Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871

Diskussion historischer Ereignisse Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871

carlos1
carlos1
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Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
Mich wundert, dass niemand dieses Datum als denkwürdig eingstuft hat. Kaiser liegen uns ferne, obwohl wir einen gerne wieder hätten, der gut Fußball spielen kann.

Dies Datum hat aber Bedeutung, weil es die deutsche Einigung vollzog in aller Öffentlichkeit. Norddeutscher Bund und süddeutsche Staaten schlossen sich zu einem Fürstenbund zusammen, dem Deutschen Reich. Auf dem bekannten Gemälde ist detulich zu sehen, woran es mangelte, nach unserer Auffassung. Es sind keine Zivilisten zu sehen, nur Militärs. Selbst der preußische Min.präasident Bismarck als leitender Politiker zeigt sich in Uniform mit der Pickelhaube in der Hand. Es war nicht nur die Nähe des Kriegsschauplatzes (Paris wurde gerade belagert), es war auch Programm. Mitten im Krieg, in der Nähe des Schlachtfeldes wurde das neue Deutsche Reich aus der Taufe gehoben. Kein Bürgerlicher war zu sehen, kein Handwerker, kein Arbeiter. Auch sie gehörten zum Volk. Die Franzosen haben uns diesen Akt niemals verziehen. Das Deutsche Reich in Versailles ausgerufen, von den Siegern.

Im Sommer 1919 wurde im gleichen Spiegelsaal der Friede von Versailles unterschrieben. Diesmal lag Deuschland am Boden.

Orte haben ihre Symbolkraft.

Wäre Berlin heute Bundeshauptstadt ohne diese Vorgänge? Wohl kaum. Wäre die natíonalstaatliche Einigug besser unterblieben?


carlos1
florian
florian
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von florian
als Antwort auf carlos1 vom 19.01.2009, 11:59:29
Die Franzosen haben uns diesen Akt niemals verziehen. Das Deutsche Reich in Versailles ausgerufen, von den Siegern.
geschrieben von carlos


Erklärt sich von selbst.
--
florianwilhelm18
luchs35
luchs35
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von luchs35
als Antwort auf florian vom 19.01.2009, 14:28:32

Dass die Einigung besser unterblieben wäre? Nein!

Unterblieben wäre aber besser der unselige Friedensvertrag von Versailles, der den Zündstoff für den 2. Weltkrieg legte. Und der wäre besser unterblieben!
--
luchs35

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carlos1
carlos1
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf luchs35 vom 19.01.2009, 14:34:50
"Unterblieben wäre aber besser der unselige Friedensvertrag von Versailles, der den Zündstoff für den 2. Weltkrieg legte. Und der wäre besser unterblieben!" Luchsi

Wenn alles Schlimme in der Geschichte unterblieben wäre, hätten wir die vollkommene Welt. Versailles gab es, weil es den 1. Weltkrieg gab. Und warum gab es den? Ein weites Feld.

Als Anmerkung noch: Das von Bismarck gegründete Deutsche Reich wurde auf dem Schlachtfeld ausgerufen, es endete 1945 damit, dass Deutschland zu einem Schlachtfeld wurde.

Dieses Detuschland in der Mitte Europas war von Anbeginn an anderen europ. Mächten unheimlich. Disraeli, der britische Premierminister sagte im Mai 1871 sinngemäß: Dieser Krieg bedeutet die deutsche Revolution, ein größeres politisches Ereignis als die französische Revolution des vergangenen Jahrhunderts." Die bisherigen Grundsätze der der Führung de Außenpolitik seien ungültig geworden. Die überkommene Auffassung der Diplomatie sei hinweggeeschwemmt worden. Das Gleichgewicht der Macht sei völlig zerstört, und da Land, welches am meisten darunter leidet und die Wirkungen dieser großen Veränderung am meisten spürt, ist England.

