Diskussion historischer Ereignisse Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
Hallo Dutch, mit der Speicherung ergeht es mir so wie dir. Ich habe viele Floppies (5,25) wegwerfen müssen, weil ich sie nicht mehr lesen kann. Ich versäumte es ein externes Laufwerk zu beschaffen. Aber mit Texten geht es ja noch. Die vielen Fotos, die für uns einen großen Erinnerungswert besitzen, werden auf Festplatten oder CDs gespeichert. Sie werden nicht ewig halten. Weniger lange als Fotos.
Archivierung von Daten und Geschichtsschreibung gehören zusammen. Material, das in großen Mengen anfällt, muss gesichtet werden. Der größte Teil wird vernichtet. Die Bewertung des Materials muss sehr verantwortungsbewusst vorgenommen werden. Was ausgesondert wird, wird vernichtet. Es geht aber nicht anders, weil wir sonst aus räumlichen Gründen nicht alles unterbringen könnten. Viele Akten der Behörden enthalten Vorgänge, die anderweit auch verarbeitet sind. Was doppelt anfällt muss weg. Wer die Geschichte unserer Zeit später einmal schreiben wird, hat mit weiteren Problemen zu kämpfen: der Unvollständigkeit. Telefonate, Emails werden nicht gespeichert. Wir kennen Vorgänge, aber die einzelnen Etappen und Motive der Entscheidungsfindung bleiben unklar und verschwommen. Erinnerungen von Beteiligten helfen dann weiter. Aber diese Erinnerungen sind selektiv und subjektiv. Die Bewertung wird dabei im Nachhinein vorgenommen vom eingetretenen Erfolg. Die Folgen vieler Ereignisse können wir bewerten. Aber oftmals bleibt die Rolle der Beteiligten unklar.
Es ist auch nicht so, dass Geschichte nur die Geschichte der Herrschenden ist. Die Rolle, welche die Unterschichten spielten, das waren im Mittelalter die Bauern als zahlenmäßig bei weitem stärkste Gruppe, lässt sich durch Rechtsquellen, Lebensbeschreibungen, Chroniken, durch Funde der Archäologen zureichend beschreiben. Persönliche Äußerungen sind aber umso seltener je weiter zurück die Zeit reicht. Jede Quelle aber unterliegt der Quellenkritik. Quellen müssen zum "Sprechen" gebracht werden, ausgelegt werden. Vor allem müssen verschiedene Quellen miteinander verglichen werden. Dabei geht es bis ins Detail. Nicht geringe Probleme bereitet auch die Sprache. Im Mittelalter sind die meisten Quellen in Latein geschrieben. Der Historiker der Neuzeit muss mehrere Sprachen beherrschen, um Quellentexte zu interpretieren. Das Internet bietet zwar ein unglaubliche Masse an Material, aber wir Erwachsene verstehen heute die Jugendsprache nicht mehr. Dazu benötigen wir Spezialisten, die uns über die Bedeutung bestimmter Worte aufklären. Die Jugendsprache von heute wird aber in 10 Jahren schon wieder völlig anders sein. In 50 oder 100 Jahren wird kein normaler Mensch ohne erklärende Hilfe wissen, was gemeint ist. Junge Menschen von heute haben die größte Mühe, Texte der deutschen Literatur aus dem 19. Jahrhundert zu lesen und zu deuten.
Ich bin sehr vorsichtig mit dem Internet. Ich schätze es sehr, um schnell an Informationen zu kommen und zu kommunizieren. Eine umfassende Deutung und Durchsicht in komplexen Zusammenhängen, einen Sinn, gewinne ich aus dem Material, das angeboten wird, kaum oder gar nicht.
Was du über deine Ausbildung an der TH Dresden schreibst, ist sehr interessant. Ich habe immer ein Faible für Technik gehabt und vergleiche. Meinen ersten PC in den 80ern habe ich mit Ehrfurcht behandelt und ihm sehr viel zugetraut. Nach heutigen technischen Maßstäben hat er dieses Verehrung nicht verdient. Das Internet war ein Erlebnis für mich. Aber wie es im Leben ist: Die Ernüchterung folgte der Euphorie.
c.
