Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,

Diskussion historischer Ereignisse Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,

Mareike
Mareike
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Mareike
als Antwort auf Der-Waldler vom 19.11.2023, 15:51:37
Jalda Rebling, Tochter der Sängerin Lin Jaldati erzählt ähnliches:
 
"Lin und ihre Schwester Jannie kamen ins Lager Westerbork und überlebten Auschwitz, weil sie als politische Häftlinge galten. Mit dem letzten Transport wurden sie nach Bergen-Belsen verfrachtet. Bei der Befreiung wog Lin Jaldati noch 28 Kilo. Auch Jannie überlebte. Der kleine Bruder Jacob und die Eltern wurden ermordet.
Nie ist Lin Jaldati über diesen Verlust hinweggekommen. »Auf der einen Seite war sie diese starke Person, aber auf der anderen Seite eine schwer depressive Frau, die tagelang nicht aus der Dunkelheit rauskam«, erinnert sich Jalda Rebling.
Wirklich helfen konnte ihr niemand: »Das ist die Generation, die mit Valium behandelt wurde. Sie hat Berge von Medikamenten geschluckt.« 1953 wurde Lin Jaldati mit einer schweren Depression ins Krankenhaus Berlin-Buch gebracht. »Aber sie ist abgehauen. Willst du was mit deutschen Ärzten zu tun haben, wenn du aus Auschwitz kommst? Nein!«
Ihre Stütze waren ihr Mann und die Töchter Kathinka und Jalda, die gesegnet und gleichzeitig dazu verdammt sind, die Geschichte der Mutter immer wieder aufs Neue zu erzählen."

Wie wollen wir, wir die nicht unmittelbar damit konfrontiert waren, darüber befinden können, wie dieses Leid sich bei der Nachkommen auswirkt?

Sehr nachdenkliche Grüße
Mareike
Der-Waldler
Der-Waldler
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Der-Waldler

Dann habe ich wohl das Thema verfehlt, tut mir leid. Widerstand hat in meiner Familie niemand geleistet, dafür war die Angst ab irgendeinem Zeitpunkt zu groß, spätestens als offen jüdisch glaubende Menschen in der Nachbarschaft "verschwanden".

LG

DW

 

Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Anna842
als Antwort auf Der-Waldler vom 19.11.2023, 17:43:42
Du hast das Thema nicht verfehlt.
Es geht nicht hauptsächlich darum, ob und was deine Familie gemacht hat oder
gelitten hat.
Du kannst das schreiben, wie es für dich war. 
Ich finde es gut.
Ich schreibe vielleicht auch mal was...
Aber es geht primär um Widerstand.
Um gewaltfreien Widerstand.
Welche Bedeutung hat er?
Hat er noch eine Bedeutung?

Und natürlich soll er auch der Erinnerung dienen.
Das wir es nicht vergessen. !
Das ist mir wichtig.
Sonst hören wir nur und sehen es nur und erkennen: Nichts

Anna

 

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Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Anna842
als Antwort auf Mareike vom 19.11.2023, 17:41:18
Mareike, es geht nicht darum, ob wir etwas nachempfinden können.

Die tausende Frauen in Ravensbrück haben nicht alle das gleiche
empfunden. Das geht auch gar nicht.
Die Zeuginnen Jehovas haben in Ravensbrück anders gehandelt und
waren anders eingestellt, als die Gruppe der Kommunistinnen und die
waren wiederum anders, als die Gruppe der sog. Asozialen.

Selbst bei den " Sonderkommandos " in Auschwitz-Birkenau gab es
große Unterschiede: Etliche haben sich das Leben genommen, andere
haben sich geweigert und sind erschossen worden und wieder andere
haben einen Aufstand geplant und den auch durchgeführt und andere
hatten nur die Hoffnung zu überleben.....irgendwie...

In Auschwitz-Monowitz gab es jüdische Frauen, die Schwarzpulver
nach Birkenau geschmuggelt habe, andere haben versucht, sie
daran zu hindern, wieder andere haben sie an die SS verraten...

Was willst du da wie nachempfinden?

Und bei den Nachkommen wird es noch viel komplizierter.
Eines wollten sie auf gar keinen Fall: Reduziert werden auf
" die Nachkommen von Holocaust- Überlebenden. "

Es geht mir um den jüdischen Widerstand, den es in unterschiedlicher
Form gegeben hat.
Z.B. darum, an Olga Benario zu erinnern.

Anna

 
aixois
aixois
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RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von aixois
als Antwort auf Anna842 vom 19.11.2023, 18:01:22
Aber es geht primär um Widerstand.
Um gewaltfreien Widerstand.
Als ich in dem Alter war, in dem ich mich um die Frage Wehr-oder Zivildienst kümmern musste, befasste ich mich auch etwas ernsthafter mit 'Widerstand' und den Erfahrungen, derer, die sich dem Töten oder auch nur dem 'Regime' verweigerten, gar desertierten, oder auch nur kleine Spielräume nutzten, die ihnen ihr Umfeld bot.

