Diskussion historischer Ereignisse Putin verstehen, aber wie?

Karl
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von Karl
als Antwort auf steffen vom 05.03.2015, 14:08:12
Hallo Steffen,

ich bin noch nicht überzeugt, dass wir wirklich dasselbe meinen. Ich sehe keine geheimen Mächte am Werk, durchaus auch Politiker. Nicht alle sind Marionetten der Wirtschaftsbosse, deren Einfluss ich allerdings nicht unterschätzen will.

Was ich sagen wollte war, nicht eine Einzelperson allein bestimmt die Politik nach Innen oder Außen, das politische und wirtschaftliche Korsett der Gesellschaft ist ebenso wichtig im Inneren und internationale Beziehungen sind ein Wechselspiel der Nationen. Wenn etwas schief läuft, ist nie nur ein Mann oder eine Frau alleine schuld.

Karl
olga64
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von olga64
als Antwort auf carlos1 vom 04.03.2015, 16:34:35
Wir müssten sehr daran interessiert sein ein gutes Verhältnis zu Russlad zu haben; die Argumente und Begründungen der russischen Politik sollten wir deshalb kennen. Nichts davon wissen wollen wäre anmaßend.
[/quote]

Wir müssen uns bemühen, mit allen Staaten gute Verhältnisse zu haben - da wir mit den meisten auch gute Geschäfte machen (wollen). Aber das beinhaltet nicht, dass wir vor Russland und diesen oft unerträglichen innenpolitischen Geschehnissen kuschen sollen - es ist richtig, wenn wir auch Herrn Putin auffordern, z.B. endlich mal für Aufklärung zu sorgen, wenn wieder mal ein Oppositioneller dort umgebracht wird - von wem auch immer.
Ich wollte mir gestern via Anne Will Wissen aneignen und fand diese Talkshow wieder mal sehr anstrengend. Es wurde - bis auf die kluge Frau Leutheusser - praktisch nur dazwischengekeift. Eine Ausnahme bildete aber auch der besonnene Dietmar Bartsch - bei ihm wünsche ich mir immer,dass er eine höhere Rolle in der Partei die Linke spielen könnte.
Herr Röttgen ist anscheinend auch dabei, sich wieder nach oben zu robben. Es scheint ihm auch zu gelingen.
Der russische Journalist erschien mir aber wirklich so, als sei er ein Sprachrohr von Putin`s Gnaden und muss sich jedes Wort überlegen, das er sagte und auch gezielt seine Angriffs-Modi setzen. Schade um die Zeit. Olga
Tina1
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von Tina1
Mord an Boris Nemzow - Wie gefährlich ist Opposition gegen Putin?

"Über den Mord an Boris Nemzow diskutieren Norbert Röttgen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dmitri Tultschinski, Boris Reitschuster und Dietmar Bartsch."

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sittingbull
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von sittingbull
als Antwort auf carlos1 vom 04.03.2015, 16:34:35
Die USA haben andere Aggressionen unternommen. Die Fehler lassen sich zusammenzählen.


genau ... und zwar in einem unmissverständlichen verhältnis :

" 1945/49, CHINA: Im chinesischen Bürgerkrieg greifen die USA auf der Seite Chiang Kaisheks gegen die Kommunisten ein.

1945/53, PHILIPPINEN: Niederschlagung der philippinischen Widerstandskämpfer, die gegen die japanischen Invasoren kämpften. Die USA machen den Diktator Ferninand Marcos zum starken Mann.

1946/49, GRIECHENLAND: Zusammen mit britischen Truppen sorgen US-Einheiten im »griechischen Bürgerkrieg« für die Niederlage der antifaschistischen Widerstandsbewegung, die im Kampf gegen die deutsche Besatzung die Hauptlast getragen hatte.

1950, PUERTO RICO: US-Kommandotruppen schlagen eine Rebellion für die nationale Unabhängigkeit nieder.

1950/53, KOREA: Intervention im Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südkorea auf der Seite des Südens. Der Sprengstoffeinsatz der USA entspricht fast der Hälfte aller von den USA im Zweiten Weltkrieg verwendeten Bomben und Munition. 500.000 Südkoreaner und zwei Millionen Nordkoreaner kommen ums Leben.

1953, IRAN: Die gewählte Regierung Mossadegh beschließt die Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company. Daraufhin putscht das von der CIA ausgebildete und kontrollierte Offizierscorps. Die zuvor englischen Ölfirmen werden von einem US-Konsortium übernommen. Die USA holen den Schah ins Land zurück und liquidieren die iranische Demokratie.

1954, GUATEMALA: Die CIA organisiert den Putsch gegen die rechtmäßige Regierung Arbenz in Guatemala, die im Rahmen der Bodenreform die US-Firma United Fruit Company verstaatlichen will. 140.000 Indios werden umgebracht oder verschwinden spurlos.

1956, ÄGYPTEN: Der Präsident von Ägypten Nasser entwickelt sich zu einem der Führer der blockfreien Länder. Die US-Regierung ziehen ihre Anleihe für den Assuan-Staudamm zurück. Nasser kündigt die Verstaatlichung des Suezkanals an. England, Frankreich und Israel greifen Ägypten in einer konzertierten Militäraktion an. Im Gefolge der »Suez-Krise« übernehmen die USA die Rolle der Nummer eins im Nahen Osten.