Archivierung von Daten und Geschichtsschreibung gehören zusammen. Material, das in großen Mengen anfällt, muss gesichtet werden. Der größte Teil wird vernichtet. Die Bewertung des Materials muss sehr verantwortungsbewusst vorgenommen werden. Was ausgesondert wird, wird vernichtet. Es geht aber nicht anders, weil wir sonst aus räumlichen Gründen nicht alles unterbringen könnten. Viele Akten der Behörden enthalten Vorgänge, die anderweit auch verarbeitet sind. Was doppelt anfällt muss weg. Wer die Geschichte unserer Zeit später einmal schreiben wird, hat mit weiteren Problemen zu kämpfen: der Unvollständigkeit. Telefonate, Emails werden nicht gespeichert. Wir kennen Vorgänge, aber die einzelnen Etappen und Motive der Entscheidungsfindung bleiben unklar und verschwommen. Erinnerungen von Beteiligten helfen dann weiter. Aber diese Erinnerungen sind selektiv und subjektiv. Die Bewertung wird dabei im Nachhinein vorgenommen vom eingetretenen Erfolg. Die Folgen vieler Ereignisse können wir bewerten. Aber oftmals bleibt die Rolle der Beteiligten unklar.
Es ist auch nicht so, dass Geschichte nur die Geschichte der Herrschenden ist. Die Rolle, welche die Unterschichten spielten, das waren im Mittelalter die Bauern als zahlenmäßig bei weitem stärkste Gruppe, lässt sich durch Rechtsquellen, Lebensbeschreibungen, Chroniken, durch Funde der Archäologen zureichend beschreiben. Persönliche Äußerungen sind aber umso seltener je weiter zurück die Zeit reicht. Jede Quelle aber unterliegt der Quellenkritik. Quellen müssen zum "Sprechen" gebracht werden, ausgelegt werden. Vor allem müssen verschiedene Quellen miteinander verglichen werden. Dabei geht es bis ins Detail. Nicht geringe Probleme bereitet auch die Sprache. Im Mittelalter sind die meisten Quellen in Latein geschrieben. Der Historiker der Neuzeit muss mehrere Sprachen beherrschen, um Quellentexte zu interpretieren. Das Internet bietet zwar ein unglaubliche Masse an Material, aber wir Erwachsene verstehen heute die Jugendsprache nicht mehr. Dazu benötigen wir Spezialisten, die uns über die Bedeutung bestimmter Worte aufklären. Die Jugendsprache von heute wird aber in 10 Jahren schon wieder völlig anders sein. In 50 oder 100 Jahren wird kein normaler Mensch ohne erklärende Hilfe wissen, was gemeint ist. Junge Menschen von heute haben die größte Mühe, Texte der deutschen Literatur aus dem 19. Jahrhundert zu lesen und zu deuten.
Ich bin sehr vorsichtig mit dem Internet. Ich schätze es sehr, um schnell an Informationen zu kommen und zu kommunizieren. Eine umfassende Deutung und Durchsicht in komplexen Zusammenhängen, einen Sinn, gewinne ich aus dem Material, das angeboten wird, kaum oder gar nicht.
Was du über deine Ausbildung an der TH Dresden schreibst, ist sehr interessant. Ich habe immer ein Faible für Technik gehabt und vergleiche. Meinen ersten PC in den 80ern habe ich mit Ehrfurcht behandelt und ihm sehr viel zugetraut. Nach heutigen technischen Maßstäben hat er dieses Verehrung nicht verdient. Das Internet war ein Erlebnis für mich. Aber wie es im Leben ist: Die Ernüchterung folgte der Euphorie.
c.
Kleiner Hinweis ....
Schade, schade ... so empfinde ich es .... , daß durch diese Eigendynamik der Diskussionen so viele (durchaus wichtige und bemerkenswerte) Punkte genannt werden (allein die letzten Beiträge hier!), die aber dann irgendwie untergehen und leider auch dem Ausgangsbeitrag nicht mehr gerecht werden.
Eigentlich wären manche Punkte eigene Diskussionen wert.
(Zum Beispiel weiß ich nicht, ob meine Beobachtungen zur Ausgangsfrage [Hobsbawm] jetzt noch angebracht sind; bzw. sie passen jetzt gar nicht mehr in die so verlaufende (eben nicht uninterssante) Diskussionskette.
Zu dem im unmittelbar vorausgegangenen Beitrag zur Problematik digitaler Informationen stelle ich einen Beitrag in den allgemeinen Bereich, weil diese Probematik eben alle tangiert, die mit digitalen Informationen arbeiten und leben ...
