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Eigene Geschichten Karlchen, der kleine Drache

hellusch
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Karlchen, der kleine Drache
geschrieben von hellusch
Karlchen, der kleine Drache
Ein Märchen

In einem Land weit fern im Norden liegt ein unwirtlich kahles Tal, das bisher nur von wenigen Menschen unter Lebensgefahr betreten wurde. Kein Baum wächst dort, keine bunte Blume unterbricht und verschönt das eintönige Grau der Steine und Felsen. Nicht einmal der kleinste Grashalm wagt sich zwischen dem Geröll der Talsohle heraus, denn hier hausen in den Höhlen der zerklüfteten Felswände wilde, feuerspeiende Drachen. Sie lärmen und kämpfen miteinander, dass den wenigen, die dieses Spektakel auch nur von weitem gesehen haben, fast das Blut in den Adern gefror. Überall im Tal schießen die Flammen der drei- und fünfköpfigen abscheulichen Gesellen urplötzlich in die Luft, und ihr wüstes Gebrüll dringt weit über die Berge des Tales hinaus und versetzt die Bewohner der angrenzenden Ländereien in Angst und Schrecken. Sie verschließen dann ihre Türen und Fenster und holen das Vieh von den Weiden, um es in den Ställen, die sie ebenfalls gut verriegeln, in Sicherheit zu bringen.

In dunkler Nacht kommen die Drachen oft und stehlen das Vieh von der Weide. So laut wie diese böse Bande in ihrem unwirtlichen Tal lärmt, so leise können die einzelnen Drachen sein, wenn sie hinausfliegen und sich ein Schaf oder Rind zum Nachtmahl holen.

In diesem trostlos grauen Tal, in dem es nur Steine gibt und unfreundliche Drachen, die sich mit Vorliebe gegenseitig bekämpfen und – man höre es mit Schaudern! – manchmal sogar gegenseitig verspeisen, wurde vor Jahren ein Drache geboren, der anders als die Großen aussah. Er hatte zur Empörung seiner Mutter nur einen einzigen Kopf und viel zu kleine Flügel. „Einkopf!“, fauchte sie verächtlich – und so wurde er fortan von allen genannt. Die Drachenmutter schämte sich für ihren Sohn, denn alle, die in ihre Höhle kamen, um den neuen Bewohner zu begutachten, spotteten über das hässliche Baby. „Hoho!“, grölten sie und spien Feuer, und der kleine Drache zuckte zusammen. Er hatte Angst und bemühte sich, auch ein Flämmchen zu spucken, aber das wollte ihm noch nicht gelingen. „Hoho!“, brüllten die groben Spießgesellen wieder und schlugen mit ihren scheußlichen Schwänzen herum. Der kleine Drache fürchtete sich immer mehr und duckte sich, um nicht erschlagen zu werden.

Das Leben war hart für ihn. Doch er lernte schnell und ging der ganzen Bande, so gut es ging, aus dem Weg. Im Verborgenen übte er aber fleißig Feuerspucken, und es gelang ihm mit der Zeit auch immer besser. Fliegen allerdings lernte er mit seinen kurzen Flügeln nur schwer. Er konnte sich zwar mühselig in die Luft erheben, ermüdete aber schnell und sackte dann meistens mit einem Plumps auf die Erde hinunter. Wenn ihn seine Artgenossen bei den kläglichen Flugversuchen beobachteten, lachten und spotteten sie nach Drachenart. Sie hätten ihn, den Schwächling, am liebsten gleich gefressen. Doch der kleine Drache entkam ihnen stets und versteckte sich hinter seiner auch nicht gerade freundlichen Mutter.

Einkopf litt ständig Hunger, denn er bekam immer nur den letzten Happen einer Beute, den keiner mehr haben wollte. Drachen denken ja immer nur an sich selbst, das ist so ihre Art. Deshalb blieb er auch schwach und klein. Seine Mutter vertrieb ihn bald, und so war er von nun an auf sich selbst gestellt. Er war traurig, fühlte sich sehr einsam und verließ die kleine Höhle, in der er Unterschlupf gefunden hatte, nur wenn er großen Hunger hatte.

