Eigene Geschichten Das Burgenland

rodaroda
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Das Burgenland
geschrieben von rodaroda
BURGENLAND

Eine vielleicht notwendige Einleitung……

Eigentlich habe ich im Burgenland, am platten Land nichts zu suchen. Wir sind eine Wasserfamilie. Nun gut, hier ist der Neusiedlersee, aber der ist seicht wie ein Kinderplanschbecken, sehr groß, aber seicht. Aber dazu kommen wir später.

Erschwerend fällt ins Gewicht, dass ich eigentlich eine Balkanese bin. In Bukarest geboren, vor langer Zeit. Aber das liegt an den Genen der oben erwähnten Abstammung, die Wanderlust. Also meine Vorfahren waren mit der Donau verbunden, zurückverfolgt bis ins späte 17. Jhdt. Erst spät ergriffen sie ehrbare Berufe. Vorher waren sie Donauflößer, und dabei war die Ehrbarkeit eher schwierig. Holz die Donau runter, verschachert, und den Walachen, Türken und anderen Stämmen Rinder und Pferde abgehandelt und aufwärts getrieben. Wie soll da ein ehrbarer Mensch Gewinn machen?

Aber bei der Donau und dem Transport blieben sie alle. Eine bunte Mischung. Einer wurde sogar der Präsident der DDSG (der bekannten Donaudampfschiff(f)ahrtsgesellschaft…..) und der Familiensaga nach, sogar einmal als Bundespräsident in Erwägung gezogen. Na ja.

Auch meinen Herr Papa zog es die Donau abwärts, blieb in Rumänien hangen, Und da bin ich nun.

Warum ich das alles aufzähle? Nun, bis zum 16. Lenz hing ich auch an der Donau rum, in Wien. Dann schlug das Geschick in Form eines blassblauen Mopedrollers Marke "Puch“ ins Kontor, und das hatte Folgen. Auch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h ist man mobil und der Aufsicht entzogen. Eines sehr schönen Tages bewegte ich mich von der Donau weg, hinein in die Provinz. Autobahn gab’s ja noch nicht, damals 1956/57. Also die Fahrt auf der Landstraße nach Neusiedl war – ich weiß es noch – weniger inspirierend. So ein Gefährt ist nicht unbedingt bequem.

Vor Neusiedl/See gibt es, man glaubt es kaum, einen Berg. Na ja, eine Steigung auf 150m Seehöhe (übrigens die letzte im Seewinkel). Und oben, ja, da trifft es einen dann.

Der Blick geht nach unten und da liegt eine Fläche wie Quecksilber. Ohne ein ersichtliches Ende zu nehmen. Man sieht die Wölbung des Horizontes und nur Wasser, zusätzlich den Beginn des unüberschaubaren Meeres an Schilf. In der Schule hat man es ja gelernt, aber das an einem milden Frühsommertag auch unvorbereitet zu sehen – das ist was anderes.

Und damit kann nach der wahrscheinlich doch unnötigen Einleitung, das erste Kapitel beginnen.


GRENZLAND

Natürlich hat jeder Landstrich seine eigene besondere Geschichte. Aber dieser hier hat eine besondere Besondere. Die war eigentlich nie lustig und auch nie wirklich friedlich. Ein Grenzland. Immer umkämpft, verheert, jeder zog durch und nahm sich was er kriegen konnte. Hunnen, Ungarn, Kuruzzen, Türken dann die glorreiche Rote Armee.

Und früher ging’s dann auch retour, Steirische Herren, deutsche Heere, Kaiserliche, Landsknechte schlugen sich hier herum. Deswegen bekam das Burgenland auch seinen (späten) Namen. Den von diesen waffenstarrenden Zeiten sind viele Burgen (im Süden) übrig geblieben, die teilweise auch nie erobert wurden. Nur im Süden, denn im Norden machte das wirklich keinen Sinn. Eine rechte Burg gehört eben auf einen Berg und davon gibt’s im Norden nun mal keinen. Die ungarische Tiefebene und die Puszta lassen grüßen. Es ist so flach, dass man am Donnerstag sehen kann, wer am Freitag zu Besuch kommt.

Übrigens: ist das Wort Puszta nicht romantisch? Nicht? Geigenklänge, Kesselgulasch über dem Feuer, Der Cikos treibt die Pferde und es grasen Steppenrinder und Zackelschafe….