Die Bertha
vom Niederrhein
Schade, schade ... so empfinde ich es .... , daß durch diese Eigendynamik der Diskussionen so viele (durchaus wichtige und bemerkenswerte) Punkte genannt werden (allein die letzten Beiträge hier!), die aber dann irgendwie untergehen und leider auch dem Ausgangsbeitrag nicht mehr gerecht werden.
Eigentlich wären manche Punkte eigene Diskussionen wert.
(Zum Beispiel weiß ich nicht, ob meine Beobachtungen zur Ausgangsfrage [Hobsbawm] jetzt noch angebracht sind; bzw. sie passen jetzt gar nicht mehr in die so verlaufende (eben nicht uninterssante) Diskussionskette.
Zu dem im unmittelbar vorausgegangenen Beitrag zur Problematik digitaler Informationen stelle ich einen Beitrag in den allgemeinen Bereich, weil diese Probematik eben alle tangiert, die mit digitalen Informationen arbeiten und leben ...
Die Bertha
vom Niederrhein
@ Niederrhein
Es ist so, wie es ist, niederrhein. Es ist Hobsbawms Gedanke, dass der Kapitalismus gekennzeichnet ist, durch eine Gesellschaft egozentrischer, der Befriedigung eigener Bedürfnisse nachjagender Individuen. Das gehört zum Kern der kapitalistischen Wirtschaftstheorie. Man muss in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass Marx´ Feststellung, der Kapitalismus zerstöre die alten Werte zwar richtig, aber doch nur die halbe Wahrheit ist. Sie sind nicht sofort zerstört worden, sondern waren Voraussetzung für den Aufbau einer kapitalistischen Gesellschaft. Die permanente ununterbrochen wirkende revolutionäre Kraft des Kapitalismus, darin hat Marx Recht, musste auf längere Sicht auch die Werte zerstören, denen der Kapitalismus sein Dasein verdankte. Mit dem modernen Individualismus (der durch das Internet gefördert wird!), sägt der Kapitalismus den Ast ab, auf dem er sitzt. Vertrauen, Ethos der harten Arbeit, Verzicht auf unmittelbar eintretenden Erfolg, familiäres Pflichtgefühl sind unabdingbar für das Funktionieren einer Gesellschaft (und das Entstehen der kap. Gesellschaft) meint H. Antinomistische Rebellion von Individuen sieht er als damit nicht vereinbar an.
Am Ende des letzten Jahrhunderts war es erstmals möglich, sich eine Welt vorzustellen, in der die Vergangenheit keine Rolle mehr spielte. Die alten Orientierungen taugten nicht mehr für die neue Zeit. Wir wissen auch nicht wohin das führen wird und wie die neue Welt einmal aussehen wird.
C.
Es ist so, wie es ist, niederrhein. Es ist Hobsbawms Gedanke, dass der Kapitalismus gekennzeichnet ist, durch eine Gesellschaft egozentrischer, der Befriedigung eigener Bedürfnisse nachjagender Individuen. Das gehört zum Kern der kapitalistischen Wirtschaftstheorie. Man muss in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass Marx´ Feststellung, der Kapitalismus zerstöre die alten Werte zwar richtig, aber doch nur die halbe Wahrheit ist. Sie sind nicht sofort zerstört worden, sondern waren Voraussetzung für den Aufbau einer kapitalistischen Gesellschaft. Die permanente ununterbrochen wirkende revolutionäre Kraft des Kapitalismus, darin hat Marx Recht, musste auf längere Sicht auch die Werte zerstören, denen der Kapitalismus sein Dasein verdankte. Mit dem modernen Individualismus (der durch das Internet gefördert wird!), sägt der Kapitalismus den Ast ab, auf dem er sitzt. Vertrauen, Ethos der harten Arbeit, Verzicht auf unmittelbar eintretenden Erfolg, familiäres Pflichtgefühl sind unabdingbar für das Funktionieren einer Gesellschaft (und das Entstehen der kap. Gesellschaft) meint H. Antinomistische Rebellion von Individuen sieht er als damit nicht vereinbar an.