1958, LIBANON: 14.000 US-Marines besetzen das Land. Die vom pro-amerikanischen Staatspräsidenten Chamoun eingeleiteten Wahlmanöver und Gesetze sollen die Opposition gleichsam ausschalten. Daraus resultierende Aufstände werden mit einer Invasion von 14.000 US-Soldaten beantwortet.

1961, KUBA: In Guatemala trainiert die CIA eine exil-kubanische Söldnerarmee, die im April 1961 die Invasion in der Schweinebucht im Osten Kubas unternimmt, um die sozialrevolutionäre Regierung Castros zu stürzen. Als die Invasion scheitert, gehen die USA zu einer scharfen Blockadepolitik über.

1961, KONGO/ZAIRE: CIA-Söldner ermorden den ersten nachkolonialen Präsidenten Lumumba, der eine Position im Interesse seines Landes bezogen hatte. Die Söldnertruppen übernehmen nach und nach die Macht; 1965 wird Mobutu Präsident von Gnaden der USA, der während der nächsten Jahrzehnte ein Schreckensregiment errichtet.

1962, LAOS: Die CIA baut in Laos eine geheime Armee auf, die auch in Vietnam eingreift. Das ist gegen das Genfer Abkommen, das die Anwesenheit ausländischer Truppen in Laos verbietet.

1963, IRAK: Nachdem der Irak den Bagdadpakt verlassen hatte und der Vorsitzende des Revolutionsrates General Kassem den Einfluss ausländischer Ölkonzerne durch eine nationale Ölgesellschaft brechen wollte, wurde er durch einen CIA-inspirierten Putsch gestürzt.

1963-75, VIETNAM: US-Intervention mit 1.600.000 US-Soldaten. Die Sprengkraft der amerikanischen Bomben und Raketen übertrifft die des Zweiten Weltkrieges um das dreifache. Drei Millionen Menschen kommen ums Leben, eine halbe Million werden verkrüppelt und 900.000 Kinder bleiben als Waisen zurück.

1963-1990, SÜDAFRIKA: Mit ihren Aufklärungssystemen unterstützt die CIA die Jagd auf Gegner des Apartheidsystems. Die Festnahme von Nelson Mandela wird von der CIA organisiert.

1964, BRASILIEN: Der 1961 gewählte Präsident Joao Goulart setzt soziale Reformen in Gang, erlässt Höchstgrenzen für den Abfluss von Profiten ins Ausland und verstaatlicht eine Tochter des US-Konzernes ITT. Die CIA organisiert einen Putsch und verhilft einer Militärjunta zur Macht.

1965, DOMINIKANISCHE REPUBLIK: Der demokratisch gewählte Präsident Juan Bosch wird wegen seiner Sozialreformen vom Militär weggeputscht. Als eine wachsende Volksbewegung seine Rückkehr fordert, schicken die USA Militärs auf die Insel und schlagen den Aufstand nieder.

1965, INDOCHINA: Suharto, ein bedingungsloser Gefolgsmann Washingtons, putscht mit Unterstützung der CIA gegen die Regierung Sukarno, die eine blockunabhängige Außenpolitik verfolgt. Bei seiner Machtergreifung werden 250.000 Kommunisten umgebracht.

1966, PANAMA: Amerikanische Soldaten schießen auf friedliche Demonstranten, die die Rückgabe des Panamakanals fordern.

1967, GRIECHENLAND: Wenige Wochen vor den Wahlen inszeniert die CIA den »Obristenputsch« gegen die demokratische Regierung Griechenlands. Beginn einer siebenjährigen Diktatur. Mehrere tausend demokratische Bürger, Studenten und Offiziere wurden verhaftet und gefoltert.

1967, BOLIVIEN: Die CIA unterstützt den Kampf der bolivianischen Armee gegen die aufständische Guerilla und dirigiert die Festnahme und Ermordung von Che Guevara.

1972, HONDURAS: Nach direkten Interventionen der USA und Militärputschen 1972, 1975 und 1978 oktroyieren die USA im Jahr 1980 eine verfassungsgebende Versammlung, zu deren Wahl Christdemokraten, Sozialisten und Kommunisten nicht zugelassen sind.

1973, CHILE: 1973 putscht General Pinochet auf Betreiben der USA und mit Unterstützung der CIA gegen die chilenische Linksregierung unter Salvador Allende. Präsident Allende wird ermordet, tausende Aktivisten werden von den Todeskommandos gejagt und umgebracht. Der damalige US-Außenminister Kissinger: »Ich sehe nicht ein, dass wir zulassen sollten, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist«.

1974, ZYPERN: Die griechische Junta organisiert mit Hilfe der USA einen Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Erzbischof Makarios. Der Präsident kann dem Attentat entkommen, aber die Türkei überfällt Zypern. Als die Demokraten in Athen die Obristenjunta verjagen, unterstützt US-Außenminister Kissinger die Türkei, es kommt zur Teilung Zyperns. Tausende werden getötet, 200.000 Menschen verlieren ihre Heimat.

1975, OSTTIMOR: Die USA weigern sich, die von der Befreiungsbewegung Fretilin ausgerufene Republik (früher eine Kolonie Portugals) anzuerkennen und unterstützen die Invasion des Landes durch das indonesische Suharto-Regime. In den anschließenden Massakern werden 200.000 Timoresen getötet.

