Diskussion historischer Ereignisse Gibt es "Stolpersteine" in Eurer Stadt?
The Guardian berichtet über Stolpersteine:
STOL PER STEINE
Stolpersteine sind eine gute Idee. Doch es muß hinzugefügt werden, daß bei uns seit Jahren ein Polizeifahrzeug permanent die Synagoge bewachen muß. Dabei ähnelt der Eingang zur Synagoge einem Hochsicherheitstrakt. Aber das gilt seit einiger Zeit mehr oder weniger nicht nur für jüdische Einrichtungen. Hat halt bei jüdischen Einrichtungen eine längere Tradition. Z.B. Betonblöcke vor Fußgängerzonen. Es steht jedem frei sich Gedanken darüber zu machen.
Stolpersteine auch In Norwegen und Venedig:
Stolpersteine
Ich will, ausnahmsweise, mal das Schicksal eines Opfers einkopieren, weil der Stolperstein in meiner Nähe liegt und ich ihn schon einmal geputzt habe:
ermordet in Theresienstadt am 11.10.1944
Lindwurmstraße 205
Stolperstein verlegt am 18.04.2013
Sofie Marx zieht 1901 im Alter von 23 Jahren aus Heilbronn nach München; Emanuel Gutmann kommt am 1893 mit 20 Jahren aus Memmingen hierher. 1905 heiraten die beiden, fünf Jahre später kaufen sie – ausgestattet mit Münchner Heimat- und Bürgerrechten – das Anwesen in der Lindwurmstraße 205 und eröffneten im Mai 1912 ihr Kaufhaus Gutmann, mit „Kurz- Weiß- und Wollwaren“. Sofie ist damals 34, Emanuel 39 Jahre alt.
Aus der Zeit des 1. Weltkrieges und der Räterepublik gibt es keine Informationen zu Sofie und Emanuel Gutmann. Für 1927 verzeichnet das ´Biographische Gedenkbuch der Münchner Juden´ erstmals eine Wohnadresse in Nymphenburg an der südlichen Auffahrtsallee 11, ab 1931 lebt das Ehepaar in der Tengstraße 25.
Am 30. Januar 1933 schlägt mit der Machtübergabe an die Nazis die Zeitgeschichte zu; noch im selben Jahr kommt es zur Errichtung des KZ Dachau, es folgt der reichsweite Boykott gegen jüdische Kaufleute, Ärzte und Anwälte, dann das Gewerkschaftsverbot und die Bücherverbrennung am Königsplatz. Ab September 1933 gibt es keine jüdischen Händler mehr auf dem Oktoberfest.
1934 findet der vermutlich erzwungene “Verkauf“ des Kaufhaus Gutmann an Helferich statt. Die genaueren Umstände sind noch nicht abschließend recherchiert. 1935 wird mit den “Nürnberger Gesetzen“ und ihren Verordnungen die umfassende Grundlage für Ausgrenzung, Entwürdigung, Diskriminierung, Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Mord gelegt.
Ab März 1936 leben die Gutmanns in der Elisabethstraße 30. Wenige Monate später tagt der Reichsparteitag mit einer Kampfansage an Juden und Weltjudentum und der Forderung nach verstärkten wirtschaftlichen Maßnahmen gegen Juden und dem Endziel der restlosen Auswanderung. 1937 weist der Münchner NSdAP-Bürgermeister Fiehler bereits Monate vor der entsprechenden Reichsregelung das Münchner Gewerbeamt an, Listen über jüdische Betriebe anzufertigen, die dann im Jahr darauf als für die sogenannte „Reichskristallnacht“ benutzt werden.
Bereits im Juni 1938 wird die Hauptsynagoge hinterm Künstlerhaus an der Herzog-Max-Straße auf Befehl von Adolf Hitler zerstört.
Ab August 1938 muss Sofie Gutmann den Vornamen Sarah und Emanuel Gutmann den Vornamen Israel beantragen, am 5. Oktober 1938 werden ihre Pässe eingezogen und in der Neuausstellung mit “J“ für Jude gekennzeichnet.
Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 geht als sogenannte “Reichskristallnacht“ in die Geschichte ein. Wie viele weitere jüdische Bürger wird auch Emanuel Gutmann verhaftet, ins KZ Dachau verschleppt und erst unter Erpressung, nach seinem Geschäft auch das Gebäude abzugeben, wieder freigelassen. Er kommt – laut eidesstattlicher Erklärung im Rahmen des sogenannten Wiedergutmachungsverfahrens – sterbenskrank aus Dachau zurück nach Hause.
Januar 1939: Zwangsschließung jüdischer Betriebe und Aufhebung des Mieterschutzes für Juden. Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September1939 beginnt der zweite Weltkrieg.
März 1941: Baubeginn der Judensiedlung Milbertshofen an der Knorrstraße als Arbeits- und Sammellager für die bevorstehenden Deportationen; 1941: Gründung des KZ Theresienstadt.
Im September 1941 werden Sofie & Emanuel Gutmann aus ihrer Wohnung in der Elisabethstraße 30 vertrieben und zwangsweise in das Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Kaulbachstraße 65 eingewiesen. Sofie ist damals 63, Emanuel 68 Jahre alt. Ab 15. September müssen sie den Judenstern tragen.
