Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871

Diskussion historischer Ereignisse Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871

carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf cecile vom 21.01.2009, 11:20:02
@ Cecile

Danke für den Hinweis.

Bei der Kriegsschuldfrage ist es auch nicht ganz so einfach. Zum Kriegführen gehören immer zwei. Der eine will den Krieg, wie in diesem Fall Frankreich, der andere ist sehr wohl in der Lage ihn zu verhindern, will aber politische Ziele durchsetzen, für die er glaubt einen berechtigten Anspruch zu haben. Deshalb ändert er auch die Emser Depesche so ab, dass sie eine (nach damaliger Zeit) schroffe diplomatische Zurückweisung des frz. Ansinnens darstellt. Fälschung oder Nicht-Fälschung?

Französische Truppen haben den Aufstand der Kommune erstickt. Für Bismarck war es ein Deal mit der Regierung in Bordeaux. Indirekte Beteiligung bedeutet nicht Schuldsein am Blutvergießen.

Hinzuzufügen wäre zu der schillernden Persönlichkeit Bismarcks auch die Tatsache, dass er die Grundlage für die Entwicklung der deutschen Sozialversicherung schuf. Dies erfolgte auch nicht ohne Hintergedanken als Abwehrmaßnahme gegen die Sozialdemokratie. Trotzdem und auch trotz des Soz.gesetzes wuchs die Zahl der abgegebenen Stimmen für die Soz. demokratie. Reaktionär? Ja. Aber die Vielseitigkeit des Politikers Bismarck wird dadurch nichtg voll erfasst. Zu Beginn der kriegerischen
Auseinandersetzung 1866 mit Österreich war er, wie er schrieb, sogar bereit im Falle eines schlechten Ausgangs den Acheron in Bewegung zu setzen, auf die Revolution zu setzen. Das Eisen- und Blut-Zitat vom September 1862, gesprochen vor der Budgetkommision des Abgeordnetenhauses, war übrigens kein Bekenntnis zur Gewaltanwendung, sondern eine Beschreibung von Entwicklungen im 19. Jahrhundert. Angefangen von 1830, 1848, 1847, 1857 Sonderbundskrieg Schweiz etc sind alle "großen Fragen der Zeit" mit Gewalt gelöst worden. Es war eine Zustandsbeschrteibung, erregte aber ungeheures Aufsehen und Hass. Sein Anliegen war, das Ziel der nationalstaatlichen Einigung mit Hilfe preußischer Machtpolitik zu lösen.

Er glaubte die Einheit nicht mehr zu seinen Lebzeiten, griff aber zu als die Chance winkte.

Wenn von Einheit die Rede ist, so schwingt immer auch die deutsche Frage im 19. Jahrhundert mit. Dass die detusche Frage im 20. Jahrhundert wieder aktuell wurde, lag an Hitler.

c.
carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf silhouette vom 21.01.2009, 10:43:16
"Bismarck als dumm zu bezeichnen, halte ich für total daneben. Er genießt immer noch ein hohes Ansehen in der deutschen Geschichtsschreibung,..." silhouette


@ silhouette,

pardon, habe deinen Beitrag übersehen. Ist richtig, was du sagst.
Bismarck prägte übe 30 Jahre lang die europäische Politik. Man spricht vom ZEITALTER BISMARCKS. Berlin war maßgebliches Zentrum der europ. Politik. Er trat nach 1871 für eine konsequente Friedenspolitik ein und betrachtete Deutschland als saturiert (keine weiteren Ansprüche mehr auf Land). Nach seinem Abgang März 1890 veröffentlichte die englische Zeitschrift Punch eine Karikatur: Der Lotse geht von Bord. Sie zeigt das Vertrauen in seine Politik. Sie findet sich heute noch in vielen Geschichtsbüchern.

