Forum Politik und Gesellschaft Diskussion historischer Ereignisse Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch

Diskussion historischer Ereignisse Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch

carlos1
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von carlos1
als Antwort auf Karl vom 25.01.2008, 09:01:30
"Die pessimistische Schlussfolgerung von Eric Hobsbawm bei der Betrachtung des Verhaltens der jungen Leute sollte dadurch abgemildert werden können, dass Informationen ja seit der Erfindung der Schrift nicht mehr nur in Hirnen gespeichert an die nächste Generation weiter gegeben werden. Wissen auch um die Vergangenheit wird in Büchern und heute auch in elektronischen Medien vorgehalten...." Karl

Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob das Weitertragen von Normen, Verhaltensregeln oder gar Wissen ein Problem der Speicherung von Wissen ist. Was nutzen die größten Bibliotheken, wenn niemand sie nutzt? Niemand sie zu nutzen weiß infolge Unreife? Kann ich sicher sein, dass jemand das aus einem Text/Bild herausliest, was intendiert ist? Niemand, der nicht die geringsten Erfahrungen mit den Grenzen der Lebenswirklichkeit gemacht hatte, also kein wirklich Erwachsener, kein überzeugter Marxist oder sonst was, wäre imstande gewesen die überzeugend vorgebrachten, aber völlig absurden Slogans aus den Tagen des Pariser Mai im Jahr 1968 oder aus dem italienischen "Heißen Herbst" 1969 zu erfinden: "tutto e subito" - Wir wollen alles, und wir wollen es sofort."
dutchweepee
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf seewolf vom 27.01.2008, 02:53:05
@seewolf

"Beruhigen Sie sich erstmal. Dann sehen wir weiter."


diesen satz finde ich gut. die bewarung des historischen erbes war zu JEDER zeit eine aufgabe der eliten. heutzutage haben allerdings viel mehr menschen zugang zu quellen und informationen, als noch vor 20 jahren.

noch 1980 hat kein mensch von einem ruhrpott-kumpel verlangt, daß er sich umfassend mit der deutschen-, europäischen-, oder weltgeschichte befasst, nachdem er sich den ruß von der fresse gewaschen hat. heute tun alle so, als müssten die bundesbürger (vom kindergartenkind bis zum clochard) schlagartig zum bildungsbürger mutieren.

es gibt heute mehr kluge als doofe deutsche "als wie früher" und unser erbe wird bewart - da habe ich keine angst. hätte man "zu euren zeiten" einen PISA-test veranstaltet, wären damals die deutschen vielleicht schlauer als die koreaner gewesen, aber hätten heutigen standards nicht gereicht.

tut mal nicht so schlau!
carlos1
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von carlos1
als Antwort auf dutchweepee vom 27.01.2008, 22:00:34
" ..die Bewahrung des historischen Erbes war zu JEDER zeit eine Aufgabe der Eliten." dutchwepee

Was ist denn "historisches Erbe"? Sind das alte Fachwerkbauten? Bücher aus Antiquariaten? Erinnerungen? Denkmäler? Alte Trachten? Wozu soll das gut sein? Besuche mal einen Heimatverein und gucke dir mal die Leute an, die sich für die alte Traditionen an ihrem Heimatort interessieren, die Heimatforschung betreiben. Eliten? Ganz einfache Leute sind das, keine Esoteriker.

"...heutzutage haben allerdings viel mehr Menschen Zugang zu quellen und Informationen, als noch vor 20 Jahren." dutchwepee

Zugang haben sie schon, nur können sie den Zugang nutzen?