Angehörige von Deserteuren mussten jahrzehntelang um ihre Rentenansprüche kämpfen, viele verstarben darunter, während die Hinterbliebenen von  SS - Größen, die Blut an den Händen hatten,  problemlos versorgt wurden wie z.B.die Witwe von Heydrich , eine 200 % Parteigenossin, Judenhasserin  und fanatische Scharfmacherin, die 40 Jahre lang, bis zu ihrem Tode 1985,  in den Genuss ihres Anteils der üppigen Pension ihres Mannes kam, des Polizei - Generals Reinhard Heydrich, verantwortlich für viele Kriegsverbrechen, 1942 in Prag vom tschechischen Widerstand umgebracht.

Für den Widerstand durch Desertion - "Fahnenflucht" - wurden selbst noch ihre Familien bestraft, die Verbrecher kamen meist ungeschoren davon.

Mir wurde damals klar, dass "Widerstand" keine deutsche Tugend ist , nicht etwas, was als 'ehrenhaft' angesehen wurde,sondern ein Verbrechen war. Jede Art von gewaltlosem Widerstand wurde durch alle möglichen Extra-Gesetze und Sondergerichte verfolgt und nicht selten mit dem Tode bestraft.

Man hatte zu gehorchen, weil sich das so gehört (und auch weil es mit dem Willen, dem Mut zum Widerstand,  nicht weit her war), Respekt vor Autoritäten, Ordnungsliebe, Zucht, Achtung vor Befehlen. ..  waren preussische Kardinaltugenden und sind es teilweise heute noch.

DE hat bis heute kein Gesetz für whistle-blower, das den Vorgaben aus Brüssel gerecht wird. Man tut sich schwer damit. Dem hängt immer noch irgendwie  der Geruch des Verrats/'Verräters' an.

In den Zeiten, in denen Hitler diktatorisch herrschte, ging jeder ein großes Risiko ein (mein Vater hörte BBC, vergaß aus Versehen die Hakenkreuzfahne aufzuhängen oder sie musste geflickt oder gerade gewaschen werden meine Mutter 'versorgte' heimlich ausgehungerte Fremdarbeiter ...  alles klein-widerständlerisch, wurde aber angezeigt und brachte Vorladungen auf der Gestapo ein ...),  wenn man so etwas wie 'Zivilcourage', Aufbegehren gegen Unrecht,   aufbrachte.

Gerade an einem Tag wie heute - Volkstrauer - fehlt mir immer noch ein besondere Hervorhebung , als Beispiele,  derer, die ihr Leben gelassen hatten oder leiden mussten, als Widerständler gegen das, was den Tod der vielen wegen derer jedes Jahr getrauert wird, verursacht hatte.
Ist eigentlich Mut zum Widerstand, das Hoffen auf Änderung, auf kommende Besserung, das Pendant zu erinnernder Trauer ?

Bis heute streiten sich die Gelehrten, was aktiver/passiver Widerstand ist, und was einfach nur Angst, Drückebergerei,  Verrat, Feigheit, Heimweh, usw. ist. 

Ich behaupte mal, DE hat keine hochentwickelte Tradition bzw. Kultur , was das "Lecken wider den Stachel" , den Widerstand oder auch nur dem Mut zum Widersprechen angeht. Man will doch im Alltag eher seine Ruhe haben, sich keinen Ärger einhandeln, eher nicht Position beziehen, sich nicht einmischen ...

Der erzieherische Befehl "Halt den Mund ! Widersprich mir nicht !" ist ja auch heute noch nicht ganz aus den Kinderzimmern oder Schulräumen verschwunden, Förderung von kritischem , widersprechenden, hinterfragenden Verhalten ist - ich hoffe ich täusche mich ? - kein prioritäres Erziehungsideal.

Wobei es interessant wäre, ob die kleine Anzahl derer (5-10%) die sich freiwillig für einen Kriegseinsatz (Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov; Frühjahr 2023) melden würden, nun Ausdruck von "Widerstand" (gegen den Krieg)  oder nur von "work-life Balance" ist. 1/4 würden abhauen - auch das eine Form des gewaltlosen Widerstands (stell dir vor es ist Krieg...) ?

Ob das jetzt teilweise OT war ?





 
Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Anna842
als Antwort auf aixois vom 19.11.2023, 19:17:12
Genau, stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin !

Dass mit der Rentenzahlung an SS, ist mir auch bekannt.
Das war eben Nachkriegsdeutschland.
Übel.

Nun zu der Nazi-Zeit: Die ZeugenJehovas, die waren es.
Alle Männer haben sich geweigert. Grund: Das 5. Gebot.
Das galt für sie immer. Sie hatten bekannterweise in den KZ's
einen eigenen Winkel.

Und was machen deren Frauen? Rennen herum und wettern gegen den Krieg.
Ab nach Ravensbrück.
Und was machen sie dort?
Als sie Wehrmachtsuniformen nähen sollten, da haben sie sich doch
glatt geweigert.
Auch Patronenhülsen herstellen? Mit uns nicht.!
Die SS war ratlos. Was tun mit 3.800 Zeuginnen, die noch nicht mal
Knöpfe an Uniformen nähen wollten. Also geht's noch??