Historische Gestalten können missbraucht werden. Zum "Tag von Potsdam" (ich glaube 21.3.1933) gaben die Nazis eine Briefmarke heraus, auf der sie Friedrich II. von Preußen, Bismarck und Hitler in einer Reihe (= Ahnenreihe) abbildeten. Am Tag von Potsdam stiegen der Reichspräsident v.Hindenburg in die Gruft der Garnisonkriche hinab und verweilten am Sarg des großen Friedrich. Dieser und Bismarck als Vorläufer des Emporkömmlings Hitler, in einer Reihe mit Hitler. Hitlers Politik als Fortsetzung und Vollendung preußischer staatsmännsicher Tradition.

Preußen hat das nicht lange überlebt. 1946 wurde Preußen gem. Kontrollratsbeschluss aufgelöst.

--
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von yankee
als Antwort auf carlos1 vom 19.01.2009, 11:59:29
@carlos1
Mich wundert, dass niemand dieses Datum als denkwürdig eingstuft hat. Kaiser liegen uns ferne, obwohl wir einen gerne wieder hätten, der gut Fußball spielen kann.


Es gibt doch viele Schlüsselmomente in der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands. Natürlich ist die Gründung der Republik ein bedeutsamer und mE vielleicht sogar das Samenkorn einer europäischen Union.
Aber in Anbetracht der Tatsache, daß viele Männer den Geburtstag ihrer Frau vergessen und viele Frauen die Vorteile ihrer Weiblichkeit, ist das alles nicht so verwunderlich.
Hab mir auch schon überlegt, wie sich Deutschland entwickelt hätte wenn winzige Kleinigkeiten anders gelaufen wären. Beispiel:
Wären die Türken 1683 in Wien nicht aufgehalten worden, hätte es wahrscheinlich viele schreckliche Dinge nicht gegeben. Wir wären wahrscheinlich brave Muselmanen, hätten keinen Nah-Ost Konflikt, keinen Holocaust, und kein Integrationsproblem. Aber das gehört natürlich nicht zum Thema. Danke dir carlos daß du auf das datum aufmerksam machst. Vieles von dem hier geschriebenen hatte ich schon längst vergessen oder noch gar nicht gewusst.
--
yankee

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silhouette
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von silhouette
als Antwort auf carlos1 vom 21.01.2009, 13:41:35

Historische Gestalten können missbraucht werden. Zum "Tag von Potsdam" (ich glaube 21.3.1933) gaben die Nazis eine Briefmarke heraus, auf der sie Friedrich II. von Preußen, Bismarck und Hitler in einer Reihe (= Ahnenreihe) abbildeten. Am Tag von Potsdam stiegen der Reichspräsident v.Hindenburg in die Gruft der Garnisonkriche hinab und verweilten am Sarg des großen Friedrich. Dieser und Bismarck als Vorläufer des Emporkömmlings Hitler, in einer Reihe mit Hitler. Hitlers Politik als Fortsetzung und Vollendung preußischer staatsmännsicher Tradition.

Preußen hat das nicht lange überlebt. 1946 wurde Preußen gem. Kontrollratsbeschluss aufgelöst.

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carlos1

Wenn man das Wort Dummheit unbedingt in Bezug auf diese ganze Epoche gebrauchen will, dann schon eher im Zusammenhang mit Hindenburg und seiner Militärkaste, die sich haben von den Nazis missbrauchen lassen, zunächst in dem Glauben, so ein bisschen Nationales könne nicht schaden, und in der Hoffnung, dass diese Proletentruppe sich bald überlebt hat.
Aber das ist wieder ein anderes Thema.....