Am Ende des letzten Jahrhunderts war es erstmals möglich, sich eine Welt vorzustellen, in der die Vergangenheit keine Rolle mehr spielte. Die alten Orientierungen taugten nicht mehr für die neue Zeit. Wir wissen auch nicht wohin das führen wird und wie die neue Welt einmal aussehen wird.
C.
Grüß Dich Carlos,
ich werde nicht lange herumreden, sondern gleich sagen, warum ich Hobsbawm nicht lesen werde. Ansich genügt mir schon dieser erste Satz, den Du zitierst:
"Die Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit derjenigen früherer Generationen verknüpft, ist eines der charakteristischsten und unheimlichsten Phänomene des späten 20. Jahrhunderts. Die meisten jungen Menschen am Ende dieses Jahrhunderts wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung zur Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt. ...."
1.) Es gibt keine Zerstörung der Vergangenheit, sondern nur eine unterschiedliche Beurteilung. Die Vergangenheit hat stattgefunden.
2.) Es gibt keine "Gegenwarsterfahrung", denn Erfahrungen mache ich durch die Beurteilung der Vergangenheit. Schon das Wort empfinde ich als fürchterlich.
3.) Den pauschalen Vorwurf an die "Jugend" mit der "fehlenden organischen Verbindung an die Vergangenheit" finde ich falsch, ja gräßlich. Das erscheint mir als erfunden zu dem Zweck, daß sowieso niemand darüber nachdenkt.
Der Satz des Augustinus beeindruckt mich sehr, aber ich lege ihn doch anders aus als Du. Meiner Meinung nach läßt er, durch das Denken, eine Verbindung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft durchaus zu. Wenn nicht durch das Denken, wie sollte der Mensch denn erfahren, daß Zeit und Raum gleichzusetzen sind?
--
adam
ich werde nicht lange herumreden, sondern gleich sagen, warum ich Hobsbawm nicht lesen werde. Ansich genügt mir schon dieser erste Satz, den Du zitierst:
"Die Zerstörung der Vergangenheit, oder vielmehr die jenes sozialen Mechanismus, der die Gegenwartserfahrung mit derjenigen früherer Generationen verknüpft, ist eines der charakteristischsten und unheimlichsten Phänomene des späten 20. Jahrhunderts. Die meisten jungen Menschen am Ende dieses Jahrhunderts wachsen in einer Art permanenter Gegenwart auf, der jegliche organische Verbindung zur Vergangenheit ihrer eigenen Lebenszeit fehlt. ...."
1.) Es gibt keine Zerstörung der Vergangenheit, sondern nur eine unterschiedliche Beurteilung. Die Vergangenheit hat stattgefunden.
2.) Es gibt keine "Gegenwarsterfahrung", denn Erfahrungen mache ich durch die Beurteilung der Vergangenheit. Schon das Wort empfinde ich als fürchterlich.
3.) Den pauschalen Vorwurf an die "Jugend" mit der "fehlenden organischen Verbindung an die Vergangenheit" finde ich falsch, ja gräßlich. Das erscheint mir als erfunden zu dem Zweck, daß sowieso niemand darüber nachdenkt.
Der Satz des Augustinus beeindruckt mich sehr, aber ich lege ihn doch anders aus als Du. Meiner Meinung nach läßt er, durch das Denken, eine Verbindung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft durchaus zu. Wenn nicht durch das Denken, wie sollte der Mensch denn erfahren, daß Zeit und Raum gleichzusetzen sind?
--
adam
Ich grüße dich, Adam
Du erwähnst den Zeitbegriff Augustins. Diese Zeitbegriff geht aus von Zeit und Ewigkeit. Ewigkeit ist zeitlos, besitzt sich in einem und auf einmal.Zeitliches Sein ist zerstückt, holt sich erst ein, wird erst, hat Dauer. Gegenwart ist nur der Augenblick. Der aber ist ohne Dauer. Das ist wichtig. Bedeutsam sind also vor allem Vergangenheit und Zukunft. Der Hinweis auf ein Leben in "permanenter Gegenwart" ist deshalb unfassbar, ja absurd. Ich weiß nun nicht, ob H. Augustins Zeitbegriff im Blick hatte, als er diesen Absatz verfasste. Auf jeden Fall wollte er die gewaltigen Veränderungen beschreiben, die im letzten Jahrhundert stattfanden.
"Meiner Meinung nach läßt er, durch das Denken, eine Verbindung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft durchaus zu."
