Geisteswissenschaft / Philosophie Denken Computernutzer anders?

carlos1
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Denken Computernutzer anders?
geschrieben von carlos1

Welche Auswirkungen hat die Nutzung der Informationstechnologie, des
Computers also, auf unser Denken? Entwickelt sich eine andere Kultur? Entsteht ein neuer Denktypus, ein neues Menschenbild? Stehen wir mitten drin in einem epochalen Kulturwandel?

Jede Technik hat wie Ernst Kapp 1877 formulierte das Bestreben die Leistung des Organs, das sie ersetzt nachzuahmen und zu verbessern. Mit dem Computer wird aber kein beliebiges Organ oder Werkzeug optimiert sondern unser "Denkzeug".

Anmerkung:
Platon hat in seinem Dialog "Phaidros" die Einfühung der Schrift als eine epochale Veränderung dargestellt und auf die Konsequenzen hingewiesen, die die Benutzung der Schrift mit sich bringt. "Denn diese Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. ... von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. ... werden sie sich auch vielwissend dünken, obwohl sie größtenteils unwissend sind... ."
Karl
Karl
Administrator

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von Karl
als Antwort auf carlos1 vom 05.06.2007, 18:46:40
Hallo Carlos,


ich denke schon, dass der Computer und insbesondere das Internet nicht nur unser Leben, sondern auch unser Denken verändert hat. Den Pessimismus von Platon teile ich aber nicht. Ebensowenig wie die Schrift das Ende des Lernens und Erinnerns gewesen ist, wird der Computer und das Internet ihr Ende sein. Es ist eher so, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und die reine Datenlast auslagern können. Das Internet hat gegenüber einer herkömmlichen Bibliothek den enormen Vorteil des schnelleren Datenabrufs, ist aber eigentlich, ähnlich wie eine klassische Bibliothek ausgelagertes Wissen, auf das wir zugreifen können. Deshalb müssen wir keineswegs weniger lernen als frühere Generationen. Wir brauchen unser Gehirn nur nicht mehr mit soviel Auswendiglernen von Datenmüll zu belasten, sondern können/müssen uns mit Techniken der Datengewinnung und Filterung beschäftigen.

--
karl
angelottchen
angelottchen
Mitglied

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von angelottchen
als Antwort auf carlos1 vom 05.06.2007, 18:46:40
Die virtuelle, unnatürliche Welt wird von vielen leider wie das Innere der Platoschen Höhle wahrgenommen: Schatten und Verzerrungen sind für die Angeketteten Realität - dabei müssten sie sich nur um 180 drehen, um zu entdecken ....

Im Höhlengleichnis erzählt Platon von Menschen, die seit ihrer Geburt in einer Höhle leben. Sie sind angekettet und könnens deshalb nur eine Wand der Höhle sehen, den Ausgang, der direkt hinter ihnen liegt, sehen sie nicht.

Auf die Wand fällt das Licht der Sonne durch den Eingang der Höhle. Menschen und Tiere, die am Eingang vorbei gehen und Gegenstände, welche die Vorbeigehenden tragen, werfen verzerrte Schatten auf die Wand.

Die Gefangenen sehen wie gesagt den Eingang nicht und auch nicht, wie die vorbeigehenden Menschen und Tiere wirklich aussehen, auch das Sonnenlicht sehen sie nicht. Sie sehen nur die Schatten auf der Höhlenwand.

Da sie zeitlebens eben nur diese Schatten gesehen haben, so sind diese Schatten, so folgert Platon, für die Gefangenen die realen Gegenstände.

Heute würde Platon wahrscheinlich gefesselte menschen vor dem Cpmputer beschreiben?

--
angelottchen

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Karl
Karl
Administrator

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von Karl
als Antwort auf angelottchen vom 06.06.2007, 08:07:09
Platon war mit diesen erkenntnistheoretischen Überlegungen seiner Zeit weit voraus. Sie sind auch heute noch grundlegend und auch heute noch unverzichtbar beim Verständnis dessen, was wir "Wahrnehmung" nennen.

Was wir "Wahrnehmung" nennen sind Prozesse in unserem Gehirn. Wenn wir gesund sind und nicht gerade träumen, sind diese Prozesse durch Sinnenswahrnehmungen ausgelöst und das Gehirn konstruiert sich daraus die Außenwelt, in der wir uns zurechtfinden müssen. Man weiß heute, dass die Sinneswahrnehmungen immer auch durch Erfahrungswerte ergänzt werden. Sehen wir z. B. durch einen Türspalt nur die Lichtreflexionen eines schmalen vertikalen Streifens des Kleids der Großmutter, ergänzen wir dies zur Wahrnehmung der ganzen Gestalt und erwarten ihr Eintreten.

Die Wahrnehmungen sind nicht die Dinge/Personen selbst, sondern Vorstellungen davon. Besonders krass deutlich wird dies bei Sinnestäuschungen, im Traum oder im pathologischen Fall bei Wahnvorstellungen, die ausschließlich im Kopf ablaufen, aber eine "Realität" gewinnen können, die Kranke nicht lügen lässt, wenn sie behaupten, das sei die Realität. So können "innere Stimmen" so "real" wahrgenommen werden wie die Stimme eines Gegenübers im Raum.