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silhouette
carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf silhouette vom 21.01.2009, 17:58:54
"Wenn man das Wort Dummheit unbedingt in Bezug auf diese ganze Epoche gebrauchen will, dann schon eher im Zusammenhang mit Hindenburg und seiner Militärkaste, die sich haben von den Nazis missbrauchen lassen..." silhouette

Einverstanden damit. Geschichte wird in Bildern vermittelt, die im Kollektvgedächtnis verankert sind. Wenn Dummheit die Unfähigkeit ist urteilen zu können, dann trifft dies auf Hindenburg und die Camarilla zu. Hindenburg wurde durch Herrenrunden "weichgeklopft", damit er Hitler zum Reichskanzler ernnnen sollte. Die Militärs hofften auf Aufrüstung und damit eine Restauration ihrer ehemaligen gesellschaftlichen Stellung. Der gute Geschmack hätte sie in Sachen Hitler davon abhalten müssen. Geschichte wirkt nach, Hitler saß 1945 im Führerbunker, vor ihm das Bild des großen preußischen Königs, der in letzter Minute von der "Vorsehung" durch den Tod seiner Erzfeindin Elisabeth, Zarin von Russland, gerettet wurde. Er erhoffte von der Vorsehung dasselbe. Und tatsächlich, Roosevelt starb am 15.4.1945. Aber die Koalition gegen Hitler zerbrach nicht. Die Vorsehung half nicht.

Alles hängt mit allem irgendwie zusammen.
--
carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von silhouette
als Antwort auf carlos1 vom 21.01.2009, 21:19:33
Und dieses Jahr "feiern" wir den 65. Jahrestag des "20. Juli", jenes Ereignisses, das für mich den Bankrott des Preußentums, d.h. des preußischen Militarismus, also jener eben angesprochenen Dummheit konkretisiert. Denn ohne die Dummheit dieser Camarilla und ohne deren blinde, in den letzten Kriegsjahren jeder eigenen besseren Einsicht zuwiderlaufenden "Offiziersehre" wäre nicht an einem einzigen, schwer kriegsversehrten (nur noch 3 oder 4 ?? Finger von 10), sich ziemlich selbst überlassenen Offizier die Aufgabe hängen geblieben, nach langem Hin und Her dieses eine, letztlich unwirksame Bömbchen scharf zu stellen und dann auch noch den politischen Umsturz einzuleiten.

Das könnte hier noch ein neues interessantes Thema werden.

Derzeit ist eine Hochsaison der Filme und Dokumentationen angebrochen. Keine Ahnung, was die im Juli dann noch zum Senden übrig haben.
--
silhouette

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carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf yankee vom 21.01.2009, 14:15:03
"Es gibt doch viele Schlüsselmomente in der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands. Natürlich ist die Gründung der Republik ein bedeutsamer und mE vielleicht sogar das Samenkorn einer europäischen Union." Yankee