Pustekuchen. Puszta heißt eigentlich Wüste im Sinne von Öde, ein Wüstung also. Zwischen Weiden und Podersdorf liegt ein großes (heute Naturschutz-) Gebiet, die Zitzmannsdorfer Wiesen, Das war das Dorf Zitzmannsdorf das mehrfach von den Türken geplättet, die Bewohner erschlagen oder als Sklaven weggetrieben wurden, dass es nie mehr aufgebaut wurde. Kein Baum, nur Gras jetzt auf Zitzmannsdorfer Grund.

Nachdem der edle Ritter Prinz Eugen die Türken aus Westungarn rausgeworfen hat, waren es noch einmal die Kuruzzen (Rakoszy) die Krieg ins Land brachten. Dann war fast Ruhe. Das Burgenland gab’s ja noch nicht, das hieß Deutsch-Westungarn und war in ungarische Komitate aufgeteilt. Erst 1921/22 kam es nach ziemlichen Wirren, an Österreich, unter Verlust der damaligen Hauptstadt – Sopron (Ödenburg).

Die wechselvolle Geschichte hat uns ihre Hinterlassenschaft geschenkt. Wir haben viele ausgewiesene Minderheiten hier im Lande. Ungarn (na klar), Kroaten, Heanzen, Roma, Slowaken und Slowenen. (und die aus den anderen österreichischen Bundesländern nicht zu vergessen)

Heanzen? Das leitet sich aus dem Wort "Hinzen“ wie Hinz und Kunz ab. Das waren angesiedelte Wehrbauern aus Deutschlands Hinterwald die im 11 u. 12 Jhdt einwanderten. Die versteht man heute nicht mehr, das ist der grausamste Dialekt der mir je untergekommen ist, fast unverändert. Gibt richtig Wörterbücher dafür. Und gegen den Begriff "Heanzenland“ als Landesname wurde lange gerungen.

Und Grenzland ist es geblieben.

Ein Blick auf eine Karte, wird diese Einblicke vermitteln. Heute fallen die Grenzen, Aber als ich damals auf der Neusiedler Anhöhe stand, war das hier ein armes Land, wie es schon seit Jahrhunderten gewesen ist. Sehr arm. Der Seewinkel war praktisch vom Stacheldraht umgeben und die gesamte Ost und Südgrenze des Landes auch. Von oben: CSSR, Ungarn, Jugoslawien. Der Ungarnaufstand (1956) gerade im Gange. Die Russen mal so eben außer Landes (1955) und die haben hier wie die Heuschrecken gewirkt.

Gehsteige in den Orten? (nicht mal zum Hochklappen), Straßenbeleuchtung? vielleicht eine Lampe am Gemeindeamt oder am Wirtshaus, sonst der Mond. Die Straße in der ich heute wohne, wurde erst Anfang der 60-iger Jahre mit einer festen Decke versehen. Kanalisation, Telefon? Ha!

1964 auf unserer Hochzeitsreise (wohin sonst?) kehrten wir ins Dorfwirtshaus in Oggau (bekannter Weinort) ein. Espressomaschine und allen Chi-Chi vorhanden, aber gestampfter Lehmfußboden! Und der beste Speck den ich im Westen (im Rumänien war einmal einer besser, aber das ist eine andere Geschichte) gegessen habe.

Also es wird aufgefallen sein, dass das Burgenland ein langer Schlauch ist, ein sehr langer. Wenn nicht, dann bitte JETZT auf die Karte sehen.

So etwa in der Mitte hat jemand den Gürtel sehr, sehr eng geschnallt und wie eine Wurst abgebunden. Böse Zungen behaupten man kann aus Ungarn über das Burgenland hinweg nach Niederösterreich spucken

Aber das ist für unsere Betrachtung sehr günstig, weil es damit auch hervorragend zwischen Nord- und Südburgenland unterschieden werden kann. Im Süden gibt es Wälder, Hügel, ja sogar richtige Berge. Das werde ich von nun an stiefmütterlich behandeln. Wir bleiben im Norden, denn Berg und Wald gibt’s öfter. Wenn ich also vom Burgenland rede, meine ich den Norden, sonst sag ich es.