Adam
Augustin streitet also nicht ab, dass die Vergangenheit in die Zukunft reicht. Hobsbawwm interpretiert auch nicht Augustin, sondern Karl hat den Bezug zu Augustin hergestellt. H. beschreibt die ungeheure Veränderung in der zweiten Jahrhunderthälfte mit der Metapher "permanente Gegenwart". Damit meint er nicht die Beurteilung der Vergangenheit in einem bewertenden Denkprozess, in der Erinnerung, sondern die Mechanismen, die dazu führen, dass die Welt ums uns in immer wachsendem Maße als fremd (Entfremdung!)erscheint. Nicht dass der Einzelne nicht weiß oder nicht wissen kann, dass es eine Vergangenheit gab, sondern, dass die Vergangenehit als solche unwichtig wird, ist von Bedeutung. Wer die Klamotten des letzten Jahres trägt ist schon nicht mehr "in".
Ein pauschaler Vorwurf an die Jugend ist bei H. nicht enthalten. Wo ist der denn? Du liest etwas in den kurzen Abschnitt hinein, was nicht drin steht und auch nicht so gemeint ist. An welchen Begriffen, willst du diesen Vorwurf festmachen? Vorwurf hat immer etwas mit Schuild zu tun, die man unterstellt. Die "Mechanismen" sind es, die trennen. "Grässlich", wie du es ausdrückst, ist eines aber gewiss: Wer in der "permanenten Gegenwart" lebt, hat keine Zukunft. Die Zukunftsangst ist ein bestimmendes Merkmal unserer Zeit. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst vor Überfremdung, Angst vor der Globalisierung, Angst allein zu sein, Angst den Ánforderungen nicht gewachsen zu sein, besonders bei der Jugend. Sie hat auch das Gefühl, zu kurz zu kommen, dass die Zeiten schlechter werden und sie hinten runter fallen, dass nichts oder wenig übrig bleibt vom großen Kuchen. Darüber muss man lange nachdenken. In ein paar Sätzen lässt sich das nicht abhandeln.
Wir leben in einer Welt, in der die alten Karten und Pläne der Vergangenheit ihre Gültigkeit verloren haben, in einer Welt, in der wir nicht mehr wissen, wohin uns unsere Reise führt. Das macht uns unsicher.
Du erwähnst den Zeitbegriff Augustins. Diese Zeitbegriff geht aus von Zeit und Ewigkeit. Ewigkeit ist zeitlos, besitzt sich in einem und auf einmal.Zeitliches Sein ist zerstückt, holt sich erst ein, wird erst, hat Dauer. Gegenwart ist nur der Augenblick. Der aber ist ohne Dauer. Das ist wichtig. Bedeutsam sind also vor allem Vergangenheit und Zukunft. Der Hinweis auf ein Leben in "permanenter Gegenwart" ist deshalb unfassbar, ja absurd. Ich weiß nun nicht, ob H. Augustins Zeitbegriff im Blick hatte, als er diesen Absatz verfasste. Auf jeden Fall wollte er die gewaltigen Veränderungen beschreiben, die im letzten Jahrhundert stattfanden.
"Meiner Meinung nach läßt er, durch das Denken, eine Verbindung der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft durchaus zu."
Adam
Augustin streitet also nicht ab, dass die Vergangenheit in die Zukunft reicht. Hobsbawwm interpretiert auch nicht Augustin, sondern Karl hat den Bezug zu Augustin hergestellt. H. beschreibt die ungeheure Veränderung in der zweiten Jahrhunderthälfte mit der Metapher "permanente Gegenwart". Damit meint er nicht die Beurteilung der Vergangenheit in einem bewertenden Denkprozess, in der Erinnerung, sondern die Mechanismen, die dazu führen, dass die Welt ums uns in immer wachsendem Maße als fremd (Entfremdung!)erscheint. Nicht dass der Einzelne nicht weiß oder nicht wissen kann, dass es eine Vergangenheit gab, sondern, dass die Vergangenehit als solche unwichtig wird, ist von Bedeutung. Wer die Klamotten des letzten Jahres trägt ist schon nicht mehr "in".
