Diskussion historischer Ereignisse Präventivkrieg?

sysiphus
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Präventivkrieg?
geschrieben von sysiphus
2.3.1933
Die neue deutsche Regierung mit Adolf Hitler als Kanzler und einem Kabinett aus Deutschnationalen und Nationalsozialisten läßt die Anhänger einer Revisionspolitik gegen Polen hoffen. Der "Deutsche Ostbund" fordert in einer Eingabe am 2. März "die tatkräftige Vertretung der Forderung auf Abänderung der Ostgrenze und Rückgabe des uns geraubten Gebiets". Bei den deutschen Minderheiten in Polen haben NSDAP und SA nach der Machtübernahme einen regen Zulauf.

6.3.1933
In der Nacht zum 6. März läßt Marschall Pilsudski einen polnischen Truppentransporter im Danziger Hafen einlaufen und unter Verletzung des Völkerbundstatuts polnische Truppenverstärkung auf der Westerplatte an Land setzen. Gleichzeitg suchen er und sein neuer Außenminister Oberst Beck Verbündete für einen Präventivkrieg gegen Hitler-Deutschland. Frankreich lehnt Ende April endgültig ab.

1933
Der Völkerbund verurteilt auf britischen Antrag die polnische Provokation in Danzig, Polen muß seine Truppen von der Westerplatte abziehen.

In der Sitzung des Reichskabinetts vom 7. April 1933 schlägt Hitlers deutschnationaler Außenminister Freiherr v. Neurath einen weiter verschärften Kurs der alten Revisionspolitik vor:„Unser Hauptziel bleibt die Revision der Ostgrenze. Nur eine totale Lösung kommt in Frage. Zwischen- und Teillösungen sind abzulehnen ... Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht. Die Spannung mit Polen muß aufrechterhalten werden, und sei es nur, um zu verhindern, daß das Interesse der Welt an einer Revision der deutsch-polnischen Grenze abstirbt.“

In Polen sieht man mit dem Machtantritt Hitlers einen unmittelbaren militärischen Konflikt als unvermeidlich an. Hitler bekennt sich offen zu einer Nichtanerkennung der in Versailles festgesetzten Rüstungsbegrenzungen. Nach den verbalen Propagandaschlachten der Weimarer Zeit befürchtet man in Polen nun die gewaltsame Revision. Das Übergreifen der nationalsozialistischen Bewegung auf Polen ruft eine Flut antideutscher Emotionen hervor. Nicht selten schlägt diese auch in allgemeine Aggressivität gegen die deutsche Bevölkerung um. Pilsudski überlegt Hitler mit alliierter Hilfe in einem Präventivschlag zu überrumpeln.* Oberschlesien und Ostpreußen sollen besetzt werden. Noch hat Polens Armee doppelt so viele Soldaten wie die Reichswehr. Als ihm für seinen Coup die erforderliche Unterstützung des Verbündeten Frankreich versagt bleibt, versucht er im März 1933 durch verstärkte militärische Präsenz auf der Westerplatte vor Danzig nachdrücklich an die Einhaltung der Rüstungsbeschränkungen zu erinnern. Großbritannien und Frankreich weisen Pilsudski jedoch in die Schranken und mahnen an die Einhaltung der Völkerbundbeschlüsse.

Auch Oberst Beck hatte Recht, das zeigte sich aber erst am 7. März 1936, als Hitler mit recht fadenscheinigen Gründen das entmilitarisierte linksrheinische Deutschland "besetzte". Polen war zum Eingreifen bereit, Frankreich nicht. Oder besser: Polen wäre marschiert, wenn es hätte sicher sein können, von Frankreich nicht verraten zu werden.

Das Erste / rbb: Deutsche & Polen

* Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätten Großbritanien und Frankreich zusammen mit Polen diesen präventiven Krieg gegen Nazi-Deutschland geführt?

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sysiphus
carlos1
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Re: Präventivkrieg?
geschrieben von carlos1
als Antwort auf sysiphus vom 31.07.2009, 19:24:30
„Pilsudski überlegt Hitler mit alliierter Hilfe in einem Präventivschlag zu überrumpeln.* Oberschlesien und Ostpreußen sollen besetzt werden. Noch hat Polens Armee doppelt so viele Soldaten wie die Reichswehr. Als ihm für seinen Coup die erforderliche Unterstützung des Verbündeten Frankreich versagt bleibt, versucht er im März 1933 durch verstärkte militärische Präsenz auf der Westerplatte vor Danzig nachdrücklich an die Einhaltung der Rüstungsbeschränkungen zu erinnern. Großbritannien und Frankreich weisen Pilsudski jedoch in die Schranken und mahnen an die Einhaltung der Völkerbundbeschlüsse.“ Sysiphus


Ein Präventivkrieg ist immer auch ein Krieg, zudem noch ein Angriffskrieg. Wer in ihn eintritt, weiß nie genau, wie er wieder herauskommt.