Eines Tages, als die alten großen Drachen ihm wieder nichts von ihrer Beute abgeben wollten und ihn mit ihren fünf Köpfen feuerfauchend vertrieben hatten, beschloss er, sich selbst Futter zu besorgen. Er erhob sich mit seinen Stummelflügeln und schaffte es mit Müh und Not, die steilen Felsen, die das Tal umgaben, zu überfliegen.

Auf der anderen Seite sackte er völlig erschöpft auf die Erde und erholte sich eine Weile mit geschlossenen Augen von der übergroßen Anstrengung. Dann erst blickte er sich um, sah staunend die fremde Landschaft, Bäume und Gras. Zum ersten mal in seinem Leben hörte er Vogelgezwitscher und Insektengebrumm. Das alles gab es ja in seinem grauen, steinigen Tal nicht. Er konnte sich gar nicht satt sehen und begann aufgeregt herumzuspringen und wie wild mit dem Schwanz zu wirbeln. Dabei aber bemerkte er wieder den nagenden Hunger, und so begann er, nach etwas Fressbarem zu suchen. Nicht weit von ihm entfernt saß ein Tier, das nach einer Mahlzeit aussah. Doch als er ungeschickt näher trapste, rannte es, ängstliche Töne von sich gebend, davon.
Unser kleiner Drache hatte also weiterhin Hunger.

„Ich versuche es mal mit dem hier“, dachte er und begann die Blätter eines Busches abzurupfen. Das schmeckte, wie er fand, nicht einmal schlecht, und er fraß mehr und mehr, bis er satt war.

Zufrieden hockte er sich auf seinen dicken Schwanz und überlegte. Er war satt. Ja, aber was nun? Sollte er wieder zurück über die Berge, von wo er die großen Drachen grölen hörte, oder sollte er einfach hier bleiben? Hier war es doch schön, viel schöner als dort, von wo er herkam.

So zog der kleine Drache hinaus in die Welt, die ihm mit jedem Tag besser gefiel.

Er kam nur langsam voran, ernährte sich von Blättern und anderem Grünzeug und ging den Menschen aus dem Weg. Sobald sie in seine Nähe kamen, versteckte er sich zwischen Büschen und Sträuchern oder legte sich platt auf eine Wiese. Er wurde dadurch für die Menschenwesen fast unsichtbar. Als er ein oder zwei Mal nicht aufmerksam war und ihn einige Menschen dabei überraschten, wie er die Blätter einer dichten Hecke laut schmatzend abfraß, starrten sie ihn zuerst ungläubig an und machten anschließend Jagd auf ihn. Natürlich fanden sie ihn nicht, er war ja ein Meister im Verstecken. Doch er konnte an ihrem aufgeregten Verhalten erkennen, dass auch sie ihn fürchteten, genau wie die, die er nahe seinem Tal im Norden gesehen hatte.
Dass aber auch die Tiere Angst vor ihm hatten, verstand er nicht, und es bereitete ihm großen Kummer. Er tat keiner Fliege etwas zuleide, fraß nur noch Grünzeug, und trotzdem rannten alle vor ihm davon, rannten und sprangen, sausten und flatterten, als ginge es um ihr Leben. Er hätte so gern mit einem anderen Tier gespielt oder geredet, aber jedes Mal, wenn er es versuchte, flüchteten sie vor ihm. So war er auch in der schönen bunten Welt mit all ihren vielen Bewohnern einsam. Manchmal war er so traurig und müde von seiner langen Wanderung, dass er sich auf seinen Schwanz setzte und große Drachentränen weinte. Er war eben noch ein kleiner Drache. Ein großer hätte niemals geweint.