1976, ARGENTINIEN: Unter Anleitung der CIA findet ein Militärputsch gegen die zivile Regierung statt. Todesschwadronen im Auftrag des Videla-Regimes terrorisieren das Land. Tausende werden ermordet oder verschwinden für immer.

1976/1982, ANGOLA: Die USA unterstützen mit Waffen und Spezialkommandos die vom rassistischen Südafrika ausgerüsteten Rebellen gegen die Regierung der nationalen Befreiung. Das Land versinkt in einem selbstzerstörerischen Bürgerkrieg.

1980-1988, IRAN/IRAK: Nach dem Sturz des US-Verbündeten Shah Reza Pahlewi im Iran, rüsten die USA den Irak mit modernsten Waffen zum Angriff auf den Iran. Im 8-jährigen Krieg unterstützen die USA den Irak mit Aufklärungsmaterial von Satelliten und Flugzeugen. Gleichzeitig beliefern die USA auch den Iran mit Waffen mit dem Ziel, dass sich die beiden Länder gegenseitig ausbluten. Eine Million Menschen kommen in diesem Krieg ums Leben.

1980-1990, AFGHANISTAN: 1979 marschieren Sowjettruppen in Afghanistan ein und stürzen die afghanische Regierung. Die CIA heuert aus allen arabischen Ländern Aktivisten des islamischen Fundamentalismus an, um sie als »Heilige Krieger« gegen die Sowjets einzusetzen. Zu den von den USA ausgebildeten Terroristen gehört auch Bin Laden, dessen »Al-Qaida« unter der Ägide der CIA entsteht.

1981/1985, NICARAGUA: Aus dem Waffengeschäft mit dem Iran finanziert die US-Regierung den Aufbau und Unterhalt einer Söldnertruppe in Nicaragua, die sich vor allem aus Soldaten und Offizieren der Armee des früheren Diktators Somoza zusammensetzt. Die CIA beteiligt sich an der Verminung nicaraguanischer Häfen.

1981/1992, EL SALVADOR: Der CIA-Agent Roberto d´Aubuisson gründet die ARENA, deren Todesschwadronen tausende Regimegegner umbringen, darunter den Erzbischof Oscar Romero. Auch nach dem Friedensschluss 1992 setzt die ARENA ihre Mordaktionen fort.

1982, FALKLANDS/MALVINAS: Die USA unterstützen Großbritannien im Feldzug zur Wiedererlangung der Inseln vor Argentinien mit Satellitenaufklärung und anderen technologischen Einrichtungen. 750 argentinische und 250 britische Soldaten kommen bei der Aktion ums Leben.

1982/1984, LIBANON: Unter Einsatz von Kriegsschiffen und -flugzeugen sowie ihrer Marines an Land vertreiben die US-Truppen die PLO und installieren die Phalangisten als dominierende Macht.

1983, GRENADA: Die USA überfallen das kleine mittelamerikanische Land, liquidieren die marxistische Regierung und setzen ein ihnen genehmes Regime ein. Über 400 Grenadier und 84 Kubaner, vor allem Bauarbeiter, werden umgebracht.

1984/1986, LIBYEN: Angriffe der US-Luftwaffe fordern mindestens 40 zivile Opfer.

1986, HAITI: Nachdem der US-Vasall »Baby Doc« Duvalier wegen seiner Eskapaden nicht mehr zu halten ist, installieren die USA eine Militärjunta.

1989/90, PANAMA: Bombardement von Panama City. 27.000 US-Soldaten übernehmen die Kontrolle und verhaften die Regierung Noriega. Über 2.000 Menschen sterben. Angeblich geht es um die Verhaftung Noriegas, dem Drogenhandel vorgeworfen wird. Ein Verbrechen, das Noriega jahrelang mit Wissen und zum großen Teil im Auftrag der CIA begangen hat.

1991, HAITI: Die CIA veranlasst einen Militärputsch gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten, Jean-Bertrand Aristide. Die neue Militärjunta stürzt das Land in eine dreijährige Periode schlimmster Menschenrechtsverletzungen.

1991, IRAK: Nach dem Überfall des Irak auf Kuwait bombardieren die USA mit einigen Verbündeten den Irak und besetzen weite Teile des Landes. Bei den Angriffen kommen schätzungsweise 320.000 Menschen ums Leben. Die Zerstörung der Infrastruktur, weitere Bombardierungen und das bis heute andauernde UN-Embargo haben zum Tod von möglicherweise bis zu einer Million Menschen geführt.

1992/1994, SOMALIA: US-See- und Luftstreikkräfte stellen sich im Rahmen einer UN-Mission auf die Seite der ihnen genehmen Fraktion im Bürgerkrieg. Der Einsatz endet in einem Fiasko.

1993/1995, BOSNIEN: Im Rahmen von NATO-Aktionen bombardieren Kampfflugzeuge serbische Stellungen.

1995, KROATIEN: US-Kampfflugzeuge bombardieren, zwecks Vorbereitung einer kroatischen Offensive, serbische Flugplätze.

1998, AFGHANISTAN: Angriff mit Cruise Missiles auf frühere CIA-Ausbildungslager, wo Einheiten von Bin Laden vermutet werden. Die USA machen Bin Laden für Anschläge auf US-Botschaften verantwortlich.