Die Frage am Ende ist falsch gestellt. Geschichte befasst sich mit Geschehen, nicht mit Fiktion. Es wäre ein Thema für einen Romanschriftsteller der seine Figuren in dieser Zeit nach 1933 einige Jahrzehnte ein Leben in Frieden hätte führen lassen können. So etwas zu gestalten würde herausragende Fähigkeiten erfordern. Dann käme aber noch etwas hinzu: Wer würde denn ein solches „Märchen“ nach 1945 akzeptiert haben. Eine Zeit des Hungers, der Not, des Entsetzens über das Geschehene.

Die Frage (Wie wäre die Geschichte verlaufen, hätte es einen Präventivkrieg gegen Hitler gegeben?) zielt aber weiter. Die Verantwortlichen für das spätere Unheil werden gesucht. Hätten die Westmächte eingegriffen, wäre alles anders gekommen, so das Kalkül. Wer so denkt, übersieht, welche Auswirkungen der vorangegangene Krieg hatte. Mio von Opfer waren zu beklagen. Prozentual auf die Bev.zahl bezogen waren die Verluste an Menschen für England und Frkch höher als in Dtld. Frankreichs Ziel war Sicherheit zu gewinnen, was es hinter der MAGINOTLINIE erreichen suchte. England war mit der Umgestaltung seines Empires beschäftigt. Die USA hatten sich aus der Mitgestaltung der europ. Politik zurückgezogen und nicht einmal den Versailler Vertrag ratifiziert. Die Erschöpfung des Krieges wirkte nach.
Die Architektur des europäischen Staatensystems nach Versailles sah ein militärisch geschwächtes Deutschland vor. Dtld war jedoch durch die Politik Stresemanns Mitglied des Völkerbundes geworden und hatte im Locarnopakt 1926 die Westgrenzen ausdrücklich nochmals anerkannt und garantiert (die es im Versailler Vertrag durch seine Unterschrift bereits anerkannt hatte!). Die Ostgrenzen hatte Dtld jedoch nicht im Locarnovertrag nicht mit einbeziehen lassen. Die Revisionsforderungen Dtlds (Korridorfrage) erhoben von Parteien und Verbänden lagen somit weiter auf dem Tisch. Hinzu kam die Forderung der Hitlerpartei nach Lebensraum im Osten. Die polnische Besorgnis war zu verstehen. Eine Sicherung Polens erfolgte durch die Defensivbündnisse Frankreichs mit Polen und anderen osteurop. Staaten und den Völkerbund, nach dessen Satzung ein Angriff auf einen Mitgliedstaat einen Angriff auf alle bedeuten würde. Das galt aber vice versa auch für einen möglichen Präventivkrieg Polens. Die Westmächte konnten nicht ohne weiteres ihre eigenen laut verkündeten Grundsätze von einem kollektiven Sicherheitssystem über Bord werfen und Polen freie Hand gewähren. Dtld verlangte nicht Gleichberechtigung im Rahmen des Völkerbundes und trat als diese ihm im Rüstungsbereich verweigert wurde im Herbst 1933 aus dem Völkerbund aus. Nach dem Scheitern der polnischen Versuche die Westmächte zu einem Vorgehen zu ermuntern, beschritt Polen einen bedenklichen Weg. Es einigte sich mit Hitler auf einen Freundschaftsvertrag und Nichtangriffspakt mit Deutschland (26.1.1934).

Hitlerdeutschland wurde dadurch aus der außenpolitischen Isolation befreit. Der Völkerbund als kollektives Sicherheitssystem verlor an Vertrauen, denn Polen setzte eindeutig auf zweiseitige Verträge. Im übrigen war die geheim verlaufende deutsche Aufrüstung bereits vor 1933 angelaufen. Es gab auch genügend paramilitärische Verbände in Deutschland. Die Vorstellung eines polnischen militärischen Spaziergangs war nicht nachzuvollziehen. Auf polnischer Seite wurden ebenfalls weitgehende territoriale Forderungen erhoben auf "urpolnisches" Gebiet.

Das sind nur einige Bemerkungen zu dem außenpolitische Umfeld jener Tage.

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