Diskussion historischer Ereignisse Gedanken zur Zerstörung Freiburgs vor 75 Jahren
Heute Abend trauert Freiburg. Der bunte, umtriebige Weihnachtsmarkt hat geschlossen, schwer klingt über der Stadt die Stimme der uralten Hosanna Glocke, die die Städter seit 1258 begleitet. Heute erinnert sie an die Bombardierung und Zerstörung Freiburgs vor 75 Jahren, am 27. November 1944.
Nur 23 Minuten dauerte der Fliegerangriff damals, Zeit genug, mit 150 000 Bomben fast 3000 Menschen zu töten, 9600 zu verletzen und 80 % der historischen Altstadt zu zerstören. Wie durch ein Wunder überlebte das Münster mit seinem Turm nahezu unversehrt.
Noch leben Zeitzeugen, die als Kinder diese Nacht in Freiburg miterleben mussten und ihre erschütternden Berichte wurden gesammelt und sind in Auszügen in der Badischen Zeitung zu lesen.
Solches Gedenken gibt es in vielen Städten, Freiburg war nur eine Stadt unter vielen.
Beim Lesen der Berichte, beim Betrachten der Bilder bleibt ein Gedanke nicht aus: „Was habe ich für ein Glück gehabt, diese Zeit nicht miterlebt haben zu müssen“ und der nächste Gedanke schließt sich an, an das noch größere Glück, meine 70 Jahre in einem Land ohne Krieg gelebt zu haben.
Dann kommt aber auch die Erinnerung an die frühe Kindheit, in der die Kriegsschrecken den Eltern, Großeltern, Verwandten und Nachbarn noch unmittelbar präsent waren, die Erinnerung an die Erzählungen der Erwachsenen, die glaubten, ein Kind würde davon nichts wahrnehmen und verstehen, an den Kummer um die Gefallenen, an die Sorge um die Vermissten, die Hoffnung auf ein Wiedersehen, das Bangen um die Gefangenen, in deren Gedenken die grünen Kerzen ins Fenster gestellt wurden, die Schilderungen von Flüchtlingen, die meiner Großmutter ihr Herz ausschütteten, an Einzelheiten, die ich erst viel später einzuordnen wusste und verstanden habe, die sich aber tief eingeprägt und kindliche Alpträume hervorgerufen haben.
Und heute weiß ich, dass der Krieg mit der Kapitulation, dem Überstehen der Hungerjahre, dem Wiederaufbau noch lange nicht vorbei war, sondern dass er die Menschen, die ihn miterlitten hatten, ihr ganzes Leben lang nicht mehr losließ und auch meine Generation noch mitgeprägt hat. Unverarbeitete Traumata einer ganzen Gesellschaft wirken fort und belasten auch Kinder und sogar noch die Enkel.
Dieses Wissen kann vieles am Verhalten von Eltern, Lehrer und Umgebung erklären. Es kann helfen manches Verhalten zu erklären und milder zu urteilen.
Mich würde interessieren, ob ihr mit euren Kindheitserinnerungen ähnliche Erfahrungen gemacht habt?
Margit
Im Dezember 1938 geboren hab ich die Bombennächte sehr wohl erlebt.
Unsere kleine Stadt Bad Waldsee, damals ohne "Bad", wurde zwar nie bombardiert, doch wir lagen auf der Route nach Friedrichshafen, das (fast?) ganz zerstört wirde.
Dadurch waren wir stets gewärtig, dass wir beim Alarm rasch in den Keller mussten. Unter unseren Kopfkissen lagen Trainingshosen und Strickjäckchen, die wir schnell anziehen mussten.
Bei solchen Aktionen war meine Mutter wohl sehr besonnen und ruhig, denn an Ängste meinerseits kann ich mich nicht erinnern.
Ich erinnere mich noch an die Verdunkelung. Wenn das Licht angemacht wurde, musste ein schwarzer Vohang aus dickem Papier am Fenster heruntergelassen werden, dass kein Lichtschein nach außen dringen konnte. So muss wohl das Städtle nachts voll im Dunkeln gelegen haben.