Aber davor noch ein paar Zahlen, zum besseren Verständnis im Vergleich mit z.B. Wiesbaden und Luxemburg

Burgenland Wiesbaden Luxemburg
Einwohner 274.000 287.000 474.000
Fläche km2 3.965 204 2.586

Hauptstadt
Eisenstadt 12.300 Einwohner (ist die größte Stadt)

Der See:

Freie Wasserfläche 142 km2 Schilfgürtel 178 km2 = Zusammen 320 km2

Länge 37 km, Breite bis zu 14 km

Wasser: sodahaltig, Tiefe im Schnitt 1 m , größte um 1.90 m . Es finden daher regelmäßig Seedurchwatungen zwischen Mörbisch und Illmitz statt. Es wurden aber alle Teilnehmer immer wieder gefunden.
Und im Winter ist das die größte Natureislaufbahn Mitteleuropas

Bevor wir nun weiter schreiten, ein kurzer Sprung zurück, der uns aber dann gleich zu einem der wichtigsten Aktivposten dieses Landstriches führen wird. Es handelt sich um einen persönlichen bescheidenen Beitrag meinerseits dazu.

Wir stehen wieder neben meinem Mopedroller und schauen auf die glitzernde Wasserfläche hinunter. Alle wieder da? Ja? Gut…

Was geschieht in einem solchen Fall? Man steigt wieder in den Sattel und sucht den Weg zum Wasser. Heute landet man, wenn man nicht aufpasst, mit der Nase in einem Gitterzaun. Oder einem Kassierhäuschen, samt grimmig blickenden Insassen, Nicht zu dieser unschuldigen Zeit. Ich stieß auf einen jüngeren Mann in Shorts, einer Art Buschhemd, einen formidabel wuchernden Vollbart und einer dichten Haarmähne, dünn und braungebrannt, der sich mit einer schweren Zille (für Nichtkenner: ein Flachbodenboot der einfachsten, aber robusten Art, das zwar auch gerudert werden kann, aber meist gestakt oder mit einem Stechpaddel betrieben wird). Jugend ist unbekümmert und neugierig. Wir gerieten ins Gespräch. Es war der später sehr bekannter Biologe, der dann eine biologische Station in Wien (Wilheminenberg) leitete mit wöchentlichen Fernsehsendungen a la Grzimek: Prof. Otto König, ein Schüler und Mitarbeiter von K. Lorenz. Aus dem Gespräch ergab sich eine fröhliche Mitarbeit bei der Erschaffung einer Station zur Bewahrung der Silbereiher am Neusiedlersee, unter wahrhaft primitiven Umständen und bis aufs Blut gepeinigt (wer das nicht glaubt, kennt die Gelsenpopulation = Stechmücken des Sees nicht).

Aus seinen Bemühungen entstand schließlich der Nationalpark und Naturschutzgebiet Neusiedlersee und die Stellung desselben als ein "Weltkulturerbe“. Wir blieben bis zu seinem Ableben in Kontakt und ich hatte das Vergnügen mich noch einmal von Augsburg im TEE bis Hamburg zu verabreden und mit ihm zu klönen. Die biologische Station in Illmitz, geschaffen aus diesen Anfängen, arbeitet noch heute.

Diese Begegnung und die verschiedenen Expeditionen ins Schilf unter der Expertenleitung haben tiefe Spuren hinterlassen und letztlich zu einer Serie von jährlichen 2 Aufenthalten über 12 Jahre zu den Vogelzugzeiten am See und dann zur Übersiedlung und Wohnortwahl geführt.

Was ist das für eine Landschaft? Im Wechsel der Jahreszeiten lebt sie mit. Melancholisch, immer windumspült, dann Hitzeflirrende Weite mit Staubgeschmack auf der Zunge. Der klagende Ruf der brütenden Kiebitze bei ihren atemberaubenden Flugkunststücken an den noch gefüllten Laken, das poltern der Schnepfen im Anflug, das Trillern der Rotschenkel. Der Start der Schwäne mit einem wummernden wupp-wupp-wupp bei ihren langen Anläufen. Karre-Karre-kit.kit der Rohsänger oder der Chor der Unken in den Frühlingsnächten. Die Balz der Großtrappen als schneeweiße Riesen-Federbälle in der Hanság. Der Flug der Grau-, Silber-, Pupur-, Nacht- und Kuhreiher, das gestreckte segeln der weißen Löffler (unser einziger Ibisvertreter der hier brütet) und ihr nervöses Durchseihen des seichten Lackenwassers nach Krebschen und Würmern und ab und zu einem Fisch den sie fast nicht runterkriegen können und minutenlang daran würgen. Der Lärm der Lachmöwenkolonien bei der Brut. Die Panik die der kreisende Seeadler im Federvieh auslöst (er brütet wieder hier).