Ein pauschaler Vorwurf an die Jugend ist bei H. nicht enthalten. Wo ist der denn? Du liest etwas in den kurzen Abschnitt hinein, was nicht drin steht und auch nicht so gemeint ist. An welchen Begriffen, willst du diesen Vorwurf festmachen? Vorwurf hat immer etwas mit Schuild zu tun, die man unterstellt. Die "Mechanismen" sind es, die trennen. "Grässlich", wie du es ausdrückst, ist eines aber gewiss: Wer in der "permanenten Gegenwart" lebt, hat keine Zukunft. Die Zukunftsangst ist ein bestimmendes Merkmal unserer Zeit. Angst vor Arbeitsplatzverlust, Angst vor Überfremdung, Angst vor der Globalisierung, Angst allein zu sein, Angst den Ánforderungen nicht gewachsen zu sein, besonders bei der Jugend. Sie hat auch das Gefühl, zu kurz zu kommen, dass die Zeiten schlechter werden und sie hinten runter fallen, dass nichts oder wenig übrig bleibt vom großen Kuchen. Darüber muss man lange nachdenken. In ein paar Sätzen lässt sich das nicht abhandeln.
Wir leben in einer Welt, in der die alten Karten und Pläne der Vergangenheit ihre Gültigkeit verloren haben, in einer Welt, in der wir nicht mehr wissen, wohin uns unsere Reise führt. Das macht uns unsicher.
Danke für Deine Worte Carlos,
ich werde dazu noch Stellung nehmen. Nur eine Information vorneweg: In meiner Antwort habe ich Augustinus und Hobsbawm getrennt voneinander kommentiert und in keinen Zusammnhang gebracht. Ich denke, das ist wichtig. Zustimmung für Augustinus (mit seiner speziellen Ausage über die Zeit) und Ablehnung für Hogsbawm.
Und noch was und ich drücke es mal salopp aus: Die Vereinnahme der altgriechischen Philosphen durch christliche Kirchenmänner halte ich für ziemlich daneben, denn es bedeutet, daß sie sich mit fremden Federn geschmückt haben!
--
adam
ich werde dazu noch Stellung nehmen. Nur eine Information vorneweg: In meiner Antwort habe ich Augustinus und Hobsbawm getrennt voneinander kommentiert und in keinen Zusammnhang gebracht. Ich denke, das ist wichtig. Zustimmung für Augustinus (mit seiner speziellen Ausage über die Zeit) und Ablehnung für Hogsbawm.
Und noch was und ich drücke es mal salopp aus: Die Vereinnahme der altgriechischen Philosphen durch christliche Kirchenmänner halte ich für ziemlich daneben, denn es bedeutet, daß sie sich mit fremden Federn geschmückt haben!
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adam
"Die Vereinnahme der altgriechischen Philosphen durch christliche Kirchenmänner halte ich für ziemlich daneben, denn es bedeutet, daß sie sich mit fremden Federn geschmückt haben." adam
Vereinnahme ist sicher nicht das richige Wort. Sie boten sich an. Besonders Platon. Die katholische Theologie ist durch griechische Phiolsophie besonders Platon geprägt. Ob es gefällt oder nicht.
c.
@carlos
die gesammte "christianisierung" erfolgte durch vereinnahmung "heidnischer" bräuche und kultstätten. ich wohne in einem slawischen siedlungsgebiet und alle kirchlein und klöster wurden auf seit jahrtausenden heiligem boden erbaut. die menschlein küssten entweder das kreuz, oder wurden geköpft. übrig geblieben ist nur der osterhase mit seinen eiern und der weihnachtsbaum.
am christentum (an religionen) stört mich eigentlich nur die prüderie, die damit in europa eingeführt wurde.
die gesammte "christianisierung" erfolgte durch vereinnahmung "heidnischer" bräuche und kultstätten. ich wohne in einem slawischen siedlungsgebiet und alle kirchlein und klöster wurden auf seit jahrtausenden heiligem boden erbaut. die menschlein küssten entweder das kreuz, oder wurden geköpft. übrig geblieben ist nur der osterhase mit seinen eiern und der weihnachtsbaum.
am christentum (an religionen) stört mich eigentlich nur die prüderie, die damit in europa eingeführt wurde.