"..es gibt heute mehr kluge als doofe deutsche "als wie früher" und unser erbe wird bewahrt - da habe ich keine angst. hätte man "zu euren Zeiten" einen PISA-Test veranstaltet, wären damals die deutschen vielleicht schlauer als die Koreaner gewesen, aber hätten heutigen Standards nicht gereicht." dutchwepee

Die Zahl de Analphabeten in Deutschland steigt an. Sie lag vor einigen Jahren schon bei knapp 25%. Dazu zählen nicht nur solche Menschen, die ihren eigenen Namen nicht schreiben können und auch keinen Satz schriftlich zu Papier bringen. Dazu zählen vor allem auch solche, die Sätze hören und lesen, aber mit dem Gehörten und Gelesenen nichts anfangen können. Diese Zahl ist bedenklich hoch. Migranten sind damit nicht allein gemeint, sondern Deutsche. Kinder werden heute eingeschult, die einfachste Anweisungen infolge mangelnden Verständnisses nicht mehr befolgen können. Sie verstehen diese nicht. In den Familien wird nicht mehr gesprochen. Dafür läuft der Fernseher. Beobachte mal Mütter beim Einkaufen mit Kindern im Supermarkt. Welche Mutter spricht mit dem Kind?

"noch 1980 hat kein Mensch von einem ruhrpott-kumpel verlangt, dass er sich umfassend mit der deutschen-, europäischen-, oder Weltgeschichte befasst, nachdem er sich den ruß von der fresse gewaschen hat. heute tun alle so, als müssten die Bundesbürger (vom Kindergartenkind bis zum Clochard) schlagartig zum Bildungsbürger mutieren."

Zunächst einmal: Wer sich öfter den Schweiß von der Stirne wischen musste, hat dadurch ein elementares Bildungserlebnis gehabt, das ihm niemand nehmen kann. Die Botschaft der Moderne geht aber weiter. Sie heißt: Mehr Bildung, Bildung, Bildung. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft. Mit Ruhrkumpels, die Kohle fördern wird in Deutschland kein Staat mehr zu machen sein. Der Bergbau ist ein sterbender Industriezweig. So wie die Bauern zahlenmäßig in der Sozialstatistik Randfiguren sind, wird es den Bergleuten auch ergehen. Ähnliches gilt auch für weite Teile der verarbeitenden Industrie.
c.







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dutchweepee
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf carlos1 vom 27.01.2008, 23:06:22
@carlos

nun hast du versucht meinen beitrag fachgerecht zu zerlegen, aber du hast mich nicht davon überzeugt, daß die menschen immer dümmer werden. im gegenteil denke ich, daß nur immer mehr von jedem schüler, studenten und facharbeiter verlangt wird. zwangsläufig können nicht alle diese messlatte überspringen.

natürlich bin ich dafür, daß ein so reicher staat wie die BRD alles unternimmt, um eine hochwertige ausbildung für alle zu ermöglichen. jedoch wird das "historische gedächtnis" von staatlichen institutionen ausgeführt, die ihre fachkräfte nach politischen kriterien rekrutieren.

paralell dazu entsteht eine "subversive" geschichtsschreibung in blogs, online tagebüchern und youtube. jeder hat die chance seine geschichte zu erzählen, ohne auf teures pergament zu schreiben. selbst wenn jemand nicht schreiben kann, so gibt es genug vereine die solche geschichten sammeln.

noch vor 100 jahren konnte ein kaiser bestimmen, welche story über eine schlacht veröffentlich wird. heute würden tausende soldaten ihre eigene version erzählen. was würde wohl ein grenadier der völkerschlacht bei leipzig über preußen, russland oder frankreich berichten? ...der Iraq-krieg wäre ein "sauberer" krieg, wenn nicht die soldaten ihre eigene geschichte erzählen würden.
dutchweepee
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf carlos1 vom 27.01.2008, 23:06:22
@carlos ...ein post scriptum

mit "eliten" habe ich natürlich keine trachtenvereine gemeint - willst du mich veralbern? geschichtsschreibung war durch alle jahrhunderte hindurch die aufgabe der gelehrten, der studierten, der regierungs- und herrschernahen profiteure. somit war die geschichtsschreibung auch immer die historie der herrscher.
hugo
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von hugo
als Antwort auf dutchweepee vom 27.01.2008, 23:23:47
ok dutch, zusammengefasst mag das stimmen: es gibt heute mehr kluge als doofe deutsche "als wie früher"