Die Verkehrszeichen an den Güterwegen "Achtung Gänsefamilien kreuzen“ oder "Vorsicht Ziesel“

Millionen Stare fallen über die in den endlosen Weingärten reifenden Trauben her und werden von "Starfightern“ genannten Flugzeugen im Tiefflug gejagt. Es knallt, zischt, wummert, jault und pfeift aus den Weingärten wo die Weinbauern ihre Ernte vor den Scharen hungriger Schnäbel retten wollen, das man meinen könnte, der nächste Krieg sei ausgebrochen So ein Schwarm zieht minutenlang über dich hinweg oder ballt sich in immer andern Gestalten bildende dunklen und schon von weiten sichtbaren Wolken zusammen, führt unisono Flugmanöver aus….

Wer einmal ein oder zwei Laubfrösche, die in seiner Umgebung ihre Liebessehnsucht hinausgröhlen, ob ihrer Ausdauer bewunderte und sich fragt, woher ein derart kleines Tier die Fähigkeit nimmt so einen infernalischen Krach über Stunden zu veranstalten, der wird das Konzert der allgegenwärtigen Grillen und Zikaden im Juli/August genießen.

Der Wind! Er bringt die Scharen von Radfahrer zur Verzweiflung. Hat man auf einer Strecke ihn gegen sich, sagt man "gut….aber auf der Rückfahrt“ Nix da. Wir sind viele hunderte Kilometer auf Weingartenpfaden, Schotterpisten und Rundfahrtwegen gestrampelt. Er war stets so gegen uns, dass unsere im Korb mitgeführten Dackel die Ohren abstanden.

Im Herbst dann das große Finale der Trauben. Es riecht nach Trester, überall fahren die beladenen Anhänger mit den Bergen der Trauben zu den wartenden Pressen. Die Sturmzeit fängt an und die verschiedenen Sautanz-Veranstaltungen. Ihr kennt die Ausdrücke nicht wie Blunzen, Surschnitzel, Bratlfett und Kren? Kesselfleisch, Lebersuppen? Schade…..

Und dann der Winter mit den über 50.000 Gänsen die in Keilen über den Himmel ziehen und ins Schilf einfallen oder am Zicksee in St. Andrä einen Lärm wie eine Monsterparty veranstalten. Sie überwintern teils, teils rasten sie nur. Je nach Art. Die wieder pfeifenden Nordwinde aus der Tschechei kommend, die bei auch geringem Schneefall meterhohe Wächten auf die Straßen türmen …

Es ist eine Landschaft ohne Übergänge, ab März wird es heiß und immer heißer und das geht bis Anfang Oktober, danach eine Andeutung des Herbstes wenn der Prägebaum des Burgenlandes, die Nuß prasselt und sich die Blätter in ihnen färben. Nussalleen gibt es hier allenthalben, auch an den Landstraßen. Die Wiener kommen sammeln. Wir haben auch einen Riesen im Garten der Jahr für Jahr zur Freude unserer Verwandtschaft 2-3 Faltkisten großer Nüsse abwirft. Und Wind, viel Wind.

Die Erklärung für diese Extreme? Das Burgenland grüßt an der Autobahn als "Land der Sonne“ und reklamiert davon 300 Tage im Jahr. Die Meteorologen sagen einfach: Der Seewinkel hat ein kontinentales Klima. Und als Beweis führen sie an, dass hier die nördlichste/westlichste Verbreitung vieler Pflanzen- und Tierarten existiert. Faktum ist, dass hier stets höhere Temperaturen als im 50 km entfernten Wien herrschen, Wir sind sozusagen nicht nur der tiefste Punkt Österreichs, sondern auch dessen Wärmepol. Die Weine danken’s. Mit dem großen See als Spender des Mikroklimas.