März 1942: Sofie & Emanuel Gutmann werden aus dem Altenheim der Israelitischen Kultusgemeinde in das Sammellager nach Milbertshofen an der Knorrstraße 148 deportiert. Im Juni 1942 haben Juden “alle entbehrliche Kleidungsstücke abzugeben“.
Am 23. Juni 1942 werden Sofie & Emanuel Gutmann in das KZ Theresienstadt deportiert. Emanuel Gutmann wurde im Oktober 1943, im Alter von 70 Jahren, ermordet; Sofie Gutmann wurde im Oktober 1944 ermordet; sie war 66 Jahre alt."
weitere Anmerkung:
bis vor kurzem kannte ich das Gebäude der Gutmanns nur als Kaufhaus Helferich, in dessen Hände es 1932 überging, ein Zwangsverkauf
In diesem Kaufhaus kaufte meine Mutter nach dem Krieg dies und jenes ein, die Vorgeschichte kannte ich nicht.
Ich habe zwar gefällt mir angeklickt ...
das Schicksal des Ehenpaars gefällt mir nicht.
Sondern die umfassende Information zu ihren Schicksal, was zu viele ähnlich erlebten mußten.
Monja.
Mir gefällt die Verlegung dieser Steine nicht.
Ich meine, es gibt genügend Gedenkstätten für diese Taten , und wer sich damit auseinandersetzen möchte hat genug Gelegenheiten.
Auch meine ich: je penetranter darauf hingewiesen wird, desto mehr Menschen, die ja schließlich allesamt nichts damit zu tun hatten, entwickeln eine Abneigung und auch Ablehnung zu diesem Thema.
Bei uns gibt es diese Steine nicht, und ich finde es gut so.
deine Ansicht versteh ich, die haben viele.
Ich persönlich bin ebenfalls kein fan übertriebener Vergangenheistpflege.
Aus der Sicht der Naziopfer und deren Überlebender sieht das natürlich ganz anders aus.
Im vorliegenden Fall jedoch geht es um eine Vorort-Erinnerung an die damals aus ihren Häusern herausgeholten, teilweise herausgeprügelten Opfer und um eine unaufdringliche Minimalinformation und ein schlichtes Gedenken.
Es kommt bei vielen positiv an, es gibt weltweit inzwischen an die 70 000 solcher Steine, die m.E. eine schlichte Ästhetik darstellen.
Mir gefällt die Verlegung dieser Steine nicht.
Ich meine, es gibt genügend Gedenkstätten für diese Taten , und wer sich damit auseinandersetzen möchte hat genug Gelegenheiten.
Auch meine ich: je penetranter darauf hingewiesen wird, desto mehr Menschen, die ja schließlich allesamt nichts damit zu tun hatten, entwickeln eine Abneigung und auch Ablehnung zu diesem Thema.
Bei uns gibt es diese Steine nicht, und ich finde es gut so.
Ich meine Stolpersteine sollen keine Erinnerungsstätten sein, sondern kurz zum Nachdenken anregen was geschehen kann, wenn man schweigt und die Anfänge nicht erkennt oder erkennen will.
Monja.
@silva1
Deine persönliche Meinung, es gäbe "genügend Gedenkstätten für diese Taten", teile ich absolut nicht.
Zum einen würde ich das Wort "Taten" durch das Wort Verbrechen ersetzen, zum anderen ist es wichtig, dass wir uns an die, an unsere Geschichte erinnern. Es mag bequem sein, über alles den Deckmantel des Vergessens breiten zu wollen nach dem Motto "was geht mich das an". Aber ein Volk, das seine Vergangenheit nicht kennt und nicht bereit ist, daraus zu lernen, geht denselben Parolen und deren Verbreitern wieder auf den Leim und läuft in Gefahr, wieder dieselben Fehler zu machen.
Auch wer sich nicht mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen möchte, sollte diese zumindest
kennen.
Und dazu sind eben die Stolpersteine, die zeigen, wie offen und für alle Bürger sichtbar ihre Mitbürger und ihre Nachbarn in unseren Städten enteignet, verhaftet, deportiert, gequält und ermordet wurden, wichtig. Es ist gerade für unsere Enkel und deren Kinder, die weder die Diktatur noch den Krieg miterlebt haben, wichtig zu wissen, wozu Rassismus und Faschismus geführt haben und führen.
Meine Erfahrung aus vielen Unterrichtsjahren ist die, dass junge Menschen anders reagieren als Du behauptest. Mit dem Wissen wächst das Interesse.
Margit
Dein Beitrag spricht für sich und zeigt, wie nötig das Erinnern ist. Wer sich nicht erinnern will, will auch nicht wissen, was geschehen ist, und dem sind auch die menschlichen Schicksale egal, die hinter diesen wenigen Zeilen stecken. Hier wird an Menschen erinnert, die einmal hier ganz normal lebten und brutal aus diesem Leben gerissen wurden.
Außerdem: Es gibt unzählig mehr grausame Schicksale, als es Stolpersteine gibt.
Das Wort "penetrant" in diesem Zusammenhang ist absolut falsch gewählt.