Frankreich war Deutschlands Erzfeind nun erst recht nach dem verlorenen Krieg von 1870/1 un dem Verlsut Elsass-Lothringens, England besorgt, Russland stand abwartend da und erwartete den Dank Deutschlands für seine Hilfe. Österreich-Ungarn war distanziert, weil es erst 1866 von Preußen geschlagen worden war. Keine freudigen Willkommenskundgebungen also für den neuen Großstaat in Zentraleuropa

c.
arno
arno
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von arno
als Antwort auf carlos1 vom 19.01.2009, 19:21:54
Hallo, carlos 1,

es ist sehr schade, daß dieser dumme Mensch dem Volk
nicht erspart werden konnte. Er hat wie W. Bush einen
Scherbenhaufen hinterlassen!

Viele Güße
--
arno
dutchweepee
dutchweepee
Mitglied

Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf carlos1 vom 19.01.2009, 19:21:54
nachdem 1848 die "einigung von unten" im kanonen- und kartätschenhagel verblutete, hat die preußische militärmaschine 1871 viel zu spät "die einigung von oben" vollzogen. der deutsche nationalstaat kam zu spät, um sich noch ein großes stück am internationalen kolonialkuchen abzuschneiden und stürzte sich darum 40 jahre später in einen ersten neuaufteilungskrieg.

in meinen augen war bismarck ein erzreaktionärer aristokrat, der in den augen seines königs zu liberal war und zugleich liberale gedanken brutal unterdrückt hat. immerhin gehörte zu den ersten amtshandlungen des deutschen nationalstaats, die pariser kommune im blut zu ersticken. weiterhin will ich an das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ erinnern.

alles in allem war die "reichsgründung" kein ruhmesblatt, obwohl weit überfällig. beinahe wäre sie gescheitert, da Wilhelm I. mit der formulierung "Kaiser Deutschlands" nicht einverstanden war, während die anderen fürsten einen "Deutschen Kaiser" nicht dulden wollten, da sie um ihre pfründe und privilegien fürchteten. in versailles haben ein dutzend fatzkes geschichte gespielt.


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cecile
cecile
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von cecile
als Antwort auf dutchweepee vom 19.01.2009, 19:41:59

Kleine Anmerkung am Rand:

Der unselige Krieg, der der Kaiserproklamation voranging, hat der deutschen Sprache ein neues Wort beschert:

La débâcle - das Debakel



--
cecile
carlos1
carlos1
Mitglied

Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von carlos1
als Antwort auf arno vom 19.01.2009, 19:35:25
"... sehr schade, daß dieser dumme Mensch dem Volk nicht erspart werden konnte." Arno


Ein herausragendes Beispiel guter Geschichtsschreibung ist die monumentale Bismarckbiographie von Ernst Engelberg, einem DDR-Historiker. Im Vorwort zum 2. Band schreibt er, dass er großen Wert lege auf die Darstellung der privaten Verhältnisse und den familiären Kreis, um die Wesensart des Menschen zu erhellen. In diesem Zusammenhang zitiert er Friedrich Engels aus dessen Schrift über Ludwig Feuerbach, die während des Sozialistengesetzes erschien.
"Die Möglichkeit rein menschlicher Empfindung im Verkehr mit anderen Menschen wird uns heutzutage schon genug verkümmert durch die auf Klassengegensatz und Klassenherrschaft gegründete Gesellschaft, in der wir uns bewegen müssen." Weiter Engelberg: "Hier versuchte ich in meiner Forschung und Darstellung allzu enge Sichtweisen zu vermeiden."