Platon hat mit seinem Höhlengleichnis, welches im Kern aussagt, dass die Wahrnehmung eines Dings keinesfalls dieses Ding selber ist, allein durch Nachdenken eine grundlegende Erkenntnis gewonnen.
--
karl
indra
indra
Mitglied

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von indra
als Antwort auf Karl vom 05.06.2007, 22:11:58
Hallo,
sich in diesen Disput einzubringen ist schon ein Wagnis. Doch ich versuche es trotzdem, denn die
Ausführungen von Karl können nicht in allen Punkten
meine Zustimmung finden. Richtig ist sicher, dass das Internet in der heutigen Zeit ein Muss ist, um auf das
global angesammelte Wissen einen schnellen Zugriff zu
haben. Doch wie sieht es mit dem realen Basiswissen
jedes Einzelnen aus? Wir kennen doch alle den Spruch
"Du musst nicht alles wissen, du musst nur wissen, wo
es steht". Und genau das ist es! Die Technisierung
macht uns zu Nutzern (oder usern). Das Wissen verselbständigt sich immer mehr und es werden immer
weniger Menschen da sein, die "den roten Faden" nicht
verlieren, weil sie ursprüngliches Wissen gepaukt haben.Sie können noch ohne Rechner eine mathematische
Aufgabe lösen, sie sind nicht aufgeschmissen, weil
irgend ein hightec-Gerät den Geist aufgegeben hat.
Der Rest ist ein Anhängsel der Supertechnik. Klar , unsere Zeit fordert einen anderen Menschen, um den
Anforderungen gerecht zu werden. Aber es ist nicht alles Müll, was Generationen
vor uns auswendig konnten. Sie haben damit in ihrem
Geist Kultur bewahrt. Wenn wir alles der Technik überlassen, wo führt das hin? Ja, mit der Kenntnis
der Schrift begann das individuelle Vergessen.
Und wo hört es auf?




--
indra
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf indra vom 07.06.2007, 22:16:55
zum teil durch eigene blödheit, zum teil durch fehler meines providers war ich zwei monate offline und hatte nur bei kunden zugriff aufs internet - es war, als ob mir ein arm abgeschnitten wurde. oft fehlt nur ein wort, ein hinweis, den man sich sonst selbstverständlich aus dem internet "googelt". als webdesigner war ich fast handlungsunfähig.

aber es gibt auch bereits veränderungen in der feinmotorik der menschen. studien haben ergeben: "unsere generation" drückt zum beispiel auf einen klingelknopf an der haustür mit dem zeigefinger. jugendliche benutzen dafür den daumen, weil sie ihn durch den täglichen umgang mit sms und handy zum hauptwerkzeug trainiert haben.


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nasti
nasti
Mitglied

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von nasti
als Antwort auf indra vom 07.06.2007, 22:16:55

Ich wage mich auch etwas zu schreiben. Kenne Menschen, Sie setzen ganztägig beim PC, sind glücklich, Sie sprechen mit Menschen und sehen Sie die Menschen nicht, zeigen Sie sich von der beste Seite, aber das kennt schon jeder.
Dann gehen Sie zwischen lebendige Menschen, infizieren Sie sich mit Grippe, stressen beim der Zug und ärgern Sie sich mit Betrügern, Bettlern, Obdachloser mit die Hunde, mit Kellner in Restaurant, wenn Sie nach hause kommen zum PC, sind wieder „glücklich“ und in „seinem“ Gesellschaft welcher spricht nicht zurück, lügen Sie genauso wie Er/Sie so arg,
das biegen sich die Balken * g*
Mann kann diese Typen schnell erkennen. Meistens haben einen blasen Gesicht und sind sehr übergewichtig.
PC benützen als eine INFO Quelle ist wirklich gut, ich selber habe gewonnen einen Wettbewerb vor 8 Jahren damit. War ein Thema für die Bildenden Künste abgegeben---„Metall“. Ich schrieb in Google ---+Metall-+Magie---und bekam ich zum lesen die verrückteste Geschichte, war ich sofort inspiriert. Und so entstand mein Bild „Die Manna Maschine“---war auch aus Metall. *g*.
Für alte und kranke Menschen ist das ein Segnen, meistens wenn Sie Schwierigkeiten mit Beine haben. Es lindert die Einsamkeit und ich glaube es ist ein Unterschied in denken zwischen nicht PC und mit PC arbeitende Menschen.
Gerade gestern Nachmittag saß ich mit einer Frau, Ihr Freund arbeitete währenddessen mit PC Zuhause. Sie war damit sehr zufrieden, hatte Sie frei, lobte Sie der PC, während Ihr Freund sitzt beim Pc und er kann nicht dabei untreue sein. Sie selber hat null Bock bei PC hocken, eher sucht sich das Gesellschaft live. Ich auch, aber ich kombiniere. Und immer mehr gewinnt das PC, was mich asehr störrt.



nasti
nasti
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Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von nasti
als Antwort auf angelottchen vom 06.06.2007, 08:07:09

--
Hi angelottchen,

sehr schöne Geschichte von Platon,
er müsste ein Visionär sein, hat das alles schon vorgeahnt!