Ich habe es schon gesagt. In diesem Land bringt jede Zeit ihr eigenes Licht. Viel Anteil daran hat die riesige Wassermasse neben die es gestreckt ist. Ich habe eigentlich diese Lichtorgien des Sonnenuntergangs zwischen Glut und schwarzer Zeichnung von vor dem Horizont stehender Wolken, die zu tief sind um noch von der schwindenden Sonne erreicht zu werden, Streifen grellen Gelbes dazwischen und der spiegelnd vom Wasser zurückgeworfenen Mischung aus Rottönen mit Silber und Dunkelheit im Vordergrund, nur noch in der Südsee sehen dürfen. Nur dass es dort schneller geht, die Sonne tatsächlich um 6 Uhr unter den Horizont zu fallen scheint und es übergangslos stockdunkel ist. Hier schenkt sie uns noch einen längeren Bewunderungszeitraum und ein versöhnliches Nachglühen und Dämmerung. Ein Geschenk des Sees und seiner Feuchtigkeit, die dazu genau so gebraucht wird, wie sie der Regenbogen braucht.

Jetzt ist es Herbst, Regen aus den fast mit den dicken Bäuchen am Boden schleifenden Wolken, füllt die geschrumpften oder verschwundenen Lacken wieder. Störche, Schwalben und die Touristen sind weggezogen. Der Most ist in den Kellern von Sturm langsam zum Jungwein gewandelt. Das Land ist still. Der November kommt mit einem letzten Jahreshöhepunkt.

Martini. St. Martin ist der Patron des (tiefkatholischen) Burgenlandes, ein Landesfeiertag mit vielen Traditionen. Nicht nur dass unglückliches Federvieh Verfolgung leidet, sondern alle (und ich meine alle) Winzer rüsten sich zum letzten Jahresansturm der Besucher (nicht unbedingt Touristen). Die Devise heißt

"Gemma, Kölla schaun"

Für unsere wohlmeinenden Nachbarn: Tag der offenen Türen in den Weinkellern mit der Erwartung, dass darin hineingeschaut wird.

Nun ja, da die meisten Heurigen die Bänke eingeräumt haben und die geöffneten restlichen Gaststätten nicht wirklich unbedingt zu den Highlights gehören, wird diese Gelegenheit halt noch genützt. Dann ist aber Ruhe!

Aber der Seewinkel ist nicht so groß.......man kennt ja genügend.......und einen Hauskeller mit was zünftigen findet man immer. Wenn man kein Tourist ist.

Und welcher Tourist interessiert sich schon für ein (eventuell) verschneites aber sonst sicherlich tiefgründiges Burgenland. Keiner.

Keiner? Ein paar Verrückte gibt’s immer, die dann vermummt mit Glas und Spektiv, Thermoskannen und Rumfläschchen den Aviden nachstolpern. Ich gehöre auch dazu. Aber auch das ist eine andere Geschichte....

Das bringt nun den Teil des "Landes" zu einem Ende. Ich weiß, zu einem unvollkommenen. Viele, zu viele, Eindrücke bleiben ungeschrieben, was schade aber nicht zu vermeiden ist.
Als Nächstes sammle ich meinen Mut für die "Leute", denn da wird es heikel.


…..und "Leute“

Also Mut gehört schon dazu. Ihr wisst, ich lebe hier, und das Burgenland ist dünn besiedelt (siehe oben) Ein Beispiel mag es Euch zeigen. Mein Avater zeigt mein Häuschen vom Innenhof. Es ist ein altes Haus, etwa aus dem Jahren um 1890, oder so, genaues weiß kein Mensch. Gottseidank kein Kothaus, sondern aus Ziegeln. Ach, ihr wisst nicht was ein Kothaus ist?

Nun ich glaube ich habe schon bemerkt, dass man hier von Beruf hauptsächlich arm war. Und vor 1703 was permanentes sich hinstellen zu wollen, war purer Leichtsinn. Der nächste vorbeiziehende Haufen betrieb den Völkersport: "Was das steht noch?“ Gebrannte Ziegel in der Wüstenei? Echter Luxus. Wer wusste schon ob man den nächsten Monat nicht schon in der Türkei auf permanenten Urlaub war.

Das angesagte Baumaterial war daher Lehm (von dem gab’s reichlich) mit Rinderdung (hoffentlich) und Stroh/Schilf zusammengemischt, in "Ziegel“ geformt an der Sonne getrocknet mit Lehm beschmiert und gekalkt. Das Schilfdach weit überstehend um Flüssigkeit von den Wänden abzuhalten. Na und wenn, dann gab’s ja Lehm (reichlich)……

Aber ich schweife ab, wie gewöhnlich, pardon…Also kein Kothaus. Dennoch ..hm, also so nicht. Aber auf jeden Fall im alten Stil. Mauern blieben stehen und… aber das ist wieder eine andere Geschichte. Auf jeden Fall wurde das Haus im alten Stil revitalisiert und stand nun da und stach zwischen den anderen Gebäuden raus wie… na es war völlig anders.