Stimmt, meine Großeltern, die von schlesischen Leinewebern abstammten und meine Kollegen in der Uckermark deren Vorfahren Tagelöhner (Schnitter) waren und die in ihrem Umkreis die Mehrzahl der Menschen stellten, konnten sicher nicht mit tollem vorzeigbarem Wissen prälieren.

Soviel zu früher und noch früher wars wohl noch eindeutiger.

Wenn ich nun meine eigene Verwandtschaft, alle meine Kinder und Enkel in die Wertung nehme, dann stimmt Dein Satz immer noch, denn die haben alle rein theoretisch viel mehr auf der Kirsche (an abrufbarem Schul-Wissen) als ich.

Das es nun in Deutschland eine -darin sind wir uns wohl einige- viel zu große Zahl an Menschen gibt, denen zwar theoretisch lt. GG das Recht auf Schule und Bildung zusteht, die es aber nicht entsprechend nutzen können ist schlimm, sehr schlimm und wird noch schlimmer, weil dieser Zustand hausgemacht und völlig unnötig ist.

Schon ein klitzekleines Gesetz (mit den entsprechenden Bedingungen die das Durchsetzen absichern) welches dafür sorgt, das jedes Kind (jedes) bis zum Schuleintrittsalter perfekt mindestens die deutsche Sprache so gut beherrscht wie erforderlich ist um Zustände - wie carlos gegenwärtige Mängel beschreiben- gegen Null zu drücken.

und Jedes Kind, welches mit 12 Monaten in eine deutschsprachige Kindereinrichtung aufgenommen wird und dort täglich (mindestens 4 Tage die Woche und 6 Stunden am Tage) von deutschsprechendem gut qualifiziertem Personal betreut wird, sollte bald einen ausreichenden Stand erreicht haben.

und wenn das im bettelarmen Ländern wie Bugarien, Rumänien, DDR oder Polen Kuba usw. in den 60 iger Jahren möglich war dann dürfte das im heutigem superreichen Deutschland auch machbar sein. Es kommt auf das Wollen an nicht auf das Können.
--
hugo

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dutchweepee
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf hugo vom 28.01.2008, 00:03:41
@hugo

einverstanden!
schorsch
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von schorsch
als Antwort auf carlos1 vom 27.01.2008, 23:06:22
Ich denke, nicht "Bildung" ist das absolute Muss, sondern "Wissen und Können". Wobei Wissen natürlich oft von Bildung kommt. Diese wird aber nicht nur von (Hoch-)Schulen vermittelt, sondern auch von Handwerkern und Eltern.

--
schorsch
carlos1
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von carlos1
als Antwort auf dutchweepee vom 27.01.2008, 23:39:28
"...diesen satz finde ich gut. die bewarung des historischen erbes war zu JEDER zeit eine aufgabe der eliten. dutchwepee

Dieser Satz ist falsch. Bewahrt werden kann nur, was aufgenommen, akzeptiert und verinnerlicht wird. Denken und Fühlen lässt sich jedoch nicht befehlen. Das mit dem "historischen Erbe" und der "Bewahrung" desselben hast du hier hereingebracht in Verkennung dessen, was Hobsbwam mit der "permanenten Gegenwart " und der Zerstörung der Vergangenheit" meint. Sozialer Wandel, Wertewandel, kulturelle Revolution, all das hat nicht viel damit zu tun, ob wir heute klüger oder weniger klug sind. Es hat aber damit zu tun, dass der Verständniszugang fehlt für das, was andere erlebt haben. Die Bindungen zwischen den Generationen werden gelockert.