Habe ich am Anfang meiner online Bühne auch solche Bilder gemalt---Menschen, wie gekettet setzen vor PC.
Ich sage immer--die Schatten Menschen sind das, und ich gehöre auch dazu manchmal. :O))))
carlos1
carlos1
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Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 05.06.2007, 22:11:58
Ich wollte gleich antworten, Karl, aber da kam ein anderes Thema dazwischen. Etwas Aktuelles, bei dem jeder Tag die Perspektive verändern kann. Außerdem ist es heiß und das regt nicht zum Überlegen an. Aber das angeschnittene Thema hier und die Antworten darauf veralten nicht so schnell.

Es trifft zu, dass die Schrift es ermöglicht Daten auszulagern. Auch das mit dem Ausfiltern beim Rückgriff auf die gesammelten Informationen stimmt. Das alles betrifft die Methode im Umgang mit dem schriftlich fixierten Datenmaterial. Zu wissen, wo etwas steht, Indra weist darauf hin, und es schnell gemäß vereinbarter Ordnungsprinzipien zu finden, ist jedoch bereits eine komplexe Orientierungsleistung, setzt Vorwissen voraus. Diese erfordert Abstraktion und ein strukturelles, schematisches Denken. Das ist etwas völlig anderes als die Denkweise der Mündlichkeitskultur. Diese verwendete gezwungenermaßen Gedächtnisstützen. Wer nichts aufschreiben konnte, musste eben andere Speichermechanismen oder Gedächtnismechanismen verwenden als Bücher, Lexika oder Bibliotheken. Mittel dazu wären Personifikationen von Abstraktionen, Rhythmisierung der Sprache, mythische Konstrukte, gebundene Rede, eine spezifische Metaphorik. Das ist alles typisch für Mündlichkeitskulturen. Auch das Versmaß ist ein erinnerungstützendes Mittel. Homers Epen stehen am Übergang zur schriftlichen Überlieferung. Sie zeigen alle Elemente der Mündlichkeitskultur. Abstraktionen fehlen. Dafür gibt es den blitzeschleudernde Zeus und die ganze vereinte griechische Götterwelt und Geisterwelt, dann die Helden. Sie wurden den Griechen auf diese Weise "geschenkt". Was Platon eigentlich beklagt ist der Verlust des Doppelcharakters der Sprache beim Übergang zur Schriftkultur. Mündliche Übermittlung von Botschaften verraten auch nicht Beabsichtigtes (durch Mimik, Tonfall, Lautstärke, Blickkontakt). An Freuds Theorem der Fehlleistungen (Freudsche Versprecher) will ich nur kurz erinnern, um daran zu erinnern, was gemeint ist. Freudsche Versprecher gibt es in Texten nicht, weil sie vorher korrigiert werden. Mündliche Informationen sind vollständiger als schriftliche.

Indras "rote Faden", der uns bei der Orientierung im Datenchaos hilft, meint eigentlich die Beherrschung der wichtigsten Kulturtechniken und ein gewisses Maß an Wissen. Nur welches Wissen? Welche Bildung? Im Internet lese ich oft Seiten, bei denen ich wünschte, es wäre mehr Sorgfalt aufgewandt worden. 90% der Veröffentlichungen im Internet seien Datenmüll, las ich. Computer produzieren Daten, verhelfen zu raschen Informationen, eine Kulturtechnik, die es zu erlernen gilt. Ist es aber nicht auch so, dass wir Maßstäbe brauchen, um die Qualität des im Internet über den PC Gebotenen zu beurteilen? Wo gibt es die? Wer vermittelt sie verbindlich?
Dutchwepee weist darauf hin, dass das spielerische Drücken von Knöpfen eigentlich auch eine Veränderung in der Feinmotorik hervorrufen kann.
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Denken Computernutzer anders?
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf carlos1 vom 08.06.2007, 23:34:57
mann carlos! du bist wie professor harald lesch auf bayern alpha - wenn der mir was erklärt verstehe ich das auch sofort! chapeau!

ich habe mir nie gedanken über den unterschied zwischen sprachlicher und schriftlicher kommunikation gemacht, obwohl ich journalist und herausgeber eines stadtmagazins war.

aber du hast recht - die auge-in-auge-diskussion ist in jedem fall ehrlicher, als jedes geschriebene, aufgezeichnete wort. schon diesen popligen text überarbeite ich 3x, damit ich mich nicht mit einem falschen komma blamiere. )))

umsoweniger können wir digitalen texten und bildern trauen. ein beispiel:
mein hund jazz lehnte sich heute auf den hinterbeinen stehend über die brüstung des balkons. er verschränkte dabei die vorderpfoten lässig über kreuz und blickte kuhl auf das strassengeschehen runter.

hätte ich das fotografiert, würden das 90% der internet-user als fotomontage erkennen und nicht als reales bild - dabei ist es wirklich passiert. das digitale zeitalter gewöhnt uns an die täuschung.

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