Was er nicht wusste, war, dass er viel zu laut herumpolterte. Er war das Lärmen, Grölen, Fauchen und Stampfen so gewöhnt, dass er gar nicht auf den Gedanken kam, wie sehr er damit andere Waldbewohner, die obendrein ja auch noch viel kleiner waren als er, erschreckte. Wenn er ging, dann trampelte er wie hundert Elefanten, wenn er weinte, hallte sein lautes „Huuuu, huuuu“ durch den Wald, wenn er schlief, dann schnarchte er dröhnend, und sogar wenn er fraß, geschah dies allzu geräuschvoll. Er schmatzte und katschte und rülpste völlig unmanierlich. Aber es war schließlich nicht seine Schuld, dass er keine bessere Erziehung genossen hatte.

Außerdem, und das war für die Waldbewohner am schlimmsten, übte er in seiner Langeweile auch immer wieder das Feuerspucken, und das entsetzte alle großen und kleinen Tiere. Sie waren jedes Mal froh, wenn er weiter zog und wieder Ruhe im Wald einkehrte. Ein Wunder überhaupt, dass Einkopf mit der Feuerspuckerei keinen Waldbrand verursachte!

Er kam auf seiner langen Wanderung immer weiter nach Süden, und es wurde wunderbar warm. Die Sonne schien in seiner Heimat im Norden nur selten, und wenn sie doch einmal ein paar Strahlen in das Tal schickte, dann waren diese nur matt und ohne Wärme. Es war, als ob sich sogar die Sonne schaudernd vor dieser Gegend mit ihrem bösen Getier abwenden würde. Umso genüsslicher ließ sich Einkopf jetzt die helle, freundlich warme Sonne auf seinen grünschuppigen Panzer scheinen.

Seine einsame Wanderung dauerte lange, und er lernte viele Landschaften kennen. Aber die Sehnsucht nach einem Freund oder auch nur nach einem Wesen, mit dem er reden und spielen konnte, trieb ihn immer weiter. Nie blieb er lange an einem Platz, auch wenn es dort noch so schön war.

Eines Abends fand er in einem Wald, völlig verborgen hinter dornigem Gestrüpp und Büschen, eine Höhle, deren Eingang fast zugewachsen war. Er zwängte sich hinein und schlief umgehend auf dem Boden ein. Er war ja so müde!

Am nächsten Morgen begutachtete er die Umgebung und fand sie so angenehm, dass er beschloss, ein paar Tage hier zu bleiben, sich satt zu fressen und gründlich auszuruhen. Doch auch ein müder Drachenjunge kann nicht immer nur schlafen. Und so ging er, wenn er wach war, seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Feuerspucken nach. Er trampelte durch den Wald und sein lautes „Huuu, huuu“, verschreckte auch die mutigsten Tiere. Keines traute sich in seine Nähe.

Als er wieder einmal herzzerreißend heulte und sich vor seinen Tatzen schon eine kleine Lache aus Drachentränen bildete, geschah etwas ganz Außergewöhnliches.
Ein Menschenkind stand plötzlich vor ihm und fragte: „Warum heulst du denn so laut?“ Einkopf konnte vor lauter Erstaunen und auch ein bisschen vor Schreck nicht weiterheulen, sondern starrte nur verwirrt auf sein Gegenüber. Er hatte verstanden, richtig verstanden, was der kleine Mensch gesagt hatte! Schließlich stotterte er: „Weil, weil ich so allein bin und alle vor mir davonlaufen. Ich möchte so gern mit jemandem spielen.“
„Und wo kommst du her? Ich habe dich hier ja noch nie gesehen.“ Einkopf schniefte laut auf und klagte dann: „Ich komme von weit her, aus einem Tal, in dem viele Drachen leben. Sie haben mich dort immer nur verspottet, weil ich so hässlich bin und nicht wie ein richtiger Drache aussehe.“