Resultat vom Ganzen war, da man, ob des nicht perfekten Dialektes, allenthalben als "außerhalb“ erkannt wurde und bei Frage ob man hier Urlaub mache und wie es einem gefalle (freundlich sind sie ja) ehrlicherweise verneinte und behauptete "Na, na, i wohn da“ und befragt wurde "Ah geh! Wo denn da?“ Unvorsichtigerweise das kundtat, reichte die Adresse um den spontanen Satz in Illmitz, Podersdorf, Neusiedl etc. ausgestoßen zu hören: "Aaah! Se san des!“ Was wiederum beweist WIE klein der Seewinkel proportional zur Ausbreitungsgeschwindigkeit von Information wirklich ist.

Ich sag das ja nicht ohne Grund. Neugierig sind’s die Leute, wirklich. Und wieder spielt das Haus eine Rolle. Also in den ersten 2 Jahren war folgendes mindestens 1x im ersten pro Woche und dann mindestens 1 mal im Monat Usus:
Häuschen ist ebenerdig und hat Kastenfenster, innen in Fensterbögen die in die 45 cm Mauern eingelassen sind. Vorhänge würden den ganzen Raum verschandeln. Also keine Gardinen. Resultat: In besagten Abständen klebten Nasen an den Fenstern und ehrbare Ehepaare drückten sich selbige platt um einen Blick ins Haus zu werfen (ich hörte später die verlegene Begründung "mir kennen des Haus jo no von der Mali-Tant, nix für ungut“, einer längst verblichenen und undefinierten Bewohnerin). Als das Überhand nahm, häkelte meine Frau Kurzgardinen, mittig angebracht, und ich installierte Rollos innen in den Fenstern. Wir haben 11 Fenster a je 2 Flügel für je eine Gardine! Hussa…

Also die 1 Eigenschaft die Volksstammüberschreitend festgehalten werden kann ist: rege Anteilnahme am Sozialgeschehen mit intensivem Kommunikationsbedürfnis (profaner ausgedrückt Neugier und Tratsch)

Kühnere Gemüter standen mit dem Anliegen der Besichtigung auch mitten im Flur, einmal sogar im Wohnzimmer mit der gleichen Mali-Tant als Begründung (von der wir inzwischen annahmen, dass sie es wirklich wild getrieben haben musste, bei dieser vielen Verwandtschaft). Bis wir die Haustüre – entgegen dem Landesbrauch – sperrten, und der Tatsache, dass sich unsere damals 2 – nicht unflotten Dackel – in einem Fall um die eintretenden Hosen bemühten und ich mich standhaft weigerte für die Beschädigung des ungebetenen Besuches auch noch Sühne zu leisten, brach das ab. Hat sich wohl rumgesprochen…… (§1 oben).

Unterschiede…..

Seit jeher gibt es ziemlich verschiedene Populationen rund um unseren schönen See. Das Westufer hat, beginnend mit Neusiedl, sozusagen am Kopf, seine Ortschaften in geringen Abstand voneinander aufgereiht wie Perlen an einer Schnur, bis hin zu Eisenstadt, früher bis Sopron. Das Ostufer – mein Seewinkel – bietet einen Fleckerlteppich an Ansiedlungen, in der Landschaft verstreut.

Die Wirkungen waren vielfältig. Während "drüben“ eine durchgehende Verbindungsstraße von A nach B führte und die Orte sich eigentlich nur nach rechts oder links ausdehnen konnten, da hinter dieser Linie eine nicht unbeachtliche Hügelkette sich nach Westen ausbreitete, wuchsen sie manchmal fast zusammen und bildeten die typischen Straßendörfer. Im Seewinkel hingegen hinderte kein böser Hügel das zusammenklumpen der Häuschen. Ergo gab es eher "runde“ Siedlungen und wo drüben eine durchgehende Verbindungsstraße war, führten hier Trampelpfade sternförmig zu anderen Ansammlungen. In der Nähe des Sees gab es unzählige Lacken, von denen heute leider nur noch knapp 30 vorhanden sind um die sich diese Pfade wanden. Es wundert daher nicht, dass der See auf Ungarisch Fertöd heißt, wobei "Fertö“ schlicht und ergreifend nur Sumpf bedeutet.

