Forum Wissenschaften Geisteswissenschaft / Philosophie Das Leben oder das Sterben verlängern?

Geisteswissenschaft / Philosophie Das Leben oder das Sterben verlängern?

Roxanna
Roxanna
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Roxanna
als Antwort auf Michiko vom 13.01.2021, 16:06:52
Ja, liebe Michiko, ich habe gerade mal einfach so nachgelesen und den Beitrag gefunden, in dem du darüber erzählt hast. Ich schiebe noch nach, dass meine Mutter 17 Jahre jünger war als mein Vater und ihn um 13 Jahre überlebt hat. Also auch ein größerer Altersunterschied.

Liebe Grüße
Roxanna
olga64
olga64
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von olga64

Ich habe Angst und eine grosse SCheu davor ,dem Tod ins Auge zu sehen.
Als ich noch ein Kind war, war dasvöllig anders. Da marschierten wir mit anderen Kindern in ein Münchner Leichenhaus und betrachteten uns die wächsernen Leichen hinter den Scheiben. Das waren Mutproben und es erfüllte uns mit Schauder und Grusel.
Mein Vater starb ganz plötzlich an meinem 15. Geburtstag. Von der Schule wurde ich nach Hause geschickt und fuhr dann mit meiner Mutter zu der Stelle, wo meinen Vater der Herzinfarkt traf. Er war zugedeckt - ich wollte ihn nicht sehen und weigerte mich mit Gewalt, dies nicht tun zu müssen. Mein Bruder reagierte anders und betrachtete ihn. Mein Vater war 53 Jahre alt.
Meine Mutter starb mit 93 Jahren; sie war lebenssatt und verweigerte die letzten drei Tage ihres Lebens Nahrung und auch Getränke. Mein Bruder sass die ganze Zeit bei ihr. Er verabschiedete sich von ihr, integrierte sie auch in sein Tun, weil er in diesem Zimmer des Altenheimes schriftliche Arbeiten erledigte.
Ich ging nicht hin - ich sah dann erst wieder den verschlossenen Sarg.

So bin ich bis heute dem Tod aus dem Wege gegangen und werde ihn wohl erst erleben, wenn er mich mitnimmt und ich keine Chance mehr habe, dagegen etwas zu tun. Olga

Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Der-Waldler
als Antwort auf olga64 vom 13.01.2021, 19:29:08

Guten Morgen, Olga.

Ich kenne diese Scheu und diese Ängste auch, habe mich aber vor vielen Jahren entschieden, mich trotzdem (oder gerade deswegen?) mit dem Thema Sterben und Tod auseinanderzusetzen. Für mich sind Sterben und Tod ein Teil des Lebens geworden, sie sind nichts mehr, das ich verdrängen und ausschließen möchte, sollte, will oder kann. Meine Frau empfindet da ähnlich wie Du, sie drängt dieses Thema weg, weil sie es nicht aushält, weil es ihr tiefe Angst macht. Das ist für mich in Ordnung, denn jede/r muss selbst wissen, wie dieses Thema zu "behandeln" ist.

Natürlich habe ich auch Angst vor dem Sterben. Und das Bewusstsein, dass "danach" vielleicht die große Leere, das Nichts ist, lässt mich erschauern.

Aber insgesamt muss ich doch sagen, hat mir die jahrzehntelange Akzeptanz dieses Themas in meinem Denken und Fühlen doch dabei geholfen, dem Sterben und dem Tod gelassener entgegenzutreten als zu dem Zeitpunkt als ich das Ganze auch kräftig verdrängt habe.

Und so schließt sich auch der Kreis zu Bias Ausgangsfrage, finde ich: Ich glaube, ich möchte nicht, dass mein Leben künstlich verlängert wird, sofern ich damit mein Bewusstsein, mein Denken, mein Fühlen verliere. Und sollte das alles nicht allzu plötzlich über mich einbrechen und ich noch die Möglichkeit zum Handeln hätte, würde ich ein solches "verlängertes Sterben" auch zu verhindern wissen.

Einen guten Tag Euch allen. Ich freue mich gerade, dass hier ein solches Thema so ruhig, entspannt und konfliktfrei besprochen werden kann.