1998, SUDAN: Raketenangriff auf eine pharmazeutische Fabrik, die angeblich Nervengas für Terroristen herstellt. Die Hälfte der pharmazeutischen Vorräte wird durch den Angriff vernichtet. Die USA erklären später, dass es sich um einen Irrtum gehandelt habe.

1999, JUGOSLAWIEN: Völkerrechtswidriger Angriff der NATO auf die BR Jugoslawien. Einsatz von Uranmunition und Splitterbomben. Bis zu 4.000 Menschen werden getötet, bis zu 8.000 verletzt, durch die Bombardierung von Chemiefabriken Erdgasanlagen und Erdölraffinerien werden weite Gebiete verseucht.

2001/2002, AFGHANISTAN: Im Zuge der Operation »Enduring Freedom« werden zumindest 5.000 Zivilisten getötet. Schätzungen von Friedensforschern vermuten sogar einige zehntausend Tote. In Afghanistan wird eine dem Westen genehme Regierung unter der Führung der »Nordallianz« eingerichtet, die punkto Grausamkeit den Taliban keineswegs nachsteht, aber umgehend den Bau einer Erdölpipeline genehmigt.

aus: guernica 5/2002 und guernica 6/2002
Tina1
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von Tina1
Günther Jauch

Die Sendung vom Sonntagabend.

"Gelohnt hat sich das Einschalten schon allein wegen Schanna Nemzowa, der mutigen Tochter des ermordeten russischen Oppositionellen Boris Nemzow.
Ob Putins Russland auf dem Weg in die Diktatur sei, hatte Günther Jauch in seiner Sendung wissen wollen. Die Tochter des ermordeten Boris Nemzow schildert Druck, Beschattung, Drohungen. Und auch die zweite Frau der Runde ( Ina Ruck, lange Jahre ARD-Korrespondentin in Moskau) weiß an diesem Abend zu überzeugen."

keine-ermordeten-putin-freunde
olga64
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von olga64
als Antwort auf Tina1 vom 10.03.2015, 06:53:37
Ja, ich empfand ähnlich. Allerdings frage ich mich allmählich wirklich, warum noch jemand Herrn Platzeck einlädt, der durch seine Verwicklung eines deutsch-russischen Clubs ja meist zu viel Angst hat, um etwas zu sagen ausser einigen vorgeformten Worthülsen. Der Mann ist m.E. in jedem seiner Ämter, die er ja meist vorzeitig aufgab, eine rechte Enttäuschung. Man sollte ihn nicht mehr einladen und dafür anderen Leuten, die wirklich Ahnung haben und diese auch einigermassen anständig artikulieren können und wollen, mehr Raum geben. Olga

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Tina1
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von Tina1
Was-gibt-es-da-zu-verstehen

Offener Brief an Krone-Schmalz

"Ich bin als Professor für Slavische Philologie jemand, den man einen Russland-Versteher nennen könnte. Viele Monate habe ich in Russland verbracht, ich publiziere fast nur noch auf Russisch, zu vielen Kolleginnen und Kollegen in russischen Universitäten unterhalte ich freundschaftliche Beziehungen. Meine Liebe zu Russland wurde geboren aus der Liebe zur russischen Literatur, dieser einmaligen Kombination tiefen Nachdenkens mit artistischer Virtuosität. Und gerade weil ich Russland liebe, lassen mich die Ereignisse seit der Annektion der Krim nicht mehr ruhig schlafen.

Vor allem die mediale Begleitmusik aus den russischen staatlichen Medien fügt mir einen geradezu physischen Schmerz zu. Sie als Russland-Kennerin unter den Medienwissenschaftlern verfolgen doch sicherlich die offizielle russische Berichterstattung zur Ukraine. Was gibt es da zu verstehen? Selbst wenn man sich streng um Neutralität bemüht, selbst wenn man realpolitisch von Interessen und Einflusssphären spricht - selbst dann ist diese Berichterstattung unerträglich. Ich war in der Brezhnev-Zeit in Moskau, ich weiß, was sowjetische Propaganda war, doch sie reichte nicht an dieses Gemisch von Lügen und Hetze heran. Warum ruft das nicht Ihre Empörung als Journalistin hervor? Sprechen Sie darüber in ihren medienwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen?"
dutchweepee
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Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von dutchweepee
Ein GASTBEITRAG von Gert Ewen-Ungar