Julchen, so hieß das Mädchen, war zehn Jahre und ein wenig kleiner als der kleine schuppige Geselle vor ihr, der so erbärmlich heulte. Sie war ein besonderes Kind, denn sie verstand die Sprache der Tiere und konnte sich sogar mit ihnen unterhalten. Und das ist doch wohl etwas ganz Besonderes! Die Tiere des Waldes mochten sie gern, denn sie tat keinem etwas zuleide und war mit allen gut Freund. Sie trat ganz nahe an den kleinen Drachen heran, legte ihre Hand auf seinen Kopf und sagte: „Nun bist du nicht mehr allein, denn jetzt kannst du ja mit mir spielen. Also hör’ nur auf mit deiner Heulerei. Du erschreckst damit ja alle Tiere.“
„Ach so, das habe ich nicht gewusst!“, antwortete Einkopf. „Willst du denn wirklich mit mir spielen?“ Als Julchen bejahte, jubelte der kleine Drache lauthals los: „Hurra, ich habe einen Freund!“, und spuckte vor Aufregung doch glatt ein Flämmchen. Da aber erschrak nun sogar das Mädchen, das sonst keine Angst hatte. Sie ermahnte den wilden Burschen neben sich eindringlich, niemals, niemals wieder Feuer zu spucken, weil er damit einen schlimmen Waldbrand entfachen könnte, der vielen Tieren das Leben kosten würde. Und der kleine Drache sagte wieder: „Ach so, das habe ich nicht gewusst!“
„Wie heißt du denn?“, fragte Julchen ihren neuen Freund.
„Einkopf“, antwortete er.
„Nein, das gefällt mir nicht! Das erinnert mich zu sehr an Eintopf“
„Was ist denn Eintopf?“
„Ein Essen“, erklärte sie, und der Drachenjunge fuhr erschrocken zurück. Doch Julchen lachte nur und beruhigte ihn. „Ich werde dich Karlchen nennen, weil du so ein nettes Kerlchen bist!“ Damit war der grüne Bursche einverstanden, denn Karlchen hörte sich wirklich viel netter an als Einkopf!

Sie spielten an diesem Tag lange zusammen. Als Julchen nach Hause gehen musste, ermahnte sie ihn noch einmal: „Du musst leise im Wald sein und darfst kein Feuer spucken!“ Und er sagte: „Ja, ja, ich verspreche es.“ Er hätte alles versprochen und es auch gehalten, nur damit dieses freundliche Menschenkind wiederkam.

Und Julchen kam wieder. Sie spielten zusammen oder saßen aneinander gelehnt im Sonnenschein und erzählten sich gegenseitig von ihrem Zuhause. Karlchen berichtete von dem dunklen Tal und seiner langen Wanderung bis hierher. Julchen erzählte von dem Leben in ihrem Elternhaus, einer „Höhle mit vielen kleinen Höhlen“, wie Karlchen bewundernd feststellte. Sie erfuhr schaudernd von den großen, abscheulichen und gefährlichen Drachen, und er hörte staunend, was sie von ihrer Mutter und ihrem Vater und der Schule berichtete.
So lernten sie sich gegenseitig immer besser kennen.

Der kleine Drache blieb in dem großen, schönen Wald. Da er sich dank Julchens Hilfe auch bessere Manieren angewöhnte, fürchteten die Tiere des Waldes sich bald nicht mehr, und er wurde ein gern gesehener Waldbewohner.

Karlchen war zum ersten Mal in seinem Leben glücklich und vergaß schließlich das finstere Tal, aus dem er kam und seine üblen Artgenossen. Julchen blieb viele Jahre seine beste Freundin. Aber Kinder wachsen schneller als Drachen, und als sie älter wurde, ging sie immer seltener zum Spielen in den Wald. Und noch später zog sie in eine andere Stadt, um zu lernen und zu arbeiten.
Aber sie kommt oft in ihr Dorf und zu ihren Eltern zurück. Und dann besucht sie auch immer ihren alten Freund Karlchen, der dann stets einen kleinen Freudentanz aufführt. Er ist seit Julchens Kinderzeit nur wenige Zentimeter gewachsen und geht anderen Menschen noch wie früher ängstlich aus dem Weg. Spaziergänger, die in dem großen Wald unterwegs sind, ahnen nicht einmal, dass dort ein kleiner grüner Drache wohnt, der sie heimlich beobachtet und ihnen leise und unauffällig folgt.

Ich weiß diese Geschichte von Julchen, denn sie hat sie mir selbst erzählt.

© Ute Eppich

hellusch

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