Wen wundert es weiterhin, dass die Westufer-Orte und deren Behauser mit der Zeit einen etwas urbaneren Charakter annahmen und auch solche politischen Gewohnheiten entwickelten, während die im Seewinkel unterschiedliche, aber meist untergeordnete Rollen zu spielen hatten und entweder im Besitz von Magnatenfamilien - bis zu Maria Theresias Zeiten als Leibeigene - sich wieder fanden, oder von Klöstern "besessen“ wurden, die durch fromme Schenkungen oder reuevolle Stiftungen zur Erlangung des Seelenheils, wertvolle Gebiete, samt des an sich uninteressanten, weil austauschbaren, Bewirtschaftungspotential erhielten. Als Beispiel ist da Mönchhof (Sic!) anzuführen, das dem 80 km entfernten (damals eine Weltreise) Zisterzienserkloster Heiligenkreuz gehörte.

In unruhigen Zeiten blieb man besser fein unter sich. Fremde konnten meist nur unangenehme Dinge mit sich bringen. Das hat sich mehr oder weniger sogar ein wenig bis heute erhalten. Die weniger gustiöse Folgen sind die sagenhaften Verwandtschaftsverhältnisse. Was sich da über die Zeiten an Tanten, Onkel, Nichten, Neffen, angeheiratete Kusinen, Schwiegerelterliche Verbindungen etc. etc. angesammelt hat, ist ein unentwirrbarer Dschungel, der selbst passionierten Alten gehöriges rätseln abnötigt und öfters Beratschlagung und Rückfragen erfordert. Aber gleiche Namen von wagemutiger Gratwanderen zwischen den Orten tauchen allenthalben im Seewinkel auf.

Natürlich nicht zu vergessenen ist die nationale Mischung, Horvath und Nykosy, Peterka und Prikopil tauchen immer wieder auf.

Noch eine erstaunliche Folge ergab sich aus der "splendig Isolation“ der einzelnen Orte. Oh Tourist der Du hier schweifest, versuche Dich nicht mit dem Dialekte bei Deinen Wirtsleuten einzuschmeicheln (selbst wenn Du Österreicher seiest und eine gewisse "Lingua franca“ beherrschest). Ein mildes, verachtungsvolles Lächeln ist Dein Lohn.

Nehmen wir mal die Insassen der schönen Gemeinde Apetlon, die auch durch ihr allgegenwärtiges "Storchenhaus“ auf allen Tourismusprospekten bekannt geworden ist. Sie sind hier im Seewinkel allgemein als die "Franzosen“ bekannt. Kein Mensch versteht sie, auch nicht aus den Nachbargemeinden. Und so geht’s denn Illmitzern mit den Podersdorfern und umgekehrt, die aus St.Ändrä/Zicksee (den Zeiselburgern) mit denen aus Wallern, usw, usw. PS: Zeiselburger deswegen weil ihnen nachgesagt wird, dass dort die tatsächlich häufig vorkommenden Ziesel (nicht nur) in Notzeiten als Gulasch verarbeitet wurden.

Von den Heanzen will ich ganz schweigen.

Gezwungenermaßen ist daher der Seewinkler von Kindesbeinen an zweisprachig. Deutsch und Einheimisch. Sonst hat er Probleme.

Wanderlust….

Es dürfte weitgehend unbekannt sein, dass es auf diesem Globus ein dupliziertes Burgenland gibt, wenigstens was die "Leut“ betrifft.

Davon meldet die Neusiedler Wochenzeitung 1894:

"Aus verläßlicher Quelle erhalten wir nachstehende Zahlen über die aus dem Neusiedler Bezirke vom Jahre 1860 bis 1893 ausgewanderten Personen. Ausgewandert sind aus Banfalu (Apetlon) 423, aus Beratfalu (Mönchhof) 84, aus Boldogaszony (Frauenkirchen) 73, C. -Köbanya (Kaiser Steinbruch) 1, aus Feltorony (Halbturn) 388, aus Galos (Gols) 322, aus lllmitz 273, aus Neszider (Neusiedl am See) 55, aus Parndorf 101, aus Patlalu (Podersdorf) 147, aus Pomogy (Pamhagen) 629 und aus Vedeny (Weiden) 29, zusammen 3004 Personen".