Ich bin leider im Moment durch andere Dinge beansprucht. Trotzdem ein paar Hinweise, Adam. Diese "Vereinnahme heidnischer, griechischer Philosophen" durch die christliche Kirche ist ein interessanter Vorgang, weil er nur verständlich wird auf dem Hintergrund der ersten nachchristlichen Jahrhunderte. Es ist schon ein ungewöhnliche Vorgang, dieser Siegeszug des Christentums in der heidnischen Welt. Zu Beginn stand da eine Schar verängsigter Anhänger eines religiösen Lehrers, der von der Obrigkeit wegen "Amtsanmaßung" hingerichtet worden war. Wer hätte annehmen können, dass aus diesem "trost"losen Haufen von 11 Aposteln einmal die beherrschende Religion des römischen Weltreiches hervorgehen würde, dass das geistige Oberhaupt dieser religiösen Vereinigung die Nachfolge der römischen Caesaren sein würde. Dann die Lehre: Sie scheint jedem natürlichen Denken zu widersprechen: Feindesliebe, den Nächsten lieben wie sich selbst. Dann dieser Gott. Was für ein Gott, der Macht ausstrahle soll und kläglich am Kreuz endet. Wer soll das verstgehen. Und dann noch die Dreifaltigkeit, Gott in drei Personen. Diese aRt von Gottheit war eine Zumutung für jedes Denken.
Unter diesen Voraussetzungen einen Zusammenhalt (Institution) zu schaffen, die die Lehre weiter entwickelt und am Leben erhält. Eine gewaltige Leistung. Man darf auch nicht vergessen, dass die ersten Christen in ihrem Alleinsein ohne Herrn täglich auf seine Wiederkehr, die versprochen war, warteten. Aus Tagen wurden Wochen, Monate Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte ... und immer wurde die Ankunft des Herrn erwartet. Dieses Heilsversprechen . Wiederkunft Christi, ist bis heute nicht eingetreten. Aus der Erwartung aber kommt die Kraft. Diese Erklärungs- und Deutungsarbeit ist eine großartige PR-Leistung. Man darf sich das nicht einfach vorstellen. Die Apostel waren keine gebildeten Leute, bis auf Paulus. Paulus war der einzige Intellektuelle unter den Aposteln. Die 'Christengemeinde bestand zwei Jahrhunderte lang aus ganz einfachen Menschen, Sklaven, Dienstboten etc. Erst danach änderte sich alles, fanden sie Zugang in die gebildeten Schichten. Diese waren aber den Platonismus geprägt. Ohne die Rezeption des Platonismus hätte es niemals eine solche Weiterentwicklung gegeben, wäre das Christentum nie Staatsreligion geworden, wahrscheinlich eine Sekte geblieben.
Adam sieht sehr richtig, dass Augustin und Platon sehr verwandt sind. Über Augustin hat der Platonismus in das Christentum Eingang gefunden. Die Sinnenfeindschaft, die Dutchwepee erwähnt geht auf Paulus zurück und bei Augustin ist sie durch Platon verstärk worden. Der Sexus, so lehrt der Heilige, sei Symbol und Fluch des Erzverbrechens gegen Gott. So wie der Mensch gegen Gott rebellierte, ungehorsam war, so das Fleisch gegen den Geist. "Das Fleisch legt Zeugnis ab von dem strafwürdigem Ungehorsam des Menschen ..." Die Schamglieder, so erläutert er an einer Stelle: "... es schämt sich der Geist, weil ihm vom Leibe Widerstand geleistet wird." Ganzähnlich hat Platon im Timaios argumentiert: " Daher sind auch die Schamteile etwas Unlenksames und Eigenmächtiges, wie ein Tier, welches nicht auf Vernunft hört, und suchen ist ihren rasenden Begierden alles zu beherrschen." Ergo: Abendländische Sex-Feindschaft kommt also von weiter her als bloß vom Christentum, Dutch.
Die Bibel ist überhaupt kein prüdes Buch. Im Grunde müsste sie vor Kindern verschlossen werden. Voll von Sex and Crime. Das Hohelied der Liebe ist eines der poetischsten Liebesgedichte. Der Freund beschreibt die körperliche Schönheit seiner Freundin. Du kannst auch die Sprüche mal lesen.
Nicht zu vergessen sind jene frommen Bekehrer, die die "Heiden" mit Feuer und Schwert "bekehrten"!
Und heute beschweren sich die Christen, dass die Moslems von ihnen diese Methode gelernt haben!
--
schorsch
Und heute beschweren sich die Christen, dass die Moslems von ihnen diese Methode gelernt haben!
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schorsch