fuer Autoren und Herausgeber Eine Erinnerung meines Vaters

Maya1
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Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Maya1

Wie ich in einem anderen Thread erwähnt habe, hat mein Vater seine Erinnerungen in Buchform aufgeschrieben.(Unveröffentlicht)

Das folgende Kapitel daraus hat er bei einem Schreiberwettbewerb eingereicht und den ersten Preis gewonnen.
Es hat mich tief berührt und deshalb möchte ich es gerne mit euch teilen.
(Mein Vater starb im letzten März im Alter von 98 Jahren)





Was für ein Tag!

Ein Tag, der in meinem Gedächtnis eingraviert ist, wie kein anderer.

11.August 1944. In der Normandie.

Unsere Kompanie marschiert im Morgengrauen durch ein Hügelland in eine neue Stellung. Die

Sonne geht auf. Sie kämpft sich durch letzte Nebelschwaden. Wir erreichen den Kamm eines

Hügels. Gegenüber befinden sich die Stellungen von Engländern. Dazwischen eine flache, mit

Gras bedeckte Mulde.

Die letzten Nebelschwaden verschwinden. Es ist ruhig. Wir stehen auf einer Wiese. Nicht weit

entfernt ein einzelner Baum. In die Wiese sind Panzerdeckungslöcher eingegraben. Wir werden

einzeln auf die Löcher verteilt. Die Löcher reichen nicht aus. Ich bin unter denen, die leer

ausgehen. Das bedeutet, den Infanterie Spaten aus der Halterung am Koppel nehmen und buddeln.

Nachdem ich den Rasen abgetragen habe, stoße ich auf einen steinigen Untergrund. Unmöglich

mit meinem kleinen Spaten schnell genug tiefer einzudringen. Mein treuer Kamerad Heinz neben

mir schaut mich auch verzweifelt an. Wir beschließen, ein etwas breiteres Loch zu graben, in das

wir beide passen. Andere neben uns machen das gleiche.

Ein kleines Flugzeug taucht auf. Es fliegt in geringer Höhe über unsere Köpfe. Weder ein

deutscher Jäger, noch irgendeine Flak ist zu hören oder zu sehen. Das Flugzeug zieht seine Kreise.

Wir ahnen, was bald passieren wird.

Unser Loch ist erst knietief. Trotzdem wollen wir es abdecken, weil wir von baldigem Beschuss

ausgehen. Wir holen Äste vom Baum neben uns, decken das Loch bis auf einen kleinen Einstieg

ab und schaufeln die ausgegrabene Erde darüber. Bevor wir unser Werk beenden können, hören

wir den Abschuss mehrerer Geschütze von der englischen Seite. Die Granaten jaulen heran und

schlagen in die Wiese ein. Wir liegen flach auf dem Boden. Mir gelingt es durch den schmalen

Einstieg in das Loch zu kriechen, bis die nächste Salve einschlägt. Heinz folgt mir. Es folgt eine

Salve nach der anderen. Ein Ohren betäubender Lärm setzt ein. Granatsplitter zischen über unser

Loch. Der Boden bebt. Die Erde über uns rieselt auf uns nieder. Es ist die Hölle. Die bange Frage,

wann trifft eine Granate uns, kreist durch meinen Kopf. Zwischen den Einschlägen versucht einer

den Anderen zu beruhigen. Die treffen uns nicht heißt die Parole.

Der Beschuss dauert bis zum Mittag. Plötzlich bricht er ab. Draußen erschallen Rufe:

„Verwundete zurücktragen!“ Heinz windet sich aus dem Loch. Ich folge ihm. Bis ich mich aus

dem engen Loch gewunden habe, ist draußen niemand mehr zu sehen. Ich stehe alleine auf weiter

Flur und beschließe, wieder in das Loch zurück zu kriechen, in der Hoffnung, dass Heinz bald

zurückkommt. Er kommt nicht. Statt dessen bricht der Feuerzauber wieder los. Die Nerven sind bis

zum Zerreißen angespannt. Noch nie habe ich mich so einsam gefühlt. Ich hole meine Tabakdose

aus dem Brotbeutel, der samt Koppel und Karabiner, draußen vor dem Loch liegt und drehe mit

zitternden Händen eine Zigarette. Es folgt eine weitere. Ich werde zum Kettenraucher. Nach jedem

Einschlag in meiner Nähe, ohne getroffen zu werden, atme ich auf.