"Der Vorlauf zu meinem Besuch im Moskau begann schon 2013. Am 31.08.2013 um genau zu sein. An diesem Tag versammelten sich tausende Demonstranten vor der Russischen Botschaft in Berlin um gegen ein Gesetz zu protestieren, das unter dem Schlagwort Homophobie-Gesetz die deutsche und westliche Öffentlichkeit empörte. Ich hatte mich auch empören lassen und lief mit.
Eine ausgesprochene Dummheit, für die ich mich heute schäme. Ich schäme mich deshalb, weil ich all das, was ich im Nachklang der Demonstration an Recherche unternahm, vorher hätte unternehmen sollen. Hätte ich es getan, wäre ich nicht hingegangen. Doch immerhin war das der Tag, an dem Russland überhaupt wieder in meinen Gesichtskreis rückte.
Aus diesem war es unbemerkt Mitte der neunziger Jahre verschwunden. Unter Gorbatschow war ich euphorisch, glaubte an Annäherung und Zusammenarbeit, unter Jelzin wollte ich meine Ausgabe von Marx’ “Das Kapital” ins Antiquariat bringen. Dann war es still. Manchmal plätscherte es noch ein bisschen, Georgienkrieg, Tschetschenien, aber das war alles weit weg.
Erst 2013 wurde ich durch Putins perfide Attacke auf die Schwulenrechte aus meinem Schlaf gerissen. Vehement! Ein bisschen zu vehement allerdings.
In der Monate andauernden Berichterstattung über die schwindenden Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen in Russland sah es nämlich in den deutschen Medien so aus, als würde sich Bundespräsident Gauck schützend vor die queere Community stellen und aus Protest nicht nach Russland zu den Olympischen Spielen nach Sotchi reisen. Das war dann doch zu viel des Guten, in keiner Weise mehrglaubhaft, löste daher bei mir die allergrößte Skepsis aus.
Dass in Russland Schwule und Lesben unter Druck sind, diesen Schritt war ich bereit, ohne Überprüfung mitzumachen, es schien mir plausibel. Dass ein Bundespräsident deshalb ein Land diplomatisch brüskiert, das war doch deutlich zu viel der Solidaritätsbekundung, zumal gleichgeschlechtliche oder, um es in der russischen Diktion zu sagen, nicht traditionelle Lebensentwürfe hier in Deutschland, Europa und dem Westen ebenfalls umstritten sind, sich auch nicht gerade einer langen, jahrhundertealten Tradition erfreuen. Es ist auch hier ziemlich neu, das gleichgeschlechtliche Partnerschaften schützenswert sind.
Also setzte ich mich hin und suchte nach einer deutschen Übersetzung des besagten Gesetzestextes, der fortan die russischen Schwulen und Lesben von jeder Beteiligung am öffentlichen Leben ausgrenzen würde, der sie der Gewalt von Nazi-Schlägern überließ, ohne dass die Polizei eingriff, die einem klerikalen Mob das Recht gab, Homosexuelle zu misshandeln und zu drangsalieren. Ich suchte und ich wurde auf paradoxe Weise fündig, denn ich fand – nichts!
Da braust ein Sturm der Empörung durchs Land, da werden Schreckensszenarien beschworen, wie in Russland Lesben, Schwule und Transsexuelle in grausamster Weise unterdrückt werden, da wird dem Präsidenten der Russischen Föderation unterstellt, er wäre persönlich verantwortlich, würde aufgrund seiner Homophobie einem Monarchen gleich einfach mal so homophobe Gesetze erlassen, da wird die Schwulenfeindlichkeit einer ganzen Nation konstatiert, da wird all dies behauptet und der Stein des Anstoßes, das Gesetz selbst findet sich in den Weiten des Internets nicht in einer Deutschen Übersetzung? Das war ausgesprochen interessant.
Inzwischen bin ich, was das Gesetz angeht schlauer. Es handelt sich um Ergänzungen in einigen Gesetzen des Zivilrechts. Nicht des Strafrechts wohlgemerkt und es geht ausschließlich um Jugendschutz. Das Wort Homosexualität kommt nicht vor. Ich will jetzt nicht in die Tiefe von Gesetzestexten eintauchen, ich bin kein Jurist.
Allerdings ist für mich zu meinem eigenen Erstaunen der Eindruck entstanden, die Gesetzeslage sei in der russischen Föderation trotz des Gesetzes in vielerlei Hinsicht deutlich liberaler als sie es zum Beispiel in zahlreichen Bundesstaaten der USA ist.
Dieses Erlebnis weckte eine größer werdende Skepsis im Hinblick auf unsere Berichterstattung gegenüber Russlands. Diese Skepsis kam keinen Augenblick zu früh, denn inzwischen zog die Ukrainekrise herauf und die Schärfe, die die deutschen Medien gegenüber der Russischen Föderation an den Tag legten, nahm mit jedem Tag ein bisschen zu. Spätestens als der Bürgerkrieg ausbrach, überschlugen sich die deutschen Medien mit Falschmeldungen, die als Lügen zu bezeichnen man kaum vermeiden kann.
Leider, das stellte ich bei dieser Gelegenheit auch fest, konnte man all das Geschreibsel von der angeblich ebenfalls stattfindenden russischen Propaganda nicht überprüfen, ich konnte kein Russisch, war daher darauf angewiesen, dass die Information in der Presse stimmte. Dieser misstraute ich jedoch inzwischen zutiefst, es war einfach in sich nicht schlüssig und evident.
Um dem Abhilfe zu schaffen, buchte ich einen Sprachkurs und suchte per Internet nach Kontakten nach Russland, was erstaunlich leicht gelang.
Die Informationen, die von dort kamen, waren diametral zu denen, die hier in den Medien verbreitet wurden. Natürlich war nicht alles super, wo war es das schon. Außerdem pflegt man in Russland, inzwischen weiß ich das, eine gewisse Larmoyanz. Meine russischen Freunde waren gegenüber ihrem Land viel kritischer als wir es gegenüber unserem sind. Wir sind im Hinblick auf uns selbst recht blind und ungesund selbstzufrieden. Wir sind Exportweltmeister, das ist doch super. Wir sind Wirtschaftslokomotive, wir sind das Modell für Europa.