Der Waldler



 


Anzeige

Edita
Edita
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von Edita
Eigentlich wollte ich zu dem Thema gar nichts schreiben, weil ich den Anlaß dazu, nämlich den Artikel dieses Herrn Doktor Minko, einfach mehr polemisch als sachlich finde, allein daß er unterstellt, " dass ein Arzt, der bei einem unheilbar Kranken und Sterbenden sinnlose Wiederbelebungsmaßnahmen vornimmt, immer noch mehr Anerkennung bei den Angehörigen findet, als einer, der auf diese Maßnahmen verzichtet und dem Sterbenden unnötiges Leiden erspart." ist einfach unerhört!
Das kennt man eigentlich nur von Pflegeheimen, die bei PflegegradV nicht auf das Pflegegeld verzichten wollen, und sich schon oft bei Gericht durchgesetzt haben, wenn Angehörige die lebensverlängernden Maßnahmen einstellen wollten!
Auch - daß er beklagt, daß
" es oft sehr, sehr fordernde Angehörige sind, die um jede Stunde, jede weitere Minute des Lebens glauben kämpfen zu müssen und trotz des hohen Alters, unzähliger Diagnosen und zig Pillen nicht loslassen wollen oder können. Es ist doch bisher jot jejange! Oh ja. Aufwachraum, Intensivstation, Normalstation, wieder Intensivstation, Intubation, Beatmung, Extubationsversuch, wieder Intubation, Beatmung, Extubation, Normalstation, wieder Intensivstation." halte ich persönlich für eine Frechheit sondergleichen!

Desweiteren beklagt er, daß " Oft erlebte ich, dass die Familie, die mit dem Prozess des Sterbens nicht vertraut ist, " ----- ja wie soll das denn gehen in einer 2 oder 3 -  Zimmerwohnung?

Dieser  "Arzt" soll sich mal den fundierten Beitrag einer Fachfrau für Themen zu Humanem Sterben und Patientenverfügung, zur Brust nehmen, da kann er noch viel lernen!

Patientenverfügung: Eine bittere Bilanz im Krisenfall 

und das Aerzteblatt hat auch was Konstuktives dazu zu sagen .......

Intensivmediziner empfehlen bei Patientenverfügung Beratung mit einem Arzt


sollte auch möglichst ein Intensivmediziner oder Notarzt
( ein Arzt mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation für  akute, lebensgefährdende Erkrankungen oder Verletzungen ), denn nur die sind mit der Thematik vertraut!


Edita
olga64
olga64
Mitglied

RE: Das Leben oder das Sterben verlängern?
geschrieben von olga64

Ich las heute einen interessanten Artikel im SZ-Magazin,demzufolge sich auch Tod, Sterben und Trauer in Zukunft stark digitalisieren werden. Es gibt bereits Start-up-Unternehmen, die an Avataren arbeiten,die man zu Lebezeiten mit seinen Ansichten und Vorlieben füttern kann, damit Angehörige nach dem Tod mit diesem künstlichen Ich kommunizieren können, was den Abschied von einem Menschen erleichtern soll.
Die Darstellungslogik und der Drang, den anderen permanent etwas von sich bieten zu wollen, wird auf paradoxe Weise auch in den Tod hineintransportiert.
Alte Bestattungskonventionen werden dafür seltener werden; die immer gleichen Formulierungen in den Todesanzeigen, der Leichenschmaus, das Witwenjahr in Schwarz, der Trauerschleier, die Grösse der Trauerkränze usw.
Was die anderen denken, wird beim Tod weniger wichtig - was man selbst fühlt, dagegen mehr werden.
Allerdings lohnt hier ein Vergleich z.B. mit Museen, wo sich alte Meister schon immer mit dem Sterbebett, dem Dahinsiechen an Krankheiten, den Tränen der Angehörigen und der Faszination mit dem Tod beschäftigten. Auch Filme, Musik und Literatur sind voll davon.
Neu ist das radikaler werdende Exhibitionistische,das im Internet ohne grossen Aufwand möglich ist. Das Selfie am Grab, das Beileids-Liken, das Video vom letzten Atemzug.
Die Frage ist dann nur, wann stumpft man nach wie vielen Einträgen dieser Art ab? Sind neue Rahmen dieser Art anstatt von Todesanzeigen usw. besser für den Nachruf als die jetzigen Konventionen?
Das ist bereits ein interessantes Thema für Soziologen, um sich mit der Änderung der Gesellschaft auch auf diesem Gebiet zu beschäftigen.
(entnommen dem Artikel "Das tut mir like" von Marc Baumann im SZ-Magazin der heutigen Ausgabe). Olga


Anzeige