Das ist zweifellos richtig. Es gibt viel Schlüsselmomente, Wegegabelungen in der Geschichte. Aber wenige nur, die wie diese deutlich machen, dass ein Land einen Irrweg geht, weil es sich aus einer Staatengemeinschaft entfernt, der es historisch, kulturell, geistig angehört. Mit der Reichseinigung erfolgte ein Einschnitt in der Wahrnehmung Deutschlands und der Deutschen in Europa. Ich habe das oben am Beispiel Englands erklären wollen. Es ist so, dass Deuschland vorher ein Land war, von dem keine Bedrohung ausging, das liebenswert, wirtschaftlich etwas rückständig, politisch unterentwickelt und zersplittert, zu keiner kraftvollen Außenpoltik fähig angesehen wurde. Mit einem Wort bedeutungslos, etwas verträumt und vertrottelt. Nun auf einmal horchte Europa auf. Preußen, die kleinste der 5 europ. Mächte, schlug Österreich militärisch und wurde mit Machtzuwachs belohnt (Norddeutscher Bund). Dann wurde auch noch Frankreich besiegt, die stärkste Militärmacht des Kontinents im Felde brillant geschlagen. Eine militärische Bzipsshow sondergleichen. Ein weiterer Machtzuwachs erfolgtre nach dem Frieden von Paris 1871: Elsass-Lothringen wurde annektiert. Plötzlich stand da ein fremdartiger Militärkoloss in der Mitte Europas, der unter Umständen noch weitere Ansprüche auf Land stellen konnte (Luxemburg, Niederlande, wir erinnern uns an das Deutschlandlied: Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, der Traum der detuschen Nationalbewegung). Dieses Deutschland war nun sehr selbstbewusst und fühlte sich stark. Russland fühlte das - die Beziehungen zu den Deutschen in Russland wurden anders - zu Frankriech ohnehin, England sowieso. Österreich war gedemütigt worden und aus dem detuschen Staatrsverband von Preußen hinausgeworfen worden (kleindeutsche Lösung). Deutschland wurde als aufstrebender Militärstaat wahrgenommen, der sehr stark war. Er störte das Gleichgewicht in Europa. In der Folgezeit erstarkte Deutschland wirtschaftlich, nahm an Bevölkerung zu, überholte die englische Industrieproduktion und begann den imperialistischen Mächten Europas Konkurrenz zu machen. Von dem milde belächelten Deutschland der Gelehrten und philosphischen Spinner im Krähwinkel war nichts mehr übrig geblieben, so schien es. Ängste vo einer deutschen Dominanz kamen auf. Ängste vor einer starken deutschen wirtschaftlichen Konkurrenz. Der Aufstieg Deutschlands machte Europa zu schaffen. Damit richtig umzugehen, war Bismarck in der Lage, nicht seine Nachfolger. Deshalb ist diese Ereignis von 1871 bedeutsam.
--
carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von yankee
als Antwort auf carlos1 vom 21.01.2009, 21:47:48
Hallo carlos,
vielen Dank für die Zusammenfassung. Ich stimme dir in deiner Aussage bezüglich eines bedeutenden Ereignisses in der Entwicklung natürlich vollkommen zu. Ebenso die Tatsache, das Deutschland über viele Jahrhunderte unbedeutend war und missbraucht wurde von Spanien, Frankreich und England in erster Linie und später noch Österreich und Russland. Diese Zersplitterung in unzählige Fürstentümer, kleine Königreiche, Herzogtümer und Bistümer aufzuheben und in einer Republik zu bündeln, war auch nach meinem Verständnis eine politische Meisterleistung Bismarcks. Das sich dadurch natürlich auch die Machtverhältnisse, nicht nur in Europa sondern besonders in Deutschland verschoben, und ein deutsches Reich mit zentralisierter Macht eines Kaisers möglich war, der vieles zum guten hätte beeinflussen können, wäre sicherlich ein grosser Vorteil für die Zukunft Deutschlands gewesen. Die Dummheit des Adels hat letztlich diese Machtfülle missbraucht und alles was danach kam verursacht. Hätte ein Mann von der Klasse eines Friedrich II diese Möglichkeit gehabt dann, und da bin ich mir ganz sicher, sähe die Welt heute ganz anders aus.
Eine einzige Person beeinflusst die politische und wirtschaftliche Entwicklung auf der ganzen Welt für die Zukunft. Wie mit dem Schmetterling in Indien und dem Hurrikan in USA.

--
yankee
dutchweepee
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf yankee vom 22.01.2009, 01:02:18
@yankee

du hast da einen schwerwiegenden formulierungsfehler in deinen beiträgen (gleich 2x), indem du von der gründung einer "deutschen republik" schreibst.

1871 wurde keine deutsche republik gegründet, sondern ein erzreaktionäres deutsches kaiserreich - das von den nazis sogenannte "zweite reich". ein parlament wurde nur widerwillig und mit stück für stück abgetrotzten befugnissen zugebilligt. oppositionelle parteien wurden nach belieben von bismarck und dem kaiser verboten und verfolgt.

die erste deutsche republik wurde 1918 nach den arbeiter- und soldatenaufständen ausgerufen.
yankee
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von yankee
als Antwort auf dutchweepee vom 22.01.2009, 01:30:08
Hallo dutch,

danke für den Hinweis. Da war ich der Zeit schon vorausgeeilt. Natürlich meinte ich die Gründung des deutschen Kaiserreichs deren Kanzler er wurde. Ich merke, ich muss mich dringend wieder mit dem Thema beschäftigen .


--
yankee

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