Himmler kam öfter mal in Ravensbrück vorbei, weil er in der Nähe
ein Liebchen hatte.
Die SS frug ihn, ob sie mal 200-300 Zeuginnen erschießen sollen,
damit dann die anderen gefügig werden, denn sich der SS zu widersetzen,
welch ein Affront.
Aber Himmler meinte, dass würde rein gar nix bringen, außer einen Haufen
Leichen.
Und so wurden die Zeuginnen in der Küche, im Krankenrevier, in der Gärtnerei,
in der Wäscherei eingesetzt und machten, im Gegensatz zu anderen,
überhaupt keinen Ärger mehr, so nach dem Motto: Bete und arbeite.

Aber sie sollen sehr liebevolle und gute Krankenpflegerinnen gewesen
sein, die sich vor rein gar nix geekelt haben.

Würde ich in einen Krieg ziehen?
Vor dieser Frage stand ich zum Glück noch nie.
Und jetzt bin ich zu alt.
Aber ich glaube, ich wäre eher getürmt.
Nicht weil ich feige oder so etwas war, nein, das Gegenteil wäre mir
passiert: Ich wäre aus dem Morden nicht mehr heraus gekommen.
Ich wäre zur Bestie mutiert. Nicht mit mir.
Sani, das wäre gut. Das wäre ich in einem Krieg. Echt.

Anna

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Michiko
Michiko
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Michiko

„Wir wollen freie Menschen sein“ - mit dieser Forderung wenden sich am 17. Juni 1953 Hunderttausende in der DDR gegen das SED-Regime. Die Unzufriedenheit über die Folgen des von Walter Ulbricht angekündigten „planmäßigen Aufbaus des Sozialismus“ treibt sie auf die Straße. Alarmiert durch die unerwartete Protestwelle rufen die Machthaber sowjetisches Militär zur Hilfe. Panzer rollen, sowjetische Truppen treiben unterstützt von Einheiten der Volkspolizei die Menschenmengen auseinander. Eine Verhaftungswelle läuft an und 50 Menschen mussten ihr Leben lassen.

36 Jahre später im Herbst 1989 haben die Bürger der DDR endgültig genug! „Wir sind das Volk“ heißt es. Beflügelt von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion gehen wieder Hunderttausende für die demokratische Erneuerung ihres Landes auf die Straße. Ich höre noch heute die Stimme von Stefan Heym auf der Demo am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz:
"Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit."
 

Und am 9. November fiel die Mauer.

1953 und 1989 sind die Schlüsseldaten in der Geschichte von Widerstand und Opposition in der DDR. Viele DDR-Bürger haben in diesem Zeitraum Widerstand geleistet, wurden inhaftiert, wurden ausgewiesen, von der allgegenwärtigen Staatssicherheit willkürlich verhört und drangsaliert, ich erinnere mich an vieles, längst nicht an alles. Ich dachte, das gehört hier auch in Deinen thread Anna.
Eine von vielen Oppositionellen war die Liedermacherin Bettina Wegner vlt. sagt Dir der Name etwas. Sie wurde observiert, als feindlich-negative Person deklariert und 1983 ausgewiesen. Bekannt vor allem ihr Lied "Sind so kleine Hände". Sie ist mein Geburtsjahrgang und lebt in Berlin.

Michiko

Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Anna842
als Antwort auf Michiko vom 19.11.2023, 19:43:27
Liebe Michiko,
das Lied von Bettina Wegener " Kinder " habe ich dem thread
" Frieden schaffen wer wie wo..," eingestellt.
Hatte jedoch den Eindruck, es interessiert niemanden sonderlich.
Dabei ist es ein so tolles Lied, besonders, wenn wir friedfertige
Menschen wollen, mit Rückgrad, wie sie singt.

Der thread ist generell offen.
Wenn ich einen aufmachen, dann gibt es kein Off Topic.

Ich werde weiter mein Anliegen im Auge behalten: Jüdischer
Widerstand in der NS-Zeit.

Alle anderen können ihre Eindrücke, ihre Ideen hinein geben.
Manchmal sind es auch Assoziationen.

Ach ja, ich habe eine CD von ihr. Diese heißt glaub ich auch "Kinder "
Da ist auch das Lied  " Ikarus " drauf. Ein tolles Lied.

Ich spiele und singe es auf der Gitarre.
Weil ich eine Frau bin habe ich es auf die weiblichen Pronomien
umgeschrieben. Bei mir heißt es auch " Ikara "

Anna
Anna842
Anna842
Mitglied

RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von Anna842
schorsch
schorsch
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RE: Widerstand ist nicht die Frage danach, ob du siegen wirst,
geschrieben von schorsch
als Antwort auf Anna842 vom 20.11.2023, 03:01:07

Traurig. Nur die letzten paar Sekunden bringt noch etwas Hoffnung.....


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