Die Problematik, die sich hinter all dem verbirgt, übersehen wir mit einer Mischung aus Arroganz und Ignoranz.
Der Larmoyanz ungeachtet meinten alle meiner Kontakte, die Freiheit habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zugenommen, erheblich zugenommen. Das war der Tenor, der mir entgegenschlug. Und noch etwas wurde mir deutlich: Im Gegensatz zu unserer Selbstwahrnehmung betrachten uns meine russischen Freunde keineswegs als frei, sondern als am Gängelband der USA gehalten. Aus dieser Perspektive erscheint Russland mit Berechtigung viel freier. Und dieser Anspruch, in vielerlei Hinsicht, vor allem aber politisch freier zu sein als die Menschen in der Bundesrepublik, zog sich wie ein roter Faden durch meine Unterhaltungen. Ein Augenöffner! Eine diskussionswürdige Perspektive.
Spätestens dann wurde mir klar, ich müsste dringend mal nach Russland, um mir selbst ein Bild zu machen. Ich hatte das Gefühl, keine zwei Flugstunden von hier ist eine Welt, zu der ich keinen Zugang hatte, ein völlig unbekanntes Terrain, eine andere Sicht, die man dringend wahrnehmen muss, denn sie könnte viel erhellen.
Wenn in Florida die Schulkinder aufgrund des Wetters auf ihrem Weg zur Schule einen Schal tragen müssen, wurde ich darüber umfassend bis zur Belästigung informiert. Über Russland – nichts. Nichts über Alltag in Russland, russische Feste, russische Filme, russischen Pop, nichts. Lediglich Informationen zu politischen Themen, denen ich nicht mehr traue, denn sie sind überzogen, einseitig, verstoßen gegen Evidenz, Psychologie, Hermeneutik und Erfahrung, sind offensichtlich dazu gemacht, zu manipulieren, sind hoch aggressiv.
Während ich in meinem Sprachkurs erfuhr, dass Duma, der Name des russischen Parlamentes von dem Verb “dumat”, denken abgeleitet ist, wurden im deutschen Parlament, dessen Name immer wirklichkeitsnaher vom Wort labern abgeleitet werden kann, Sanktionen gegen Russland befürwortet.
Schließlich saß ich dann tatsächlich im Flugzeug nach Moskau. Von meinem Internetkontakt Dmitry wurde ich abgeholt, in seiner Wohnung sollte ich die nächsten Tage verbringen. Ich hatte Schwierigkeiten dieses Angebot anzunehmen, schließlich kannte ich ihn im Grunde nicht. Ich hatte mich dennoch darauf eingelassen. Zur Not, so war mein Plan, würde ich in ein Hotel umziehen.
Dmitry, der in Moskau eine Künstleragentur und einen Kostümverleih betreibt, legte eine mir in diesem Ausmaß unbekannte Gastfreundschaft an den Tag. Ich hatte den Wunsch geäußert, ich wolle die schwule Szene von Moskau sehen. Genau das bekam ich. Wir besuchten Cafés und Bars, besuchten ein Freundespaar, zwei Programmierer, die zusammen in einer Wohnung in einer Moskauer Satellitenstadt lebten, gingen in Discos und sahen diversen Damenimitatoren bei ihren Auftritten zu.
Langer Rede kurzer Sinn, von der in Deutschland an die Wand gemalte Unterdrückung keine Spur. Keine Razzien, keine Übergriffe durch Nazis, keine Attacken orthodoxer Christen. Es gibt in Moskau eine funktionierende Szene, die genauso funktioniert wie die Szene in anderen europäischen Metropolen auch. Mir wurde gesagt, die Szene in St. Petersburg wäre noch viel besser und die in Jekaterinburg müsste ich auch unbedingt mal sehen.
Wir sprachen viel über queere Politik. Ich trug deutsche Argumente vor. Ja, es gab in Moskau keine Gay Pride. Meine Gesprächspartner waren sich aber auch gar nicht sicher, ob das ein Ziel sein sollte. Ein Argument, das immer wieder fiel, war, der Christopher Street Day sei ein durch und durch US-Amerikanisches Fest, es hätte mit Russland und seiner Geschichte gar nichts zu tun. Es hätte da nie die Übergriffe von Polizei auf Bars wieStonewall-Inn in der New Yorker Christopher Street gegeben, die dann Auslöser für die Proteste in den USA waren. Warum sollte man das feiern? Man hätte eigene Probleme, die eigene Antworten erforderten. Irgendwie schlagend.
Am Morgen des 28. Februar trat jedoch ein ganz anderes Thema in den Vordergrund. Boris Nemzow war in der Nacht erschossen worden.
Dann passierte etwas, das ich mir für Deutschland wünschen würde. Die Meldung machte die Runde und jeder mit dem ich es zu tun hatte, war unmittelbar politisiert. Niemand blieb gleichgültig. Niemand hatte es verpennt, übersehen, wegen Jungle-Camp nicht wahrgenommen. Und das, obwohl der ehemalige Ministerpräsident Nemzow, wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, inzwischen eine politisch völlig unbedeutende Person war. Seine Partei scheiterte regelmäßig an der 5-%-Hürde, und das nicht mal knapp.
Er war nicht sonderlich beliebt. Der Politiker Nemzow steht für den Ausverkauf Russlands und den neoliberalen Durchmarsch unter Jelzin, der zur Verarmung weiter Teile der Bevölkerung führte und das viel kritisierte Oligarchentum ermöglichte.
Entsprechend peinlich war mir dann die Berichterstattung, die aus Deutschland herüberschwappte. Hier glauben wir ja, in Russland wäre alles reine Staatspropaganda. Die Medien werden nicht müde, dies zu suggerieren. Dabei ist die Auswahl an Nachrichtensendern in Russland unglaublich groß, die Meschen, die ich kennen gelernt habe, sind ausgesprochen gut informiert, viel besser als ich es von meinen Freunden hier kenne. Von RT über CNN bis hin zur Deutschen Welle ist das Angebot an Nachrichtenssendern sehr breit.