Die Einschläge verlagern sich weiter nach hinten. Die Engländer greifen an. Unser MG bellt los.

Es ist das MG an dem unser Unteroffizier liegt. Der Gefechtslärm bewegt sich seitlich vorbei. Das

MG vor mir schweigt. Fehlt dem Unteroffizier Munition? Ist er getroffen worden? Schüsse aus

Maschinenpistolen kommen näher. Ich höre das Geräusch von explodierenden Handgranaten. Eine

Handgranate explodiert in unmittelbarer Nähe von meinem Loch.

­ 2 ­

Die Gedanken rasen. Was tun? Ich überlege, zu versuchen, eine Handgranate noch aus meinen

Loch zu werfen, falls eine hinein fällt, bevor sie explodiert. Ich winde mich in dem Loch, um mit

dem Kopf zum Einstieg zu kommen, wo sich meine Füße befinden. Ein Schatten fällt über den

Einstieg. Ich schaue hoch. Sehe ein paar Schnürschuhe, eine Khaki­Hose und den Lauf einer

Maschinenpistole auf mich gerichtet. Ich höre ein Kommando :“come on“. Ich steige mit

erhobenen Händen aus meinem Loch. Vor mir steht ein Engländer. Er tastet meine Uniform ab.

Dann deutet er mit dem Lauf der Maschinenpistole an, dass ich die Hände herunternehmen kann.

Ich wage es, auf mein Koppel zu zeigen, an dem mein Brotbeutel hängt, in dem sich meine

persönlichen Sachen einschließlich meiner Tabakdose befinden. Der Engländer nickt, nachdem ich

eine Geste gemacht habe, dass ich mein Koppel gerne umschnallen möchte. Bevor ich mein

Koppel umschnalle, ziehe ich davon die Patronentaschen und das Seitengewehr ab und gebe sie

dem Engländer. Er wirft sie achtlos auf die Wiese.

Ich schau mich in der Runde um. Nur Engländer sind zu sehen. Ich fühle mich unbeschreiblich

einsam. Die Wiese sieht aus wie ein frisch gepflügter Acker. Übersät mit mit Einschlägen von

Granaten und Granatsplittern.

Plötzlich sehe ich, wie sich aus dem Loch neben mir zwei Hände hoch strecken. Aus dem

Nachbarloch kommen noch einmal zwei Hände. Ich atme auf. Ich bin nicht mehr allein. Wir setzen

uns in Bewegung Richtung der hinteren englischen Frontlinie. Unser Unteroffizier gesellt sich zu

uns. Vor ihm humpelt ein Kamerad mit einem Oberschenkeldurchschuss. Wir nehmen ihn

zwischen uns.

Die Engländer bringen eine Trage. Der Verwundete wird verbunden. Sie beraten, wie es weiter

geht.

„Mein Engländer“ steht neben mir. Er hat die Maschinenpistole umgehängt. Ich nutze die

Gelegenheit, um meine Tabakdose aus dem Brotbeutel zu holen um eine Zigarette zu drehen. Es

geschieht etwas unglaubliches. Als ich die Dose öffne und der Engländer den schwarzen Tabak

sieht, der eher schwarzem Tee als Tabak gleicht, schüttelt er den Kopf, nimmt mir die Dose aus

der Hand und leert sie aus. Mein ganzer Vorrat rieselt zwischen die Grashalme. Ich hätte heulen

können. Der Engländer schaut mich an. Ich sehe ein kleines Lächeln um seinen Mund. Dann öffnet

er die Tasche an seinem Rock, holt ein Päckchen Tabak heraus und füllt meine Tabakdose mit

goldgelben Tabak. Er gibt sie mir zurück. Ich schaue ihn vollkommen sprachlos an. Er nickt und

sein Lächeln verstärkt sich.

Es schießen mir viele Gedanken durch den Kopf. Ist das die viel gepriesene englische Art von „fair

play“? Der Kampf ist vorbei. Bin ich kein Gegner mehr für ihn? Ich hätte ihm gerne zum Dank

die Hand gedrückt. Das ließ die Situation aber nicht zu. Wir nehmen zu viert die Trage hoch und

marschieren mit zwei englischen Begleitern in eine ungewisse Zukunft hinter die englischen

Linien.

Schon bald stoßen wir auf zwei Engländer, vor denen 2 deutsche Soldaten sitzen. Es ist Heinz mit

Ludwig, dem Senior unserer Kompanie. Sie freuen sich, nicht mehr allein zu sein.