Enge Sichtweisen vermeiden heißt, dass nicht einseitig geurteilt werden darf. Einseitigkeit besteht darin, dass nur negative Seiten gesehen werden und nicht die Leistungen der in Frage stehenden Person. Negative Seiten gibt es viele bei diesem Menschen Bismarck. Am Ende seiner Amtszeit war er gescheitert. Er scheiterte an einem jungen Monarchen und an der nicht verstandenen Entwicklung der Zeit. Er war Relikt einer vergangenen Zeit, wofür das Sozialistengesetz ein Beispiel ist. Schlimmer noch: Am Ende seiner Laufbahn plante er den Staatsstreich, wollte die Verfassung ändern. Der Fürstenbund sollte neu gegründet werden. Die Parteien verachtete er, das Parlament bezeichnet er als „duslig“. Er benutzte die Parteien wie er es für richtig hielt als Mittel und verachtete sie. Durch seine Leistungen förderte er das Denken in militärischen Kategorien. Der Militarismus prägte die Gesellschaft. Gesellschaftlicher Status wurde definiert über den militärischen Rang. Der Reserveleutnant galt mehr als der Gelehrte.
Die von Dutch angeführte Niederwerfung des Aufstandes der Kommune in Paris ist ihm nicht anzulasten. Die Erhebung der Kleinbürger in Paris wurde durch die französische Regierung niedergeschlagen. Der Krieg ist ihm nicht anzulasten, da Frankreich den Krieg wollte und in die von Bismarck aufgestellte Falle tappte. Der Kriegsgrund für 187071 war trivial, eine diplomatische Zurückweisung einer geforderten Entschuldigung durch den preuß. König. Die Ursache war schwerwiegender, weil Frankreich durch die aufstrebende Macht Preußens sich in seiner Machtstellung und diplomatischen Bewegungsfreiheit in Zentraleuropa beeinträchtigt fühlte (Rache für Sadova!). Vor allem war es verletztes Ehrgefühl, das die Pariser Massen den Krieg fordern ließ. Verglichen mit heutigen Zuständen war der Anlass zum Krieg eine Nichtigkeit, zumal Frankreich seine Ziele im spanischen Erbfolgestreit voll erreicht hatte und Bismarck eine herbe Niederlage hatte einstecken müssen.
Für den Hinweis auf das neu verwendete Wort débacle vielen Dank.
B. ist eine in allen Farben schillernde Persönlichkeit. Der Literaturwissenschaftler Fr. Gundolf charakterisierte ihn neben Goethe als den sprachmächtigsten Deutschen im 19. Jahrhundert. Als ich das las, begann ich einige Texte von ihm zu lesen. Sehr beeindruckend die Olmütz-Rede vom Herbst 1849. Mit ihr verhinderte er, dass Preußen in einen unnützen Krieg mit Österreich schlitterte.
c.

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carlos1
silhouette
silhouette
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von silhouette
als Antwort auf arno vom 19.01.2009, 19:35:25
Bismarck als dumm zu bezeichnen, halte ich für total daneben. Er genießt immer noch ein hohes Ansehen in der deutschen Geschichtsschreibung, v.a. weil er die ersten Sozialgesetze der gesamten kapitalistischen Arbeitswelt eingeführt hat, die anderen Demokratien danach zum Vorbild wurden. Er musste es tun, um das neu vereinte Reich nicht durch die Arbeiterbewegung (Lasalle) spalten zu lassen, die soziale Reformen massiv forderte.
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silhouette
cecile
cecile
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Re: Kaiserproklamation in Versailles 18.1.1871
geschrieben von cecile
als Antwort auf carlos1 vom 21.01.2009, 10:30:31
[indent]"... Die von Dutch angeführte Niederwerfung des Aufstandes der Kommune in Paris ist ihm nicht anzulasten. Die Erhebung der Kleinbürger in Paris wurde durch die französische Regierung niedergeschlagen. Der Krieg ist ihm nicht anzulasten, da Frankreich den Krieg wollte und in die von Bismarck aufgestellte Falle tappte. schlitterte.
c.

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carlos1



Der Krieg ist Bismarck nicht anzulasten - da trägt Frankreich meiner Meinung nach die volle Verantwortung.

Bei der Niederwerfung der Commune ist er jedoch nicht ganz unbeteiligt:

Bei den Verhandlungen mit Thiers, am 10. Mai 1871, hatte Bismarck ungewöhnlich gute Bedingungen herausgeschlagen.

Dafür liess er die 60 000 Gefangenen der Thiers-Truppe genauso ungewöhnlich schnell frei ... und Thiers konnte sie gegen die Commune einsetzen.
(So habe ich es jedenfalls bei den meisten französischen Historikern gelesen ....)

Wer weiß, wie es ausgegangen wäre, wenn die Übermacht der Regierungstruppen nicht so groß gewesen wäre....
Vielleicht hätte Thiers es nicht gewagt, mit seiner Restarmee überhaupt anzugreifen?

Aber ich muß mich entschuldigen, das ist hier gar nicht das Thema .... es ist nur, weil ich irgendwie "den Traum der Commune immer noch träume"...


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cecile

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