Das Folgende gehört eigentlich nicht zum Thema:

"noch vor 100 jahren konnte ein kaiser bestimmen, welche story über eine schlacht veröffentlich wird. heute würden tausende soldaten ihre eigene version erzählen. was würde wohl ein grenadier der völkerschlacht bei leipzig über preußen, russland oder frankreich berichten? ..."

Ein Beispiel: Über den Russlandfeldzug Napoleons 1813 gibt es Berichte einfacher Soldaten und Offiziere. Sie wurden nicht von den Königen zensiert und diktiert. Von 15 000 württembergischen Soldaten kehrten 500 zurück. Darunter befand sich Faber du Faur, der ein Tagebuch während des Russlandfeldzuges geführt hatte mit fast 100 Pastellskizzen. Es gibt auch die Aufzeichnungen eines einfachen Soldaten aus Tamm. Sehr detailiert. Es wird berichtet, wie der Rest der Truppe, die mit Napoleons Grande Armée ausgezogen war nach Russland, nach der Heimkehr im Schlosshof zum Empfang angetreten war und auf den König wartete. Der König ließ seine treuen Soldaten stundenlang warten und speiste in Ruhe zu Ende, bis er geruhte die angetretene Truppe zu inspizieren.

Du solltest nicht zu schnell der Versuchung erliegen, in der Unmasse von Äußerungen im Internet wie Blogs etc. eine "subversive" Geschichtsschreibung zu erblicken. Das klingt eindrucksvoll. Ist aber nur Ausdruck eines übertriebenen Individualismus. Dein Glauben an das Internet in Ehren. Ich halte es für ein gutes Mittel zu kommunizieren. Es trägt aber auch erheblich zur Verdummung bei. Vor einem Jahr wurde ich von einer Verwandten, Schülerin am Gymnasium, gebeten ihr bei einem Referat zu helfen. Ich bat um ihr Schulheft. Es gäbe keins, erklärte sie mir. Es würde nichts aufgeschrieben. Es gab nichts, rein gar nichts. Aufzeichnungen seien nicht nötig, es stünde ohnehin alles im Internet, so die Lehrkraft. Wir sprechen von Bildungsanstalten. Das ist falsch. Besser wäre es bei solcher Sachlage von Verblödungsanstalten zu reden.


c.




dutchweepee
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Re: Die Zerstörung der Vergangenheit, ein historischer Umbruch
geschrieben von dutchweepee
als Antwort auf carlos1 vom 28.01.2008, 21:22:21
@carlos

da gebe ich dir recht. der digitale-wahn ist zugleich segen und fluch. wir können 10.000 jahre alte tontafeln aus ägypten, oder eine gutenbergbibel lesen, aber ich habe keine chance 15 jahre alte discetten zu lesen, weil die passende hard- und software hoffnungslos veraltet ist. insofern geht vieles an wissen und information verloren, die auf papier erhalten worden wäre.

was ich allerdings meine ist, daß eigentlich nichts mehr so richtig geheim bleiben kann. noch vor 50 jahren konnte man unbeliebte akten in den reiswolf schmeissen, um dinge vergessen zu machen. heute kann ich mir selbst aus dem vorbeifahrenden auto ein backup ziehen, bevor die datei gelöscht wird. du hast insofern recht, als daß es keine klare linie mehr in der geschichtsschreibung gibt. millionen menschen schreiben millionen verschiedene versionen unserer geschichte und vielleicht ist das die erste wahre geschichte.

p.s.:
1984 wurde ich an der TU Dresden in die erste "papierfreie seminargruppe" an der sektion maschinenbau und fertigungstechnik immatrikuliert. wir wurden alle mit PCs ausgestattet, die eigentlich den namen nicht verdient haben. der wunsch der gründerväter war, daß wir nur noch digital kommunizieren sollten. allerdings konnten wir mit den computern und druckern sooooo viel papier beschreiben, wie keine andere seminargruppe. +lol+

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