Bis heute kreisen meine Gedanken um meinem englischen Gegenüber von damals. Ob er den

Krieg überstanden hat? Ob er wohl noch lebt? Wie gerne würde ich ihm zum Dank die Hand

drücken. Ein utopischer Gedanke, der immer wieder kehrt.


 

Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Michiko
als Antwort auf Maya1 vom 23.07.2024, 23:58:11
Guten Morgen Maya,
ich habe gerade den Text Deines Vaters gelesen, in einer Art geschrieben, die mich sehr berührt hat. Und auch, dass Du seine Worte über dieses Erleben mit uns teilst. Danke.

Michiko
schorsch
schorsch
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Maya1 vom 23.07.2024, 23:58:11

....und solche wertvolle Menschen, die sich solche Gedanken machen und fähig waren, sie aufzuschreiben, wurden und werden von Idioten als Kanonenfutter auf einen Kriegsschauplatz geschickt, um auf ihnen unbekannte "Feinde" zu schiessen, die ihnen nichts zuleide getan haben -, während sie selber irgendwo 1000 Kilometer vom Krieg entfernt, sich mit Fressen, Saufen und Kurtisanen vergnügen.......


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CharlotteSusanne
CharlotteSusanne
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von CharlotteSusanne
als Antwort auf Maya1 vom 23.07.2024, 23:58:11

Liebe @Maya1, man möchte sich verneigen vor Deinem Vater, der diese
Erinnerung aufgeschrieben und Dir und damit uns hinterlassen hat, aber
auch vor dem Engländer, den eine kleine menschliche bzw. freundliche
Geste "unsterblich" gemacht hat.

Was hat die Generation unserer Eltern im Krieg erlebt, was nicht
aufgeschrieben und der Nachwelt erhalten wurde.......

Ich erinnere mich an eine lange Bahnfahrt in den 60er Jahren, wo ich
mit meinem Gegenüber im Abteil ins Gespräch gekommen bin und er mir
seine Kriegserlebnisse erzählt hat. Als er aussteigen mußte und wir uns
verabschiedet hatten, dachte ich nur, "DAS müßte alles aufgeschrieben
werden......" 

Auch von Anderen habe ich immer mal zufällig  von Kriegserlebnissen
erzählt bekommen, aber seltsamerweise und LEIDER wenig vom
eigenen Vater. In englischer Gefangenschaft kam er nach Kanada, wo
er und seine Mitgefangenen  aus Schlangenhäuten  lederartige
Taschen und Ähnliches  gefertigt hatten, um sie gegen Eßbares einzutauschen.
Eine Tasche ist noch heute in unserem Besitz.

P1010496.JPG


Nochmals herzlichen Dank für Deinen berührenden Beitrag !
Charlie
Klara39
Klara39
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Klara39
als Antwort auf Maya1 vom 23.07.2024, 23:58:11
Grüß Dich, Maya1,
bewegt habe ich den Beitrag mit der Erinnerung Deines Vaters gelesen!
Dieser Bericht könnte auch von meinem Vater sein. Leider hatte er
weniger Glück. Er ist im Juni 1944 bei der Ardennen-Offensive in Frankreich
gefallen. Vor kurzem war sein 80ster Todestag.
Nach dem Tod meiner Mutter 1978 habe ich in ihrem Nachlass 40 Feldpostbriefe
meines Vaters gefunden, über die sie nie mit mir gesprochen hat. Ich habe
versucht, sie zu entziffern, denn sie waren in Sütterlin geschrieben. Dann konnte
ich sie ausdrucken und lese sie immer wieder als Erinnerung. Ich war noch keine
5Jahre alt, als er sein Leben lassen musste.
Klara
Rosi65
Rosi65
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Rosi65
als Antwort auf Maya1 vom 23.07.2024, 23:58:11
Liebe Maya,

manchen Menschen hilft es vielleicht ein wenig, entweder mit schriftlichen Aufzeichnungen oder mit der Malerei, die unerträglichen Lebenserinnerungen zu verarbeiten.

Die traurigen Worte meines Onkels werde ich deshalb niemals vergessen:
„Man hat uns die schönsten Jahre unseres Lebens genommen.
Onkel Hans hatte zwar im Krieg einen Hüftdurchschuss überlebt, aber leider seinen halben Arm verloren. Trotz dieser Einschränkung hat er später als Schneidermeister seinen Lebensunterhalt verdient.
Damals war er, genauso wie Dein Vater, noch blutjung.
Was für eine grauenhafte Sinnlosigkeit...