Was war geschehen? Man erinnert sich: Hier war man arm, von Beruf her arm. Diese (un)wirtschaftlichen Umstände setzten um die Mitte des 19. Jhdt. eine Auswanderungswelle der bedrängten Landbevölkerung nach Amerika in Gang, die bis nach dem 2. Weltkrieg anhielt. aber um 1890 schlagartig anzusteigen und sich bis zum Ersten Weltkrieg zu einer Massenauswanderung zu entwickeln. Ein richtiges Auswanderungsfieber erfasste die Dörfer. War die frühe Auswanderung eine agrarisch geprägte Sache, ließen sich Einwanderer aus dem heutigen Burgenland als Industriearbeiter in Chicago, Pennsylvania und auch in New York nieder.
"Bis 1914 wanderten rund 30.000 Burgenländer nach Übersee aus. Allerdings war auch die Zahl der Rückwanderer beträchtlich. Rund 5000 kamen wieder in ihre Heimat zurück. Viele wollten einige Jahre in Amerika Geld verdienen, um dann ihr Erspartes in der heimischen Landwirtschaft oder in einem Gewerbe zu investieren.“ (Quelle Geschichte des Burgenlandes)
Berücksichtigt man, dass die Zahlen eher Mindestzahlen sind, kann davon ausgegangen werden, dass allein in Amerika die Nachkommen (Enkel- oder Urenkel) etwa 150.000 bis 200.000 Menschen leben, die aus dem Burgenland abstammen

Wer hätte das gedacht?

Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation der Burgenländer gegenüber den Tagen, als ich zum ersten Mal meine Nase in den hiesigen Wind steckte, sich wesentlich gebessert hat, sind wir hier immer noch eine Pendlernation. Arbeitsplätze sind nicht dicht gesät. Aber der Fortschritt ist mehr als Augenscheinlich

Allerdings zieht es die jüngere Generation auch hinaus in die urbanen Gegenden. Der Altersdurchschnitt in manchen Gemeinden ist hoch. Aber das ist ja nicht nur hier so.

Wer das langsamere Leben jedoch schätzt, das freundliche Lächeln, den Gruß statt dem aneinander Vorbeilaufen, die oft besetzte Tratschbank vor dem Haus und das "dischkerieren“, die willig im Hof als Sonnenschirm wachsenden Uhudler-Reben mit ihrem unvergleichlichen Geschmack nach einer Mischung von Johannisbeeren, Pflaumen und Pfirsich, und den Ruf der Gänse über sich liebt, der bleibt oder kommt.
Lilith
Lilith
Mitglied

Re: Das Burgenland
geschrieben von Lilith
als Antwort auf rodaroda vom 02.02.2011, 18:10:16
Eine sehr interessante Geschichte und unglaublich lebendig erzählt!
Hab' ganz herzlichen Dank dafür!
pippa
pippa
Mitglied

Re: Das Burgenland
geschrieben von pippa
als Antwort auf Lilith vom 02.02.2011, 18:39:22
Eine großartig erzählte Geschichte, die ich sehr gern gelesen habe.
Ganz herzlichen Dank.

Pippa
indeed
indeed
Mitglied

Re: Das Burgenland
geschrieben von indeed
als Antwort auf pippa vom 03.03.2011, 19:25:22
Diesen inhaltsvollen Bericht über das Burgenland habe ich erst heute entdeckt. Wunderbar erzählt mit einem Quentchen Ironie und Humor, sehr geschichtsträchtig und für mich sehr lehrreich. Alleine schon die Vogelwelt in diesem Bereich erläutert ist schon lesenswert. Ich habe deinen Blog sehr gerne gelesen.
Ich bin nur selten im Forum und ich meine, dass diese Fleissarbeit in Fortsetzungen unterteilt durchaus auch in den Blogs eingestellt werden könnte (sollte), z.B. unter Reiseberichte. Ich glaube, dort würde es mehr gelesen werden und ich kann es nur empfehlen. Bisher habe ich Burgenland eigentlich immer nur mit Wein in Verbindung gebracht
Hab aufrichtigen Dank für deine Geschichte, die eigentlich viel mehr ist als eine Geschichte.
Ein lieber Gruß von
indeed (Ingrid)

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