Eigene Geschichten Die Schneuzer

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Die Schneuzer
geschrieben von schorsch
Die Schneuzer

Nein, mit den Schneuzern sind nicht jene Bedauernswerten gemeint, die im Moment mit tropfender Nase durch die Gegend irren und aus der Tasche laufend ihr Taschentuch ziehen. Nein, es geht da um eine bereits (fast) ausgestorbene Spezies von Männern, die noch anno dazumal, als ich ein kleiner Junge war mit Vierspänner und Schneepflug unsere Strassen vom Schnee befreiten, resp. diesen so an den Rand zu Wallmen (Schneewall) pressten, dass auf den damals noch spärlichen Gehsteigen (bei uns Trottoirs genannt) für die Gattung der zu Fuss Gehenden kein Platz mehr blieb und sie darum auf die geräumte Strasse ausweichen mussten, wo sie Gefahr liefen (stolperten), von den noch spärlicher zirkulierenden Autos überfahren zu werden.

So, das war ein langer Satz; ich werde mich bemühen, den Leitsatz unseres verehrten Lehrers Ehrensperger zu beherzigen: "Macht kurze Sätze - sonst verliere ich den Faden bei euren Aufsätzen!".

Das sah also damals so aus mit der Schneuzerei (heute Schwarzräumung der Strassen genannt): Vorne ein Gespann, gebildet aus vier sich nicht kennenden Pferden (damals hatten die meisten Bauern nur 1 oder 2 Pferde), die vor ein in V-Form gezimmertes Gebilde aus Brettern von etwa 1 Meter Höhe und 15 Metern Länge gebastelt war. Nein eigentlich war es kein V, sondern eher ein A, weil fast ganz hinten eine verstellbare Stange quer gespannt war, die sich - weil Stange in Rohr - in der Länge resp. Breite verstellen liess, so dass die Breite der Schneuze (Schneepflug) der Strassenbreite angepasst werden konnte. Dazu kamen hinten links und rechts je eine Holzstange, die leicht nach oben gerichtet war und mittels derer die beiden hinteren Schneuzer die Schneuze in der Mitte der Strasse halten konnten. Der Pferdeführer aber ging gleich hinter der Spitze der Schneuze, drinnen, hinter den dampfenden Pferden her und leitete sie mittels vier Leitseilen. Er hatte den leichtesten Job. Die hinteren beiden Männer aber dampften fast noch mehr als die Pferde.

Wenn Dampf dem Körper entflieht, dann entsteht ein Flüssigkeitsmangel in diesem, welcher ab und zu mittels irgendwelcher Flüssigkeiten wieder egalisiert werden muss. Hier aber waren es nicht "irgendwelche" Flüssigkeiten. Denn:

Immer so nach etwa einer halben bis ganzen Stunde erwartete sie bei irgendeinem Bauernhaus die Frau des Bauern mit einem noch besser dampfenden und duftenden Krug, als es der Dampf der Pferde und der Schneuzer (man beachte meine Reihenfolge!) hervorbringen konnten. Das war Kaffee. Aber dieser war nicht das Eigentliche an der Flüssigkeit, eher das Alibi. Die Hauptsache an der so dringend benötigten Flüssigkeit war hochprozentiger Schnaps. Und diesem wurde – man musste den Pferden schliesslich eine Verdampfpause gönnen – eifrig zugesprochen. So eifrig, dass nach der - meistens eine halbe Stunde dauernden Pause – die Pferde noch die einzigen waren, die wussten, was eigentlich zu tun war; sie kannten ja die Strassen und Wege der Gemeinde. Und diesen Pferden ist es auch zu verdanken, dass trotz torkelnden, sich krampfhaft an die Leitstangen haltenden statt sie zu führenden Schneuzern so gegen fünf Stunden später die Strassen geschneuzt waren. Die Pferde fanden auch den Weg nach Hause auch wieder selber. Nur hatte eben fast jedes ein anderes Zuhause, dem es zuzustreben trachtete, so dass spätestens auf dem Platz vor der Kirche eine Revolte unter ihnen entstand, deren Chaos durch die Bemühungen der Schneuzer, Ordnung in die Sache zu bringen, nur noch grösser wurde. Da aber die Frauen der Schneuzer dies aus Erfahrung wussten, standen sie bereits auf dem Kirchplatz und empfingen Ihre Ehemänner mit der gebietenden Ehrerbietigkeit gleich Flüchen und Drohungen.
Ja, und dann folgten die Schneuzer, nachdem die Pferde los gebunden und vorher die Schneuze noch mittels Querstange zu einem I geformt war, das man getrost an der Kirchenmauer der Obhut und dem Segen des Herrn Pfarrer überlassen konnte, lammfromm und besoffen ihren Ehefrauen, welche sie daheim von Kleidern und Schuhen befreiten und sie – schon im Stehen schlafend – zum Sofa führten, wo sie dann wie ein Holzklotz hinfielen und nicht mehr erwachten, bis sie der Dampf der Suppe des Abendessens aufweckte. Nach dem Nachtessen wurde dann noch der Stall kurz gemacht und dann fielen die Schneuzer wiederum in Tiefschlaf, aus dem sie frühmorgens ihre Ehefrauen aufweckten, wenn über Nacht wieder ein halber Meter Schnee gefallen war. Und dann…..

….aber das habe ich ja weiter oben bereits erzählt!

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