Rosi65
    

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Allegra
Allegra
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Allegra
Erinnerungen meines Vaters:
Mein Vater war im 2. Weltkrieg bei den Rommelschen Truppen in Nordafrika.
Irgendwo in der Wüste kämpften Deutsche und Engländer gegeneiander.
Er hat mir oft erzählt, dass die gegnerischen Truppen in den Kampfpausen
alles mögliche miteinander tauschten, Zigaretten, die "Wüstenschokolade"
Schokakola (in Blechdosen) etc., indem sie an bestimmten Stellen abgelegt
wurden.
Das waren alles Menschen und keine Feinde - was für ein Wahnsinn.

Allegra


 
Allegra
Allegra
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Allegra
als Antwort auf Allegra vom 24.07.2024, 12:22:15
Nach seiner Rückkehr aus Afrika wurde mein Vater in den Rußlandfeldzug geschickt
und in der Ukraine schwer verwundet.
Mit einem Schuß in den Rücken  lag er zwei Tage in einem Maisfeld.
Dann fand ihn ein ukrainischer Bauer und brachte ihn zu sich nach Hause.
Er und seine Frau versteckten und pflegten ihn, bis er auf irgendwelchen Wegen in ein
Lazarett gebracht werden konnte.
Er hat Zeit seines Lebens an dieser Verletzung gelitten und ist nur 67 Jahre alt geworden.

Denkt man heute an die Menschen in der Ukraine. . .

Allegra
Maya1
Maya1
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Maya1

Vielen Dank für eure Rückmeldungen!

Ja, ich denke auch, daß viel zu wenig Zeitzeugen von ihren Erlebnissen berichten. Gerade aus der Perspektive eines kleinen Soldaten, die wie Schachfiguren von den Mächtigen ins Feld geschickt wurden, damit die Großen ihr Spiel spielen könnten. Verheizt und als Bauernopfer für "die größere Sache" leichtfertig eingesetzt.
Und mit Propaganda schon in ganz jungem Alter so gedrillt, daß sie sich gar nicht vorstellen können, daß "der Feind" so menschlich und freundlich handeln kann - einfach aus gutem Herzen, ohne daß er irgendetwas davon hat, gegenüber einem Menschen, den er wohl nie wiedersieht und von dem seine Regierung ihm gesagt hat, daß er der Feind ist, den er tot schießen muss ...

Mein Vater hat dann 2 Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft verbracht, als Holzfäller und dann ging's zurück, er freute sich schon, dann ein Zwischenstop in England und noch ein weiteres halbes Jahr als Erntehelfer dort ....

Er empfand die Kriegszeit auch als "gestohlene" Jugend, war aber nicht verbittert darüber und hat gerne von den guten und schönen Dingen erzählt, die er erlebt hat, auch recht lustige.

Was ihm nach seiner Rückkehr am meisten zu schaffen gemacht hat, war, daß viele von dem alten Klüngel aus der in der Nazizeit wieder in guten Positionen waren. Während für die einfachen Soldaten ein ganzes Weltbild zusammen gebrochen ist, alles, was ihnen eingedrillt wurde, hat sich als Lüge herausgestellt und sie standen vor den Trümmern ihrer vergeudeten Jugend mit leeren Händen.

​​​​

Rispe
Rispe
Mitglied

RE: Eine Erinnerung meines Vaters
geschrieben von Rispe
als Antwort auf Maya1 vom 24.07.2024, 14:36:29

Mein Vater hat auch ein Büchlein mit Erinnerungen geschrieben und es drucken lassen. Dieses Buch ist mir äußerst wertvoll.
Ihm wurde in Russland ein Auge ausgeschossen, das hat ihm das Leben gerettet, weil er dann nach Hause durfte als Kriegsuntauglicher, sonst wäre er sicher da umgekommen.
Er war ja sehr fromm und hat auf Grund seines christlichen Glaubens die ganze Hitlerei abgelehnt und seine Kriegsverletzung als Gebetserhörung gesehen, denn er hat in einem besonders erbitterten Kampf gebetet, dann kam der Schuss, mit dem er sein Auge verlor und nach Hause durfte.
Darüber werde ich keine Passagen einstellen, denn ich weiß, wie im ST meistens über Glaube und Religion gehetzt wird.
Meinen Vater möchte ich dieser Hetze nicht zum Fraß vorwerfen.
 


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