Als ich 1959 in der Schweiz im Haushalt war, direkt am Bodensee in der Nähe von Romanshorn, wurde mir die Sorge um Deutschland erzählt. Es muss furchtbar gewesen sein, das brennende Friedrichshafen nächtelang sehen zu müssen. Der Gestank wurde manchmal über den See getragen, manchmal auch Teile von unsagbaren Gegenständen. Einmal auch Fetzen aus einer Bibel.
Die sog. "neutrale Schweiz" hat auch gelitten.
Clematis
Als "glücklicher Schweizer" habe ich damals nur das Dröhnen der amerikanischen Superfestungen gehört - und die Decke über den Kopf gezogen. Sie flogen ja nur nachts. Und am anderen Tag hörten wir im Radio welche Stadt wieder bombardiert wurde.....
Mit etwa 150 000 Bomben wurden, wie du schreibst, fast 3000 Menschen getötet. Heute "erledigt" das eine kleine A-Bombe. Ich weiss, dieser Gedanke ist makaber. Aber leider Tatsache!
Schade, dass man jene "Genies", die solche Bomben bauen und Kanonen und Minenwerfer und Maschinengewehre undundund nicht mitsamt ihren "Spielzeugen" auf einen fernen Planeten spedieren kann - und diese "Spielzeuge" dort bei der Landung gleich zünden.....
@schorsch
Stell Dir vor, all diese "Genies" hätten sich mit Dingen beschäftigt, die von Nutzen für die Menschheit gewesen wären!
off topic
Liegen jemand Vergleichsdaten zwischen dem Etat für die Militärforschung und dem für friedliche Forschung vor? Wobei bekanntlich auch die Ergebnisse der allgemeinen Forschung militärisch genutzt werden.
Bei uns in Deutschland gibt das Bundesforschungsministerium keine Auskunft über Militärforschungsprojekte an den einzelnen Universitäten, da diese in der Zuständigkeit der Länder lägen. Somit wird es mühsam, Vergleichsdaten zu eruieren.
Margit
Roxanna
Wohl jede deutsche Großstadt hat so eine Datum, denke ich .
In meiner Heimatstadt Leipzig war es der "vierte Dezember" (1943).
Damals war ich knapp 9 Jahre alt und hockte mit allen anderen Hausbewohnern fast täglich (oder nächtlich) im "Luftschutzkeller". Dieser Keller war eigentlich UNSER zugeteilter Lagerraum - aber wir mussten dann unsere Kohlen und Kartoffeln in einem anderen Winkel lagern und konnten nicht sicher sein, dass sich auch Andere daran bedienten .
Ich hoffe sehr, dass unsere Nachkommen so etwas NIE WIEDER erleben müssen.
Gi.
Guten Abend !
Diese Beiträge sind nicht mehr sehr neu , aber für mich interessant .
Auch ich bin froh , diese geschilderte Zeit nicht selbst erlebt zu haben .
Kürzlich war ich in der polnischen Stadt Wisla , einer Stadt an der Weichsel .
Am 1.September 1939 wurde dieser Ort an der damaligen polnisch-deutschen Grenze völlig von Görings deutschen Bombern zerstört . Die Menschen ahnten nicht , daß Krieg ausgebrochen war , es gab keine Warnung und die Stadt hatte fast 5000 Tote .
Diese Spirale der Gewalt traf Jahre später auch meine Stadt .
Gerade jetzt in der Weihnachtszeit sollte man daran denken .
Gruß
Gilbert
Zur Information:
Die RAF flog nachts
Die USAAF tagsüber .
Mit freundlichen Grüßen
Gilbert
Auch ich habe solche Erinnerungen, Nachkriegserinnerungen, an den in meiner Jugend (aus heutiger Sicht nicht sehr lange ) zurückliegenden Krieg.
