ergebnis. Man fühlt sich ohnmächtig!
Das halte ich für einen gewaltigen Unterschied.

Viele Grüße
arno
carlos1
carlos1
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Re: Führt der grenzenlose Fortschritt nicht in eine Fremdbestimmung?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf arno vom 13.04.2010, 12:08:24
„Wir glauben, dass der technische Fortschritt keine Grenzen besitzt
und sich ohne ein Ziel entwickeln kann.
Wäre dieser Weg nicht ein Irrweg, weil kein Ziel erkennbar ist?
Wäre es deshalb nicht sinnvoll, das Ende der Menschheit zu denken?
Muß der Mensch nicht naturverbunden bleiben, damit er nicht in Fremdbestimmung gerät?“ arno



Der Glaube, der technische Fortschritt habe keine Grenzen ist ein Glaube. Wir halten für wahr, was geglaubt wird, weil wir es nicht besser wissen. Aber damit ist nicht bewiesen, dass dieser Glaube wahr ist.


Der Mensch soll nicht in Fremdbestimmung geraten. Hier in dieser „Diskussion“ wird mit großen Namen operiert, z. B. wird Hans Jonas genannt, werden Aussagen von ihm zitiert, dann wird er links liegen gelassen, obwohl er Antworten auf viele Fragen anzubieten hat. Das Herumstochern im Nebel sollte kein Selbstzweck werden. Nachdenken (Philosophie) ist nach Kant eine reine Form der Autonomie (Selbstbestimmung), denn niemand kann am Nachdenken gehindert werden, es sei denn er verzichtet selbst darauf.


Die Beispiele der Nutzung technischer Erzeugnisse, die Siegfried46 nennt, bedeuten für eine autonome Person aber niemals die Aufgabe jeglicher Art von Selbstbestimmung, wie er meint. Gleichzeitig soll der technische Fortschritt aber mehr Freiheit und Unabhängigkeit bringen. Sie bringen u. U. Arbeitserleichterungen und Freiheit von ermüdender körperlicher Arbeit. Wer sich einem anderen Menschen anvertraut (z. B. einem Arzt), ist abhängig von seinem Können, aber nur vorübergehend. Die Abhängigkeit des Kleinkindes kann kein Verlust der Selbstbestimmung sein, da ein Kleinkind entwicklungsbedingt nicht in der Lage ist autonom zu handeln. Technische Geräte, deren Wirkungsweise nicht verstanden wird, schaffen Abhängigkeiten, schränken Autonomie ein, vorübergehend zumindest; da der Mensch aber lernfähig ist, schaffen sie Autonomie nicht ab. Hochtechnologie schafft gesellschaftlich komplexe unüberschaubare Großstrukturen, denen sich der Einzelne ausgeliefert fühlt, die ihn unterdrücken, ausbeuten können. Sie beseitigen Autonomie ebenfalls nicht.


Im scheinbar „ziellosen Fortschritt das Ende bedenken“, darin lag der Ausgangspunkt des Threads. Der Philosoph Spaemann wurde in einem Link genannt. Wenn in dessen Laudatio auf Hans Jonas die Zukunft erwähnt wird, so bedeutet dies nicht, dass der technische und wissenschaftliche Fortschritt verdammt oder abgelehnt werden muss. Es heißt nur, dass die möglichen Wirkungen des Fortschritts in der Zukunft durch eine „Ethik der Fernverantwortung“ (Jonas) geprüft werden müssen. In diesem Zusammenhang fordert Jonas eine Wissenschaft hypothetischer Vorhersagen, eine „vergleichende Futurologie“. Da der Mensch aber so geartet ist, dass er sich viel leichter tut, das „Schlechte“ zu erkennen als das Gute, muss ein ständiger Antrieb vorhanden sein, um eine wirksame Technikfolgenabschätzung und Technikwirkungvorhersage zu betreiben. Eben deshalb benötigen wir für die Zukunft die „Heuristik der Furcht“ (Jonas). Diese Vorüberlegung muss Gegenwart und Zukunft verbinden. Sie wird jedoch bereits in der Gegenwart als solche heuristisch benötigt. Beispiel: Das Leben des anderen Menschen ist heilig, unantastbar. Wir wissen das, weil das Gebot und das Gesetz diese "Heiligkeit" ans Licht bringt. Das gleiche gilt für die Wahrhaftigkeit. Weil es die Lüge gibt, erkennen wir deren Wert. Weil die Unfreiheit (= Verlust der Selbstbestimmung) existiert, erkennen wir den Wert der Freiheit.


„Solange die Gefahr unerkannt ist, weiß man nicht, was es zu schützen gibt und warum: DFas Wissen darum kommt aller Logik und Methode zuwider, aus dem Wovor.“ Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung



Technischer Fortschritt an sich ist nicht zu fürchten. Technik ixt vom Entwurf her sicher (vom Restrisiko abgesehen). Das Risiko ist der Mensch.


„weil es in der politischen Handhabung existenzbedrohender Waffensysteme keinen Fortschritt zu verzeichnen gibt. Das macht mir Angst!“ arno



Die atomaren Waffensysteme, die arno anspricht sind relativ sicher. Wie gesagt, die Gefahr geht von Menschen aus, die die Kontrolle über diese Waffensysteme haben. In den Zeiten des Kalten Krieges sahen beide Seiten den Gefahren sehr rational, den Nutzen und die Gefahren abwägend, ins Auge. Das Gleichgewicht des Schreckens verhinderte den atomaren Schlagabtausch und führten zu einer Koexistenz. Es ist anzunehmen, dass es immer so sein kann, weil niemand gerne samt seinem eigenen Volk stirbt und sein eigenes Land in Flammen stehen sieht. Aber mit Sicherheit kann niemand darüber eine sichere Vorhersage treffen, dass es immer rationale Überlegungen in den Hirnen der Staatenlenker geben wird.

Viele Grüße

c.

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