Im Vergleich hiermit, ist es ganz explizit Deutschland, das unter der Propagandaglocke lebt. Hier wird ein neuer Kanal wie RTDeutsch nicht als Bereicherung des Spektrums begrüßt, wie man das von einem der Meinungsfreiheit und Pluralität verpflichteten Land erwarten könnte. Hier wird diese Alternative, die gerade mal ein paar tausend Klicks pro gestreamter Sendung erhält, erstmal kräftig diffamiert. Ein wirklich schändlicher, jedem Selbstverständnis westlicher Demokratien zuwider laufender Vorgang und deutliches Signal, dass es mit den westlichen Werten nicht zum Besten steht.
Boris Nemzow jedenfalls war noch nicht richtig kalt, da wussten die deutschen Medien schon, wer es war. Putin, der alte KGB-Agent, hatte sich nachts in die Pantoffeln geworfen, Knarre aus dem Schrank geholt und war dann um die Ecken des Kreml geschlichen, um seinen großen Widersacher zu erledigen. Auch in Russland nimmt man gern Einblick in die Vorstellungswelt deutscher Journalisten und … lacht sich kaputt.
Mir war es ausgesprochen peinlich, was da an geistigem Dünnpfiff abgesondert wurde. Mir war es peinlich, wer da als Experte und Expertin befragt wurde. Manch einer und manch eine hatte einen russisch klingenden Namen, doch schon nach kurzer Recherche wurde klar, die Finanzierung kam aus einem transatlantischen Think Tank, wie zum Beispiel die vom Focus als “Expertin” vorgestellte Poltitologin Frau Schewzowa, die vom Carnegie-Institut finanziert wird. Das veranlasst einen deutschen Qualitätsjournalisten jedoch nicht zu einer kritischen Nachfrage. Noch viel peinlicher war mir jedoch, dass man in Russland bestens über die intellektuellen Bankrotterklärungen aus Deutschland informiert ist. Totaler Gesichtsverlust der Dichter und Denker.
Am 1. März versammelten sich dann mehrere tausend Menschen zu einem stillen Gedenken an dem Ort, an dem Nemzow erschossen worden war. Auch dafür hatte der deutsche Qualitätsjournalismus sofort die richtige Einordnung parat. Es waren alles Oppositionelle. Mein Bild war jedoch anders. Die Motiviation zur Teilnahme war vielschichtig. Viele gingen, weil es einfach schrecklich war, dass mitten in Moskau jemand erschossen wurde. Andere gingen hin, weil sie eine Attacke von außen annahmen, die das Ziel hatte, Russland zu destabilisieren. Wieder andere waren da, weil sie Verbundenheit zeigen wollen und dann waren da einige, die waren tatsächlich so etwas wie eine außerparlamentarische Opposition. Aber es war meiner Einschätzung nach der kleinste Teil.
Ich will hier abschließen und zusammenfassen. Was blieb von meiner Reise außer dem Wunsch, möglichst schnell wieder Russland zu besuchen?
Ich bekam für einige Tage einen Außenblick auf die Bundesrepublik und ihre Selbstwahrnehmung; ich bekam einen sehr eindrucksvollen Realitätscheck.
Wir sind wieder was als Deutsche, lächerlich nämlich. Lächerlich und gefährlich sind wir in unserer Ignoranz und Blödheit. Unsere Medienlandschaft ist ein Desaster gerade angesichts eines Landes wie Russland, auf das wir nur allzu bereit sind hinunter zu gucken. Es gibt in Russland einseitige Berichte, die den Namen Propaganda verdienen mögen, aber es gibt eben auch eine Vielzahl anderer Positionen, die Raum finden. Genau diese Pluralität besitzt die deutsche Medienlandschaft eben nicht. Aus diesem Grund weiß ich auch genau zu beurteilen, welche Nation unter der Glocke umfassender Propaganda hockt. Die Russen sind es nicht.
Die Menschen in Russland sind politisiert und haben vielfältige Ansichten, die kontrovers diskutiert werden. Hier sind die Menschen zur Kontroverse oft gar nicht mehr in der Lage, weder im Politischen noch im persönlichen Umgang. Das ist das Ende jeder Dynamik.
Wir haben das Gefühl, wir hätten alles richtig gemacht und hätten daher das Recht, andere zu belehren. Belehren im Hinblick auf ihr Wirtschaften, die Umsetzung Reformen, von Menschenrechten, die Ausgestaltung von Demokratie. Ein ausgesprochen unangenehmer Zug, der zudem noch in grundlegend falschen Annahmen wurzelt. Wir merken gar nicht, wie lächerlich wir uns damit machen, zumal es um unsere Demokratie, um unsere sozialen und politischen Errungenschaften angesichts von TTIP, Austeritätspolitik und marktkonformer Demokratie keineswegs gut bestellt ist. Jeder weiß das, jeder außerhalb Deutschlands. Nur die Deutschen selbst, die wissen es nicht. Ihnen bleiben die Zusammenhänge verborgen.
Deutschland träumt von seinem Modellcharakter, glaubt, das, was hier gut sei, sei für alle gut, und verpennt dabei, wie Rechte und Freiheiten hier angegriffen und beschnitten werden, wie asymmetrisch und einseitig unsere Wahrnehmung absichtsvoll gehalten wird. Deutschland pennt und glaubt sich wach.
Es ist ein sehr hässliches Bild, das wir inzwischen wieder abgeben. Einige Tage in Moskau brachten dies deutlich und schmerzlich zum Bewusstsein. Es braucht diesen Austausch, das hinausschauen über den eigenen Tellerrand, Vernetzung, um sich entwickeln zu können und auch sich selbst wahrnehmen zu können. Es war übrigens Wladimir Putin, der genau dies für das Verhältnis von EU und Russland immer wieder vorgeschlagen hat. Austausch, Zusammenarbeit, Vernetzung, Handel. Wir haben das zurückgewiesen."
adam
adam
Mitglied

Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von adam
als Antwort auf dutchweepee vom 12.03.2015, 17:55:37
Hier zwei Antworten auf den Reisebericht von Gert Ewen-Ungar.

Entnommen dieser Quelle

Alexej 10. März 2015 um 14:42

“Es war übrigens Wladimir Putin, der genau dies für das Verhältnis von EU und Russland immer wieder vorgeschlagen hat. Austausch, Zusammenarbeit, Vernetzung, Handel. Wir haben das zurückgewiesen.” Das ist ehrlich gesagt genau das Gegenteil von dem was tatsächlich passiert ist in den letzten 10 Jahren.

Hoschi 10. März 2015 um 15:01

ich habe angeheiratete Familie und Freunde in Russland und kann die Erfahrungen in diesem Bericht in Bezug auf die vilefältige Meinungsbildung in Russland nur sehr unzureichend bestätigen. Sowohl meine Schwiegereltern als auch Teile unseres (akademisch gebildeten) Freundeskreises glauben z.B. dass einige Leute im Westen unter dem wohlwollenden Auge der Behörden ihre Kinder ans Kreuz nageln und dass die Junta der Westukraine ausschließlich das Ziel verfolgt alle Menschen in der Ostukraine zu töten. Warum? Das ist eben so, der Erste Kanal hat es gezeigt. Meine Frau verfolgt sehr kritisch die Berichterstattung auf allen möglichen russischen Sendern, und stellte eine sogar eine “Systemausrichtung” des Wirtschaftskanals RBC fest, wo bis vor ca. einem Jahr auch Kritik an der Wirtschaftspolitik des Kreml durchaus an der Tagesordnung war. Anderen alternativen NAchrichtenmagazinen wird das Leben schwer gemacht, wie z.B. dem Sender Doschd (Regen). Das Verbot sich durch Werbung zu finanzieren und Statt dessen ausschließlich von Mitgliedsbeiträgen zu leben ist so gut wie ein Todesurteil für die privaten Sender. Die Meinung meiner Frau zu Boris Nemzow war bis kurz vor seinem Tod auch eher negativ, bis sie sich anhörte was er zu sagen hatte. Danach reflektierte sie ein wenig und stellte fest, dass sie ihre Meinung offenbar der gezielten Stimmungsmache gegen Nemzow und andere Oppositionspolitiker zu verdanken hat. Gegenwärtig ist es tatsächlich so, dass es Leute wie Nemzow eher schwer haben ihr Standpunkte der Öffentlichkeit näher zu bringen. Eine Forderung war daher, pro Woche eine Stunde Sendezeit dafür, gern auch in direkter Diskussion mit Herrn Putin. Diese Forderung und die Ankündigung von Beweisen für die Russlandverstrickung im Ostukrainekonflikt äußerte Nemzow kurz vor seinem Tod. Ich möchte keinesfalls das “Deutsche Wesen” oder das der USA als wunderbar und super darstellen aber dieser “Friede-Freude-Eierkuchen-in-Russland-Bericht” trifft die Realität nur sehr unzureichend. Zum Alltag dort gehört auch eine gehörige Portion Aggresivität, Behördenwillkür und hin und wieder auch ein bisschen Tod. Ich kenne selbst einen Staatsbediensteten, der beim Verhör ein wenig außer Kontrolle geriet und dadurch nun ein Menschenleben auf dem Gewissen hat. Kein Grund zur Sorge für ihn, er wurde ein wenig aus der Schusslinie gebracht, hat im Übrigen aber keinerlei Schuldgefühle.

Ende der Zitate.

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adam
Re: Putin verstehen, aber wie?
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf dutchweepee vom 12.03.2015, 17:55:37
Ich bin ja sehr oft in Russland (Moskau, St. Petersburg, Tula) und ich kann viel bestätigen was von Gert Ewen-Ungar geschrieben wurde.
Bruny

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