An die Erzählungen, das beim nächtlichen Fliegeralarm "aus den Betten Reissen meiner kleinen schreienden Schwestern" von denen eine noch heute keinen Sirenenalarm hören kann, die Bomben, die im elterlichen Garten nicht explodierten und dort noch lange als "Einfassung" (ich nehme rückblickend an 'entschärft') herumlagen, das Loch im Boden und die Brandspuren an den Wänden, von einer Phosphorbombe die durch das elterlich Haus geschlagen hatte, die Bombentrichter im Wald, wo man so schön mit dem Rad drin 'Rodeo' fahren konnte oder (wenn sie zu Tümpeln geworden waren) wo man die ersten Erfahrungen mit einem aquatischen Biotop machen konnte , die Reste der in den letzten Kriegstagen von jungen Volkssturmlern unter Waffenandrohung ausgehobenen Schützengräben , der Fund eines verrosteten Stahlhelms mit einem Einschussloch drin, die über zig Kilometer weit geflogenen, verbrannten Papiere (von meiner Mutter für die Nachwelt und als Ausdruck ihres Schreckens aufgehoben) aus dem Feuersturm von Pforzheim, das eine Woche (23/2/1945) nach Dresden bombardiert worden war und bei dem gut 15.000 Menschen verbrannt sind. Die vielen lange schwarz gekleideten Witwen, die vielen Kriegsbeschädigten im Alltagsverkehr, die vielen Ruinengrundstücke auf denen Löwenzahn wucherte …viele Bilder die man nicht vergessen kann.
Dann im Blick auf diese Opfer, der paradox erscheinende Gedanke, dass ohne diese Bombenangriffe mein Vater keinen Kurzurlaub aus der Kaserne bekommen hätte, die zwei Stunden später platt gemacht worden war , und es mich folglich gar nicht geben würde … Das berührt mich noch heute mit einem eigenartigen Gefühl von Vernichtung und Weiterleben … dieses Hinein-geboren-werden in eine kaputte Umgebung, die anfing, wieder Hoffnung zu schöpfen
Dazu gehört auch, dass noch im Frühjahr 1945 Städte wie Freiburg zerstört wurden und Hunderttausende weiter ihr Leben verloren , ein knappes halbes Jahr nachdem für einige Deutsche im Westen, der Krieg schon vorüber war (Aachen kapitulierte im Oktober 44), einige Kilometer weiter südlich aber der Wahnsinn einen neuen Anlauf nahm mit der Ardennenoffensive, die bis nach Antwerpen vorstossen wollte, wo doch alle wussten,. dass der Krieg verloren war.
Das sind heute am 16/12/2019 genau 75 Jahre her.
Ein Gedenktag nicht nur in Bastogne. Hier einige Auszüge aus der heutigen Rede des Bundeskanzlers :
„ Heute vor 75 Jahren, in den frühen Morgenstunden des 16. Dezember, brach das Grauen des Krieges über die Ardennen herein. Heute vor 75 Jahren begann die deutsche Wehrmacht hier eine der letzten Offensiven des Zweiten Weltkriegs, eine blutige Schlacht in einem Krieg, der längst verloren war. …
Wir Deutsche wissen um das Leid. Wir wissen um den Schmerz. Wir wissen: Viele von Ihnen tragen bis heute daran. Ihre Väter und Großväter starben im Kampf oder sind verschollen. Ihre Mütter und Großmütter durchlitten Hunger und Zerstörung. Wehrlose Zivilisten wurden getötet Das Leid ist nicht einfach Vergangenheit. Es wirkt in Ihren Familien fort. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns erinnern – dass wir gemeinsam erinnern und gedenken. …
Wir heute, wir gemeinsam tragen die Verantwortung für das vereinte Europa. Für Deutschland, das diesen letzten großen Krieg auf europäischem Boden entfesselte, ist es eine besondere, eine bleibende Verantwortung. Ihnen allen, … will ich als deutscher Bundespräsident sagen: Wir Deutsche wissen um unsere Verantwortung. Wir stehen zu dieser Verantwortung, und wir tragen sie weiter. „
Danke für diesen sehr emotionalen Beitrag !
Gruß
Gilbert